Damals war's: FEAR OF GODs "Within The Veil" wird 25!

02.08.2016 | 11:45

Auch wenn es nicht auf den Tag 25 Jahre her ist, komme ich nicht umhin einem Album zu huldigen, welches mich seit einem Vierteljahrhundert begleitet, quasi verfolgt, denn seine Intensität ist beängstigend und wird von keinem mir bekannten Album auch nur annähernd erreicht. Aber lest selbst...

Es gibt sie, diese Alben, die einen als Zuhörer emotional an den Weichteilen packen, die wie ein Hammerschlag auf dich einwirken, die dich einlullen, wie ein schwerer Nebel, die deine Gefühle und Gedanken beim Anhören komplett verändern. Oftmals handelt es sich hierbei um Alben, die man in einer besonderen Lebenssituation immer wieder aufgelegt hat, so dass die Musik die Bandspule im Kopfkino immer wieder rund laufen lässt. Man durchlebt diese Situationen beim Anhören immer wieder. Aber es gibt auch Alben, die erzeugen sehr starke Emotionen, ohne dass man sie zu bestimmten Ereignissen anhören muss. Das sind die wirklich fiesen Biester. Zumindest jene, die eher melancholische Gefühle auslösen. Dass es natürlich genau so auch Musik gibt, die fröhliche Emotionen auslösen kann, will ich gar nicht bestreiten. Aber, seien wir einmal ehrlich, die sentimentalen Momente hallen doch meist länger nach.
Jeder, der sich ein bisschen mehr mit Musik beschäftigt, wird solche Alben oder Songs kennen. Musik, die einen bei jedem Hören auf's Neue komplett erfasst, verzaubert oder eben fesselt. Ganz gleich in welcher Stimmung man vorher war, ganz gleich wie die Ausgangssituation vor dem Auflegen der betreffenden Musik war, wenn die ersten Töne erklingen, scheint man in eine Parallelwelt zu entschwinden.

Ein solches Album für mich hört auf den bedeutungsschwangeren Namen 'Within The Veil", erschien im März 1991 und stammt von der längst nicht mehr existierenden Band FEAR OF GOD.
Hier muss ich jetzt ein wenig ausholen, denn die Band hat eine nicht ganz uninteressante Vorgeschichte. Hervorgegangen aus den Überresten der Band DÉTENTE, die im Jahr 1985 ein sehr beachtliches Album namens "Recognize No Authority" heraus gebracht hat. Beachtlich, weil es kaum andere Bands aus dem Thrash-Sektor gab, bei denen eine Frau hinter'm Mirkophon stand. Dawn Crosby, so der Name der obendrein äußerst ansehnlichen Dame, verfügte nicht nur über eine entsprechend aggressive Röhre, auch ihre Bühnenpräsenz war mehr als offensiv. Ein Umstand, den man heutzutage auf diversen Plattformen im Internet nachsehen kann. Das blonde Frollein faucht, schreit, kreischt und growlt sich ihre extrem sozialkritischen Texte aus der vermeintlich kleinen Lunge und agiert dabei auf der Bühne wie auf einem Kampfplatz. Obendrein agierte die Musik von DÉTENTE weitab von den damaligen Normen. Harsche Thrashriffs wurden mit einer grantigen Attitüde vorgetragen, wie man sie sonst nur von Hardcore-Bands her kannte. Da war sehr viel Punk mit im Spiel.

Das auf der Bühne zur Schau gestellte Auftreten von Dawn war allerdings keine Show, denn auch abseits der Bühne lebte sie ihre Emotionen bis ins Extreme aus. Dies und die Tatsache, dass sie mit Drummer Dennis Butler verheiratet war, führten innerhalb der Band zu immensen Turbulenzen und schlussendlich zur Auflösung der Band.
Dawn Crosby gründet daraufhin allein eine zunächst namenlose Formation, die zuerst SEDITION und schlussendlich FEAR OF GOD heißen sollte. Den Gitarristen Ross Robinson wird der geneigte Rockfan als Produzent von KORN, MACHINE HEAD, SOULFLY, LIMP BIZKIT und SLIPKNOT kennen. Der gute Ross ist also ein gemachter Mann, ist er doch nicht unwesentlich an der Massentauglichkeit des so genannten Nu-Metals beteiligt gewesen. Die restlichen Musiker spielten zwar zunächst teilweise noch gemeinsam in anderen Projekten zusammen, zerliefen sich aber mit den Jahren in alle Winde. Erst im Jahr 2008 fanden sich Dennis Butler, Bassist Steve Hochheiser und Gitarrist Caleb Quinn mit einer anderen Sängerin - Ann Boleyn von HELLION - zusammen und reformierten DÉTENTE. Mit dieser Besetzung gelang es der Band immerhin in Deutschland aufzutreten. Kurz nach besagtem Auftritt auf dem Headbangers-Open-Air-Festival am Rande von Hamburg trennte sich die Band allerdings von ihrer Sängerin und nahm mit der völlig unbekannten Tina Teal ein Album namens "Decline" auf, welches musikalisch tatsächlich an die alten Tage anknüpfen kann. Nach einer kurzen Tournee löste sich die Band endgültig auf.

