Gruppentherapie: OLIVA - "Raise The Curtain"

15.07.2013 | 20:05

Der Bergkönig landet mit seiner neuen Solo-Scheibe weit hinten im Soundcheck, wie konnte das passieren?

In unserer Redaktion finden sich viele SAVATAGE-Jünger, aber auch das Schaffen Jon OLIVAs abseits der Power-Metal-Institution hat viele Freunde. Doch ausgerechnet das erste Album, das er "nur" unter diesem Namen veröffentlicht, spaltet die Gemüter. Selbst unserem Jon-Oliva-Jünger Dennis ist "Raise The Curtain" lediglich schlappe 6,5 Punkte wert. Die breit gestreuten Meinungen der Redaktion lest ihr in unserer Gruppentherapie!



JON OLIVA ist eine lebende Legende. Der Name steht für grandiosen, beinah schon legendären US-Power-Metal, für dramatische Song-Arrangements, für gefühlvolle Balladen und für theatralischen Bombast der besseren Sorte. Egal ob der "Mountain King" nun mit SAVATAGE Berge in Bewegung brachte, mit seinem eigenen "Schmerz" dieses Erbe weiterführte oder mit dem TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA (TSO) die Menschheit in Weihnachtsstimmung versetzte, auf seinen Spürsinn für großartige Musik konnte man sich stets verlassen. Nun macht er mit seiner ersten Solo-Veröffentlichung den wohl mutigsten und größten Schritt in seiner Karriere: SAVATAGE, JON OLIVA’S PAIN, TSO und DOCTOR BUTCHER müssen sich hinten anstellen, auf "Raise The Curtain" driftet der Fluss stark in progressive Seventies-Rock-Gewässer, die dem Herren jedoch nicht unbedingt schlecht stehen. Auch wenn die Eingewöhnungszeit immens, die Songs teilweise äußerst sperrig und schwer verdaulich sind, so gibt es mit u.a. 'Soul Chaser', dem leicht funkigen 'