DREAM THE ELECTRIC SLEEP: Interview mit Matt Page

20.05.2014 | 07:00

Ausführliches Interview mit einem redegewandten Gesprächspartner über ein Prog-Album des Jahres, Frauenrechte, Kunstanschauungen und über guten Sound.

Die Progband DREAM THE ELECTRIC SLEEP ist eine von so vielen sagenhaften unbekannten Bands, die ich dieses Jahr kennen lernen durfte. Ihr Album "Heretics" (zum Review) wurde in Proggerkreisen schon gut aufgenommen und folgerichtig darf die Band dieses Jahr auf dem renommierten "Night Of The Prog"-Festival auf der Loreley auftreten. Bandkopf Matt Page erklärte sich bereit, einige Fragen für mich zu beantworten, woraus in der Folge ein längerer Schriftverkehr wurde. Ich habe in diesem Interview einiges gelernt und möchte euch nichts von dem vorenthalten, was dieser gebildete Mann zu sagen hat.

Wir Metaller diskutieren für unser Leben gern über Genres. Was für einem Genre kann man denn DREAM THE ELECTRIC SLEEP zuordnen?

Das ist immer eine schwierige Frage, weil wir es nicht wirklich wissen. Wir alle hören ziemlich unterschiedliche Bands und Künstler an, von GHOST bis ELTON JOHN, von Black Metal bis JONI MITCHELL. Es gibt ein paar offensichtliche Einflüsse, die auch immer wieder in Reviews genannt werden: alte U2, RADIOHEAD, ein bisschen RUSH oder GENESIS, PINK FLOYD, doch es ist nicht leicht, uns auf etwas festzunageln. Ich hab schon ein paarmal den Begriff Prog Shoegaze gehört, den Jack Rabid vom "Big Takeover" (ein zweimal im Jahr erscheinendes renommiertes New Yorker Musikmagazin) aufgebracht hat. Auch Art Rock wurde genannt. Wir sehen uns aber in erster Linie als Rockband, obwohl das vielleicht etwas langweilig ist!

Kommen wir zu "Heretics". Auf dem Albumcover ist eine Reihe von Frauen zu sehen. Kannst Du erklären, wer sie sind, was sie Dir und was sie für die Musik bedeuten?

Alle Frauen auf dem Cover haben etwas mit der Frage der Gleichheit der Geschlechter zu tun und haben zu ihrer Zeit gesellschaftliche Grenzen verschoben. Alle haben auf ihre Weise die Strukturen und Paradigmen in der Gesellschaft hinterfragt und den fortschreitenden Wunsch nach dieser Gleichheit genährt. Alle haben sie aufs Neue durchdacht, was zu erreichen möglich ist und alle hat ein gewisses Anderssein ausgezeichnet.




Matt nennt solche sozialen Bewegungen verallgemeindernd "movements of desire", also gesellschaftliche Entwicklungen, die aus einem Wunsch, einer Sehnsucht heraus entstehen. Die Frau wurde in Laufe der Geschichte, in vielen Länder auch heute noch, unterdrückt. So ist die Frauenbewegung, wie viele andere auch, historisch aus einem Wunsch nach Freiheit und Gleichheit, dem Wunsch, das Leben selber zu bestimmen, entstanden. Doch für solche Bewegungen gibt es auch viele Hindernisse, die überwunden und Widerstände, die bekämpft werden müssen.

Die Arbeit dieser Frauen inspirierte mich dazu, darüber nachzudenken, gegen was und wie derartige Bewegungen kämpfen müssen, um schliesslich ihre Visionen durchzusetzen. Jede solche Bewegung erzeugt vielfältge Arten von Spannungen, die die Bewegung an sich aufreiben. Welche Arten der Spannung das sind und wie die Bewegungen in der Geschichte damit umgegangen sind, um ihre Ziele zu erreichen, das interessiert mich sehr. Selbst auf unserer CD "Heretics" gibt es eine solche Spannung, und zwar zwischen der eigentlichen Erzählung, die sich mit Theorie und Geschichte des Feminismus befasst, und dem Rock 'n' Roll, der oft einen Ausdruck von Männlichkeit beinhaltet. Das heisst, die Musik an sich spiegelt eine Sache wieder, die zutiefst in einer männerdominierten Geschichte verwurzelt ist, während die Erzählung auf ein Thema verweist, mit dem sich der Rock 'n' Roll typischerweise eher nicht beschäftigt.

Das klingt jetzt ziemlich abstrakt, Matt. Kannst du vielleicht an einem Beispiel verdeutlichen, was diese Frauen denn konkret geleistet haben?

