ENSLAVED: Interview mit Grutle Kjellson

01.01.1970 | 01:00

"Isa? Diese Rune steht für Statik oder alles Solide und bedeutet direkt übersetzt soviel wie Eis. Sie steht auch für Widerstand gegen äußere Einflüsse und für die Herausforderung alle Widrigkeiten zu überwinden. Sie ist die komplexeste und schwierigste aller Runen. Wer sich ihr in einem Ritual stellt, muss erst einmal sie als Rune überwinden. Ist man dabei erfolgreich, dann wird man sich auch im wirklichen Leben prächtig entwickeln. Laut unserer Mythologie kann der Mensch nach dem erfolgreichen 'Isa'-Ritual selbst den härtesten Winter überleben." Grutle, Sänger der 1991 gegründeten ENSLAVED, erklärt mit seiner melodisch-tiefen Sprechstimme das Hintergrundkonzept von "Isa", der neuen Edelscheiblette aus den Händen und Herzen der norwegischen Viking-Überväter. Und, Grutle muss lachen, die Frage, ob die Band nun auch schon solche Rituale mit der Isa-Rune erlebt hat, kommt dann wohl doch überraschend: "Haha, du meinst, wir waren zusammen in einem Wald? Nein, solche New Age-Scheiße machen wir nicht" Grutle hat an diesem Montagabend allen Grund, so gut gelaunt zu sein. Der Frontmann und die eigentliche Symbolfigur von ENSLAVED sitzt schließlich im wunderschönen Bergen ("Das Wetter ist wie fast immer hier, es regnet..."). Und: Grutle ist gerade von einem Angel-Ausflug wiedergekommen. "Wir haben eine kleine Bootsfahrt zusammen mit dem norwegischen Fernsehen und ein paar Journalisten von Tageszeitungen gemacht. Das war die Idee unseres Labels. Es hat Spaß gemacht." Ist so etwas in Norwegen üblich? In Deutschland kommen traditionelle Medien schließlich kaum auf die Idee, mit einer Metal-Band zur See zu fahren... "Nein, wirklich normal ist das nicht. Doch wir haben eben die norwegische Szene von Anfang an mitgeprägt, deswegen ist jetzt die Aufmerksamkeit wohl auch größer," meint Grutle.

Dass ENSLAVED daran arbeiten, weiterhin mit an der Spitze der norwegischen Band-Elite zu stehen, dass macht ein Monumentalwerk wie "Isa" nachdrücklich klar. Die Reviews und Reaktionen fielen bisher durchweg erstklassig aus, wie Grutle erfreut zu berichten weiß: "Klar, wir sind sehr zufrieden. Wir freuen uns jetzt auf den Release der Scheibe in Europa am 8. November." Wie sieht er denn die künstlerische Entwicklung von ENSLAVED auf "Isa"? Wie würde er ENSLAVED anno 2004 beschreiben? "Das Album ist ein gewaltiger Schritt für uns nach vorn. Es bläst wie frischer Wind ins Gesicht, es ist abwechslungsreich. Wir haben uns in vielerlei Hinsicht verbessert. Diese Weiterentwicklung ist auch das ständige Ziel unserer Band." Nur ein Stück konkreter wird es, als Grutle erklären soll, welcher Song auf "Isa" exemplarisch für das Album stehen könnte. "Oh, das lässt sich überhaupt nicht sagen. Das Album ist zu vielschichtig, als dass ein Song alleine die Facetten der Scheibe abdecken könnte. Da gibt es schnellere Tracks wie das Titellied. Dann findest du aber auch Midtempo-Stücke in der Art von 'Return To Yggdrasill' oder total sphärische Parts wie in der Mitte von 'Violet Dawning'." Ok, dann andersherum: Welcher Song ist des Grutles Liebling? "Haha, das ändert sich jede Woche. Zur Zeit ist es aber 'Neogenesis'. Er vereint in sich progressive Sounds, aber auch alten Thrash Metal. Es besitzt gleichzeitig unglaublich starke Stimmungen. Alle Elemente sind gut ineinander verschachtelt, der Song bleibt über zwölf Minuten hinweg spannend." Zum Text von 'Neogenesis' kann Grutle dagegen wenig sagen, den hat sein Kollege und Gitarrist Ivar geschrieben. "Es geht um Mystik und um eine Reise ins Unterbewusstsein. Aber da musst du Ivar schon selbst fragen."

Außer eine Tonne Atmosphäre finden sich auf "Isa" viele prominente Gastmusiker, halb Norwegen scheint ENSLAVED bei dem Album unterstützt zu haben: "Stig Sandbakk haben wir bei einem Jazz-Festival getroffen, seine Stimme gefiel uns sofort. Abbath (IMMORTAL), Nocturno Culto (DARKTHRONE) und Ofu (RED HARVEST) hingen hier beim Hole In The Sky-Festival in Bergen einfach so herum. Da haben wir sie gefragt, ins Studio geschleppt und mitmachen lassen. Völlig spontan, haha." Bei all den positiven Kritiken für "Isa", wird es denn nun endlich etwas mit dem norwegischen Grammy, für den ENSLAVED im vergangenen Jahr schon mit dem Vorgängeralbum "Below The Lights" nominiert waren? "Hehe, wir werden sehen. Im Ernst, der Grammy wäre zwar eine schöne Sache, aber er ist nun auch nicht so wichtig. Wir könnten ihn wohl auch nicht persönlich entgegen nehmen, weil wir während der Verleihung gerade auf Tour durch Europa sein werden."