Schwenken wir das Spotlight zurück auf Dawn und FEAR OF GOD. Es dürfte 1989 gewesen sein als sich die Band erstmalig zusammen fand. Bis zu einem ersten Demo dauerte es noch zwei Jahre. Die Besetzung war zu diesem Zeitpunkt: Michael Carlino (gt.) und Blair Darby (bs.), sowie Steve Cordoba am Schlagzeug. Während die beiden Saitenartisten bereits zur letzten Besetzung von DÉTENTE gehörten, war Steve ein kompletter Neuling. Kurz danach erschien dann auch schon das Album "Within The Veil" auf, man höre und staune, Atlantic Records. Ein Major Label hatte sich die Band unter den Nagel gerissen, was mich zuerst etwas stutzig gemacht hat. Aber schon beim Betrachten des unheilvollen Covers wusste ich, dass da etwas Großes über mich herein brechen würde. Wie groß es dann werden würde, konnte ich mir aber in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen.

Schon die ersten 30 Sekunden des knapp vier Minuten langen Openers 'All That Remains' lassen mich bewegungslos unter meinem Kopfhörer erstarren. Die a capella und mit viel Hall aufgenommenen Zeilen "powerlines, steel webs confine, violating the brownish sky. Hard grey smothers, earth, like cancer. Cracks revealing, ground below broken and bleeding every seed every stone" erzeugen sofort ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube. Ein bedrohliches Grollen, mystisch, nicht greifbar und trotzdem sehr präsent. Es ist als würde Dawns Stimme in meinem Kopf erklingen und diese bedrohlichen Verse flüstern. Unheimlich. Völlig unvermittelt setzt die Musik ein. Wie der nicht erwartete Schlag mit einem Hammer. Meine Angst, dass ein einzelner Gitarrist nicht genügend Druck erzeugen würde, erweist sich unwillkürlich als absoluter Unsinn. Ich habe selten einen derartig rabiaten Sound einer Klampfe gehört. Man hat das Gefühl, die Druckwelle der Schwingungen würde einen an die Wand nageln. Man hört quasi jeden Anschlag von Michael. Dies wird unterlegt von einer fett klingenden Rhythmussektion, die das bedrohliche Gefühl um ein weiteres verstärkt. Besonders bösartig ist die Variation innerhalb der Nummer zur akustischen Gänsehautpassage, in der Dawn erneut fast hinterhältig flüstert. Es sind erst vier Minuten vergangen und ich denke jetzt schon, in welchem akustischen Gruselszenario bin ich bloß gelandet? Als wäre die Musik allein nicht schon beklemmend genug, addiert sich in diesem Fall hinzu, dass man die Texte auch ohne Textblatt sofort komplett verstehen kann.

Eyes staring back at me, so dark, so cold

Auch wenn 'Betrayed' dann mit beinahe sanften Klängen beginnt, wird spätestens beim beschwörenden Einsatz des Gesanges klar, dass Frau Crosby hier wohl eine autobiografische Geschichte in die Nacht hinaus schreit. Eine Geschichte über's Fremdgehen. Es denkt jetzt bitte niemand an den erhobenen Zeigefinger, wenn jemand einen Fehltritt begangen hat. Hier geht es richtig zur Sache. Eine Kostprobe gefällig? "The lust you feel, has cause pain, silent in the morning light, go home to your betrayed". Und später: "I like the way the knife feels in your back". Da wird nicht lange gefackelt. Auch musikalisch nicht. Während der ersten Hälfte schlängelt sich der Songs noch mystisch den Rücken hoch, aber nach gut drei Minuten fällt urplötzlich die Saitenaxt wie ein Fallbeil aus dem Nichts über den Hörer herein und beginnt, unterlegt von stetig nach vorne pulsierenden Rhythmen, die Emotionswelt des Zuhörers in kleine Scheiben zu schneiden.

In nothing, no one, we can trust.

"Love was just something I did to survive, love was just something I did to get by", der Chorus zeigt schon, dass 'Emily' es nicht leicht im Leben hatte. Angeblich eine Dame, für die Dawn einmal gearbeitet hat. Das lässt tief blicken. Genau so tief ist auch der Abgrund, in den mich der musikalische Strudel dieser kurzen, aber höchst abwechslungsreichen Nummer, hinab zieht. Die Tonbandstimme im Abspann, die "I was just trying to survive in your wicked world" spricht, hinterlässt mich völlig geplättet. Auch heute noch. Es sind erst drei Nummern gelaufen, aber der Albtraum hat gerade erst begonnen...

