20 Jahre das Wirken von Exile On Mainstream. Genügend Zeit, genauer nachzufragen.

26.03.2019 | 22:32

Zwanzig Jahre Leidenschaft, Niederlagen, Aufraffen und Überraschungen. Zwanzig Fragen an Andreas Kohl, den Mann hinter dem Qualitätslabel, das in einem Brandenburger Dörflein seine Heimat gefunden hat. Von entgegenschwimmenden Sammlungen, dem blöden Mammon, nervenden Dogmen der Szenen und dem Metal, der eigentlich sehr glattes Eis ist.

Hallo Andreas, wie geht es Dir? Viel um und in den Ohren? Ich finde cool, dass Du Zeit für meine Fragen hast. Die wollte ich Dir und Euch schon immer mal stellen. Ich denke, Du hast viel zu tun wegen des Jubiläumsfestivals. Was erwartet uns denn im altehrwürdigen Leipziger UT Connewitz am ersten Aprilwochenende?

Na zuerst einmal natürlich großartige Musik. Wir sind mächtig stolz und glücklich auf das Line-up und die Bands, die bestätigt haben, dort mit uns Geburtstag zu feiern: vier Tage, die die ganze Geschichte des Labels Revue passieren lassen - mit einigen Bands, die teilweise seit über zehn Jahren nicht mehr live gespielt haben und sich nur für dieses eine Festival wieder zusammen gefunden und extra geprobt haben: VOLT, PAYOLA, A WHISPER IN THE NOISE, OSTINATO, um nur einige zu nennen. Dazu kommen Acts der jüngeren Geschichte wie GORE, DÄLEK, BELLROPE und ein paar Dauerbrenner, die mittlerweile zum Inventar des Hauses gehören und es dadurch zu einem Heim machen: BULBUL, THE ANTIKAROSHI, OBELYSKKH, KRISTIAN HARTING. Aber schaut's euch einfach selbst an - zur Vorbereitung haben wir eine Webseite gebastelt - www.mainstreamrecords.de/eom20. Es wird aber auch noch mehr als eine schmissige Revue aus bekannten Sounds passieren. Am Samstag gibt es eine gemeinsame Jamsession - alle Künstler, die da sind, werden ebenso daran teilnehmen wie Fans, die als Zuschauer oder mit Instrumenten eingeladen sind, mitzumachen. Am Sonntag dann gibt's ein gemeinsames Kaffeetrinken. Jeder, der einen Kuchen für alle mitbringt, darf sich als Dankeschön eine Platte oder CD aus unserem Katalog aussuchen - für umme. Im Anschluss daran gibt es eine Matinee-Show mit FRIEDEMANN, KRISTIAN HARTING und CONNY OCHS.

EOM Festival 2019

Schon allein OSTINATO, THE ANTIKAROSHI und PAYOLA als Acts sind aus meiner Sicht Argumente, sich da einzufinden. Für alle, die jetzt ein wenig wegen des forschen Einstiegs stutzen: Dein Label Exile On Mainstream wird im Frühling 2019 20 Jahre alt. Wenn Du Deine Zeit als Labelmacher (um nicht Chef zu sagen) in den letzten 19,99 Jahren Parade laufen lässt, welche 5 Begriffe fallen Dir da ein?

Leidenschaft. Wahrgewordener Traum. Familie. Jede Menge Arbeit. Und: alles richtig gemacht.

Um Dich aus meiner Sicht zu beschreiben: Ich habe Dich als langjähriger Abonnent kennengelernt als Redakteur der VISIONS, ich habe Dich gesehen als Sänger der Band SHEPERD, ich habe bei Dir auf dem STFU 2015 ein VALINA-Shirt und später auf Konzerten zwei BULBUL-Shirts gekauft, ich habe Dich bei diversen Parties als Einlasser/ Stempelgeber erlebt... Wenn mich Nachkommen fragen würden, was macht der Mann eigentlich beruflich? - Was machst Du beruflich?

Ich arbeite als Manager bei Optimal Media, einem der größten Schallplattenpresswerke der Welt. Wir stellen aber außerdem auch CDs, DVDs, Blu-Rays und hochwertige Drucksachen wie Bücher und Broschüren her. Dort bin ich jetzt seit sechs Jahren und mag die technische Ausrichtung des Berufs, die ein super Gegengewicht zur Labelarbeit ist. Vorher war ich 15 Jahre selbständig als Journalist und mit einer Vertriebs-, Promotion- und Tourbooking-Agentur.

Das hört sich entsprechend sehr zielgerichtet an. Ich sah, Du hast mal Politik in Leipzig studiert - was hast Du da mitgenommen?