Nun, ein gutes Beispiel ist Virginia Woolf, die Frau auf dem Cover in der Ecke unten links. Ihre Arbeit als Autorin war über das ganze letzte Jahrhundert sehr inspirierend für den feministischen Gedanken. In ihrem Aufsatz "A Room of One's Own", den ich in dem Song 'Utopic' erwähne, wird sehr eloquent über weibliche Schriftstellerinnen geschrieben.
Damals war es unüblich, dass Frauen überhaupt schreiben. Die Armut und finanzielle Abhängigkeit haben sie davon abgehalten. Woolf fordert für die heutige Zeit so triviale Dinge wie einen eigenen Raum und eigenes Geld. Darüber hinaus gab es damals Zweifel, ob eine Frau an sich überhaupt in der Lage wäre, ein Werk von der Qualität eines Shakespeare verfassen zu können.  Somit war Woolf zwar nicht an vorderster Front der Aktivistinnen, beeinflusste jedoch den kulturellen Fortschritt und die Sicht auf die Frauen enorm und ihre Arbeit inspirierte Generationen von Frauen und Männern.

Das Thema erinnert mich an ein Buch, das ich zufälligerweise letztens gelesen habe. Hier ging es um die berühmte Mörderin Grace Marks, ein sechzehnjähriges Dienstmädchen, das ihren Dienstherren und seine Geliebte umgebracht haben soll. Allerdings waren die Umstände dubios und es ist bis heute unklar, ob Marks die Morde auch begangen hat. Möglicherweise saß sie unschuldig für dreissig Jahre in Haft. Das spannende Buch von Margeret Atwood thematisiert aber auch die erbärmlichen Bedingungen für Frauen in Kanada und den USA noch Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Vergewaltigungen waren Gang und Gäbe, doch eine Frau mit Kind hatte niemals eine Chance auf einen Job und Abtreibungen waren lebensgefährlich. Die einzige Hoffnung war es, einen reichen Mann zu heiraten.

Ich kenne die Geschichte von Grace Marks auch, allerdings nur von einer TV-Show. Meine Frau ist aber sehr von diesen weiblichen Serienmördern fasziniert, vor allem weil die Motive für ihre Taten - wie Du schon angedeutet hast - meist grundsätzlich anders gelagert zu sein scheinen, als bei ihren männlichen Pendants. Hier hängt die Art und Weise, wie und warum die Taten begangen wurden, stark mit den Erwartungen der Frauen in der Gesellschaft zusammen. Ich finde es im allgemeinen sehr faszinierend zu verstehen, wie gewisse Einschränkungen der Lebensbedingungen bestimmte Reaktionen hervorrufen können, die dann wiederum zu Veränderungen führen...

Im Falle von Grace Marks ging sicherlich das, was sie sich von der Gesellschaft als Frau erwartete mit dem, was die Gesellschaft ihr geboten hatte, weit auseinander, was schliesslich dazu führte, dass sie verrückt wurde. In gewisser Weise passt ihre Geschichte also gut zur Hauptperson in Matts Konzeptstory auf "Heretics", Elizabeth.


Elizabeth ist eine Frau aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert. Sie ist Mutter und Ehefrau, die ihre traditionelle Rolle als Frau in der Familie spielt, jedoch in einer Zeit lebt, in der die Fassade der althergebrachten Gesellschaft beginnt, einzubrechen. Elizabeth hofft auf eine bessere Zukunft für ihre Tochter und auch für zukünftige Generationen von Frauen. Sie hat eine schwierige Entscheidung zu fällen, und zwar ihre Heimat zu verlassen, ihre Rolle als Mutter und Ehefrau und das Leben, wie sie es kennt, aufzugeben ('To Love Is To Leave'). Dies tut sie aus Solidarität mit anderen Frauen und aus dem Glauben heraus, für das zu kämpfen, an das sie glaubt.
Allerdings geht es in dieser Geschichte auch um den gesellschaftlichen Druck, der diesem Begehren nach Fortschritt entgegen steht. Bei 'I Know What You Are' kommen diejenigen zu Wort, die an der Macht sind, 'It Must Taste So Good' ist gar eine allgemeine Betrachtung über das Gefühl von Macht. Die letzen Songs beleuchten dann all die Widersprüche, Kompromisse und Schwierigkeiten, die solche sozialen Bewegungen durchlaufen müssen. Bei 'Lost Our Faith' heisst es z.B. "Words can move a million, but a million compromises weaken your resolve" (Worte können Milionen bewegen, doch eine Million Kompromisse lässt deine Entschlossenheit erlahmen). Zusammengefasst schlägt die Erzählung also einen Bogen von einer spezifischen Person (Elizabeth) und ihrem konkreten Problem ausgehend hin zu einer eher verallgemeinernderen Betrachtung solcher sozialen Bewegungen und vor allem der Hindernisse aller Art, die solche durchlaufen müssen.

