ATLANTEAN KODEX: Interview mit Manuel Trummer (erster Teil)

07.11.2013 | 09:48

"Wäre doch saudumm, wenn die Leute bei den Konzerten bloß mit den Büchern rumstehen würden." Szene-Weisheiten, Pioniergeist und Mythologie aus dem bayerischen Untergrund.

 

 

Es ist die Untergrund-Sensation der letzten Jahre: Das zweite Album "The White Goddess" fährt Höchstnoten ein, wohin man blickt und wird regelrecht abgefeiert. Ein paar Wochen vor der Veröffentlichung baten wir Sprachrohr und Gitarrist Manuel Trummer zum Gespräch, der nicht nur zum neuen ATLANTEAN KODEX-Album viel zu erzählen hat. Im ersten Teil des langen Interviews unterhalten wir uns über die weiße Göttin, Bücher vor der Bühne und steinzeitliche Fruchtbarkeitskulte.

 

 

Nils: Manuel, in Interviews und Reviews zu eurer ersten LP "The Golden Bough" wurdet ihr stets mit Lob überschüttet. Ich vermute, dass es jetzt noch "schlimmer" ist?

Manuel: Im Moment trudeln so die ersten Reviews ein und wie es aussieht, wird es relativ positiv ausfallen. Die Meinungen gehen größtenteils dorthin, dass wir noch ein Stück draufsetzen konnten. Wenn wir von Noten sprechen, bewegen sich die meisten im Bereich von 10/10 Punkten. Da bin ich optimistisch, was das angeht.

Habt ihr nach den Aufnahmen auch gedacht, dass ihr "The Golden Bough" noch übertreffen könnt? Schließlich wurde die Platte als einer der besten Releases in diesem Bereich in den letzten Jahren gehandelt und ich kann mir vorstellen, dass man sich selbst schon gewaltig unter Druck setzt.

Ja schon. Natürlich geht es runter wie Öl, wenn man mit Komplimenten und Superlativen überhäuft wird. Im Proberaum hat das aber keine Rolle gespielt. Für uns war wichtig, dass wir in etwa das Level der "Golden Bough" erreichen, das war unsere Messlatte. Hätten wir gemerkt, dass wir das nicht noch einmal schaffen, dann hätten wir gar nichts mehr veröffentlicht. Davon, irgendwelche Erwartungen zu erfüllen oder uns weiterzuentwickeln, war in der Band nie die Rede.

Ich mag "The Golden Bough" sehr gerne, aber das neue Album klingt für meinen Geschmack noch kohärenter. Als ob ihr mittlerweile eine noch bessere Vorstellung von dem habt, was ihr musikalisch machen wollt. Das Material klingt in meinen Ohren gereifter, schließlich sind einige Songs ja schon ein paar Jahre alt.

Das ist richtig, teilweise sind die Songs schon drei Jahre alt und deine Einschätzung teile ich vollkommen. Und das ist genau das, was alle in der Band gesagt haben, als wir zum ersten Mal das finale Master gehört haben. Wir haben kurz vorher noch zwei Songs rausgeschmissen, weil die nicht dazu gepasst haben. Unser erster Eindruck war, dass die Platte von vorne bis hinten richtig rund klingt. Und ich bin davon überzeugt, dass das auch so rüberkommt. Eben weil wir uns mehr Gedanken darüber gemacht haben. Bei "The Golden Bough" lief alles etwas spontaner, die Songs wurden nicht wirklich produziert, sondern wir haben es so wie im Proberaum eingespielt. Ohne große Technik, irgendwelche Overdubs etc. Dieses Mal haben wir wesentlich stärker an den Details gearbeitet. Alleine was wir an den Gitarrensoli gearbeitet haben….irgendwann war unser Michi schon recht entnervt. Letztendlich klingt die Platte dadurch aber einheitlicher, geschlossener. Ob sie jetzt "besser" oder "schlechter" ist als "The Golden Bough", das kann ich nicht sagen.

