Damals war's: METALLICAs "Ride The Lightning" wird 30.!

31.07.2014 | 11:57

Das Jahr 1984 hat uns sehr viel Alben beschert, die heute als Meilensteine gelten. Ich verweise nur auf die Debütalben von METAL CHURCH und QUEENSRŸCHE. Es gibt aber nur eine Metalscheibe, die es geschafft hat inner- und außerhalb der Szene nachhaltig für Aufsehen zu sorgen: Das zweite Album von METALLICA.

Es gab kaum ein Album, auf das die Metaller-Gemeinde im Jahr 1984 sehnsüchtiger gewartet hat als auf den Nachfolger des alles vernichtenden Erstlings "Kill 'Em All". METALLICA war die Band der Stunde. Ich erinnere mich an keine andere Truppe, die von Beginn an wie Megastars gehandelt wurde. Da passte einfach alles zusammen: Zeitpunkt, musikalische Ausrichtung, Image, Liveauftritte, Fankontakt, einfach alles. Das Quartett aus Kalifornien hat den Underground ganz einfach auf den Kopf gestellt, und nun war man natürlich gespannt, ob es den Thrashern gelingen würde, qualitativ an den Vorgänger anzuknüpfen, denn es gab veränderte Vorzeichen: Dieses Mal hatte man nicht mehrere Jahre Zeit, Material zu komponieren, mit Kirk Hammett und Cliff Burton waren zwei Mitglieder mit an Bord, die am Songwriting des Vorgänger (fast) gar nicht beteiligt waren, und es stand die bange Frage im Raum, ob man denn die offensichtlichen Songschreiberqualitäten eines Dave Mustaine ersetzen könne.


Obendrein führten frühzeitige Aussagen der Band, dass man gemerkt hätte, man müsse nicht permanent superschnell spielen, um hart zu klingen, zu Irritationen. Das auf einigen Festivals bereits im Vorfeld vorgestellte Titelstück 'Ride The Lightning', welches sich natürlich wie ein Fegefeuer über die damaligen Tauschkanäle verbreitete, fand ich erstmal nicht so toll. Trotzdem bin ich in meinen Sommerferien jeden zweiten Tag zum Plattendealer meines Vertrauens gefahren, in der Hoffnung, die Scheibe sei eventuell schon etwas früher im Laden. Das war natürlich Unsinn, sorgte aber dafür, dass meine Scheibensammlung in dem Monat ziemlichen Zuwachs bekam. Man kann ja einen Scheibenladen nicht ohne Neuerwerb verlassen.

Ende Juli war es dann soweit: Kurz vor dem familiären Sommerurlaub nach Südtirol erscheint "Ride The Lightning" und schon während des ersten Anhörens wird das acht Songs umfassende Album auf Kassette gezogen, damit man es im Urlaub auf dem Walkman hören kann. Auf der anderen Seite des besagten Magnetbandes befand sich übrigens DIOs "The Last In Line", welches wenige Wochen zuvor erschienen war. Die Urlaubsreise war gerettet!

Hatte man zuvor noch etwas von langsameren Songs berichtet, so kommt es zu Beginn des Album sogar noch viel schlimmer: Ein Akustikintro klimpert da aus den Boxen und wird sicherlich nicht nur mich völlig entgeistert und sprachlos vor der heimischen Anlage gesehen haben. Das blanke Entsetzen für die jungen Wilden, die Uffta-Ufftata-Riffs hören wollten. Erst nach 40 endlos langen Sekunden wird die Verzerrer-Keule ausgepackt und Donnergöttchen Ulrich kesselt gewaltig mit den Pauken. So entpuppt sich 'Fight Fire With Fire' als superschneller Thrasher, der nahtlos an die Knaller von "Kill 'Em All" anknüpft. Auffällig ist allerdings der extrem saftige Gitarrenklang, den Fleming Rasmussen für die Jungs in Kopenhagen gebastelt hat. Man wird förmlich wegblasen von der Energie der Musik. Erst der deutlich längere Titelsong startet dann mit ungewohnt bedächtigem Tempo. So gemächlich ist man bisher lediglich während 'No Remorse' voran getrabt und diese Nummer war schon kein Highlight des Erstlings. Allerdings legt die Band 1984 deutlich mehr Wert auf Details und so entwickelt sich der Titelsong schon bald zu einem echten Liebling. Neben den spannenden Rhythmuswechseln ist es vor allem auch die beinahe unerwartete Geschwindigkeitszunahme in der zweiten Hälfte des Songs, die mich jedes Mal aufs Neue fasziniert. Sicher, ein Song über den Tod auf dem elektrischen Stuhl darf nicht zahm klingen, aber dieser Orkan, der kurz nach dem Solo aus den Boxen pustet, ist dann doch unerwartet heftig. Was hiernach kommt, sind für mich die besten Zwölf Minuten der Band: Zuerst wummert uns das mächtige 'For Whom The Bell Tolls' in Grund und Boden; beinahe eine Doom-Nummer, die schleppend, majestätisch und episch aus der Anlage schwappt und – inspiriert von Hemmingways "Wem die Stunde schlägt" – vom Unsinn des Krieges berichtet. Ohne in den Credits nachzulesen, weiß man, dass Bassist Cliff Burton hier massiv am Songwriting beteiligt war. Ist er nicht nur der "Belesene" in der Band, nein, auch die düstere Rhythmik und vor allem das prominente Bassspiel in dieser Nummer, mach deutlich, welchen Einfluss dieser Freigeist hatte. Ich hatte das Vergnügen, die Band drei Mal mit Burton live sehen zu können und war jedes Mal von seiner Bühnenpräsenz gefesselt. Der langhaarige Hippe, der meist nur eine offene Jeansjacke über dem nackten Oberkörper trug, hat sich vom ersten Takt an bei jeder Show den Kopf von den Schultern gebangt. Außerdem gab es zum damaligen Zeitpunkt kaum Bassisten, die live mit einem Solo aufwarten konnten (oder wollten). Wenn es dann doch mal eines zu hören gab, bekam man zumeist ein paar rhythmische Spielereien zum Mitklatschen serviert. Nicht so Cliff Burton: Er hat mit Wah-Wah-Effekten schier unglaubliche Laute aus seinem Instrument heraus gezaubert und neben seinem eigentlichen Solospot zumeist auch während der eigentlichen Nummern schon mehr soliert als die meisten seiner Kollegen während ihres Einzelslots. Aber ich schweife ab …

