DYECREST: Interview mit Niko Takala

17.09.2005 | 17:45

Die Dinge liefen eigentlich ziemlich gut für die finnischen Newcomer. DYECREST hatten nach zehnjähriger Bandgeschichte im Jahr 2003 den "Young Metal Gods"-Wettbewerb von Noise Records gewonnen, mit einem druckfrischen Plattenvertrag in der Tasche ihr Debüt "The Way Of Pain" eingespielt und anschließend ganz Europa im Vorprogramm von W.A.S.P. betourt. Doch dann wurden sie von ihrem Label gefeuert und mussten sich ihrerseits von ihrem Sänger, Janne Oksanen, trennen. Aber die Jungs rappelten sich wieder auf, unterschrieben bei einem kleinen, aber engagierten Label und fanden in Kimmo Blom einen mehr als würdigen Nachfolger für den vakanten Sängerposten. Das neue Werk "This Is My World" klingt ebenso frisch wie der Erstling, aber deutlich ausgereifter und macht einfach tierisch Laune. Powermetal.de bat daher Schlagzeuger Niko Takala zum Gespräch, der zum Glück so gar nichts mit finnischer Einsilbig- und Humorlosigkeit am Hut hatte und auch gerne mal über seine etwas berühmteren musizierenden Landsleute herzog.

Elke:
Ich war etwas überrascht, ein Interview mit einem Schlagzeuger zu führen - normalerweise rufen einen meist die Sänger oder Gitarristen an. Gibt es einen speziellen Grund dafür, dass du diese Funktion bei DYECREST übernimmst?

Niko:
Nein, dafür gibt es glaube ich keinen besonderen Grund. Es war einfach immer so, dass ich als Sprachrohr der Band fungiere. Unser Sänger gibt ebenfalls Interviews, aber wir haben entschieden, dass ich heute ran muss.

Elke:
Die Leute scheinen Probleme damit zu haben, eure Musik in eine bestimmte Schublade zu stecken. Das Label nennt sie beispielsweise "Melodic Speed Metal", was ich nicht sonderlich passend finde. Wo würdest du sie einordnen?

Niko:
Haben sie wirklich diesen Begriff verwendet? Nun, eigentlich freut es mich zu hören, dass es offenbar schwierig ist, unsere Musik zu kategorisieren. Ich finde es langweilig, wenn Musik zu leicht irgendwo einsortiert werden kann. Wir würden sie am liebsten einfach nur "Heavy" oder "Metal" nennen. Die ganze Metalszene ist heutzutage sowieso schon viel zu fragmentisiert. Vermutlich erwarten die potenziellen Käufer jedoch sehr spezifische Informationen über die Bands und ihre jeweilige musikalische Ausrichtung. Wenn ich unsere Musik also irgendwo einordnen müsste, würde ich sie als eine Mischung aus modernem und traditionellem Metal mit einigen Einflüssen von Prog und Thrash Metal beschreiben.

Elke:
Die Geschichte von DYECREST kam ja erst so richtig ins Rollen, als ihr im Jahr 2003 vom "Young Metal Gods"-Wettbewerb von Noise Records mit einem Plattenvertrag nach Hause gefahren seid. Wie groß war da eigentlich die Konkurrenz?

Niko:
Die Gesamtzahl der teilnehmenden Bands weiß ich leider nicht, aber es müssen hunderte gewesen sein. Allein aus Finnland waren es über zwanzig. 18 Bands aus ganz Europa kamen ins Semi-Finale des Wettbewerbs, von denen wiederum fünf von der internationalen Juri für das Finale in Bochum ausgewählt wurden. Dort ging es um die Live-Performance der Bands, und wir waren schließlich eine der drei, die einen Plattenvertrag bekamen.

Elke:
Warum denkst du, dass gerade ihr die Jury überzeugt habt?

Niko:
Uns wurde gesagt, dass unsere Live-Show den Auslöser gab. Natürlich denke ich, dass auch unsere Songs bei der Jury gut ankamen, aber es kam uns besonders zu Gute, dass es im Finale um den Live-Eindruck ging, denn uns wurde schon oft bestätigt, dass darin unsere eigentliche Stärke liegt.

Elke:
Ihr wart danach mit W.A.S.P. auf Europatour, die Dinge liefen also äußerst gut für euch. Wie kam es trotzdem dazu, dass Sanctuary/Noise Records euch den Vertrag gekündigt haben?

