Gruppentherapie: MYRATH - "Tales Of The Sands"

12.11.2011 | 12:58

MYRATH aus Tunesien räumen beim Oktober-Soundcheck den dritten Platz ab, stehen vor einer Tour mit ORPHANED LAND und ernten in unserer Redaktion sowohl sehr gute als auch weniger euphorische Kritiken. Lest selbst...

Wenn ich zumindest meine bisherigen Soundchecks Revue passieren lasse, so muss ich doch feststellen, dass es selten abwechslungsreicher auf dem Treppchen aussah. So haben wir nach einem Thrash-Inferno und einem mehr als unterhaltsamen US-Power-Metal-Spektakel doch nun auf dem dritten Platz einen Beitrag, der sich nicht immenser von den Siegern hätte entfernen können. So sagten mir MYRATH vor dieser "Tales Of The Sands"-Veröffentlichung rein gar nix, erwartete ich bei diesem Bandnamen, warum auch immer, doch feinsten, schwarzen Düster-Metal. So kann man sich täuschen, bestechen die Herren aus der "Metal-Hochburg" Tunesien doch mit stark progressiven Klängen und einem kräftigen Oriental-Touch. So entwickeln sich nur vom Bandnamen her doch gewisse Parallelen zu ORPHANED LAND und eines haben MYRATH mit den Israelis jedenfalls gemein: Sie können mich beide mit ihren Oriental-Progressive-Metal nur bedingt bis leider gar nicht berühren. Sicherlich sind die Stücke allesamt herausragend komponiert und so erwisch ich mich ein ums andere Mal auch beim Kopfnicken und Fußwippen. Doch richtig hängen bleiben Stücke wie das eröffnende 'Under Siege' oder der vor Tempowechseln nur so strotzende Titeltrack jedenfalls nicht. Schade, beherrschen die Nordafrikaner ihr Handwerk doch bestens und klingen mit ihrer Besonderheit doch wahrlich gut. Beste Beispiele sind hierfür das äußerst hart klingende 'Wide Shut' und mein persönliches Highlight 'Beyond The Stars'. Jedoch, und da lege ich die Hand auf mein Herz, ist "Tales Of The Sands" doch bei weitem nicht die erste Progressive-Platte, die bei uns mächtig einschlug, mich als alten Miesepeter und Musikmuffel, der an allem und jedem etwas auszusetzen hat, völlig kalt ließ. Vielleicht liegt es aber auch an dem etwas gewöhnungsbedürftigen Sound, wer weiß. Gut, dass Geschmäcker unterschiedlich sind, nicht wahr?

Note: 6,5/10
[Marcel Rapp]

Progressive Metal aus Tunesien? Ohne Hörprobe wäre ich hier skeptisch. Warum eigentlich? Das frage ich mich spätestens seit der ersten Rotation des vorliegenden Rundlings von MYRATH. Die Band spielt musikalisch ausgezeichnet umgesetzten Progressive Metal mit knackigen Gitarren, teils sprudelnden Keyboard-Melodien, der zudem auch klanglich fein in Szene gesetzt wurde. Die Herkunft der Band findet selbstverständlich auch in der Musik ihren Niederschlag. Und so sind eingängige Stücke wie der hervorragende Opener 'Under Siege' gekonnt mit orientalisch klingenden Melodiebögen ausgeschmückt, die stets überzeugend eingeflochten sind und nie penetrant aus den Lautsprechern tönen. Sänger Zaher Zorgati agiert gekonnt und vor allem weitestgehend in akzentfreiem Englisch am Mikrofon. Er verleiht mit seiner gelegentlich angenehm rauen Stimme den Songs eine gewisse Aura. Die wohldosierte Hinzunahme klassischer tunesischer Streich- und Blas-Instrumenten bereichert den Sound der Band und rückt sie natürlich ein wenig in die Nähe von ORPHANED LAND, die mir gegenwärtig als einzig ähnlich musizierende Band in den Sinn kommt. Im Fortgang dieser Scheibe ist es vor allem das hart riffende 'Wide Shut', das mit seiner leidenschaftlichen orientalischen Rhythmisierung, einem prägnanten Chorus und tollen Keyboards begeistert. Mit 'Time To Grow' gibt es außerdem ein sehr eingängiges, leichtfüßiges Stück am Ende dieses Werkes zu genießen, das auch ohne traditionelle tunesische Einflüsse vor allem eines ist: Einfach rundum tolle Musik! MYRATH haben mit "Tales Of The Sands" ein starkes Album am Start, das Progger auf jeden Fall anchecken sollten.