Wie steht es mit euren musikalischen Einflüssen, finden die auf natürlichem Weg in eure Musik oder denkt ihr bewusst darüber nach?

Absolut natürlich! Ich höre teilweise von anderen Musikern, dass sie sich mit irgendwelchen MANOWAR- oder CANDLEMASS-Platten einsperren und dann davon inspirieren lassen, sowas machen wir überhaupt nicht. Was natürlich eine Rolle spielt, ist das, was man aktuell hört. Da kann man sich nicht vor verschließen, wenn man bestimmte Songs oder Stimmungen mit sich herumträgt. Wir würden nicht auf die Idee kommen, uns ganz bewusst an einzelnen Alben oder gar Songs zu orientieren. Ich persönlich habe gerade in den letzten Jahren viel 70er-Jahre Folk Rock, URIAH HEEP und so ein Zeug gehört. Vielleicht kann man das an der einen oder anderen Stelle heraushören.

Eure Musik ist zwar immer noch Musik für einen ganz bestimmten (kleinen) Kreis, aber die mediale Aufmerksamkeit wird immer größer. Zu Anfang konnte man von dir in Interviews und Foren lesen, dass du den direkten Kontakt zu den Fans sehr schätzt, da jeder direkt mit euch in Kontakt treten kann. Jetzt wird diese Entfernung gefühlt etwas größer, oder irre ich mich da?

Dazu muss man sagen, dass es immer noch Menschen gibt, die von Anfang dabei waren und mit denen wir auch in regelmäßigem Kontakt stehen. Nimmt man einmal die Fans hinzu, die mit den beiden LPs jetzt dazugekommen sind, wollen die wenigsten davon tatsächlich auch Kontakt zur Band haben. Jeder, der uns anschreibt, bekommt eine Antwort und wir freuen uns, wenn wir auf Konzerten etc. angesprochen werden. Wir sehen uns ja auf einer Ebene mit den Fans, da wir selbst gerne Fan sind. Ich stehe genau so gerne in der ersten Reihe und feuere Bands wie PROCESSION oder METAL INQUISITOR an wie ich auf der Bühne stehe. Auch wenn wir jetzt ein paar Platten mehr verkaufen als zu Demo-Zeiten, soll niemand den Eindruck gewinnen, dass wir Rockstars, Musiker oder sonst irgendein Quatsch sind. Wir sind in erster Linie Musikfans und das wollen wir auch beibehalten. Deswegen gibt es bei uns auch keine Abschottung - mir ist es ja schon zu viel, wenn es bei Konzerten einen Graben zwischen Bühne und Publikum gibt. Letztendlich haben wir aber ein Level erreicht, wo es naturgemäß eine gewisse Distanz gibt, die aber nicht von uns kommt. Jeder, der diese Distanz überbrücken will und mit uns schreiben, sprechen oder sonstetwas will, ist herzlich dazu eingeladen.

Wahrscheinlich sind es auch die wenigsten Fans gewohnt. Man kauft die CD im Laden, liest gegebenenfalls irgendwann ein Interview und das war's.

Ja, genau das ist es! So geht es mir persönlich auch oft. Durch unsere Konzerte treffen wir oft andere Bands, von denen wir bislang nur Platten hatten und dann plötzlich festgestellt, dass das auch ganz normale Leute sind wie du und ich. Selbiges haben mir auch Leute gesagt, die sich mit uns unterhalten haben. Natürlich sind wir ganz normal. Auch wenn wir das Album des Monats im RockHard haben - was für manche Leute wohl beeindruckend ist oder so - ändert sich dadurch nichts.

Bevor wir gleich zu Anfang zu sehr vom Thema abweichen, kommen wir zurück zum Album. Du wunderst dich anscheinend, dass viele Menschen an den Texten und den Hintergründen interessiert sind, obwohl es ja primär um die Musik geht. Meiner Meinung nach kann man bei ATLANTEAN KODEX keinen Bogen um diese Aspekte machen und die neue LP schließt inhaltlich an "The Golden Bough" an. Wo liegt für dich der Reiz, konzeptionell bei diesen Themen zu bleiben?