Das Stilmittel der übereinander gelegten Stimmen, die von überall her zu flüstern scheinen, macht auch 'Red To Grey' zu einer absoluten Beklemmungsorgie. Von permanenten Doublebassdrums unterlegt sägen offene Akkordfolgen in den ersten Minuten dieser apokalyptischen Notenfolge an meinem Nervenkostüm. Anspannung, bis die Sehnen reißen. Adrenalinspiegel auf Splitterkurs. "You're lost in this rapture together (!)". Und schon wieder hacken diese fiesen Riffs aus meinen Boxen und mit geballten Fäusten trommele ich auf den Fußboden, auf dem ich sitze, ein. Fast befreiend kommt der heraus gebrüllte Chorus: "When she's on her knees... she's saying a prayer for me and through the frenzied feed... she's saying a prayer for me". Als ob ein Gebet hier helfen würde.

'Diseased' ist dann quasi der normalste Song auf dem Album. Ein lupenreiner Kopfschüttler, dem es aber weder an musikalischem Tiefgang mangelt, noch an textlicher Aussagekraft. "Mass starvation, but don't be alarmed that part of population doesn't matter much anyway". Deutliche und auch sehr wahre Worte.

Nach dieser gradlinigen Nummer geht die emotionale Achterbahnfahrt im langen 'Wasted Time' weiter. Erneut beschwört Dawn den Hörer im ersten Teil des Songs zu finster-melancholischen Klängen. Spätestens, wenn sie "kill me one more time" ins Mikrophon flüstert ist sie weg, die Fassung. Da kommen die messerscharfen Riffs in der zweiten Hälfte wie gerufen, um sich den Kopf frei zu schütteln. Dieses Mal wird das Tempo enorm angezogen und die anklagenden Schreie, die aus allen Ecken zu kommen scheinen, lassen den Kopf wie im Fieberwahn hin- und her kreisen. "Can't you see through delusion, isn't life strange, when you are living a lie?"

Da kommen die schweren und schleppenden Rhythmen von 'Love's Death' gerade im richtigen Moment, um das Gemüt ein wenig zu beruhigen. Allerdings züngeln quietschende Soli laut in den Ohren, so dass ich erneut keine Ruhe finden kann. Vor allen Dingen auch deshalb nicht, weil Dawn hysterisch hoch kreischend etwas von "Love's death is a slow death, is a quick death" singt. Keine Worte, die für Beruhigung sorgen. Auch das instrumentale 'White Door' schafft dies mit seinen langsamen Beats nicht. Viel zu unruhig grollt es im Untergrund, viel zu bösartig tönen die Saiteninstrumente. Selten war der Begriff "Teufelsmusik" passender. Und dabei wird der Onkel mit den Hörnern gar nicht erwähnt. Sprach ich eben von einer instrumentalen Nummer, so war das geschummelt, denn es gibt Text hinter der weißen Tür. Allerdings nicht in gesungener Form. Es ist eher so als würde Dawn hier ein düsteres Gedicht zu den finsteren Klängen rezitieren.

''As you go down
Under the ocean
You reach out
For something
To believe
Doubt nothing
Be not deceived''


Die Nummer hat Dawn Crosby ihrer Großmutter gewidmet, die sie aufgezogen hat. Nach glücklicher Kindheit klingt das nicht zwingend. Und als wäre das noch nicht genug, haut mir das Quartett zum Schluss mit 'Drift' die absolute Emotionskeule auf die Löffel. Eingeleitet von einer mit fett-schleppenden Drumbeats unterlegten Sprechpassage "Do you ever think about tomorrow? Do you ever think about yesterday? Do you ever feel sorrow? Over what you've left drift away?" steigert sich dieser Monstersong im weiteren Verlauf zu einem echten Genickschläger. Rasant nach vorne preschendes Riffing und mächtig angepisst klingende Vocals bringen mein Blut beim intensiven Zuhören noch einmal so richtig in Wallung. Das mystische Akustikzwischenspiel ist dann auch nur ein heimtückisches Ablenkungsmanöver vor dem riesengroßen Finale: Über hackenden Schlagzeugbeats zersägt die Gitarre laut dröhnend die letzten Nervenstränge meines Emotionskostümes und Frau Crosby schreit sich zwischen den abgestoppten Riffs die Seele aus dem Leib. Beinahe unmenschlich, diese Gekreische. Wahrscheinlich deshalb so faszinierend. Nach einer letzten Taktvorgabe vom Schlagzeug herrscht Stille. Es ist eine schwere Stille, die wie Blei herunterfällt und mich komplett umgibt. Fast zwanghaft erfolgt der Druck auf die Abspieltaste und der Reigen beginnt erneut. Immer und immer wieder.

 

R.I.P. Dawn Crosby (15.12.1996)

 

Wer sich ein bisschen intensiver mit der Band beschäftigen möchte, sollte unbeding hier mal ein paar Stunden (!) verweilen.

Redakteur:
Holger Andrae
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