Note: 8,5/10
[Martin Loga]


Es mag vielleicht zunächst mal überraschen, aber ich bin der Meinung, dass MYRATH das an allzu vielen Stellen eingeschobene orientalische Gedudel auf Dauer eher schadet als hilft. Okay, man kann sich natürlich leicht eine gewisse anfängliche Aufmerksamkeit verschaffen durch Andersartigkeit und Bezüge zur kulturellen Identität der Heimat. Oder zumindest zu dem, was der Rest der Welt dafür hält, im Grunde machen RAMMSTEIN nichts anderes. Aus Tunesien muss dann halt Bauchtanz-Metal kommen. Das allein reicht vielleicht für einen Achtungserfolg. Dabei kämen MYRATH auch gut ohne den aufgesetzten Exotenbonus aus. Oder präziser gesagt: Ich finde "Tales Of The Sands" dann gut, wenn der orientalische Touch nur als Farbschattierung für einen tollen MeloProg-Metal-Song wie 'Under Siege' eingesetzt wird. Wenn er zum Selbstzweck verkommt, wie beim eher zähen Titelsong, mag ich nicht mehr folgen. Manchmal gelingt die Synthese auch ziemlich gut, wie bei 'Sour Sigh', das weniger bemüht wirkt um die wohlfeilen synergistischen Effekte zwischen den Klangkulturen als die eine oder andere eher abenteuerliche Exkursion dieser Platte. An Ende des Tages bleibt hier ein wirklich gelungenes, gutes Album im Stile vom KAMELOT und Konsorten übrig, das letztlich weder entscheidend davon profitiert noch darunter leidet, dass ein paar Magreb-Schlager-Motive in den Metal-Sound eingemischt werden. Wenn sich die Komponisten und Arrangeure von MYRATH auf die hohe Kunst des Songschreibens konzentrieren und Effekthascherei jeglicher Art lediglich als Verfeinerung benutzen, könnte hier etwas ganz Großes entstehen.

Note: 7,0/10
[Martin van der Laan]

Dass orientalische Klänge und Metallmusik gut zusammen passen können, weiß inzwischen auch der gemeine Mitteleuropäer. Von daher ist die neue Scheibe der Tunesier MYRATH auf jeden Fall einen genaueren Hinhörer wert. Wenig überraschend ist es da, dass vor allem Melodien, Instrumentierung und Gesangslininen deutlich orientalisches Flair versprühen, was natürlich die besondere Note im Klangbild ist, die das Album von der Masse anderer Genrevertreter abhebt. Dennoch geht "Tales Of The Sands" das (für unsere Ohren vermeintlich) Frische dieses Ansatzes irgendwann verloren, da einige Songs scheinbar nicht viel mehr zu bieten haben als diese zugegebenermaßen gelungene Verquickung aus progressivem Power Metal und orientalischen Klängen. Dabei gibt es durchaus auch prickelnde Passagen (meistens die etwas heftiger ausfallenden), z.B. der treibende Anfang von 'Beyond The Stars', die auch ohne das vordergründige orientalische Element vollends überzeugen können. Vielleicht ist das Ganze insgesamt einfach ein Stück zu melodisch und eingängig ausgefallen, mit einer paar mehr Widerhaken und einer charakteristischeren Stimme (mit der man aus den tollen Gesangslinien noch einen Tick mehr hätte herausholen können) müsste man "Tales Of The Sands" sicherlich nicht auf seine 4-5 wirklich gelungenen Stücke reduzieren. Jene machen die Platte wirklich formidabel, einprägsam und packend. Ansonsten fehlt MYRATH zumindest hin und wieder das Herausragende, das andere Vertreter der orientalischen Rockmusik wie THE KORDZ oder ORPHANED LAND (die trotz eines nicht durchweg überzeugenden letzten Albums natürlich immer noch zu den Guten zu zählen sind) auf der Habenseite verbuchen können. Ein paar hervorragende Songs wie 'Braving The Seas', 'Merciless Times' und 'Dawn Within' geben die Richtung vor, dennoch fehlen am Ende ein paar Prozentpunkte zur uneingeschränkten Kaufempfehlung für Freude des Oriental Metal.

Note: 8,0/10
[Stephan Voigtländer]


Was die gekonnte Verflechtung von orientalisch klingenden Meodien und eingängigem Metal angeht, kann ich Kollege Loga nur beipflichten, und auch die Stimme von Zaher Zorgati kann mich vollauf überzeugen. Nie divenhaft in den Vordergung drängend, sondern sich songdienlich den gekonnten Instrumentalläufen anpassend, agiert der Sänger als großer Einiger der meist üppigen Arrangements - wobei üppig hier nie überladen meint. Im Bombastsegment sucht man derlei ausgeglichene, mitunter fast schon subtile Kompositionen meist vergeblich. Andrerseits fehlt mir auf "Tales Of The Sands" dann doch wieder das prägnante, den Songs einen unverkennbar nachklingenden Stempel aufdrückende Element. Will sagen: Gelegentlich orientiert sich MYRATH für meinen Geschmack fast schon zu sehr an traditionellen Werten. Für jene auch dem angeproggteren Sound von Bands wie ORPHANED LAND, THE TEA PARTY oder auch RIVERSIDE zugeneigte Fraktion der Epic- & Power-Metal-Hörerschaft, die auch im Oriental-, Folk- und Prog-Metal nicht auf den Fettdruck im METAL-Bestandteil des Genres verzichten mag, sollten die Sandgeschichten jedoch genau das Richtige sein. Sie dürfen gerne noch ein bis zwei Punkte auf meine Wertung draufschlagen.

Note: 6,5/10
[Eike Schmitz]

Redakteur:
Stephan Voigtländer

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