TOUR?! Tour! Ja, ENSLAVED kommen wieder nach Europa: "Wir werden ab Februar bis in den März für 25 bis 30 Termine nach Europa kommen, natürlich auch nach Deutschland. Wir werden Headliner sein und verhandeln gerade über die Vorbands. Wir haben einige Kandidaten im Auge, aber ich will hier nun keine Gerüchte verbreiten." Worauf können sich die Fans einstellen, immerhin waren ENSLAVED über Jahre hinweg nicht mehr auf einer ausgedehnten Tour über den Kontinent? Grutle macht Lust auf die Konzerte: "Wir werden wohl 75 Minuten spielen. Es wird für die Zuschauer fantastisch, wir arbeiten mit Hintergrundvideos und haben zudem einen neuen und sehr fähigen Lichtmann." Und warum hat es so lange gedauert? "Es lag nicht an uns," stellt Grutle klar, "Wir hatten Pech und unfähige Tour-Manager. Wir wollten sehr gerne spielen, aber wenn du kein Geld bekommst, dann kannst du nicht auf Tour gehen. Es war wirklich unmöglich. Schön, dass es jetzt wieder klappt."

Nach dieser freudigen Zwischenbotschaft muss es nun wieder generell werden. Von welchen Sounds lassen sich ENSLAVED zur Zeit inspirieren? "Wir stehen alle sehr auf Bands wie PINK FLOYD, DEEP PURPLE, LED ZEPPELIN, RUSH oder KING CRIMSON, eben die extremen Metal-Bands der 70er. An neueren Sachen mögen wir zum Beispiel NEUROSIS." Außerdem sind ENSLAVED schon seit Jahren für ihre Naturverbundenheit bekannt, ebenso für ihren Hang zur nordischen Sagenwelt und zum Heidentum. Deshalb die schlichte Frage: Warum dies alles? Grutle holt weit aus, Zwischenfragen nutzt er für weitere Auskünfte: "Wir haben uns schon immer in der Natur, besonders in Norwegen, wohl gefühlt. Außerdem sind wir fasziniert von der Sagenwelt unserer Heimat. Ihre Elemente haben auch heute noch Bestand. Teile der Mythologie Norwegens lassen sich auf jetzige Probleme übertragen. Du musst die Ähnlichkeiten dieser Stücke mit dem wirklichen Leben finden, um sie für dich selbst zu nutzen, um selbst zu Weisheit und Stärke zu gelangen." Dieser bewusste Blick in die eigene Vergangenheit fehle heute in den Gesellschaften, so Grutle. Plötzlich entsteht ein Kommunikationsproblem - ich nuschele etwas von Erde und Down. "Was, die Erde geht unter?! Sicherlich!", lacht Grutle bitter, "Nimm den Treibhauseffekt. Niemand interessiert sich mehr dafür, trotzdem ist er da. Die Welt wird untergehen, die Menschheit ist kräftig dabei, wir tun unser Bestes." Über Filme wie "The Day After Tomorrow" kann Grutle daher auch nur sagen: "Ich habe ihn nie gesehen, er ist sicher schlecht." Da freut es wenigstens, dass die Bandchemie in der von Besetzungswechsel geplagten Truppe endlich zu stimmen scheint: "Unser neuer Schlagzeuger heißt Cato, der neue Keyboarder Herbrand Larsen. Ich würde nie 'für immer' sagen, aber wie es jetzt gerade läuft, ist es perfekt. Wir verstehen uns perfekt, die Jungs sind als Musiker besser, die Kompositionen klingen organischer. Ich hoffe, das bleibt so." Wer die Jungs dieses Jahr nur einmal in Backstage-Action erlebt hat, kann Grutles Aussage nur bestätigen - sie erscheinen als Einheit.

Gleichzeitig hat es nun auch wieder mit einem neuen Label geklappt, Tabu Records heißt es, die neuen Labelmates sind zum Beispiel SUSPERIA. "Tabu ist ein junges norwegisches Label. Wir hörten vergangenes Jahr, dass sie Interesse an uns hätten. Sie kamen zu einem unserer Gig in Norwegen, danach verhandelten wir ein paar Monate. Im April unterschrieben wir einen Deal für eine Platte, mit der Option für zwei weitere Scheiben. Diese werden wir auch ziehen, weil wir mit der Arbeit der Leute von Tabu mehr als zufrieden sind. Für Amerika haben wir übrigens eine Lizenz mit Candlelight." So kommt es, dass ENSLAVED nun auch ein recht aufwändiges Video gedreht haben, zumindest klingt bei Grutles Beschreibung viel Begeisterung durch: "Es ist ein Film zum Titelsong von 'Isa'. Wir haben das Stück beim Haddanger Vidda-Plateau am Eidfjord gedreht. Dort ist viel unberührte Natur. Es gibt Schauspieler zu sehen, die eine Art Yoga machen. Außerdem werden Runen zu sehen sein. Dazu noch viel Nebel. Es herrschte eine wirklich herrschaftliche Atmosphäre, als wir das Video drehten."

Das nächste Projekt ist die Pflege der verwaisten Homepage. Grutle verrät schmunzelnd: "Wir haben es ja nicht so sehr mit Computern, aber sie soll wohl in den nächsten Monaten überarbeitet sein. Das wurde uns zumindest so gesagt." Noch letzte Worte an die deutschen Fans...?! Ja. Grutle schließt staatsmännisch: "Wir haben uns lange nicht gesehen, aber wir haben euch nicht vergessen und kommen wieder." Danke, ENSLAVED!

Redakteur:
Henri Kramer

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