DISSOLUTE: Interview mit Ryan Avery, Mike Torchia, Paul Rozsa

24.07.2006 | 14:27

Einen schönen Hassbrocken haben kürzlich die Amis DISSOLUTE auf die Menschheit losgelassen. Ihr "Intermittent Parasitic Oscillation"-Debüt dürfte Fans von Powerchords und schönen Mitpfeifmelodien mit derbem Kreischbrüll-Gesang, dissonanten Gitarrenriffs und Stop-and-go-Beats kollektiv zum Nervenarzt treiben, während Kaputt-Core-Patienten durchaus Gefallen an dem hysterischen Treiben finden könnten. Mike Torchia, Paul Rozsa und Ryan Avery lieferten im Interview ein paar handfeste Kaufargumente.


Oliver:
Stellt eure Band zu Beginn bitte mal kurz vor.

Dissolute:
Wir haben 1998 angefangen, weil uns die "Szene" und die Musik gelangweilt haben. Das soll keine Beleidigung in Richtung einer der damaligen Bands sein, aber wir entschieden uns, etwas zu spielen, das anders war. Und das streben wir immer noch an. Was die Mitglieder angeht: Wir sind ein Power-Trio. Paul spielt Schlagzeug, Ryan Gitarre und Mike handhabt den Bass und die gesanglichen Pflichten. Wir werden zwar älter, aber definitiv nicht ruhiger. Die Sachen, die wir schreiben, sind brutaler und dreckiger als je zuvor.

Oliver:
Ihr grenzt euch von der kompletten Rockszene eurer Heimatstadt ab. Was ist aus dem guten, alten Cleveland-Style geworden, der speziell in der Hardcore-Geschichte seine Spuren hinterlassen hat? Wo ist die Bösartigkeit dieses Sounds geblieben?

Dissolute:
Cleveland kümmert sich zu sehr ums Image. Die Szene hier wird dominiert von Nu Metal, Screamo und New Hardcore, was viele Frauen-Jeans tragende Szenegänger nach sich zieht, die noch nicht mal geboren waren, als Hardcore das erste Mal "cool" war. Es gibt noch Bösartigkeit, aber wir denken, dass sie von Kids, die einfach nur versuchen, cool auszusehen, verdünnt wird. Wenn wir spielen, stehen die Kids einfach nur da und starren. Sie wissen nicht, was sie tun sollen. Sie können weder dazu moshen noch irgendwelche Karate-Bewegungen ausführen.

Oliver:
In welcher Hinsicht ist eure Band unanständig (dt. für "dissolute" – Anm. d. Verf.)?

Dissolute:
Im Englischen gibt es zwei Definitionen für "dissolute": zum einen "von der Norm abweichen" und zum anderen "unanständig". Wir drei neigen dazu, diese ziemlich gut zu erfüllen, in unserem Privat- und/oder spirituellen Leben.

Oliver:
Ihr arbeitet mehr oder weniger auf DIY-Basis. Ist die Band nur ein Hobby, das ihr ernsthaft betreibt?

Dissolute:
Wir sind hundert Prozent DIY! Das waren wir immer und werden wir auch immer sein. Wir haben im Laufe der Jahre sehr viel in die Band gesteckt, und ab dem aktuellen Punkt wird es ernst. Als wir diese CD fertig gestellt hatten, schickten wir sie an über hundert Plattenfirmen. Bis hierhin ist alles selbstfinanziert und -gemanagt.

Oliver:
Lass uns auf die Platte zu sprechen kommen. Als Bonustrack habt ihr mit 'You' ein RADIOHEAD-Cover am Start. Obwohl ihr komplett andere Musik macht, würde ich sagen, dass ihr insbesondere in punkto Attitüde sehr viel gemeinsam habt.

Dissolute:
RADIOHEAD sind politisch orientiert und haben schon immer Musik herausgebracht, die sie selbst spielen wollten, was im Gegensatz zu dem steht, was die Leute hören wollen. Das schätzen wir an einer Band, die ihren Status leicht ausnutzen könnte, um sich zu verkaufen und damit viel mehr Geld zu verdienen.