Niko:
Ich erinnere mich noch sehr gut an den Moment, als unser damaliger Sänger, Janne, mich anrief, um mir mitzuteilen, dass unser Label-Manager ihn gerade darüber informiert hätte, dass unsere Aktien nicht gut stünden. Es gab einige personelle Veränderungen bei Sanctuary, und einer der neuen Verantwortlichen hatte beschlossen, dass man sich künftig ausschließlich auf größere Bands konzentrieren wolle, statt in den Nachwuchs zu investieren. Daraufhin wurden wir aus der Sanctuary-Gruppe rausgeschmissen. Wir waren darüber natürlich nicht sehr glücklich, zumal wir bereits neue Songs geschrieben hatten und eigentlich in den Startlöchern für das nächste Album standen.

Elke:
Wie kam es zu dem Vertrag mit eurem neuen Label, Dockyard 1?

Niko:
Wir kannten die Gründer dieses Labels und hatten bereits in der Vergangenheit mit ihnen zusammengearbeitet. Wir vertrauten ihnen und wussten, dass sie an uns glaubten und an einer Zusammenarbeit interessiert waren. Das war für uns Grund genug, um uns zu überzeugen, obwohl wir uns darüber bewusst waren, dass Dockyard 1 noch kein großes, etabliertes Label ist. Aber es war uns wichtiger, bei einem Label unter Vertag zu stehen, bei dem wir willkommen sind und das sich um uns kümmert.

Elke:
Warum habt ihr euch von eurem alten Sänger Janne Oksanen getrennt?

Niko:
Wir kamen an einen Punkt, an dem wir merkten, dass Janne nicht die nötige Motivation mitbrachte. Wenn man noch nicht von der Band leben kann, muss man Job und Musik irgendwie unter einen Hut bringen. Für eine viel zu lange Zeit kam es uns so vor, als müssten wir Janne mitschleifen, weil er nicht von Herzen dabei war. Solch eine Situation geht langfristig an die Substanz, weil die eigene Motivation schwindet, wenn man immer jemanden in den Arsch treten muss.

Elke:
Sein Nachfolger, Kimmo Blom, soll ein alter Freund von euch sein. War es leicht, ihn zu überzeugen?

Niko:
Es wäre zu viel gesagt, dass er ein alter Freund von uns war. Wir hatten ihn vor einigen Jahren kennengelernt und einen eher sporadischen Kontakt. Als wir beschlossen, Janne rauszuwerfen, hatten wir keinen wirklichen Plan B in der Tasche, nur eine sehr kurze Liste von Leuten, die wir anrufen könnten. Kimmo war der erste, den ich kontaktierte. Er war zunächst überrascht, dass wir ohne Sänger dastehen, und erbat sich Bedenkzeit. Aber als der Heavy-Metal-Fan, der er ist, konnte er wohl nicht wiederstehen (lacht). Wir schickten ihm unser neues Songmaterial zu, und er kam zum Vorsingen vorbei und wir hingen eine Woche zusammen rum. Er ist ein netter Kerl und hat sich gleich eingebracht - und jetzt ist er der neue Sänger von DYECREST.

Elke:
Er soll bereits als Background-Studiosänger für Bands wie STRATOVARIUS und THUNDERSTONE gearbeitet haben.

Niko:
Ja, das stimmt. Er ist ein alter Freund von Timo Kotipelto von STATOVARIUS und kam wohl so zu dem Job. Er sang auch in einer Hard-Rock-Band namens URBAN TALE sowie in einer weiteren Combo, die von West-Coast-Blues beeinflusst war.

Elke:
Meiner Meinung nach war Janne ein guter Sänger, aber Kimmo übertrifft ihn noch - also hatte dieser Wechsel durchaus sein Gutes. Wie sind denn so allgemein die Meinungen zum Sängerwechsel?

Niko:
Wir bekamen überwiegend sehr positives Feedback, aber man kann es nicht jedem recht machen, so dass es natürlich auch Leute gibt, die Jannes Stimme lieber mochten. Ich denke, Kimmos Stimme passt perfekt zu den neuen Songs, er hat eine größere Bandbreite, und genau das brauchten wir.

Elke:
Wer hat die Musik und die Texte für "This Is My World" geschrieben?

Niko:
Im Grunde haben wir das meiste im Teamwork geschrieben. Die drei Gitarristen, Pirkka, Matti und Henri, sind für den Großteil der Kompositionen verantwortlich, und die meisten Texte stammen von Henri, Kimmo und mir. Aber bei den Credits steht nur "Musik und Texte von DYECREST", weil sie im Wesentlichen das Ergebnis von Teamarbeit sind, so dass wir beschlossen, die Credits nicht einzeln aufzuschlüsseln.

Elke:
Welche Bands beeinflussen euch beim Songwriting?

