DOG CALLED EGO, A: Interview mit Christoph Stepan

16.06.2007 | 17:48

Ein puristisches, in schwarz gehaltenes Booklet ohne seitenlange Danksagungen, ohne Bandfoto, nur mit drei zentralen Aussagen der Texte, den allernötigsten Credits und dem Satz "Thanks to everybody who listened." – all das reflektiert das Selbstverständnis von A DOG CALLED EGO. Die Musik zählt, alles andere ist nebensächlich. Dabei könnten es sich die Hamburger erlauben, mächtig zu trommeln. Ihr eigenproduziertes Debütalbum ist eine fantastische Platte, die keine überflüssige Note enthält, von Anfang bis Ende hochklassig und unvorhersehbar ist und mit Reminiszenzen an PORCUPINE TREE, ANATHEMA, (aktuelle) THE PROVENANCE und OPETH eine eigene Identität entwickelt. Grund genug, Sänger und Gitarrist Christoph Stepan diverse Details zu entlocken.


Oliver:
Ihr klingt nicht wie eine Band, die 2006 von Anfängern gegründet wurde. Habt ihr vorher in anderen Bands gespielt?

Christoph:
Ja, wir waren vorher in diversen Bands und Projekten aktiv. Dirk (Bakker; dr. – Anm. d. Verf.) lebt außerdem seit zehn Jahren bei der ostfriesischen Grind/Death-Institution TEARS OF DECAY seine Vorliebe für Hyperspeed-Gebolze aus.

Oliver:
Eure Musik basiert auf einer sehr ausgewogenen Mischung aus Spontaneität und Reife. Wie alt seid ihr?

Christoph:
Danke, das ist ein großes Kompliment. Wir sind alle Mitte zwanzig, wobei wir uns in manchen Situationen sicherlich benehmen, als wären wir halb so alt. Ich denke, diese Eigenschaft spiegelt sich auch in unserer Musik wider.

Oliver:
Ihr ignoriert alle musikalischen Strömungen, die im Rock und Metal kommerziell gesehen zuletzt gut da standen. Habt ihr euch während der letzten Jahre mit guten Platten irgendwo eingeschlossen?

Christoph:
Ich muss gerade schmunzeln, weil mich diese Frage dazu bringt, unsere Musik mal von einer anderen Seite aus zu betrachten. Das Album ist in einem langwierigen Prozess entstanden. Als Gregor (Kaisser; b. – Anm. d. Verf.) und ich unsere damalige Band verließen, haben wir begonnen, an Songs für ein neues Projekt zu basteln. Dabei entstanden Stücke, die einfach nur das darstellten, was wir in gewissen Momenten fühlten, ohne dabei auch nur ein einziges Mal an andere Musik zu denken. Natürlich sind wir dabei auch von anderen Bands beeinflusst worden, aber das war ein unbewusster Prozess. Als Marcel (Habbe; g. – Anm. d. Verf.) und Dirk dazustießen, haben wir ein paar dieser Songs genommen und sie durch den Wolf gedreht, wobei wir feststellten, dass im Bandkontext noch viel interessantere Dinge passieren. Es mag nach einem Klischee klingen, aber wir haben die Musik gemacht, dir wir hören wollten. Wir haben weder versucht, das Rad neu zu erfinden, noch besonders originell zu sein, aber wenn wir mit einem Lächeln im Proberaum standen, war das ein gutes Zeichen.

Oliver:
Wenn man sich eure Außendarstellung betrachtet, fällt auf, dass ihr überhaupt kein Tamtam um eure Band veranstaltet. Woher kommt diese Bescheidenheit? Ein Resultat der norddeutschen Zurückhaltung, oder soll dies einfach nur verdeutlichen, wie wichtig euch die Musik ist?

Christoph:
Die Musik ist uns definitiv das Wichtigste. Ich möchte jetzt nicht anfangen, mich über die deutsche oder vielleicht sogar internationale Musikszene zu beschweren, aber in den letzten Jahren habe ich beobachtet, dass Musik immer mehr hinten ansteht. Image und Aussehen sind wichtiger, und das, worum es wirklich geht, verkommt zu einem Lifestyle-Produkt. Leider ist das kein Casting-Show-Phänomen, denn selbst so manche lokale Band macht viel Wind um sich selbst, anstatt vernünftige Platten aufzunehmen. Natürlich kommt man auch um ein gewisses Image nicht herum, aber das entwickelt sich und wird bei uns nicht von vornherein geplant.

Oliver:
In eurer Info habt ihr ein cooles Zitat des amerikanischen Stand-up-Komikers und Schauspielers Lewis Black abgedruckt: "MTV is to music, what KFC is to chicken." Mittlerweile ist es fast noch schlimmer, als es dieser Satz beschreibt. Was geht euch durch den Kopf, wenn ihr MTV einschaltet?

