Editorial: Die Anschläge von Paris sind auch ein Anschlag auf uns!

15.11.2015 | 22:42

POWERMETAL.de ist unpolitisch und wird es auch bleiben. Aber ich bin betroffen durch die Vorfälle in Paris, und die Tatsache, dass es uns Rockfans betrifft, lässt mich nicht los. Deswegen springe ich einmal über den Zaun und entferne mich von der reinen Musikberichterstattung. Eine Diskussion darf gerne im Forum erfolgen (Anmeldung aus sicher nachvollziehbaren Gründen erforderlich).

Es ist noch ganz frisch. Die Meldungen der zahlreichen Toten, die Ermittlungen befinden sich noch in einem frühen Stadium, aber der IS hat sich zu den Anschlägen bekannt und dort kundgetan, dass zu den Zielen das Bataclan gehörte, "wo Hunderte Heiden sich zu einem Konzert von Prostitution und Sünde zusammenfanden". Natürlich habe ich keine Neuigkeiten zu verkünden oder tiefere Einsichten, was ich aber habe, ist eine Meinung dazu, denn unter den Anschlägen von Paris war auch ein Angriff auf ein Konzert der EAGLES OF DEATH METAL. Die weitaus meisten Todesopfer der koordinierten Angriffe sind bei dieser Veranstaltung zu beklagen.

Der repressive Terror der Anhänger einer engstirnigen, rückwärtsgewandten Ideologie bedroht uns alle, selbst wenn unser Leben nicht direkt in Gefahr ist. Unser Lebensstil, unsere Freiheit und das Recht, allein zu entscheiden, wie wir leben wollen, ist den Urhebern des Blutbades ein Dorn im Auge. Rockmusik war schon immer der Feind, und wir sollten nicht auf einem zu hohen Ross sitzen, denn es ist noch nicht so lange her, dass auch die CSU Rockmusik verbieten wollte. Nur: der "folge meinem Glauben oder stirb"-Grundsatz ist in seiner Radikalität weder mit einer demokratischen Diskussion noch mit unserer freiheitlichen Grundordnung vereinbar. Wir haben Jahrhunderte der Repressalien durchlebt, wir haben eine Staatsform geschaffen, die, wenn sie auch sicher von einem Utopia weit entfernt ist, doch zumindest einen Grad an Freiheit und Selbstbestimmung offeriert, der seinesgleichen sucht. Die Anschläge von Paris sind ein Angriff darauf, aber auch dezidiert auf uns Rockfans.

Dabei gehe ich davon aus, dass wir alle in der Lage sind, trotz des Schocks zu differenzieren. Weder sind alle Muslime schuld, noch Flüchtlinge oder Einwanderer. Rockbands gibt es sogar im Iran, im Irak, ja sogar in Saudi-Arabien. So sehr ich mit der Vormundschaft einer jeden Religion verquer liege, so kann ich doch respektieren, wenn jemand anderer Ansicht ist, einem Glauben anhängt, gleichgültig, wie fern mir das persönlich liegt. Für uns alle gilt, dass diese Wahl des Einzelnen solange in Ordnung ist, wie niemand anderes gezwungen wird, andere Ansichten abzulegen und unter Ideologien zu leiden. Kirchenglocken am frühen Sonntagmorgen und tägliche Gebetspausen gehören nicht dazu, aber die Repressionen beginnen schon auf europäischem Boden. Und jetzt wurde uns wieder vor Augen geführt, dass auch wir selbige nicht verschließen dürfen vor Unterdrückung und Terror. Unsere Werte sind es auch wert, verteidigt zu werden. Es mag banal klingen, aber es steht viel auf dem Spiel, es geht darum, sich streiten zu dürfen, auch  über Banalitäten wie SABATON, und die Auswüchse des Black Metal diskutieren zu dürfen, es geht darum, dass Frauen musizieren dürfen, dass es kritische Texte geben darf, dass überhaupt geäußert werden darf, was wir denken.