Mitgenommen aus dem Studium habe ich sicherlich die Befähigung und das Interesse daran, gesellschaftliche Zusammenhänge zu beobachten, Schlüsse zu ziehen und aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Ich habe ja außer Politikwissenschaft auch Kommunikationswissenschaft und Wirtschaftspolitik studiert und diese drei Fächer haben sich wunderbar ergänzt. Letztlich hat mir das Studium aber vor allem die Zeit und die Möglichkeit gegeben, ohne das starre Korsett eines Jobs oder einer Ausbildung verschiedene Dinge auszuprobieren und anzupacken. So habe ich z.B. schon während des Studiums als Journalist gearbeitet, das Leipziger Musikmagazin Persona Non Grata mit herausgegeben und Konzerte veranstaltet. Im Studium selbst ging es eine ganze Weile in eine vollkommen andere Richtung. Ich hab einerseits im Bereich Medienpädagogik über das Mediennutzungsverhalten von Kindern geforscht und in der Politikwissenschaft hatten es mir besonders die EU und die verschiedenen internationalen Verflechtungen im umwelttechnologischen Bereich, ganz besonders zum Thema Luftreinhaltenormen, angetan - etwas, das heute ja wieder mächtig aktuell ist. Es sah eine ganze Weile so aus, als ob ich auch eher in einem dieser Bereiche arbeiten würde. Aber das Abhängen mit Musikern war dann doch wichtiger, ha.

Ostinato

OSTINATO. Labelmates.

Verständlich. Um persönlich zu bleiben, und ich frage das auch, weil Du im schönen provinziellen Brandenburg gelandet und geerdet scheinst, was ich als Brandenburger toll finde: Bist Du jetzt "angekommen", oder würdest Du Dich als Kosmopolit bezeichnen, der gern auch in Zukunft woanders sein Lager aufschlagen könnte?

Ich war immer schon ein ziemlich sesshafter Mensch, der irgendeine Basis braucht, an die er zurückkommen kann um seine Akkus aufzuladen. Ich hatte zum Beispiel eine absolut großartige Kindheit und ein wirklich wunderbares Zuhause, weshalb es bei mir auch nie wirklich eine Phase des Aufbegehrens gegen die Eltern gab. Ich bin dann später zwar viel durch die ganze Welt gereist, teilweise auch sehr lange und auch heute noch sehr gern unterwegs, vor allem in den Bergen, aber das gar nicht mal so provinzielle Dorf Borkheide ist wahrhaft ein Zuhause, das ich mag. Ich kann mir derzeit auch nicht wirklich vorstellen, nochmal woanders hinzuziehen - aus einer Art Verwurzelung ebensowenig wie aus logistischen Gründen. Schon beim Gedanken an einen Umzug wird mir übel. Ich bin 1994 von Münster, wo ich die ersten zwei Jahre studiert habe, nach Leipzig gezogen. Da passte alles, was ich besaß, in einen Opel Kadett. Danach gings nach Berlin und von Berlin hierher in den Brandenburger Wald. Beim Umzug von Berlin brauchten wir zwei 7,5t-Laster - es ist vollkommen krank, was man so anhäuft.

Krassomat! Ich glaube, Ihr seid ein Familienbetrieb. Wie muss ich mir den Alltag in Deinem Label so vorstellen? Morgens um 9 in das Büro, Deine Frau hat eine Liste, Du hast eine Liste. 12 Uhr ein Zigarettchen vor der Tür, dann um 17:30 Uhr wird zugeschlossen?

Das war tatsächlich ein paar Jahre so. Auf dem Weg vom Schlafzimmer ins Büro noch an der Kaffeemaschine vorbei. 17:30 zugemacht haben wir allerdings nie. Das war für ein paar Jahre auch das Konzept und damals sogar der Grund hierher zu ziehen. Wir haben vorwiegend für amerikanische Labels gearbeitet, die teilweise an der Westküste saßen - das sind neun Stunden Zeitunterschied. Da musste man teilweise bis nach Mitternacht im Büro sitzen, wenn man mit denen mal fix am Telefon was besprechen wollte. Die Möglichkeit, im selben Haus zu leben und zu arbeiten, war da die sinnvollste Lösung, von anderen Annehmlichkeiten mal abgesehen: Platz um Tourbusse zu parken, Equipment zu lagern oder Bands zu beherbergen, die auf Tour sind. 2013 haben wir die Agentur dann geschlossen, nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern weil wir uns beide einfach umorientieren wollten. Meine Frau arbeitet nun bei einer Stiftung in Potsdam und ich hab bei Optimal Media angeheuert. Seitdem sieht der Alltag etwas anders, normaler aus. Exile On Mainstream ist auf den Feierabend (und die Nacht) sowie Wochenenden limitiert.

