AVIAN: Interview mit Mario Düssel

01.08.2020 | 23:31

Die Schwaben AVIAN haben eine starke selbstbetitelte neue EP auf den Markt gebracht - und wir dachten, es wäre eine gute Gelegenheit, im Interview einige Fragen dazu zu stellen.

Lieber Mario, vielen Dank für eure stark gewordene neue EP! Es sind nur 17 Jahre seit der letzten EP vergangen. Erzähl doch mal, wie es zu diesem riesigen zeitlichen Abstand kam.

Im Jahr 2003 hatten wir die Band AVIAN komplett aufgelöst, niemand hat damals damit gerechnet, dass wir uns nicht nur noch einmal zusammentun, sondern sogar eine neue CD veröffentlichen. In all den Jahren dazwischen sind die Bandmitglieder zum Teil mehrfach umgezogen, hatten neue Jobs und ich habe auch ein paar Jahre bei der BATHORY-Tributeband BLOOD FIRE DEATH gespielt. Nachdem ich wieder zurück in die alte Heimat am Bodensee umgezogen bin, kam so langsam der Stein wieder ins Rollen...

Vier Songs und 18 Minuten sind jetzt auch nicht die monströse Spielzeit. Dafür haben die Songs aber alle eine hohe Grundqualität. Gibt es nicht so viele weitere Songs oder warum habt ihr uns nur diese vier zur Verfügung gestellt?

Wir haben die "Avian"-EP selbst aufgenommen und da die Thematik Recording für uns eher neu war, wollten wir uns nicht gleich übernehmen. Weitere Songs hätte es gegeben, aber wenn wir die alle aufgenommen hätten, wäre die CD wahrscheinlich heute noch nicht fertig, haha.


Macht es für kleine Bands ohne Plattenvertrag überhaupt noch Sinn, ganze Alben zu produzieren?

Ich denke schon, ja. Zwar kann man heutzutage sehr schnell und einfach auch einzelne neue Songs zum Beispiel über Bandcamp oder Youtube den Fans zur Verfügung stellen, allerdings denke ich, dass gerade Metal-Fans auch heute noch gerne eine EP oder LP als Gesamtpaket hören möchten.

Vom Stil her wäre bei euch sicher eine Vinyl-Veröffentlichung interessant. Ist das für die "Avian"-EP noch denkbar?

Eine Vinyl-Veröffentlichung würde mir sehr gefallen, auch das Cover von Patrick Letsch würde damit noch besser zur Geltung kommen. Das Pressen von Vinyl ist allerdings erheblich teurer als das Pressen von CDs, deshalb ist ein Vinyl-Release zurzeit leider nicht geplant.

Drei Fünftel aus der Band waren vor dem längeren Split nicht dabei. Wieso seid ihr dazu gekommen, trotzdem den alten Namen zu reaktivieren? Wäre ein Neustart mit neuem Namen eine Option gewesen?

Als ich 2017 anfing, eine neue Band zusammenzustellen, war erst einmal nicht geplant, dass das eine Reaktivierung von AVIAN wird. Allerdings dachte ich mir, es wäre schön, ein paar der alten AVIAN-Songs auch in der neuen Band zu spielen. Ich fragte Armin, ob es für ihn OK wäre, wenn wir die alten Songs spielen und er war einverstanden. Mehr noch, er bot sich sogar wieder als Sänger an. Auf die Idee war ich erst nicht gekommen, da Armin inzwischen in der Schweiz wohnt und über zwei Stunden Fahrt bis zum Proberaum hat. Aber nachdem dann Armin und ich wieder zusammen in der neuen Band waren und auch die alten Songs wieder gespielt wurden, lag der Name AVIAN nahe. Gerade auch die neuen Bandmitglieder haben sich für den Namen AVIAN ausgesprochen.


Von der Optik her denkt man bei der EP sofort an Science-Fiction-Comics oder -Filme. Wovon handeln die Texte? Kannst du dazu ein paar Einblicke geben? Und: Welche Inspirationsquellen sind hierbei aus deiner Sicht besonders erwähnenswert?