Christoph:
Wir verfolgen mit großem Interesse die Entwicklung der Popmusik, und da gibt es in unseren Augen gute wie schlechte Entwicklungen. Wie schon gesagt, Musik ist eine Ware geworden, und wenn man sich beispielsweise mal Interviews mit Dieter Gorny, dem Chef von MTVIVA (mittlerweile hat er abgedankt - Anm. d. Verf.) durchliest, kann einem wirklich schlecht werden. Es ist widerlich, wie exakt Musik heutzutage kalkuliert wird, dabei ist sie so ein hohes Gut. Das ist doch, als ob man seine Muttersprache verkaufen würde. Bands, die keinen unmittelbaren Erfolg versprechen, bekommen keine Plattenverträge mehr, und die Charts werden von qualitativ minderwertigem Pop-Geseier bestimmt, an das sich spätestens im nächsten Jahr niemand mehr erinnern kann. Wer war noch gleich der Gewinner der letzten "Popstars"-Staffel? Was ich an diesem ganzen Zirkus nicht verstehe, ist, dass die Leute im Fernsehen live präsentiert bekommen, welches Kalkül hinter der Popmusik steckt, dann aber trotzdem in die Läden rennen und diesen Mist kaufen.

Oliver:
Heißt auch aufgrund des Black-Satzes einer eurer Songs 'First Class Meals Taste Better'?

Christoph:
Ja und nein. 'First Class Meals Taste Better' richtet sich an die gesamten Medien, die unserer Meinung nach für sehr viele Probleme in der Gesellschaft verantwortlich sind. Sie haben die größte Macht auf dieser Welt. Sie sagen den Leuten, was ihnen schmeckt, was gut oder schlecht für sie, wer gut und wer böse ist. Das Schlimmste daran ist, dass viele Menschen kritiklos hinnehmen, was ihnen serviert wird. Das, was das Fernsehen sagt, ist Gesetz. Oder nimm dir mal die Bildzeitung: Kein Politiker in Deutschland hat so eine große politische Macht wie dieses hetzerische Bilderbuch.

Oliver:
Den Songtitel 'It's All About A World That Stopped Listening' kann man u. a. als Statement zu den aktuellen Musikkonsumgewohnheiten interpretieren. 30-Sekunden-Samples müssen Platten verkaufen. Ihr seid die Opposition dazu. Wie schätzt ihr da eure Chancen als Band ein?

Christoph:
Wirtschaftlich: schlecht. Aber es war auch nie geplant, Geld zu machen. Wir sind Musiker und keine Verkäufer. Die Leute reagieren sehr positiv auf uns, vielleicht deswegen, weil wir versuchen, ihnen etwas Positives zu geben. Das Album verkaufen wir beispielsweise für sieben Euro (zu beziehen über http://www.adogcalledego.de/ – Anm. d. Verf.), und wenn man mag, kann man es sich bei http://www.last.fm/ komplett anhören. Damit bewegen wir uns sicherlich auf dünnem Eis und kollidieren vielleicht mit dem Traum, irgendwann mit Musik unsere Brötchen verdienen zu können. Auf der anderen Seite möchten wir, dass die Leute auf uns aufmerksam werden und vielleicht ein wenig über das nachdenken, was wir zu vermitteln versuchen.

Oliver:
In PORCUPINE TREEs 'The Sound Of Muzak' singt Steven Wilson über Musik: "One of the wonders of the world is going down [...] / It's one of the blunders ("grober Fehler" – Anm. d. Verf.) of the world that no one cares." Damit dürftet ihr euch – auch aufgrund dessen, was du bereits gesagt hast – zu hundert Prozent identifizieren. Was kann man gegen diese Entwicklung tun?

Christoph:
Davon abgesehen, dass dieser Song großartig ist, hat Wilson damit Recht, und ich persönlich kann mich wirklich vollkommen mit diesem Text identifizieren – auch wenn ich ihn vielleicht mit der Hoffnung verbinde, dieser Entwicklung entgegenwirken zu können. Wir sind uns bewusst, keine Elite zu sein, denn neben einer ganzen Menge Mist gibt es beispielsweise auch in Hamburg großartige Bands und Projekte, die zum Zuhören bewegen wollen. Der Idealismus bricht an vielen Stellen durch, und wer weiß, vielleicht schnallen auch irgendwann die Letzten, dass schlechte MP3-Songs über den Handylautsprecher nichts mehr mit Musik zu tun haben, sondern im übertragenen Sinne vielleicht so etwas wie die Bildzeitung der Musikszene sind. Die ernste Musik stellt hingegen die gesamte dpa dar, und live wäre es erst die Realität. Ich denke, das ist alles, was wir tun können. Wir müssen als Musiker nicht nur Musik machen, sondern den Menschen auch begreiflich machen, dass sie diese auch wirklich hören sollten.