Ich kann mich an ein Armageddon erinnern: Wasserschaden in Eurem Hause! Was war da los? Wie habt Ihr das wieder gerade gebogen?

Oh ja, das Megadesaster. 2010. Der absolute Albtraum. Eine Hebepumpe für Abwasser funktionierte nicht und gleichzeitig hatte die Toilettenspülung einen Defekt. Es lief also (glücklicherweise frisches, sauberes) Wasser beständig nach, wurde aber nicht ins Abwassersystem weitergepumpt, sondern lief stattdessen in unseren Keller, der unsere Büros, die Plattensammlung und das Equipmentlager beherbergt. Wir selbst waren auf dem Roadburn Festival und als wir nach vier Tagen zurückkamen, stand das Wasser 45cm hoch - 30.000 Liter, der gesamte Jahresverbrauch. Die gesamte Bürotechnik, fast 1000 Platten, CDs, Verstärker, Instrumente im sprichwörtlichen Eimer. Dieser Moment, wo mir meine vollständige Man's Ruin-7inch-Sammlung entgegen geschwommen kam, ist bis heute mein Albtraum. Muss man nicht haben sowas. Wir sind aber ganz gut da raus gekommen. Wir waren versichert, zwar nicht ausreichend, aber zumindest so, dass wir alles ersetzen konnten, was zu ersetzen war. Die Versicherung selbst war auch sehr kulant und wirklich bemüht. Von anderen Dingen, wie z.B. dem heißgeliebten antiken Schreibtisch meines Großvaters und einigen Platten, die man nicht wiederbeschaffen kann, habe ich mich relativ schnell, wenn auch nicht leicht, verabschiedet. Es ist dann eben so, als ob man diese Dinge nie besessen hat. Was wir Gutes mitgenommen haben, ist aber die Unterstützung von Fans und Freunden. Es gab sogar Benefizkonzerte. Das war mir dann schon etwas unangenehm, schließlich waren wir keine Erdbebenopfer und leben in einem zivilisierten Land mit guten Versicherungen und es ist niemand körperlich zu Schaden gekommen.

Bellrope

Und ich vermute mal, dass das von Dir veranstaltete North Of Mainstream in Rostock finanziell auch nicht sehr befriedigend war. Wie gehst Du mit Dingen allgemein um, die nicht so laufen? Woher ziehst Du die Kraft, weiter und weiter zu machen, zu versuchen?

Ach, das blöde Geld immerzu. Natürlich bewegst du dich mit so einem Label in einem Markt und bist letztlich Teil der Kulturindustrie. Deshalb muss man Kosten immer im Auge haben, aber eben nicht nur. Erfolg oder besser, Bestätigung erhält man auch über andere Dinge. Sicher, es nagt schon an einem, wenn Sachen nicht so laufen, wie man sich das gewünscht hat und wenn Bands vor halbvollen Häusern spielen müssen, obwohl sie einen brechend vollen Laden verdient hätten. Das nervt mehr als ein finanzieller Verlust. Aber am Ende gehe ich dann doch oft genug raus und habe ein großartiges Konzert gesehen oder eine fantastische Platte veröffentlicht, die es wert war. Es kommt auf die Perspektive und die Erwartung an: Wenn ich ins Kino gehe, zahle ich für meine Eintrittskarte ja auch und erwarte nicht, dass ich nach dem Genuss des Films mit einer dicken Brieftasche wieder rauskomme. Stattdessen habe ich vielleicht einen großartigen Film gesehen, der mich berührt und mein Leben bereichert hat. Mir ist klar, dass ich mich mit diesem Vergleich auf dünnem Eis bewege und er an vielen Stellen hinkt. Wo er aber taugt, ist eben der ganz persönliche Anspruch, etwas auf die Beine zu stellen, ein Erlebnis zu schaffen. Und das nimmt dann keine Kraft, sondern es gibt sie.

Da wären wir eben auch beim Thema: Brennend interessiert mich, welche der von Dir betreuten Veröffentlichungen waren denn die monetär erfolgreichsten Projekte?

Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, weil man auch hier immer Aufwand und Umsatz ins Verhältnis setzen muss. Eine besonders hohe Verkaufszahl wird schnell mal konterkariert, wenn z.B. Studiokosten oder aufwendiges Artwork hohe Kosten verursachen. Wenn du mit monetär reinen finanziellen Gewinn meinst, lässt sich das nicht so einfach beantworten und ist auch nichts, was mich umtreibt. Es ist eine Frage der Kategorien: Wir haben Platten gemacht, wie z.B. mit A WHISPER IN THE NOISE, die unheimlich viel Öffentlichkeit bekommen haben - medial und bei den Fans, was für mich eine viel wichtigere Kategorie als finanzieller Gewinn ist, auch wenn diese Platten sehr gut verkauft haben. Die FRIEDEMANN-Platten z.B. liefen so gut, dass wir bei der aktuellen ein angenehmes Sicherheitsgefühl hatten und wir uns mit der CD in einem gebundenen 60-seitigen Buch einen Wunsch erfüllen konnten, weil einfach klar war, dass sich das rechnen wird, auch wenn diese Verpackung einen Großteil des möglichen Gewinns auffressen wird. Dann gab und gibt es Bands, bei denen für mich persönlich Träume wahr wurden, als ich Platten mit ihnen machen konnte - wie z.B. BULBUL und aktuell DÄLEK und GORE. Da ordnen sich kommerzielle Erwägungen absolut unter. Ich könnte letztlich für jede Platte eine Begründung finden, warum sie Sinn gemacht hat und warum ich glücklich bin, dass ich sie gemacht habe. In keiner dieser Begründungen wirst du allerdings finanziellen Erfolg als Beweggrund finden, in allen aber die Begeisterung für die Musik und die Menschen dahinter. Es macht einfach Spaß. Noch einmal: Klar, das alles kostet Geld und langfristig muss sich so ein Label finanziell selbst tragen, was es auch tut, aber Erfolg bemisst sich für mich völlig anders.

Das höre ich sehr gern. Daran anschließend: Welche sind absolute Herzenssachen? Beispiel STINKING LIZAVETA, BULBUL. Alle, die die Bands leibhaftig erleben durften, sind hin und weg, aber eine größere Bekanntheit hat sich wahrscheinlich nicht eingestellt. Wie gehst Du damit um?

Nun ja, es ist uns ja schon klar, dass wir spezielle Musik veröffentlichen, die für den Massengeschmack mitunter einfach zu sperrig ist. Damit muss ich dann gar nicht umgehen, sondern das weiß man ja vorher. STINKING LIZAVETA wird natürlich nicht im Tagesprogramm eines Privatsenders laufen. Das wird nicht passieren. Die Sache mit der Öffentlichkeit ist dann auch ein zweischneidiges Schwert: Natürlich veröffentlicht man Platten (deshalb heißt das ja auch so) um eine Band einem größeren oder im Idealfall größer werdenden Publikum vorzustellen. Auf der anderen Seite kennt man aber auch die Limitierungen. Dann spielen auch noch solche Fragen wie Marketing und Promotion mit rein: Wie weit will man gehen, wie weit kann man gehen um mit entsprechenden Instrumentarien eine höhere Reichweite zu erreichen? Und wird das dem Künstler oder den Künstlern gerecht? Die haben auch eine bestimmte Erwartung und eine bestimmte Herangehensweise, die ebenso versucht, zwischen höchstmöglicher Reichweite, aber auch Verständnis und Auseinandersetzung mit der eigenen künstlerischen Äußerung hin- und herpendelt. Oder um es an einem Beispiel festzumachen: Habe ich bei einem CONNY OCHS-Konzert lieber 100 Leute, die still und begeistert der Musik lauschen und sich damit auseinandersetzen und der Künstler sich selbst verstanden fühlt und eine magische Verbindung zum Publikum aufbauen kann oder habe ich 300 Leute, von denen ein Teil unaufmerksam ist, quatscht, mit Bierkrügen klappert und den 100 und dem Künstler den Abend vermiest, aber am Ende geht der Künstler mit dreimal soviel Geld nach Hause? Die Frage kannst du nicht pauschal beantworten, das ist immer subjektiv - und zwar für jeden daran Beteiligten. Und es ist nie schwarz und weiß. In diesem speziellen Beispiel würde man wahrscheinlich sagen: Lass 150 Leute rein, das ist dann eine gute Mischung. Oder doch ein fauler Kompromiss? Kompromiss ist hier das Stichwort. Es ist ein dünnes Seil, auf dem du permanent balancierst. Du willst, dass deine Platten von Leuten gekauft werden, die davon begeistert sind und sie mit einer ähnlichen Leidenschaft hören wie du selbst. Du fragst dich, wie viele Leute es da draußen gibt, die solche potenziellen Adressaten sein können und wie viele du erreichen kannst, die nicht von selbst auf die Platte aufmerksam werden. Das kalkulierst du immer wieder neu, bei jeder Platte. Meist wurden meine Erwartungen dann auch erfüllt.