Es beginnt im Kleinen, aber unsere Freiheit wird an dieser Stelle verteidigt.
Rufe ich jetzt zu den Waffen, oder was soll das Ganze hier? Mitnichten. Was ich möchte, ist einmal meinem Zorn Ausdruck verleihen. Zum anderen möchte ich dazu aufrufen, dass wir alle kurz innehalten und darüber nachdenken, was die Anschläge von Paris für uns alle bedeuten. Nachdenken, bevor wir handeln oder den Mund aufmachen. Denn sie stellen uns allen die Frage, in was für einem Staat wie leben wollen. Und diese essentielle Frage können wir beeinflussen, ohne Waffen. Wir können uns artikulieren, wir haben eine Stimme bei jeder Wahl, wir haben die Möglichkeit, unsere Ansicht genauso laut zu verbreiten wie es Hetzer und engstirnige Idioten tun. Wir müssen nur erst einmal darüber nachdenken, was der richtige Weg ist, um unser Ziel zu erreichen. Und das gemeinsame Ziel einer so heterogenen Gruppe wie wir Rockmusikfreunde es sind ist einfach auf einen Punkt gebracht: Freiheit, zu leben wir wir wollen, und das Recht auf Selbstbestimmung. Diese Freiheit wurde gestern angegriffen, aber sie wird auch schon seit geraumer Zeit erodiert. In Ungarn und auf den Balkan, nicht zuletzt auch in der Türkei, aber so weit müssen wir gar nicht gehen. Der Populismus, der aus Dresden lauter zu uns spricht, als er es verdient, und über deren kalkulierte Provokationen ein gewisses "nicht aufregen" sicher zügig ein Mäntelchen der Vergessenheit breiten würde, muss uns auch Warnung sein. Denn was wir nicht wollen, ist eine Gefahr für unsere Freiheit mit einer anderen bekämpfen, die sich möglicherweise irgendwann als genauso schädlich herausstellen könnte.

Musik verbindet uns. Musik steht über Ideologien. Musik lässt uns fliehen, genießen, entspannen oder auch uns abreagieren. Jede Einschränkung unserer Freiheit widerspricht dem Geist der Rockmusik. Das müssen wir uns vor Augen halten, und von dieser Linie dürfen wir keinen Millimeter abweichen, egal wie groß der Zorn ist, wie stark der Drang nach Rache, nach einer "starken Hand" ist. Die Attentäter von Paris haben gewonnen, wenn wir unseren Lebensstil, persönlich oder als Gesellschaft, ob ihres Einflusses ändern. Was uns vom 13.11.2015 bleiben wird sind zwei Dinge. Die eine ist die Wut, die wir alle empfinden. Das andere ist hoffentlich die Fähigkeit, zu reflektieren und darüber nachzudenken, was wirklich der richtige Weg ist, mit den Vorfällen umzugehen. Der Möglichkeiten gibt es viele, und viele davon scheinen einfach. Aber Rock ist auch nicht einfach, Rebellion ist nicht einfach, und beides erfordert Intellekt.

Die Wut bleibt, und der Kampf gegen den IS wird sicher in ein neues Stadium eintreten. Wir werden ohnmächtig zusehen, wie Staatsoberhäupter und Parteien vieler Länder die Situation für sich auszuschlachten versuchen werden. Aber dagegen können wir Besonnenheit setzen, Verstand gegen Populismus, Standhaftigkeit gegen Demagogie, und der Welt zeigen, dass wir nicht bereit sind, unsere Freiheit zu opfern. Keiner menschenverachtenden Ideologie und keiner vermeintlich leichten Suche nach einem Sündenbock. Die verabscheuungswürdige Tat wird sicher von uns allen ähnlich bewertet werden, aber wir müssen sie auch als das werten, was sie aufgrund der Wahl des Zieles ist: Ein Angriff auf uns alle. Nur werden wir ihm mit Klugheit begegnen, und das ist, was ihn abschmettern wird. Wir können die Taten nicht ungeschehen machen, aber wir können dafür sorgen, dass sie keine weitreichenderen Folgen haben, die unsere Gesellschaft wahrhaft erschüttern würden. Je geringer die Auswirkungen der Anschläge auf unser tägliches Leben sind, desto mehr führen wir den Attentätern ihre eigene Ohnmacht vor Augen.  Wir gehören jetzt dazu, wir sind Teil dieses Kampfes. Unseren Teil können wir beitragen durch Besonnenheit.

Und in unserer Wut dürfen wir dann gewiss sein, dass diese Bestien in Menschengestalt vor noch größerer Wut schäumen werden. Weil sie versagen werden.

Frank Jäger
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Frank Jaeger

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