Ja, Science Fiction und Fantasy sind große textliche Einflüsse auf uns. Ganz aktuell haben wir einen neuen Song namens 'Ready Player One' aufgenommen, der auf dem gleichnamigen Buch von Ernest Cline basiert.

Nun aber zu den Songs auf der CD:
Der Text zu 'Interstellar (Lost In The Void)' wurde nicht vom Film "Interstellar" mit Matthew McConaughey beeinflusst. Das würde zwar auch passen, aber den Film habe ich erst gesehen, als der Song schon existierte. Nein, vielmehr war der Film "Passengers" mit Jennifer Lawrence der Aufhänger. Auf den ersten Blick ist es eine Science Fiction-Story, in der es um einen Raumfahrer geht, der sich zwischen den Sternen alleine fühlt. Auf metaphorischer Ebene geht es aber auch darum, dass man sich manchmal entscheiden muss: Um manche Ziele oder Wünsche zu erreichen, muss man Gewohntes, Sicheres und Geliebtes hinter sich lassen. Dann muss man sich die Frage stellen: Möchte ich das wirklich? Ist mein vermeintliches Ziel es wert? Ist nicht wichtiger, was ich schon habe und wo ich bin? Man kann nicht beides haben, das macht große Entscheidungen oft so schwer.

'Scylredi Attack' ist ein Text über den Roman "Darkness Weaves" (dt. "Herrin der Schatten") von Karl Edward Wagner. Das ist eines meiner Lieblingsfantasybücher. Deshalb habe ich auch noch die Songs 'Efrel - Queen Of Sorn-Ellyn' und 'Dan-Legeh - The Black Citadel' darüber geschrieben, die hoffentlich zukünftig dann veröffentlicht werden.

'Gol'gotha' ist ein Science Fiction-Text von Armin über eine intelligente Maschinenrasse, die in ferner Zukunft von den Menschen geschaffen wurde, um deren Kriege für sie auszufechten.

'The New Messiah' ist ein Text, den es in einer Urform schon in der ersten Inkarnation von AVIAN gab und leider ist er heutzutage immer noch gleich aktuell. Es geht darum, wie verkommen die Welt ist mit all dem Schmerz, Elend, Krieg und Hunger. Daran hat sich in den letzten zwanzig Jahren nichts verbessert.

In der Metalszene bist du ja kein Unbekannter, auch mit einer BATHORY-Coverband warst du länger am Start. Welche Entwicklungen in der aktuellen Metalszene faszinieren dich besonders?

Sehr gut gefällt mir, wie gut sich die Metalszene über das Internet vernetzt. 2002, zu Zeiten unserer ersten CD, gab es natürlich auch schon das Internet, aber dass wir Rückmeldungen aus aller Herren Länder bekommen und die CD von Norwegen, den USA oder Mazedonien aus bestellt wird, das gab es damals nicht, da waren wir echt erstaunt, dass das heutzutage passiert.

Welche Entwicklungslinien in der Metalszene siehst du für die nächsten zehn Jahre vorher? Diese Frage mag etwas herausfordernd sein, aber einem intelligenten Interviewpartner traue ich mich, sie zu stellen.

Was musikalische Entwicklungen angeht, kann ich selbst nur gespannt abwarten. Vor vielleicht 15 Jahren gab es die große Thrash-Revival-Welle mit neuen Bands wie FUELED BY FIRE oder MERCILESS DEATH, heute gibt es die New Wave of Traditional Heavy Metal, die uns stilistisch natürlich entgegen kommt. Aber was danach kommt, bin ich überfragt. Death- und Black Metal waren ja nie wirklich weg, die können also nicht zurückkommen.

Welche neuere Schublade im Metal nervt dich total an, und warum?

Natürlich gibt es auch für mich Stile in der Rockmusik, die mir nicht gefallen. Schon in den 90ern, als meine Freunde und Mitschüler NIRVANA anhimmelten, konnte ich mit Grunge nicht viel anfangen. Später ließ ich dann auch Nu Metal, Metalcore und Djent links liegen. Aber nerven lasse ich mich davon nicht, ich halte mich einfach davon fern und das war's, leben und leben lassen...