Würdest Du sagen, Du und die von Dir betreuten Künstler gehören einer bestimmten Szene an? Oder hast Du dementgegen eine bestimmte Definition von Underground, in dem "alles geht"?

EOM ist kein Sound-orientiertes Label. Ich würde daher sagen, dass wir uns keiner bestimmten musikalisch definierten Subkultur zugehörig fühlen. Aber natürlich bin ich von vielen Subkulturen und gegenkulturellen Entwürfen beeinflusst. Dazu gehört eine konsequente Do-It-Yourself-Attitüde, wie ich sie im Punk und im Flower Power kennengelernt habe ebenso wie eine klare politisch fundierte und motivierte Herangehensweise von links. Mit einer Definition von Underground tue ich mich dennoch schwer, weil mich jede Art von Dogma immer nervt. Definitionen benennen immer Auschlusskriterien und der Begriff Underground beinhaltet ja auch schon ein entscheidendes Kriterium: Wo wir sind, ist unten und die oben wollen mit uns nichts zu tun haben oder wir nicht mit denen oder sogar beides. Der Begriff Independent hat in diesem Zusammenhang eine höhere Bedeutung für mich - Unabhängigkeit von korrumpierenden Strukturen oder Zwängen und von Erwartungen, die dich selbst korrumpieren (können). Das ist in Vollkommenheit natürlich nie zu erreichen, sondern eher eine Art Skala, auf der man seine eigene Position finden muss - es gibt hier kein Schwarz/Weiß. Ziel und Antrieb ist dabei immer Leidenschaft, das definiert meine Herangehensweise und auch das Verhältnis zwischen mir und den Künstlern, für die ich arbeite.

Stichwort PAYOLA: Ursprünglich ist EOM ja für die Verbreitung dieser Band gegründet worden, richtig? Ich freue mich wie Hulle, die bald beim Festival wiederzusehen!

payola

Das ist richtig, ja. PAYOLA war die erste Band auf dem Label. Sie hatte vier Songs aus einer Aufnahmesession für das Label Loudsprecher aus Hannover übrig und wir haben die auf eine 7inch gepresst, weil es schade gewesen wäre, die irgendwo vergammeln zu lassen. Dass sie auf dem Festival spielen, freut mich natürlich ebenfalls. Da schließt sich ein Kreis, weil wir damals natürlich alle nie gedacht hätten, dass mal sowas draus wird.

Oh ja, irgendwo liegen noch zwei Loudsprecher-Sampler bei mir rum, der ist klasse. Schreibst Du noch für Medien oder bist Du nun eher vor allem Promoter? Was ja gut ist, da Du ja beide Seiten sehr gut kennen müsstest?

Ich schreibe noch hin und wieder fürs VISIONS und etwas aktiver für MINT, ja. Als Promoter würde ich mich mittlerweile nicht mehr bezeichnen, wobei ich die Promotion für Exile On Mainstream immer noch selbst mache. Es ist immer gut, möglichst viele Seiten zu kennen und alles mal gemacht zu haben. Das ist es, was ich eben mit Do It Yourself meinte. Mich haben immer alle Bereich interessiert und ich hab letztlich auch alles mal ausprobiert, abseits von Promotion und Labelscheff sein: Ich hab in Bands gespielt und bin selbst auf Tour gefahren. Ich hab mich mit Technik von Verstärkern auseinandergesetzt, repariere gern mal einen Plattenspieler oder baue Lautsprecherboxen. Der Antrieb dafür kommt einfach daher, dass ich immer denke, um die Klappe aufreißen und mitreden zu können, muss man das alles verstehen und mal gemacht haben. Ein Tourbooker, der nie selbst einen Bandbus gefahren hat und nicht weiß, was es bedeutet, wenn nach drei Tagen mit je 5-6 Stunden Fahrzeit mal zwei Konzerte gespielt werden, die nur 2 Stunden Fahrt auseinanderliegen, ist einfach kein guter Booker. Und dazu kommt, dass ich, gerade was das Label angeht, nur bedingt teamfähig bin. Ich bin ein Kontrollfreak, der am liebsten alles selbst macht, weil er sich dann nicht auf jemand anderen verlassen muss.

Ja, das kenne ich gut, abgeben sucks. Da fällt mir etwas ein: Ich stehe nach dem Abriss von OMEGA MASSIF und ARABROT im Abschlusskonzert von SOM 2008 und DÄLEK wabert dunkle TripHop-Sounds (?) durchs Zelt. Neben mir geht ein Typ ab - das warst Du. Wie kamst Du denn auf diesen Stilbruch? DÄLEK hat ja auch einen Hauptslot am ersten Aprilwochenende.