Oliver:
Bei den Aufnahmen zu eurer Platte kamen nur echte Instrumente zum Einsatz, worauf ihr großen Wert legt. Erkläre mal all jenen Bands, die sich drei total undynamisch klingende Orchester in ihre Songs samplen, warum man sich die Mühe mit echten Instrumenten machen sollte.

Christoph:
Weil man diese Mühe in jeder Note fühlt. Das Album ist menschlich, es gibt Passagen darauf, in denen du uns atmen hörst, weil wir es nicht steril wollten. Glatte Pop-Produktionen können ihren Reiz haben, aber für uns kam das nicht in Frage, und ich bin fest davon überzeugt, dass sich dieser Aufwand gelohnt hat. Außerdem hatten wir den Anspruch, alles an unserem Album selbst zu machen; Samples haben andere Leute aufgenommen. Und Picasso hat ja auch keine Collagen geklebt, sondern selbst gemalt.

Oliver:
Du bist in das Little-Big-Ears-Studio, in dem die Platte entstanden ist, involviert. Bist du Betreiber oder arbeitest du "nur" dort?

Christoph:
Das Studio habe ich im Jahr 2006 mit einem Freund ins Leben gerufen. Ich wollte immer meinen Lebensunterhalt mit Musik bestreiten, und da das mit der eigenen Musik allein kaum möglich ist, war es klar, dass man früher oder später so einen Schritt gehen musste. Außerdem waren die eigene Kreativität und die Perspektive, jederzeit gute Aufnahmen machen zu können, entscheidende Punkte. Es macht mir Spaß, anderen Leuten dabei zu helfen, ihre Visionen umzusetzen, und interessanterweise kommen auch ohne Werbung immer mal wieder ein paar Bands vorbei. Ich hoffe, dass dieses Projekt wächst und mich irgendwann von Nebenjobs befreit (interessierte Bands steuern http://www.littlebigears.de/ an – Anm. d. Verf.).

Oliver:
Es dürfte die Arbeit an Songs extrem erleichtern und entspannter gestalten, wenn man an ein Studio angeschlossen ist.

Christoph:
Oh ja, da hast du Recht! Wir haben zwar brutto ein Dreivierteljahr an dem Album gearbeitet, netto waren es aber vielleicht "nur" sechs Wochen. Immer dann, wenn wir uns danach gefühlt haben, wurde aufgenommen, gemixt, experimentiert, geschrieben. 'Something Huge' entstand beispielsweise erst, als die Aufnahmesessions bereits begonnen hatten. Allerdings kann diese Freiheit eines eigenen Studios auch einen Nachteil haben, nämlich den, dass man nie zu einem Ende findet. Wenn du irgendwo teure Studiozeit buchst, bist du gezwungen, in einer gewissen Zeit mit allem durch zu sein. Eine Deadline gab es bei uns jedoch nicht, was dafür gesorgt hat, dass wir am Ende deutlich länger gebraucht haben, als ursprünglich geplant war. Andererseits hört man diese Entspannung vielleicht auch ein wenig.

Oliver:
Kam die Connection zu der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, wo ihr einige Percussions aufnehmen konntet, auch über das Studio zustande?

Christoph:
Nein. Gregor und Dirk studieren Musikwissenschaften und hatten daher diesen Kontakt. Es war großartig, die Möglichkeit zu haben, dort ein paar Percussions aufzunehmen, denn wo sonst bekommt man ein riesiges Lager an exotischen Instrumenten inklusive des Menschen, der sie alle beherrscht? Eigentlich ein ganz schön großer Aufwand, zumal die Aufnahmen später nur an drei kleinen Stellen verwendet wurden und kaum wahrnehmbar sind. Aber wenn man weiß, wo sie sich auf dem Album befinden, freut man sich jedes Mal darauf. Vielleicht starten wir ja mal ein Gewinnspiel der Marke "Findet die Pauken!" oder so.

Oliver:
Man merkt, dass ihr gerne im Studio tüftelt, und trotzdem versprühen eure Songs auch genug direktes Live-Feeling. Sind euch diese Balance und letztlich auch die Live-Tauglichkeit wichtig?

Christoph:
Wir haben nie wirklich darüber nachgedacht, ob wir die Aufnahmen auch live umsetzen können. Wir spielen zwar gern Konzerte, und das Album hat vielleicht gerade deswegen eine Art Live-Charakter, weil wir ohne Click gearbeitet haben und immer mit der ganzen Band im Aufnahmeraum standen, wenn wir Schlagzeug-Tracks aufnahmen. Allerdings ist uns auch bewusst, dass wir unsere ganzen Spielereien auf der Bühne nur schwer umsetzen können, was aber nicht weiter schlimm ist, da wir alle Fans von Live-Versionen sind. Die wenigsten Bands klingen auf der Bühne exakt wie auf Platte, und das macht ja auch eigentlich den Reiz aus.