Bei Spotify gibt es eine AVIAN-Cover-Playlist, und wenn ich diese Liste durchklicke, finde ich unheimlich viel IRON MAIDEN, dazu JUDAS PRIEST, ACCEPT und MANILLA ROAD. Welche MAIDEN-Platte sollte aus deiner Sicht deutlich höher bewertet werden?

Dass auch die vielfach verschmähten Alben mit Blaze Bayley doch ein paar gute Songs beinhalten ('The Clansman', 'Sign Of The Cross', 'Man On The Edge'...) hat sich ja inzwischen herumgesprochen. Auch den späteren Alben kann ich durchaus etwas abgewinnen. Aber das Album, das meiner Meinung nach am meisten unterschätzt wird, ist "Dance Of Death". Wahrscheinlich aufgrund des abgrundtief schlechten Covers. Songs wie 'Montségur', 'Paschendale' oder der Titelsong sind wirklich gut. Hätte IRON MAIDEN dem Album ein gutes Cover spendiert (der Originalentwurf nur mit Eddie, ohne die missglückten, am Computer erstellten Figuren sah ja ganz OK aus) und vielleicht noch 'Face In The Sand' sowie 'The Age Of Innocence' weggelassen, wäre "Dance Of Death" ein super Album.
Aber dass neue Alben von großen, alten Bands zu lang sind, ist ja leider heutzutage oft so. Da kommen wahrscheinlich verhältnismäßig große Budgets für Studiozeit und schwache Qualitätskontrolle seitens des Produzenten zusammen.

JUDAS PRIEST, ACCEPT, MANILLA ROAD... welche anderen Bands zählen zu euren Haupteinflüssen?

IRON MAIDEN und JUDAS PRIEST sind unsere stilistischen Grundpfeiler. Neben den von dir genannten zählen als Einflüsse METALLICA, TESTAMENT, ICED EARTH sowie die frühen Sachen von OZZY OSBOURNE dazu. Die Musik, die wir hören, ist recht breit gefächert, aber wir versuchen, dass unsere eigenen Songs am Ende einfach nach AVIAN klingen: Heavy Metal mit einigen Twin Guitar Leads und gelegentlichen Schlenkern zum Speed Metal oder zum Thrash.

Welche Band der letzten fünf Jahre hat dich besonders begeistert und warum?

Ganz klar BLACKSLASH aus Donaueschingen. Die haben einfach alles, tolle Songs, einen großartigen Sänger und sehr geschmackvolle Lead-Gitarren. Nicht nur auf CD können sie mich begeistern, auch live kann die Band voll und ganz überzeugen.

Bei welchem Festival würdet ihr am liebsten sofort auftreten?

Das Keep It True-Festival würde sich natürlich anbieten und Armin und ich sind dort auch schon jahrelang als Besucher dabei. Aber seit ein paar Jahren gibt es ja immer mehr tolle Festivals für traditionellen Metal, somit würden wir uns auf jeden Fall auch freuen, bei einem von denen aufzutreten.
Als wir mit AVIAN das erste Mal aktiv waren, von 2000 bis 2003, war das noch ganz anders, da gab es kaum kleine Festivals in der Art.

Was fehlt euch in Zeiten der Corona-Pandemie am meisten als Band? Worauf freust du dich als Musiker und Fan besonders?

Die Auftritte fehlen uns sehr. Live zu spielen und die direkte Rückmeldung vom Publikum zu bekommen ist für uns sehr wichtig, dafür machen wir das Ganze. Allerdings mache ich mir schon ein wenig Gedanken, ob es "nach Corona" wieder so wird wie zuvor, denn vielen Clubs, Konzertkneipen, freischaffenden Tontechnikern usw. steht durch den Lockdown das Wasser bis zum Hals. Ich befürchte, dass einige Locations wegfallen werden.
Für den Winter sind wir aber in Gesprächen für ein paar Auftritte, ich hoffe, die können dann stattfinden.

Vielen Dank für das nette Gespräch, Mario!

Redakteur:
Jonathan Walzer

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