Oliver:
Ganz allgemein: Wie schreibt ihr Songs? Hat einer von euch eine Idee und ihr zerstört diese dann zusammen?

Dissolute:
(lachen) "Zerstören", das ist großartig. Wir bringen ein paar Ideen mit zur Probe und sehen dann weiter. Jeder in der Band muss das mögen, was passiert, wenn wir komponieren, Artworks für Shirts und CDs entwerfen oder entscheiden, welche Shows wir spielen. Wir verändern die Dinge so lange, bis sie so sind, wie alle es wollen.

Oliver:
Ein interessanter Songtitel ist 'Haeriola'. Was genau verbirgt sich dahinter?

Dissolute:
Das Wort ist ein Mix aus "hairy" und "aeriola". Mit anderen Worten: ein "haariger Nippel". Es sollte einfach nur 'ne lustige Sache sein, von der wir dachten, dass sie einen guten Songtitel abgeben würde.

Oliver:
Wesentlich ernster geht es in euren Texten zu, in denen ihr euch mit gesellschaftlichen Missständen auseinandersetzt. Ist irgendwo Besserung in Sicht?

Mike:
Ich denke, dass sich ein paar Dinge ändern werden. Auf der ganzen Welt hat ein großer Einstellungswandel stattgefunden, und auch in den Staaten gibt es Veränderungen. Immer mehr Leute in diesem Land haben genug davon, dass auf ihnen rumgetrampelt wird und dass sie von denjenigen, die die Kontrolle haben, in die Irre geführt werden. Wir haben einen Song namens 'New Direction' geschrieben, der sich mit diesem Thema befasst. Wir haben Wörter von Bob Dylans 'The Times They Are A-Changin'' benutzt und umarrangiert. Schau dir die Lyrics an, sie sind auch heute noch aktuell. Wir hoffen, dass wir den Song diesen Winter als 7" veröffentlichen können.

Oliver:
Du bist ebenfalls schlecht auf all die Bands zu sprechen, die in ihren Texten zum hundertsten Mal ihre Partyerlebnisse oder andere belanglose Themen aufgreifen, was du in 'Music's In The Message' zum Ausdruck bringst.

Mike:
Ich kann mir nicht vorstellen, für ein Publikum zu spielen – wenn auch nur für ein kleines –, ohne ihm gleichzeitig etwas mitzuteilen zu haben. Bands, die Nonsens-Texte schreiben, schießen sich nur in die eigenen Füße. Selbst der größte Verlierer hat etwas, woran er glaubt, und etwas, das er erzählen kann. Der Titel des Songs bezieht sich darauf, dass die Lyrics einfach nur zu einem zusätzlichen Musikinstrument werden, wenn sie keine Bedeutung haben.

Oliver:
Eure Musik ist aggressiv bis zum Anschlag, und die Lyrics sind alles andere als positiv. Dennoch klang bereits kurz euer Sinn für Humor an, der ebenfalls einen gewissen Stellenwert hat.

Dissolute:
Wir versuchen, neunzig Prozent ernsthaft und zehn Prozent SPINAL TAP zu sein. Als Band nehmen wir die Dinge ernst, aber gleichzeitig sind wir auch Menschen, die ab und zu relaxen müssen.

Oliver:
Passend dazu seid ihr Fans von "Tony Clifton" (eine von dem Komiker Andy Kaufman kreierte und verkörperte Figur – Anm. d. Verf.). Was mögt ihr an ihm?

Dissolute:
Tony Clifton repräsentiert das, was sich jeder Mann insgeheim wünscht, dass er es auch sein könnte: ein völlig unbeherrschtes Schwein. Tony sagt und macht, was er will, und schert sich einen Dreck um das, was andere Leute denken. Das bewundern wir an einer Person; dazu braucht man Eier. Andy Kaufman war zwar eine gestörte Person, aber gleichzeitig auch ein Genie.