Oliver:
Aufgrund des Studios seid ihr in der Lage, unabhängig und ohne Zwänge arbeiten zu können. Wie viele Kompromisse wärt ihr bereit, für einen Deal einzugehen?

Christoph:
Keine. Über Tipps nachdenken würden wir hingegen sehr wohl. Es ist sicherlich wichtig, mit einer Plattenfirma gut zusammenzuarbeiten und auch auf ihre Bedürfnisse einzugehen, was gar nicht unbedingt immer Kompromisse sein müssen. Aber sobald man uns vorschreiben würde, wie unsere Songs zu klingen haben oder wie wir uns anziehen sollen, wäre das ein Eingriff in unseren Charakter, und das würden wir nicht zulassen.

Oliver:
Eure Songs unterscheiden sich teilweise deutlich voneinander, wenn man z. B. das proggige 'First Class Meals Taste Better' als das eine Extrem und das ruhige 'Home Sick Home' als das andere betrachtet. Dennoch hat das Album einen durchgehenden Faden. Wie entscheidet ihr, welcher Song zu euer Band passt und welcher nicht?

Christoph:
Wir sind sehr überrascht und erfreut, dass du diesen roten Faden erwähnst, denn was interessant ist: Es gab keinen. Aber du hast Recht, das Album ist trotz seiner Vielfältigkeit irgendwie schlüssig, was uns letztendlich sogar ein wenig gewundert hat. "Nichts ist Selbstzweck, alles ist zielgerichtet" (Zitat aus dem POWERMETAL.de-Review – Anm. d. Verf.). Welcher Song es in unser Repertoire schafft, entscheidet die Reaktion in der Probe. Wenn alle grinsen, ist er gekauft, wir machen uns da eigentlich keine Gedanken, ob er ins Gesamtbild passt.

Oliver:
Gibt es im Nachhinein etwas, das ihr an eurem Album ändern würdet?

Christoph:
Ein Album ist immer eine Momentaufnahme. In unserem Fall war es zwar ein sehr langer Moment, aber sobald man das Teil zum Presswerk schickt, sollte man in höchstmöglichem Maße zufrieden sein. Das waren und sind wir immer noch. Natürlich würden wir heute Sachen anders machen, denn wir befinden uns in einem ständigen Lernprozess. Das sind aber keine Dinge, die uns wirklich stören. Wir freuen uns aufs nächste Album, da haben wir die Chance, weiterzulernen. Und dann wieder und wieder. Perfektionismus ist schön und gut, aber was ist schon die Definition von "perfekt"? Bei vier Leuten gibt es immer nur eine Schnittmenge und nicht "das Ding".

Oliver:
Warum ist das Ego ein Hund?

Christoph:
Das musst du Friedrich Nietzsche fragen. Er hat einmal gesagt: "Wo immer ich gehe, folgt mir ein Hund namens Ego." Es gibt viele Gründe, warum wir uns damals für diesen Bandnamen entschieden haben. Es gibt immer wieder Phasen im Leben, in denen man anfängt, sich mit seinem Selbst auseinanderzusetzen. Manchmal zu sehr, manchmal zu wenig. Das Ego steht im Mittelpunkt, und oftmals verfolgt es einen tatsächlich wie ein bissiger Hund. Einige Menschen in unserem Umfeld, mit denen wir in der Vergangenheit zu tun hatten, beziehen diesen Namen auf sich selbst, was totaler Blödsinn, aber witzig zugleich ist. Denn dass das Ego einem ständig auf die Pelle rückt, wird genau dadurch bewiesen.

Oliver:
Angefangen bei KATATONIA und PORCUPINE TREE über ISIS bis hin zu HARMFUL habt ihr auf eurer Homepage ausschließlich Bands verlinkt, die alle mindestens großartig sind. Irgendwelche geschmacklichen Grenzfälle lassen sich aber bestimmt auch bei euch finden. Outet euch mal.

Christoph:
Eigentlich stehen wir zu dem, was wir mögen, deshalb wäre "Outing" vielleicht nicht das richtige Wort. Aber die halbe Band fährt zum Beispiel gerade wie verrückt auf siebzig Prozent des neuen FANTA 4-Albums ab – vielleicht deswegen, weil es unheimlich feinsinnig ist. Gregor hört gerne das erste FEIST-Album, und Dirk mag Debussy. Marcel hat einen ausnahmslos guten Musikgeschmack (lacht). Ansonsten kann ich nur für mich sprechen: Ich habe mir letztens eine MADONNA-Scheibe gekauft. Ist das Outing genug?

Redakteur:
Oliver Schneider

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