Burton hat 'For Whom The Bell Tolls' zumeist mit einem ekstatischen Wah-Wah-Gedröhne eingeleitet und sich dabei jedes Mal den Kopf vom Hals geschraubt. Wer es aus Gründen des Zuspätgeborenseins nicht live erleben durfte, kann dies ganz einfach auf etlichen Bilddokumenten anschauen. Es ist jedes Mal eine Augenweide, wie der gute Mann gerade bei dieser Nummer abgegangen ist. Herzblut, bis die Adern platzen. Genau dieses Gefühl vermittelt der Song für mich bis heute. Ich kann ihn nicht anhören, ohne lautstark den kompletten Text mitzusingen. Dabei ist es mir natürlich völlig gleichgültig, wie schlecht ich das eigentlich kann. Ich vergesse meine Umwelt komplett, wenn ich den Titel höre, und wünsche mir, die Band würde auch heute noch solche Emotionen bei mir erzeugen können.


Ich schrieb aber eben von Zwölf Minuten, und so komme ich nun zur besten Ballade, die die Band jemals geschrieben hat: 'Fade To Black'.  Eine textlich zermürbende Nummer über Agonie, die musikalisch ergreifend unterlegt ist. Hammett überzeugt mit melodischen Soloeinlagen und vor allem James Hetfield singt bei diesem Song unglaublich gefühlvoll. Man mag es kaum glauben, dass er sich zum damaligen Zeitpunkt noch immer nicht für den richtigen Sänger hält und gern John Bush von ARMORED SAINT zu METALLICA holen möchte. Natürlich ist Bush der bessere Sänger und Frontmann, aber die Leistung von Hetfield auf "Ride The Lightning" ist mehr als hörenswert. Weit entfernt von heutigen Käsenoten, mit denen etliche Songs aktuelleren Datums zur Melodienrutschbahn werden. Anyway, 'Fade To Black' ist so etwas wie die Mutter aller thrahsigen (Halb-)Balladen.

Dreht man das Vinyl nun herum (!), gibt es mit 'Trapped Under Ice' eine recht zackige Nummer, der man ihren Ursprung schnell anhört. So sind gewisse Parallelen zum Song 'Impaler' von Kirks alter Band EXODUS nicht von der Hand zu weisen. Seine alten Kollegen sind aber so schlau, die Nummer erst Jahrzehnte später offiziell zu veröffentlichen.  Dem anschließenden Song 'Escape' hört man dann leider deutlich an, dass er erst im Studio geschrieben wurde. So haben wir es hier mit einem ziemlich zahmen Track zu tun, der obendrein ungewöhnlich melodisch klingt. Fand ich damals weniger toll, heute mag ich ihn gerade, weil er so anders tönt. Die Band selbst hat den Song bis vor kurzem nie live gespielt, was wohl einiges über ihr eigenes Befinden über seine Qualitäten aussagt.