Niko:
Es ist heute zwar unmöglich, sich nicht von anderen Bands beeinflussen zu lassen, aber wir nehmen uns im Proberaum nicht vor, jetzt einen Song zu schreiben, der beispielsweise genau wie IN FLAMES oder HELLOWEEN klingt. Die meisten Einflüsse passieren eher unbewusst. Es gibt sicher Bands, die wir alle lieben, aber es wäre schwer, nur zwei oder drei zu benennen, die einen besonders großen Einfluss auf unsere Musik haben.

Elke:
Sind die Texte wieder so düster, wie auf dem letzten Album, "The Way Of Pain"?

Niko:
Es hängt natürlich vom Betrachter ab, ob er sie als "düster" empfindet. Ein Black-Metal-Fan sieht das beispielsweise vermutlich nicht so. Es sind für mich einfach realistisch-pessimistische Geschichten aus dem Leben. Sie liegen mehr oder weniger auf der gleichen Linie wie die bisherigen Texte.

Elke:
Habt ihr die Background-Vocals dieses Mal alle selbst eingesungen?

Niko:
Ja, die meisten stammen von den drei Gitarristen und Kimmo. Bei drei Songs hat Rolf Köhler einige Parts eingesungen. Dieses Mal klingen wir also auch auf CD so wie auf der Bühne, ohne diese riesigen Chöre des Debütalbums.

Elke:
Nachdem Piet Sielck das erste Album produzierte - wer war für "This Is My World" verantwortlich?

Niko:
Wir selbst waren die Executive Producers und hatten das letzte Wort in allen musikalischen Fragen. Aber weil bei sechs verschiedenen Leuten manchmal sechs verschiedene Meinungen im Raum stehen, haben wir unseren Gitarristen Pirkka als Chef-Producer ausgewählt, der das allerletzte Wort hatte. Und Clemens von Witte und Rolf Köhler vom Hammer Music Studio waren verantwortlich für den Sound.

Elke:
Worin liegt deiner Meinung nach der größte Unterschied zwischen den beiden Alben, ganz davon abgesehen, dass sie von zwei verschiedenen Sängern eingesungen wurden?

Niko:
Ich denke, auf dem ersten Album waren die Songs unterschiedlicher, allein schon weil sie innerhalb von drei Jahren geschrieben wurden. Dieses Mal sind die Songs innerhalb eines halben Jahres entstanden, wodurch das Album kompakter klingt.

Elke:
Drei Gitarristen im Line-Up sind relativ ungewöhnlich. Denkst du, dass das ein Vorteil für euch ist?

Niko:
Ja, ich denke schon. Beim Songwriting hat man viel mehr Möglichkeiten für die Gitarren und kann sie abwechslungsreicher einsetzen. Natürlich kann man im Studio auch nur mit einer Gitarre drei verschiedene Gitarrenparts aufnehmen, aber besonders live ist es ein großer Vorteil für uns, um beispielsweise in den härteren Songs stärkere Gitarren-Wände aufzufahren oder in den ruhigeren Stücken jeden Gitarristen etwas anderes spielen zu lassen.

Elke:
Normalerweise habe ich es nicht so mit dem eher traditionellen Heavy Metal, aber aus irgendeinem Grund mag ich DYECREST, weil ihr meiner Meinung nach dieses typisch finnische Flair habt, das man auch von Bands wie SONATA ARCTICA oder STRATOVARIUS kennt. Man kann euch zwar nicht wirklich mit diesen Bands vergleichen, aber der musikalische Geist klingt für mich trotzdem ähnlich. Würdest du mir da zustimmen?

Niko:
Das muss wohl der verrückte finnische Geist sein, der sich in die Songs einschleicht, egal welche Art von Metal man spielt (lacht). Ich stimme dir im Grunde zu, aber wir haben nicht die gleichen Lines in unserer Musik wie die von dir genannten Bands. Wir sind auch froh darüber, dass man uns nicht mit ihnen vergleichen kann, denn zumindest die aktuelle Ausrichtung dieser Bands entspricht nicht dem, was wir machen wollen.

Elke:
Was hältst du persönlich von diesen recht populären finnischen Combos?

