FARMER BOYS: Ohne Getöse!

13.12.2018 | 23:09

Das neue Album ist da, die Tour unterwegs und sehr erfolgreich. Wie es scheint, ist die Welt der Meinung, dass "Born Again" tatsächlich ein echter Hammer geworden ist. Matthias Sayer und Alex Scholpp haben die FARMER BOYS 15 Jahre nach dem letzten Album und nach einem langen Auslandsaufenthalt mit Musikstudium auf Seiten Matthias Sayers wieder in die Hirne und Herzen der Musikfans gerockt. Reden wir doch mal drüber!

Eineinhalb Dekaden, eine Ewigkeit im Musikbusiness, aber die beiden strotzen vor Selbstbewusstsein und empfinden ihr neues Werk als die bisherige Krönung ihres Schaffens. Ich denke das zwar auch, aber warum meinen es die Kreativen selbst? Matthias sagt: "Wir haben noch mehr Erfahrung und haben es besser auf den Punkt gebracht und wir hatten auch die Mittel, es so zu machen wie wir wollten."
Ich finde ja, dass alles etwas raffinierter klingt. Alex und Matthias zögern und winden sich ein bisschen. "Man darf niemals vergessen, dass "The World Is Ours" damals auf Band aufgenommen wurde", gibt Matthias zu bedenken, "das hat einen grundsätzlich anderen Sound, den kriegt man heute noch nicht hin, deswegen gehen viele Bands zurück und nehmen wieder auf Band auf, die FOO FIGHTERS zum Beispiel." Alex fügt hinzu: "Wir haben uns auch nicht unsere alten Alben angehört, wir wollten einen Neustart. Wir haben einfach gemacht!"

Bei der Listening Session durften wir noch ein paar Bonustracks hören im Anschluss an das Album, aber das war irgendwie seltsam. "Ja, das ist eine Riesenwand, so Arvo Pärt, baltische Klassik, das steht wie eine Götterdämmerung am Ende und dann ist das Ding aus", sagt Matthias. Stimmt, auch wenn die Bonustracks gut sind, aber irgendwie würden die als Bonus-EP besser funktionieren. So gesehen haben sie ihren Sound überarbeitet, aber nicht über Bord geworfen. Glücklicherweise.

"Ja, das ist auch immer subjektiv. Es ist schon etwas vielschichtiger, deswegen konnten wir nicht nur auf Breite, Größe, Lautstärke fahren", sagt Matthias und Alex ergänzt: "Wir haben 2018. Die neue Produktion ist ehrlicher, es ist weniger bearbeitet worden als früher. Wir sind auf den klaren Sound auch ein wenig stolz, der nicht so aufgeblasen ist wie es in den Neunzigern noch angesagt war." Stimmt, das Ganze klingt einfach rockiger, erdiger. Reifer? "Ja, das ist wohl richtig, die Instrumentals sind sehr filmmusiklastig, orchestral angelegt, danach wurde das Songwriting wieder härter." Meint Matthias. "Der FARMER BOYS-Sound ist homogener", bringt es Alex auf den Punkt.

"Wir waren damals eine echte Gang", sagt Matthias, "So etwas wie 'Here Comes The Pain' würde ich heute gar nicht mehr machen mit so einem schwachsinnigen Text. Klar, du wirst selbst Vater, hast selbst mal Kinder und siehst Dinge in anderem Licht als damals mit Mitte Zwanzig. Man war grün hinter den Ohren und zu jeder Schandtat bereit. "Born Again" ist ein persönlicheres Album, während "The World Is Ours" vom Feeling gelebt hat, mit weniger persönlichen Momenten. Früher hat man gesagt, 'Oh Gott, RADIOHEAD, der steht auf der Bühne und weint vor sich hin, aber das ist halt sein Leben, vielleicht hat man ihm früher zu häufig das Mäppchen geleert..." Matthias muss wegen des allgemeinen Gelächters eine kurze Pause machen. "...aber das ist auch eine Art Coming Out als Künstler. Das haben wir auch gesagt, bei "Born Again" ziehen wir das mal von der anderen Seite auf. Ohne dieses Getöse, das man braucht, wenn man eigentlich nichts zu erzählen hat. Gerade im härteren Segment haben das einige Bands, ohne dass ich herablassend sein möchte. Das ist auch wie in der Politik, wo hinter Getöse nichts hintersteckt, die machen eine Riesenshow, aber du fragst dich, was meint der eigentlicht?" Ja, das kenne ich, ich wohne in Bayern, bemerke ich, was zu großer Heiterkeit führt. "Wir haben schon noch eine Wall of Sound, aber ich meine, anders könnte das auch gar nicht klingen, sonst würdest du die Cellos nicht mehr wahrnehmen oder die Harmonien, das wäre alles weggedrängt." Das war auch ausgereizt, oder? "Ja, genau, wir mussten wieder zurück, um Dynamik zu erzeugen, das kommt dann teilweise auch erst beim Abmischen raus."

Abgemischt hat es Bernhard Hahn, nicht wahr? "Ja, genau, der hat auch schon das 'Here Comes The Pain'-Demo abgemischt und alle Demos mit ihm haben uns immer Plattenverträge eingebracht. Damals bei "The World Is Ours" haben wir viele Mischer verschlissen, weil kein Mix so gut klang wie das Demo! Man darf das auch nicht überbewerten, ich kenne durch die Filmmusik so viele Leute, es muss einfach emotional stimmen."

