Gruppentherapie ADRAMELCH - "Lights From Oblibivion"

27.04.2012 | 22:42

ADRAMELCH? Prog aus Italien? Und er landet auf Platz drei im April-Soundcheck? Was ist denn da passiert? Informiert Euch über Hintergründe, Eindrücke und Meinungen zu ADRAMELCHs "Lights From Oblivion" in unserer Gruppentherapie.

ADRAMELCH! Das ist ein Name, bei dem Prog-Metal-Insider mit der Zunge schnalzen. 1988 hat die italienische Band das Album "Irae Melanox" aufgenommen, welches im Kreise der Kenner als Klassiker des verspielten Knobelmetalls gefeiert und in einem Atemzug mit Alben anderer frühen Ikonen dieses Stils, wie FATES WARNING und QUEENSRYCHE genannt wird. 24 Jahre nach diesem Edelstein servieren uns die Azzuri ein weiteres Juwel Namens "Lights From Oblivion", welches sogleich - zusammen mit STATUS MINOR - einen proggigen Doppeldreier im April-Soundcheck belegt, darunter eine Zehn-Punkte-Wertung von Kollege Holger. Hier die gesammelten Meinungen von ADRAMELCH-Kennern und -Neuentdeckern:

 

cover

 

Auch ADRAMELCH sind eine der alten Kultbands, an die ich nahezu unbelastet rangehen kann. Ein paar Songs von "Irae Melanox" sind mir zwar dunkel bekannt und der Wille, diese Wissenslücke zu füllen, hat nach konzentrierter Einfuhr von "Lights From Oblivion" auch enorm zugenommen. Ein kurzer Gegencheck allerdings bestätigt den Eindruck, dass die Band heute deutlich anders klingt. Größter Störfaktor auf "Irae Melanox" könnte für mich und für viele andere der extrem hohe Klargesang von Vittorio Ballerio sein. Ballerio ist auch heute noch für die Vocals verantwortlich, aber er ist mittlerweile ein gereifter Prog-Rock-Sänger geworden. Immer noch mit viel italienischem Pathos veredelt er die trocken-rockigen Kompositionen mit seiner Zauberstimme, die zu keinen Momenten mehr unangenehme Spitzen und gewagte Experimente erzeugt, sondern einfach nur mit extremem Ausdruck den Hörer in den Bann der Musik zieht. Die Musik selbst ist gar nicht mal so einfach zu beschreiben. Es ist verträumter Prog Rock ohne Synthies, ohne Effekte und ohne weiteren produktionstechnischen Schnickschnack. Die Musik wirkt eher wie live eingespielt, es dominiert ein leicht angezerrter Gitarrensound; ein erdiger und gut hörbarer Bass und ein ungemein echt klingendes Schlagzeug legen den federleichten, eingängigen und dennoch komplexen Groove vor. Es ist fast, als würde man RUSH ohne Technik hören. Es ist also Musik rein und pur, fast kompromisslos authentisch und damit irgendwie auch auf eine eigene Art retro. Ich höre einfach unheimlich gerne zu, vollkommen egal, welcher Song grad spielt. Songtitel sind doch sowieso nichts als Schall und Rauch...

Note: 9/10
[Thomas Becker]

 

Als Kult - und Wahnsinnsscheibe, gar als wegweisend wurde das neue Album der Italo-Progger im Vorfeld ausgeschrieben. Nicht zu vermeiden, dass meinereiner bei solchen Vorworten zu hohe Erwartungen an den Tag bringt. Auch wenn ADRAMELCH, gemeinsam mit STATUS MINOR, den dritten Platz belegen, liegen für mich - nicht nur notentechnisch - Welten zwischen den Rundlingen. Häufig wirken die insgesamt zwölf Stücke von "Lights From Oblivion" zu undurchsichtig, zu verschachtelt und zu undeutlich auf den Punkt gebracht. Prog-Fans werden diese Merkmale in den Himmel loben, doch da ich keiner bin, ist es mein gutes Recht, ADRAMELCH diese Punkte anzukreiden. Sicherlich wirken beispielsweise 'Aelegia', 'Truth Lies...' und 'Beyond A Lifetime' äußerst fantasie- und hingebungsvoll, aber mit dem Sound, teilweise der Stimme von Vittorio Ballerio und der für mich fehlenden Härte komme ich nur schwerlich klar. Missversteht mich nicht, das ist ganz und gar kein Durchschnittsalbum, hier treffen nur durchaus positive Aspekte wie die unbändige Spielfreude, der Ideen- und Facettenreichtum auf, in meinen Augen und Ohren, negative Punkte, die ich bereits angesprochen habe. Langeweile kommt beim besten Willen nicht auf, wer jedoch Ekstase, Euphorie und Enthusiasmus bei mir erwartet, sollte eher auf den anderen Drittplatzierten schielen.

Note: 6,5/10
[Marcel Rapp]

 