Matt gibt zu, dass dies ein sehr kompliziertes Thema ist. Aber etwas, über das es sich lohnt, mal nachzudenken. Gerade in der heutigen Zeit gibt es ja jede Menge Umwälzungen (Arabischer Frühling, Euromaidan z.B.), die aus einer Sehnsucht der Menschen heraus geboren sind. Sehnsucht nach Freiheit, Gleichberechtigung, Demokratie. Schwierig wird es aber immer dann, aus diesen Sehnsüchten heraus etwas zu erschaffen, was einen Sinn, einen Fortschritt, also etwas Nachhaltiges ergibt. Ist es Zufall, dass nach vielen Revolutionen immer erst Chaos herrscht? Matt deutet hierzu auf eine zunächst ganz einfache, aber erscheidende Frage hin: Benutzt man Gewalt oder bleibt die Auflehnung friedlich?

'Fist To Face' beschäftigt sich damit und der Chorus bezieht hier Stellung zu einer Position: “If we take what we want, won’t we be the poorer, but if we make what we want, won’t we take this further?” Auch 'How Long We Take' bedient sich desselben Motivs "take" versus "make". Nehmen wir uns, was wir wollen (mit Gewalt) oder erreichen wir unsere Ziele, indem wir uns die Bedingungen schaffen, unsere Ziele realisierbar zu machen. Wut ist meist eine große Triebkraft für Revolutionen, doch der große Widerstreit ist es, diese Wut in etwas Positivem zu kanalisieren und nicht zuzulassen, dass sie in Gewalt und Schrecken endet.

Doch bevor unser Gespräch jetzt zu politisch wird, möchte ich auf einen weiteren wichtigen Aspekt der Musik bei DTES eingehen. Während des Gesprächs stellt sich nämlich heraus, dass Matt Page als Professor für Künste an der Universität von Kentucky arbeitet. So ist es kein Zufall, dass die Musik von DREAM THE ELECTRIC SLEEP ein wenig an die ähnlicher Projekte erinnert, die Musik mit anderen Künsten kombinieren. Die Dänen LISERSTILLE verweben alles von surrealistischen Bildern bis zur griechischen Philosophie mit ihrer Musik, die Australier THE RED PAINTINGS holen sich sogar lokale Künstler auf die Bühne, und lassen beispielsweise Bodypaints zu ihrer Livemusik anfertigen. Inwieweit beeinflusst die Kunst die Musik bei DTES?




Klar hat meine Ausbildung als Künstler auch eine großen Einfluss auf meine Ausübung der Musik, aber vielleicht nicht auf die Art, die Du jetzt vielleicht erwartest. Wir denken ja im Allgemeinen, dass Kunst etwas mit Erschaffen zu tun hat, wobei am Ende etwas herauskommt, das man sich anschauen (oder anhören) kann. Für mich bedeutet Kunst aber etwas anderes. Ich sehe die Kunst wie eine Linse, die die Möglichkeit gibt, gewisse Themen zu fokussieren. Für mich ist sie obendrein ein Mittel, der Welt auf eine Art und Weise zu begegnen, die zu einem Bruch mit gewissen Erwartungen führt. Ich bin nicht an leeren Gesten interessiert, mir steht nicht der Sinne danach, ein Bild um des Bildes willen zu malen. Ich möchte mit der Kunst eher meine eigenen Anschauungen, und im Kontext mit dem Band vielleicht die unserer Hörer, in Frage stellen und überprüfen. Ich bin mir nicht sicher, ob dies bei "Heretics" funktioniert, doch ein Maß für Erfolg wäre, wenn dem Hörer durch unsere Musik Fragen aufkommen und er sich Gedanken darüber macht, um was es hierbei denn eigentlich geht. Ich glaube, bislang ist uns dies aber ganz gut gelungen. Wir haben indes nicht vor, herkömmliche Formen der Kunst oder des Theaters in unsere Musik zu integrieren (also keine Live-Künstler wie bei THE RED PAINTINGS oder Kostüme wie bei GENESIS - TB). Falls in Zukunft jedoch eine bestimmte Idee nach einer geeigneten Umsetzung auf der Bühne verlangt, wäre ich hierfür sehr offen. Ich habe früher schon bei Theaterproduktionen mit Musik mitgewirkt und würde tatsächlich gerne ein Album, an dem Joey Waters (Drums) und ich vor DTES gearbeitet haben, neu auflegen. Dies ist aber etwas für spätere Interviews, hehe.