DÄLEK ist kein TripHop, sondern waschechter, lupenreiner HipHop - und zwar so, wie er sein sollte: druckvoll, politisch, mit Inhalt und Sounds, die dir die Hose runterziehen. Für mich war und ist das kein Stilbruch. Zunächst bin ich Fan der Band und wenn ich Fan von was bin, dann hau ich das den Leuten vor die Füße. Ich liebe diese Typen, also spielen sie auf meinem Festival. Und weil du OMEGA MASSIF und ARABROT erwähnst: Die Soundästhetik von DÄLEK ist so viel dichter an diesen Bands, als es auf den ersten Blick scheint.

Was sind Denn Deine Ziele für sagen wir mal die nächsten 5 Jahre?

5 Jahre sind eine krass lange Zeit. Soweit plane ich nicht im Voraus. Eigentlich plane ich immer nur bis zur nächsten Platte. Noch in diesem Jahr wollen wir ein weiteres FRIEDEMANN-Livealbum machen und dann erschöpft sich das auch schon mit der Planung. Es sieht aber so aus, als ob es mit dem Label noch ein wenig weitergehen wird.

Weil mich die Meinung von Gitarrenszenekundigen immer seeeehr interessiert: Wie schätzt Du gerade die wahrnehmbare Gitarrenrock-Szene ein? Siehst Du viele Revivals, viele Wiederholungen, was wird spannend sein in der nächsten Zeit?

Gitarrenrock im weitesten Sinne wurde schon so oft tot gesagt und kam dann doch immer wieder. Als ich z.B. 1999 als Promoter beim damaligen Vertrieb EFA angefangen habe, war ich der "Typ mit den Gitarrenbands" in einem Büro mit fünf Techno- und Drum'n'Bass-Promotern, die mich immer ganz mitleidig anlächelten, wenn ich ihnen erklärte, was z.B. FUGAZI für eine geile Band ist. Damals konnte sich vor allem in Berlin kaum einer vorstellen, dass Gitarre noch mal ein größeres "Thema" werden würde. 2002 explodierte u.a. ISIS und die Verantwortlichen in der Firma waren sprachlos, als die Band in Deutschland die Verkaufserwartung um das Zehnfache übertraf. Und vorher war da ja auch schon was: THE STROKES, WHITE STRIPES, das Roadburn-Festival und die ATP-Festivals verkauften innerhalb weniger Minuten aus. Es war und ist schwer, von DER Gitarrenrock-Szene zu sprechen, dazu ist das alles mittlerweile zu aufgefächert, aber wenn man es mal ganz verallgemeinernd betrachtet, mache ich mir um die Gitarre und den Rock keine Sorgen. Das wird sich natürlich auch in Revivals ausdrücken, klar. Musikgeschichte hat sich in den letzten Jahrzehnten als zyklisch entpuppt - man denke nur mal an das Rockabilly-Revival mitten in der Hochzeit der weichgezeichneten Synthieklänge der 80er oder Grunge mit seiner direkten Linie zurück in die Siebziger auf dem Höhepunkt der Techno- und House-Welle. Das bleibt also spannend, wobei ich mir nicht traue, hier Prognosen abzugeben, was bestimmte Wellen angeht. Ich sehe aber durchaus das Problem, das ja des Öfteren mal diskutiert wird: so richtig fette Superstars, vor allem im Metal, auf die sich viele einigen können, sind nicht in Sichtweite. Wer in Zukunft in Sachen Status den Platz von sowas wie MOTÖRHEAD, METALLICA, SLAYER oder MAIDEN einnehmen wird, kann ich mir noch nicht ausmalen.

Was bedeutet für Dich eigentlich Metal?