Wenn man Frazers "Golden Bough" gelesen hat, stößt man automatisch auf Robert Graves, der Frazers Ideen aufgegriffen hat. Das Konzept sagt letztendlich aus, dass Religion und die komplette europäische Mythologie sich auf jungsteinzeitliche Wurzeln zurückführen lassen und sich im Laufe der Zeit in unterschiedlicher Form erhalten beziehungsweise verändert haben. Insofern folgt "The White Goddess" diesem Thema schon, setzt sich aber nicht mit dem Buch von Robert Graves auseinander. Ich fand vielmehr die Figur der weißen Göttin spannend, so wie Robert Graves sie denkt. Er bringt den Vorschlag - der vermutlich wissenschaftlich bei genauerer Betrachtung absolut nicht haltbar ist -, dass wir in der kompletten europäischen Mythologie vom vorderen Orient, über die alten Griechen bis zum Christentum oder rauf nach Nordeuropa eine Figur der dreifaltigen Göttin haben. Diese weiße Göttin ist in der Regel verbunden mit den Aspekten Geburt, Leben und Tod und tritt in der Gestalt der Jungfrau, Frau und Greisin auf. Siehe Jungfrau Maria, oder der Kybele-Kult der Griechen. Es sind immer die gleichen Aspekte von Geburt, Tod und Wiedergeburt. Insofern fand ich Graves Idee von einer paneuropäischen Figur, die es sowohl im Christentum als auch in anderen Mythologien gibt, sehr interessant. Das wäre also die europäische Dimension. Auf der anderen Seite beschreibt Graves die weiße Göttin auch als Muse, die ihn zu Höherem antreibt, ihn anspornt, etwas Bleibendes zu schaffen. Man soll sein Leben immer in dem Bewusstsein leben, dass man sterblich ist. Letztendlich ist der Tod unser zentraler Antrieb. Und das nicht nur auf der individuellen Ebene, sondern darüber hinaus. Bei Politikern, bei Anführern, von deren Entscheidungen letztendlich ganze Reiche abhängen. Die weiße Göttin schenkt uns Leben, bringt uns aber auch den Tod.

Wir verwenden Mythologie immer als Brille, durch die wir auf die Gegenwart schauen. Also nicht nur, um alte Geschichten zu erzählen, sondern um eine andere Perspektive der Gegenwart zu gewinnen. Dafür eignet sich europäische Geschichte besonders gut, was den Aufstieg und Fall von Zivilisationen angeht, vielleicht auch von Europa im Ganzen. Deswegen ist "The White Goddess" kein Konzeptalbum über das Buch von Robert Graves, sondern eine Allegorie über Geburt, Aufstieg, Fall und Niedergang. Auf der Platte eben mit Europa im Mittelpunkt.

Du hast jetzt sehr ausführlich erklärt, womit sich eure Musik inhaltlich befasst. Wie schätzt du eure Fans diesbezüglich ein, wollen die den ganzen Überbau oder reicht es den meisten aus, die Faust zu recken und live den Chorus mitzugröhlen?

So wie ich das mitbekomme, machen sich viele Fans tatsächlich Gedanken und kaufen sich sogar die Bücher, um sich damit näher auseinanderzusetzen. Aber es ist natürlich völlig legitim, auf dem Konzert einfach nur auszurasten. Wieso sollten wir da auch was dagegen haben? Wäre doch saudumm, wenn die Leute bei den Konzerten bloß mit den Büchern rumstehen würden. Metal ist immer auch Power. Es geht darum, Emotionen rauszulassen. Das ist sicherlich auch eine Form von Transgressionen, also Grenzen überschreiten. Man kann es zuhause meditativ machen, indem man die Texte liest und in die Welt eintaucht, aber man kann natürlich live einfach die Sau rauslassen.

 

Im zweiten Teil wird es um die heiss diskutierten Streitthemen der Metalszene gehen: Kunst vs. Kommerz, Ballerman gegen Bildung. Bleibt am Ball!

Redakteur:
Nils Macher
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