Niko:
STATOVARIUS hatten sehr, sehr gute Songs in der Vergangenheit, aber die letzten drei oder vier Alben waren nicht mehr so toll. Sie sind mittlerweile ziemlich festgefahren. Ich mag immer noch das "Episode"-Album oder "Visions", aber danach haben sie nichts wirklich Neues mehr erschaffen. Es gab einige gute Songs auf den letzten Scheiben, aber insgesamt haben sie mich sie nicht mehr so beeindruckt. Offensichtlich denken aber viele, viele Leute, dass es gute Alben waren, weil sie Unmengen davon verkauft haben. Vielleicht sind sie ja auch deswegen mittlerweile so festgefahren in ihrer musikalischen Ausrichtung, weil sie wissen, dass die Leute das Zeug kaufen werden. Man kann ihnen das auch nicht zum Vorwurf machen.
Bei SONATA ARCTICA war ich sehr beeindruckt von ihrem Debüt-Album "Ecliptica", weil ich wusste, dass sie damals noch eine sehr junge Band waren. Aber als ich sie dann zum ersten Mal live sah, war es eine Katastrophe (lacht). Damals war ihre Live-Performance miserabel. Es gibt meiner Meinung nach viele sehr gute Bands in Finnland, besonders Combos wie DIABLO. Sie haben jedoch meines Wissens erst ein Album in Deutschland herausgebracht. Aber auch einige junge Bands, die mehr oder weniger in der gleichen Position wie wir sind, wie MACHINE MEN, TWILIGHTNING oder KIUAS. Ich denke, die Metal-Szene in Finnland ist insgesamt sehr lebendig.

Elke:
Wie war eigentlich die Tour mit W.A.S.P., die ja zu den Großen der Szene zählen?

Niko:
Für uns war das super, mit einer großen Band eine große Tour machen zu können. Wir haben dabei so viel gelernt. Das Leben on the road ist nicht so glorreich, wie man sich das vielleicht vorstellt (lacht). Wir hatten ungefähr 30 Shows in elf verschiedenen Ländern. Es war sehr harte Arbeit für uns, aber wir hatten die Gelegenheit, unsere Musik vor zehntausenden von Leuten zu spielen, wodurch unsere Live-Shows noch besser wurden. Als Live-Erfahrung war es eine Art einmaliges Erlebnis für uns. Wir hatten gerade erst unser erstes Album veröffentlich und waren schon auf Tour mit W.A.S.P. für 30 Gigs über ganz Europa. Wir konnten uns also wirklich nicht beklagen. (lacht)

Elke:
Wer stünde denn noch auf eurer persönlichen Wunschliste für eine gemeinsame Tour?

Niko:
Ich persönlich fände es cool, mit GAMMA RAY auf Tour zu gehen. Sie waren schon immer meine großen Helden und ich denke, dass wir musikalisch gut zusammen passen würden. Natürlich gibt es viele andere, mit denen wir gerne mal zusammen spielen würden, wie zum Beispiel solche kleinen Bands wie METALLICA oder MEGADETH (lacht). Auch schwedische Bands wie IN FLAMES oder SOILWORK wären super, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir das gleiche Publikum ansprechen. Es wäre zumindest schön, diese Jungs mal kennenzulernen.

Elke:
Gibt es denn Pläne für eine Tour?

Niko:
Noch nicht. Derzeit hängt das noch von zu vielen Dingen ab. Das Label ist noch neu, die Scheibe noch nicht veröffentlicht usw. Wir müssen abwarten, wie sich das Album in Finnland und Zentral-Europa verkauft. Aber zumindest in Finnland, egal, wie viele Exemplare wir verkaufen, werden wir eine kleine Tour machen können, weil es uns hier nicht so viel kostet. Aber es ist eben leider sehr teuer, beispielsweise nach Deutschland zu kommen.

Elke:
Wer hat eigentlich die Presse-Infos geschrieben, die den letzten beiden Promo-CDs beilagen?

Niko:
(lacht) Du meinst unsere Biographie? Sie stammt vom Journalisten eines finnischen Rock Magazin namens Soundi, Antti Mattila. Er hat die Bios für die letzten beide Alben verfasst.

Elke:
Sie sind sehr humorvoll geschrieben und ich finde sie sehr gelungen.

Niko:
Ich auch. Ich denke, es ist immer gut, etwas Humor einzubringen, statt nur arrogant von der "besten Band, die es je gegeben hat - blablabla" zu schreiben.

Elke:
Wie viel Wahrheit steckt denn darin? Habt ihr wirklich nach dem Rausschmiss eures Sängers tausendfach geflucht, hunderte von Bier getrunken und viele Stunden in der heißesten Sauna verbracht?

Niko:
Wir haben natürlich auch mal in der Sauna Pläne geschmiedet, aber wir waren nicht die ganze Zeit dort. Aber es steckt schon etwas Wahrheit darin.

Elke:
Wenn du jemanden überzeugen müsstest, sich "This Is My World" zu kaufen, was würdest du ihm sagen?

Niko:
Oh, das ist immer schwer, sich selbst zu vermarkten. Ich würde vielleicht sagen, wenn du traditionellen Heavy Metal magst, aber gelangweilt bist von diesem viel zu traditionellen Zeug, solltest du mal die Band DYECREST antesten, denn wir versuchen, die Dinge etwas anders zu machen als andere und hoffen, dass uns das auch gelungen ist.

Redakteur:
Elke Huber

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