Oh je, damit führst du mich auf sehr glattes und dünnes Eis und ich muss aufpassen, dass ich nicht ausrutsche oder einbreche. Ich hab keine Metal-Vergangenheit. Ich besitze bis heute keine MAIDEN- und keine PRIEST-Platte, MANOWAR ist mir ein Graus. Dann gibt es aber wieder Bands, die ich mag, z.B. alte ACCEPT, SEPULTURA und natürlich SLAYER. Meine musikalische Sozialisation war ein Marsch von Rock'n'Roll/Rockabilly über Garage Punk über Noise hin zu allem, was irgendwie extrem ist. Das schließt extremen Pop genauso ein wie extrem gute Musik, ha. Dabei bin ich geschmacklich immer um Metal herumgetänzelt und hab von allen möglichen Seiten mal reingepiekt, wobei viele Sachen, die ich irgendwie als Metal begreife, von der Trve-Fraktion sicher anders bewertet werden würden - sowas wie SAINT VITUS, KYUSS, MESHUGGAH. Metal als Szene fasziniert mich, weil Metal heute die einzig wirklich noch intakte und halbwegs klar umrissene musikalische Subkultur zu sein scheint, zumindest wenn man sich ihr soziologisch nähert: Habitus, Stil, Jargon... alles da. Alles intakt. Was mich nervt, ist der Konservatismus in dieser Szene, nicht mal unbedingt politisch, sondern das konsequente und sich immer wiederholende Messen von Neuem an den Traditionen, was sich in "true oder nicht true"-Diskussionen ebenso ausdrückt wie im schon mantraartigen "Das erste Album war das beste". Vom Frauenbild und übertrieben archaischem Gehabe in einigen Unterszenen des Metal fang ich mal lieber nicht an. Auch hier bitte nicht falsch verstehen: Es gibt im Metal dann auch wieder extrem progressive Ideen und inspirierende Musik und dazugehörige Veranstaltungen. Genau das meinte ich damit, dass diese Szene intakt ist. Im Metal gibt es noch Diskussionen und Diskurs, es gibt Innovation. Das können viele andere Szenen nicht mehr von sich behaupten.

Treedeon

Ich persönlich bin glücklich, dass Du TREEDEON unter Vertrag hast, die Band, die meines Erachtens einige der aufregendsten und unabhängigsten deutschen Musiker vereint. Wie kamt Ihr denn nach dem ULME-Split zusammen?

Da gebe ich dir absolut recht - was für eine fantastische Band. Die Geschichte ist schnell erzählt: Natürlich war ich immer ULME-Fan und hab auch an der Band rumgekratzt, als sie nach Jahren der Stille wieder zusammen spielte. Leider hat mir Arne von Nois-O-Lution die Band dann weggeschnappt, was aber völlig okay war, weil Arne und ich sehr gut befreundet sind. Ich hatte ULME dann für das 2012er South-Of-Mainstream-Festival gebucht. Kurz vorher kam die Nachricht von der Auflösung. Da habe ich Arne Heesch (Gitarrist und Sänger) auf den Topf gesetzt und gesagt: "Du spielst aber trotzdem, dann mach halt 'ne Akustik-Show oder sing Kinderlieder. Mir egal. Du kannst doch nicht einfach eine meiner Lieblingsbands auflösen und dann auch noch dem Festival fernbleiben." Das hat er dann auch gemacht und für den Gig Yvonne mitgebracht. Die beiden spielten eine sehr intensive Akustik-Show und TREEDEON war geboren - anfangs als reines Akustik-Projekt. Aus der Zeit gibt es übrigens noch Aufnahmen, die wir irgendwann auch mal rausbringen wollen. Tja, irgendwie haben sie sich dann aber in den Proberaum verkrochen und ob es am versifften Teppich oder generell an der Luft in dem Loch lag, ist nicht geklärt. Jedenfalls haben sie sich irgendwas eingefangen und plötzlich angefangen so schlimm rumzulärmen. Und dann hab ich gesagt, jetzt schuldet ihr mir aber eine Platte. Und so war das eingetütet. Als ich sie dann das erste Mal auf dem Roadburn-Festival 2014 gesehen hab, hat es mich gegen die Wand gedrückt, so gut war das. Und es ist bis heute immer wieder so, wenn ich die Band sehe.

Das hört sich sehr intensiv an. Und überhaupt, nach welchen Kriterien wählst Du "Deine" Künstler aus: Du hast ja mit Kristian Harting, Conny Ochs, Friedemann auch "Liedermacher" im Portfolio.

Hier könnte ich einen Roman schreiben, wie mir Künstler eher "passieren" als dass ich sie auswähle. Aber eigentlich passt es auch in einen Satz: Das Schicksal wählt uns füreinander aus. Es ist tatsächlich so. In den meisten der Fälle sehe ich die Künstler live und es macht klick. Bei einigen anderen bin ich bereits Fan und manchmal ergibt es sich einfach - man lernt sich kennen, hängt rum, geht auf Tour und schaut sich irgendwann an und sagt: "Na, jetzt sollten wir dann aber mal 'ne Platte machen, oder?" Wir sind kein Label, was aktiv auf die Suche geht, nicht mal passiv. Es macht z.B. absolut keinen Sinn, uns ein Demo zu schicken. Grundsätzlich ist es so, dass mein Geschmack entscheidet. Ich bin da vollkommen scheuklappenfrei. Wenn mir etwas gefällt und ich Möglichkeiten sehe, das zu veröffentlichen, dann kommt das raus. Dabei spielt durchaus auch immer so ein verschmitzter Gedanke mit: Mal sehen, wie die Leute jetzt darauf reagieren? Ich mag gern mich selbst und andere überraschen. Für mich hat ein ernsthaft betriebenes Label immer auch eine Art Kuratierfunktion, Öffentlichkeit schaffen für etwas, das die Leute sonst vielleicht verpassen würden.