Betrachtest Du die Kunst dann also eher in ihrer ursprünglichen Form in der Antike, wo in vielen Gemälde damalige Ereignisse in der Politik oder Religion abgebildet und konkretisiert haben? Und lehnst Du folglich die moderne Kunst ab, die zumindest in meinen Augen manchmal nicht mehr darstellt als ein paar Farbklekse oder zufällige Pinselstriche?

Nein, so meine ich das nicht, eher im Gegenteil. Ich sehe mich eher auf einer radikalen Seite der Kunst im Gegensatz zur traditionellen oder formalistischen Kunst. Traditionelle Kunst wurde nach dem beurteilt, wie sie aussieht (ihre Ästhetik), nach dem wie gut sie gemacht ist (Handwerkskönnen des Künstlers) und nach der Tragweite innerhalb ihres Genres (bei Landschaftsmalereien, Marmorskulpturen etc.). Ich interessiere mich jedoch eher dafür, wie Kunst die Welt ausserhalb der Künstlerszene herausfordern kann. Viele zeitgemäße Künstler wollen Wege aufzeigen, wie die Welt und ihre Geschichte mit anderen Augen gesehen werden kann. Kunst soll neue Wege aufzeigen, in der Hoffnung, mit herkömmlichen Anschauungen zu brechen. Ich hoffe, dass "Heretics" genau dies tut beim Thema Frauenrechte. Hier stelle ich einen kleinen Zweig der Geschichte in einer unkonventionellen Form als Erzählung dar und hoffe damit, neue Möglichkeiten zu schaffen, sich mit einem solchen Thema auseinanderzusetzen. Generell finde ich, was einen Künstler heutzutage ausmacht, ist eher die Art und Weise wie er denkt als das, was er am Ende macht.  Daher neige ich auch gerne zu eher abstrakten und konzeptionell ausgearbeiteten Produkten.





Ich denke, "Heretics" ist in dieser Hinsicht mehr als gelungen. Unglaublich, was machmal alles an Gedanken hinter einem Album steckt, das man "einfach so" mal zum Rezensieren zugeschickt bekommt.

Und wie soll es jetzt mit DTES weitergehen? Seid ihr nun auf einen Deal aus, wollt ihr ausgedehnt touren oder ist die Musik nur ein Hobby für euch?

Unser Ziel ist es in erster Linie, einnehmende Musik zu machen und dies möglichst lange und möglichst viel. Wir machen uns keinen Kopf um Labels und Touren. Wir haben alle unseren Beruf und unsere Familien und sind zudem nicht mehr die Jüngsten. Klar, ein Label zu haben, ist nicht ausgeschlossen, falls es für uns und das Label Sinn macht. Wir sehen in der Band noch ein großes Steigerungspotential, was Kreativität und Reichweite der Musik angeht. Musik ist unser Lebenselixier, sie ist etwas, was wir machen werden bis wir diese Erde verlassen. Ich spiele schon seit zwanzig Jahren mit meinem Cousin Joey und ich sehe nicht, dass sich daran was ändern würde. Wir werden noch lange da sein.

Sehr gut. Solche Bands braucht die Welt! Und ich würde ja sofort einen DTES-Gig besuchen (und werde voraussichtlich auch, denn DTES wurde nach dem Gespräch für das "Night Of The Prog" auf der Loreley am 18./19 Juli bestätigt)!

Klar, touren ist wichtig, aber wir sind in der komfortablen Situation, auch ohne Touring weit zu kommen. Über die sozialen Medien kann man ja heutzutage wunderbar sein Produkt promoten und mit Supportern in Kontakt treten.

So hier geschehen. Denn dieses Kontaktknüpfung und Interview fanden via Facebook statt. Am Schluss ergreife ich daher noch die Gelegenheit, Matt Page nach ein paar Dingen zu fragen, die gerne mal heiss unter uns Musikfreaks diskutiert werden und zwar geht es oft um die Frage, was denn überhaupt einen "guten Sound" ausmacht?  Denn mir fällt auf, dass der Klang vieler moderner Produktionen, nicht nur im Metal, auch im Prog, oft sehr viel zu gleichförmig ist. Man bemüht sich sehr um vielfältige Arrangements, nimmt aber für jeden Song auf dem Album denselben Gitarren-, Drum- oder Bass-Sound. Bei vielen Bands aus den Siebzigern oder auch aus den Prog/Rock der Neunziger erschient mir dies noch anders. Bands wie SAIGON KICK, WALTARI, CIVIL DEFIANCE oder LAST CRACK, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, haben sich die Mühe gemacht, tatsächlich für jeden Song einen individuellen Sound zu finden. Das macht diese natürlich schwer zu kategorisieren, aber auch höchst individuell. Heute scheint man aber eher den Weg zu gehen, den besten Kompromiss zu finden, der auf jeden Song passt. Doch der Preis ist, dass gerade traditionellere Hörer ihre Ohren von an sich sehr toller Musk abwenden, weil sie durch ihre klangliche Uniformität anstregend zu hören ist.