Na ja, wenn man mal bedenkt, wie viele Releases es pro Woche mittlerweile gibt. "Ja, man wird ja überrannt, ich seh das immer beim Streaming, das ist ein Wahnsinn, jeder Hinz und Kunz veröffentlicht sein Album da", stimmt Matthias zu. Da seid ihr natürlich mit Nuclear Blast im Rücken gut aufgestellt. "Ja, klar, wir haben das Ding gemacht und die kamen aufs Konzert und Markus Steiger hatte einen Vertrag dabei und hat sich bemüht, wir haben dann was getrunken und da haben wir ihm dann geschrieben, dass wir das machen würden. Wir hatten noch ein paar andere Möglichkeiten, aber wir haben gesagt, der war da, der will, warum soll ich da ewig rummachen?"

"Ich weiß auch gar nicht, ob die Majors überhaupt noch so wichtig sind. Der physische Tonträgermarkt kollabiert eh, Streaming hat ihn bereits überholt..." Obwohl man da nichts verdient! "Genau, das geht jetzt alles aufs Live-Geschäft. Es wird auch Geld verdient, auch mit dem Abo-Geschäft, es wird aber nur wenig ausgeschüttet an die Künstler." Das gab es aber früher auch schon, da waren es die Manager, die abgegriffen haben. "Ja, einer nimmt es immer. Früher gab es aber auch Künstler, die sind mit einer halben Million Spielschulden zur Polydor nach Hamburg und kamen mit zwei Geldköfferchen wieder raus. Das Geschäft wird nicht untergehen, es verlagert sich nur." Alex merkt an: "Es hat auch positive Aspekte. Es gibt so viel Musik wie noch nie, es wird auch mehr Musik gehört, die Musik ist die ganze Zeit präsent. Ich würde behaupten, dass mehr Musik konsumiert wird als jemals zuvor."

"Ich habe gerade den letzten Soundtrack von Johann Johannsson gehört, der ja leider verstorben ist. Und dann geht da sofort eine Liste auf mit anderen Künstlern und neben den Großen sind da dann auch Künstler, von denen hat du noch nie gehört! Wie Alex sagt, einerseits ist es ein Vorteil, andererseits ist es ein Fluch, das ist eine Überdosis, der man nicht mehr Herr werden kann. Da fehlt dann die Wertschätzung. Das ist wie beim Fußball, früher hast du jedes Spiel angeschaut, heute wirst du zugeworfen, du willst es bald schon gar nicht mehr sehen. Oder bei Serien, ich weiß bald gar nicht mehr, was ich anschauen soll. Da muss man dann fragen, welches Alleinstellungsmerkmal habe ich? Man kann sich dann dahin verbiegen oder ehrlich sein, und letzteres ist natürlich der sinnvollere Weg. Das begreift der Zuhörer auch, das muss nicht einmal der Fan sein."

Genau, wenn man auf ein Konzert geht, kann man die Klassiker alle mitsingen, aber die neuen Lieder hat man vielleicht dreimal gehört, weil man einfach keine Zeit hat. "Ja, das ist echt Orwell, du wirst betäubt, da leidet dann auch dein kultureller Intellekt!" Tut er das tatsächlich? "Ich sehe das eher als Chance", wirft Alex ein, "gute Musik fällt dann auch wieder auf. Oder Serien - die sind alle ähnlich, aber wenn dann wirklich etwas Gutes kommt, bei dem emotional etwas rüberkommt, das merkt man dann schon."

Wir haben früher Demos gehört, x-mal überspielt, bei denen man fast nur noch Rauschen hörte. Heute würden wir das auf einem Streamingdienst in ordentlicher Qualität bekommen. "Du musst es nur finden!", wirft Matthias ein, aber Alex kontert: "Das musstest du früher auch, nur war die Beschaffung viel schwieriger!"
Matthias erzählt: "Unser Drummer, der Tim, ist auch ein Hip-Hop-Fan, der fragte letztens, ob ich CAPITAL BRA kennen würde. Der hat so viele Klicks, den hat die halbe Republik gehört, dann lässt der das laufen und der singt da (Matthias immitiert Hip Hop, was zu allgemeinem Gelächter führt) "Gucci Gucci, Alter, iiisch…", es ist ein Wahnsinn!" Ja, aber das gab es doch früher auch, da wurden Musikstile aus den Charts genommen, damit die nicht die Charts vollmachen. Das war früher genau das gleiche, nur heutzutage sieht man es eben. Alex stimmt mir zu: "Ich sehe das auch so, die Masse ist noch größer geworden, aber das bietet auch Chancen." Matthias wirft skeptisch ein: "Ich bin ja Medieningenieur und habe das alles gehabt. Das einzige, was es nicht gab, war Medienethik. Ethisch wurden nie irgendwelche Fragen gestellt. Als Medienschaffender kannst du heute Leute vollballern, bis der Arzt kommt. Die Frage ist nur: Wie verarbeitet das ein Mensch?" Alex widerspricht: "Das kannst du ja auswählen, man sucht sich aus dem Angebot das Passende raus. Wenn man Musik mag, finde ich diese Vorschlagsleiste klasse!" - "Ach, es ist einfach zuviel!", seufzt Matthias zum Abschluss und damit hat er auf jeden Fall recht. Wenn ich sehe, was bei uns an neuen Veröffentlichungen jede Woche eintrudelt, weiß man, dass das niemand mehr bewältigen kann. Umso schöner, wenn man aus der Masse mal wieder ein Kleinod zieht, das einen so zu begeistern vermag wie mich "Born Again".

(Vielen Dank an Heiko Bendigkeit für eines der Fotos)

Redakteur:
Frank Jaeger

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