Andreas, ein sehr schöner Ausdruck, dass "einem Künstler passieren". Wenn Du Dir etwas wünschen könntest - sagen wir drei Gedanken... Welche wären das zum Schluss - oder als Ausblick?

Bei diesen Wünsche-Träumen bin ich immer ziemlich konkret. Klar könnte man da jetzt erstmal laut Weltfrieden brüllen und das macht auch total Sinn, aber darum geht's dir ja wahrscheinlich nicht. Also dann so hier:

Wunsch 1:

Kultur im Allgemeinen und Musik im Besonderen sollte einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft bekommen. Pauschal dahergesagt, das ist mir klar. Ich will hier auch gar nicht völlig abgedroschen Politiker und die Politik bemühen, sondern uns alle. Wer singt, kämpft nicht, wer tanzt, kämpft nicht. Wertschätzung für Immaterielles ergibt sich immer auch daraus, wie es der Einzelne erlebt und ob er überhaupt die Möglichkeit erhält, es zu erleben. Dazu müssen bestimmte Bedingungen und Zugänge geschaffen werden. Und das ist dann schon mein Wunsch 2:

Wunsch 2:

Ich würde mir wünschen, dass für die Arbeit, die wir und unsere Künstler machen, etwas bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden. Damit meine ich keine Förderung oder Unterstützung von Staatsseite. Ich meine das mit der Unabhängigkeit durchaus ernst und möchte, dass sich der Staat aus meinem Business raushält. Soweit wie möglich. Aber dann eben bitte auch konsequent, indem er z.B. dem blöden Zugezogenen, der den Club nebenan wegen der Lautstärke verklagt, sagt: "Alter, der Laden war hier, bevor du kamst. Sorry, aber damit musst du jetzt leben und nicht die." Das ist nur ein Beispiel, ein anderes wäre die GEMA, die sich in jedes kulturelle Miteinander polternd und juristisch legitimiert, einmischt - eben und gerade auch in Bereichen, wo sie nichts verloren hat, weil keines ihrer Mitglieder am Konzert, der Veröffentlichung oder was auch immer beteiligt ist. Letztlich kriege ich hier wieder die Kurve zu Wunsch 1: Wenn wir die Wahrnehmung und Bedeutung von Kultur erhöhen und mal wieder Diskussionen darüber führen, werden evtl. Entscheidungsträger auch andere Entscheidungen treffen. Dieser Diskurs darf aber eben nicht nur den Künstlern überlassen werden, sondern muss von uns allen geführt werden. Ich weiß, das klingt mächtig naiv, aber wenn es eine beständige Öffentlichkeit z.B. für ein kulturelles Projekt gibt, wird dort dann vielleicht anders entschieden, wenn der fette Investor um die Ecke kommt und ein Hochhaus da hinbauen will. Das ist alles eine Diskussion, die zu komplex ist, um hier in so einem Interview erschöpfend behandelt zu werden, aber es ist tatsächlich etwas, was ich mir wünsche: Geht da raus, schaut, was es in euerm Umfeld an Kultur gibt, bringt euch ein, unterstützt, seid Fans. Ihr dürft sogar fragen, was es euch bringt und ich garantiere euch, ihr werdet eine ganz und gar positive Antwort darauf bekommen. Und hört endlich auf zu jammern.

Wunsch 3:

Kommt alle nach Leipzig auf das 20 Years Exile On Mainstream Fest. Feiert mit uns.

Ach ja. Ich habe oftmals gehört, wie Dich Musiker, Kollegen, Bekannte respektvoll mit "Kanzler" ansprechen und ich denke immer "Auweia. Was für ein Bezug!" Stört Dich das eigentlich?

Nee, Quark. Wenn du Kohl mit Nachnamen heißt, gibt es weitaus schlimmere Spitznamen, die man dir verpassen kann. Abgesehen davon sind Spitznamen ja immer ein Ausdruck einer Zuneigung, Wahrnehmung und Wertschätzung. Das stört mich also überhaupt nicht.

Redakteur:
Mathias Freiesleben

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