Generell gibt es immer eine Spannung zwischen Einheitlichkeit und Vielfalt und wir sind uns beider Dinge bewusst. "Heretics" ist voller variierneder Klangfarben, unterschiedlicher Drumsounds, Gesangseffekte etc. Und dennoch haben wir darauf geachtet, die Arbeit innerhalb gewisser Grenzen angesichts der Klangqualität zu behalten. Schliesslich ist es ja auch eine zusammenhängende Erzählung. Wir haben versucht, gewisse Klangfolgen an spezifische Themen auf dem Album zu koppeln. Zum Beispiel bei 'I Know What You Are', wo die Vocals trockener klingen und eher über der Musik stehen (hier geht es ja auch um die Stimmen der Machthabenden, passt also - TB). Generell mag ich Alben mit viel Variationen, andererseits schätze ich aber auch, wenn ein bestimmtes Album einen charakteristischen Sound hat, der für eine Band eine bestimmte Stufe ihrer Laufbahn darstellt. Wie gesagt, wir sind uns dieser Spannung bewusst und versuchen immer, diese im Sinne der Musik zu überwinden.





Eine andere Frage ist die nach der "Dynamik". Rezensenten benutzen das Worte gerne als Floskel ohne genau die Bedeutung zu hinterfragen. Was muss der Musik innewohnen, dass Du sie "dynamisch" nennst?

Ohhh, ich liebe Dynamik! Aus Deiner Frage lese ich heraus, dass Du Dynamik wohl als eine komplexe Reihe von Operationen siehst, die Auswirkungen auf zahllose Facetten der Musik-Komposition haben,  von der Klangqualität über kompsitorische Taktik bis hin zu erzählerischen Bögen (erstaunlich, was man alles aus meiner einfachen Frage herauslesen kann, ich bin baff! - TB). Ein einfache Art, Dynamik zu beschreiben, wäre es, sie mit dem Begriff "Kontrast" zu verbinden. Hell/dunkel, Dur/Moll, trocken/naß, sauber/schmutzig, optimistisch/pessimistisch usw. Als Band machen wir uns ziemlich viele Gedanken über Dynamik und wir schätzen sie als eine Art und Weise, einer Platte auch einen bildlicheren Eindruck zu verleihen, wie im Kinofilm. Ein gutes Beispiel ist hier wieder 'I Know What You Are', das scharfe Kontraste verwendet, um die sinistre Heimlichtuerei der Obrigkeit sinnbildlich zu machen. Das Lied fängt mit Akustikgitarren an, die sich steigern, danach wird dieselbe Akkordfolge mit der ganzen Band weitergeführt, und wie öffnen den Sound, spielen kräftig und laut. Auch die Stimme richtet sich streng nach dem Geschehen. Erst kommt die Stimme der Elizabeth und ihrer Mitstreiterinnen vor, die die politischen Mächte anklagt: "I know what you are, I know what you want from me". Die Stimme ist achtfach gedoppelt, wobei jede Stimme in einer anderen Tonlage singt. Im Kontrast dazu steht die trockene, tiefe Einzelstimme eines Machthabers, der seine Furcht vor Veränderungen vor seinen Kollegen ausspricht. Am Schluss hört man dann den Klagegesang "God save us, they’re knocking now", wo die Drums das Klopfen imitieren, welches danach in eine Art langsam-explosives Chaos übergehen. Ja, solche Dynamikzyklen interessieren mich sehr und sie sind es, die unsere Erzählung erst zum Leben erwecken.

'I Know What You Are': auch meiner Meinung nach der beste Song auf diesem fantastischen Album. Und mit so einer Erklärung hört man ihn noch mal mit einem ganz anderen Ohr. Wer dieses Interview schon bis hierher gelesen hat, möge sich gleich die Zeit nehmen, diesen Song auch noch anzuhören.

Ich bedanke mich bei Matt Page für diese langen Antworten und ausführlichen Erklärungen. Es war eine tolle Interviewerfahrung, bei der ich viel gelernt habe. Let's dream the electic sleep together live at Loreley!

Redakteur:
Thomas Becker

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