Oliver:
Auf eurer Homepage findet sich eine großartige "Anti Links"-Sektion, wo ihr Fanseiten von Bands zusammengetragen habt, die euch gehörig auf den Senkel gehen. Bewertet doch mal bitte folgende Acts auf einer Skala von 1 (sehr gut) bis 10 (unfassbar schlecht). Nummer eins: THEORY OF A DEADMAN.

Dissolute:
10.

Oliver:
AVENGED SEVENFOLD.

Dissolute:
10.

Oliver:
HELMET.

Dissolute:
1.

Oliver:
BLINK-182.

Dissolute:
10.

Oliver:
GREEN DAY.

Dissolute:
1993: 3, heutzutage: 10.

Oliver:
MASTODON.

Dissolute:
1.

Oliver:
Letzte Band: TAKING BACK SUNDAY.

Dissolute:
1000.
Unglücklicherweise hatte unser Webmaster Probleme mit seinem Server, so dass wir an der Seite weder Veränderungen vornehmen noch sie aus dem Netz nehmen können. Die MySpace-Seite ist also die beste Anlaufstelle.

Oliver:
TAKING BACK SUNDAY scheinen ja schon mal ganz weit vorne zu sein. Aber gibt's noch 'ne schlimmere Combo? Und welche Truppe sollte sich unbedingt reformieren?

Dissolute:
NICKELBACK ist mit Abstand die schlechteste, und BOTCH sollten sich wieder zusammenraufen.

Oliver:
Eure Platte ist ein Co-Release von zwei deutschen Labels. Was stimmt nicht mit den US-Labels?

Dissolute:
Europäer sind einfach empfänglicher für etwas Anderes. Ich bin mir nicht sicher, was mit den US-Labels los ist. Wir haben 75 von ihnen, kleinen und großen, Päckchen geschickt, und keins wollte uns. Einige schrieben uns und sagten, dass wir sehr gut seien, aber viel zu abgedreht, um Platten zu verkaufen. Die meisten Kids in den Staaten wollen den immer gleichen Müll hören, der einer Formel folgt, mit der sie vertraut sind. Generell scheinen die Amerikaner engstirniger in punkto Musik zu sein, wohingegen Europäer die Vielfalt schätzen. Eure Musikszene ist tausendmal besser als unsere!

Oliver:
Werden wir euch in absehbarer Zeit auch auf deutschen Bühnen sehen?

Dissolute:
Nun, wenn irgendjemand von Daredevil und Chaos Squad 420 dies liest und sagt, dass sie uns da sehen wollen, dann glaube ich, dass eine Möglichkeit bestehen würde. Ernsthaft: Das ist etwas, worüber wir alle schon gesprochen haben. Die ganze Sache kommt langsam ein wenig ins Rollen. Wir haben Leute aus Deutschland und Europa, die uns ihren MySpace-Seiten hinzufügen. Hoffentlich können wir mal rüberkommen und für euch spielen.

Oliver:
Nennt mir bitte abschließend drei Gründe, warum jeder euer Album kaufen sollte.

Dissolute:
Erstens: keine weinerlichen Singalongs. Zweitens: keine Gitarrensoli. Drittens: Keiner in der Band trägt Frauen-Jeans. Ich weiß nicht, ob das Phänomen auch in Europa zu beobachten ist, aber die trendbewussten Screamo-Kids hier tragen Frauen-Jeans. Das ist die gruseligste Modeerscheinung aller Zeiten.


Solltet ihr Probleme haben, die Platte irgendwo zu finden, wendet euch direkt an die beiden Labels. Über http://www.daredevilrecords.de/ und http://www.chaosblast.de/ ist sie für zehn Euro zu beziehen, und laut Mike dürften zusätzlich noch ein paar Sticker, Pins oder Poster drinhängen. Wer sich vorsichtig an DISSOLUTE rantasten möchte, surft auf http://www.myspace.com/dissolute und schmeißt wie üblich den Player an.

Redakteur:
Oliver Schneider

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