Wie schon auf der ersten Seite des Album, kommen die Sahneschnitten erst am Ende. Zuerst fegen uns in 'Creeping Death', einem erneut sehr schnellen Song, die zehn biblischen Plagen um. Auch in diesem Song finden wir Zitate aus einer alten EXODUS-Nummer namens 'Die By His Hands'. Ein Umstand, der damals schon für allgemeine Erheiterung gesorgt hat. Dieser Umstand soll natürlich die Qualität des Songs nicht in Frage stellen, denn die Nummer ist natürlich der absolute Wahnsinn. Wie auch der knapp neun Minuten lange Instrumentaltrack 'The Call Of Ktulu'. Man muss kein Musikwissenschaftler sein, um zu erahnen, dass auch hier wieder Mister Burton maßgeblich am Songwriting beteiligt war. Erneut haben wir einen Titel, der von einem Schriftsteller inspiriert wurde: "The Call Of Cthulhu" ist der Titel einer Geschichte von H. P. Lovecraft, einem Autor, den Burton verehrt und von welchem er später weitere Inspiration verwendet. Obendrein basiert dieser mystisch-düstere Song auf einem großartigen Basslauf, der bis heute immer wieder unter die Haut geht. Ich bin kein großer Freund instrumentaler Musik, aber wenn ich diesen Song höre, bin ich die kompletten neun Minuten lang gebannt. Die drei Saiteninstrumente agieren dabei absolut gleichberechtigt und solieren mit- und gegeneinander. So entsteht ein musikalisches Feuerwerk, welches auch heute, 30 Jahre nach Erscheinen, noch immer genau so faszinierend klingt wie damals.

So endet dieses wunderbare Album, welches für mich bis heute die beste Scheibe von METALLICA geblieben ist. Es mag daran liegen, dass ich damals so sehnsüchtig auf die Scheibe gewartet habe wie auf kaum ein anderes Album. Es mag auch daran liegen, dass die Band hier eine wunderbare Schnittmenge aus der alten Energie und Rotzigkeit mit neuer Spieltechnik kombinieren konnte, was ihr, nach meinem Empfinden, schon auf dem nächsten Album nicht mehr ganz so gut gelingen wollte. Man hört dem Album einfach an, dass diese Band heiß war, höllisch heiß und noch weit entfernt davon, sich irgendwelchen Mainstream- Regeln zu unterwerfen. Nachdem das Debüt so erfolgreich war, standen die großen Plattenfirmen natürlich Schlange bei METALLICA, aber die Band war klug genug, nicht nur auf die gebotene Knete zu achten, sondern auch auf das Kleingedruckte. So unterschrieb man einen langjährigen Deal mit Elektra, die "Ride The Lightning" am 19.11.1984 erneut veröffentlichten und kurz danach mit "Creeping Death" noch eine feine 12" nachlegten, auf deren B-Seite zwei knusprige Coverversionen zu finden waren : 'Blitzkrieg' und 'Am I Evil ?' von den NWoBHM-Veteranen BLITZKRIEG respektive DIAMOND HEAD.



Das Album ist bis heute meine Lieblingsscheibe der Band, auch wenn es ein paar Nummern enthält, die sicherlich nicht perfekt klingen. Es ist ein Album, welches mich massiv geprägt hat, bei welchem ich auch nach langer Zeit des Nichtanhörens jedes Wort mitsingen kann, und welches ich tatsächlich erst sehr spät als CD nachgekauft habe. Der schlichte Grund hierfür: Ich möchte, dass es an einer bestimmten Stelle von 'Fade To Black' knackt. So habe ich das jahrelang gehört. Da ist mir digitale Klangqualität völlig egal. Ich möchte, dass ein Album lebt, atmet und eine Seele hat. Dazu gehören auch vermeintliche Störgeräusche.

Die Band kam mit dieser Scheibe im Gepäck dann erstmalig auf größere Tournee durch Deutschland, wo ich sie am 9. Dezember in der Hamburger Markthalle erstmalig bewundern durfte. Im Vorprogramm meine Favoriten aus Großbritannien: TANK. Auch wenn ich damals als riesiger Fan der Briten die Show des rotzigen Quartettes besser fand als den Auftritt des Frisco-Fünfers, erinnere ich mich noch genau daran, wie intensiv wir zu den ersten Songs – 'Fight Fire With Fire', 'Ride The Lightning' und 'Phantom Lord' – mit den Köpfen gewackelt haben. Irgendwann war dann ein bisschen die Luft raus, so dass ich heute verstehen kann, weshalb die Band damals John Bush als Frontmann haben wollte. Beim nächsten Aufenthalt in Hamburg spielte die Band zwei ausverkaufte Markthallenkonzerte hintereinander und hat alles weggeblasen, was mit Stromgitarren spielen konnte.

Zum Abschluss ein paar nackte Zahlen: das Album knackte die US Charts auf Platz 100 und die britischen sogar auf Platz 87. Drei Jahre später wurde es zum ersten Mal vergoldet. Seit dem 13. Dezember 2012 ist "Ride The Lightning" gar sechsfach mit Platin ausgezeichnet. Sehr ungewöhnlich für ein Album mit derart heftiger Musik. Offenbar muss man nur die richtige Marketing-Strategie entwickeln, zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, dann kann man auch mit solchen Granaten ernsthaft Geld verdienen.

Ich werde dem Album jetzt noch eine Umdrehung gönnen und meinen Nachbarn dazu acht hübsche Ständchen kredenzen.

Redakteur:
Holger Andrae
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