Bandphoto von Homepage

Was mich im Zusammenhang mit der neuen ADRAMELCH ein wenig wundert, ist, dass allerorten darüber geredet wird, dass die Scheibe zwar kaum mehr metallisch, aber trotzdem toller Progressive Rock sei. Nun, das kann ich so nicht unterschreiben, denn für meinen Geschmack ist das durchaus metallisch genug, wenn auch auf eine andere Art als etwa "Irae Melanox". Aber ganz egal, wie man das Kind nun nennen mag, den Italienern ist mit ihrem dritten Album "Lights From Oblivion" ein sehr feines Werk gelungen, das mit wunderschönen Gitarrenarrangements zwischen Elektrik und Akustik, zwischen klar und verzerrt, mit ausgefeilten Melodien und verspielten Kompositionen eine verzaubernde Atmosphäre erzeugt, die durch den teils mittelalterlich phrasiert anmutenden Gesang um eine märchenhafte Dimension erweitert wird. Für meinen Geschmack dürfte hier und da das instrumentale Schwelgen etwas reduziert sein, aber das ist kein nennenswerter Kritikpunkt, denn gerade bei akustisch geprägten Meisterstücken wie 'King' ist es einfach eine Freude, dem Gitarrenspiel und der reduzierten und dennoch sehr effektiven rhythmischen Begleitung zu lauschen. Wer die letzten beiden Werke von DARK QUARTERER mochte, JETHRO TULL zu seinen Lieblingen zählt und zudem für folkloristische Akustikgitarren eine Ader hat, der liegt bei der neuen ADRAMELCH goldrichtig, und je öfter ich die Scheibe höre, desto mehr frage ich mich, ob ich sie mit den acht Punkten im Soundcheck nicht fast etwas zu knapp gehalten habe.

Note: 8/10
[Rüdiger Stehle]

 

Mit "Lights From Oblivion" ist ADRAMELCH eine wirklich schöne, dem feinen Gehör schmeichelnde Platte gelungen, die sich stilistisch in der Schnittmenge von Progressive Rock und erwachsenem Metal bewegt. Der warme, schnurrende Gitarrensound, die melodisch wertvollen, facettenreichen Soli, der angenehme, gefühlvolle Gesang und die sauber ausgearbeiteten Arrangements laden zum Verweilen und Genießen ein. Die Musik bewegt sich auf konstant hohem Niveau und macht deutlich, dass hier erfahrenen Könner am Werke sind. Zudem geben die allgegenwärtigen Akustik-Gitarren dem Sound der Italiener eine leicht melancholische Note. Was mir zu einer Spitzenwertung fehlt, sind die ganz großen Spannungsbögen, die wohl gesetzten dramaturgischen Akzente, das letzte Quäntchen Entschlossenheit und Biss. Der tolle Opener 'Lights' und das stimmungsvolle 'Islands Of Madness' zum Beispiel weisen hier den Weg zur finalen Glückseligkeit, während andere Songs doch etwas selbstverliebt und ziellos aus dem Äther plätschern. Im mittleren Drittel muss man schon einiges an Konzentration aufbringen, um voll bei der Sache zu bleiben. Dennoch sei Genre-Anhängern dieses Album nahezu bedingungslos empfohlen, da es in seiner Gesamtheit von erlesener und tiefgründiger Klasse ist. Adrenalin-Junkies hingegen schauen sich vielleicht besser nach Alternativen um.

Note: 8,0/10
[Martin van der Laan]

 

vittorio

Eine der Kultbands, die ich damals total verpasst habe, sind ADRAMELCH. Und als ich dann das Geheule und Gedudel auf "Irae Melanox" hörte, konnte ich die Lobeshymnen nicht nachvollziehen. Aber "Lights From Oblivion" ist aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Die Kompositionen wirken gereift, ausgefeilt, akzentuiert. Metal oder Rock, egal, was zählt ist auf dem Platz. Dass sie nämlich das Ungestüm früher Zeiten verloren haben, ist gut. Eingetauscht haben sie es nämlich gegen Melodiegespür und Feinsinn, der sich eben nicht in wilden Instrumentalfahrten verliert. Die zurückgenommene Härte lässt die Songs besser zur Geltung kommen, und dass Vittorio Ballerio singt statt zu kreischen, gibt der Musik auch Luft zum Atmen. Ja, das könnte der Wegbereiter sein, der mich "Irae Melanox" doch nochmal aus dem Regal holen lässt, denn wer so etwas schaffen kann, kann ja auch früher nicht vollständig unfähig gewesen sein. Und wenn doch, genieße ich eben "Lights From Oblivion" noch einmal und gebe mich dem Progkitsch hin, der nur in 'King (Of The Rain Of Tomorrow)' in NANOWAR-Gefilde abrutscht.

8,0/10
[Frank Jaeger]

 

 

logo

Es ist schon interessant zu lesen, wie unterschiedlich Musik offenbar wahrgenommen werden kann. Ich für meinen Teil kann nur staunend mit dem Kopf schütteln, wenn ich Franks & Thomas' Einschätzung lese, dass Vittorio auf "Irae Melanox" geheult hätte oder überhaupt ein Schwachpunkt war. Für mich ist seine markante Stimme einer der Gründe, warum "Lights From Oblivion" nach einem Ton als ADRAMELCH zu identifizieren ist. Erstaunlich, dass man das auch anders sehen kann. Ohne diese Stimme wäre ich zumindest nicht sicher, ob ich ADRAMELCH 24 Jahre nach dem Kultwerk wiedererkannt hatte, zumal ich den ebenfalls schon neun Jahre alten Vorgänger "Broken History" viel, viel zu selten gehört habe. Ganz sicher ein Fehler. Denn "Lights From Oblivion" ist das leichtfüßige, verspielte, aber doch auch durchaus rockige Album geworden, das hier schon in der Breite gewürdigt wurde. Auch das von Rüdiger erwähnte Wachstumspotenzial ist absolut vorhanden. Von daher ist es im Grunde völlig egal, ob ihr die Italiener wie der Kollege Holger Andrae schon seit Anbeginn der Zeit vergöttert, wie der Autor zu Beginn dieses Jahrtausends auf die Band aufmerksam geworden seid oder erst jetzt mit ihnen in Berührung kommt. Wenn ihr eigenständigen, stets traditionellen Metalwerten treu bleibenden Progressive Rock hören wollt, dann werdet ihr an ADRAMELCH nicht vorbeikommen.

Note: 8,5/10
[Peter Kubaschk]

Redakteur:
Thomas Becker

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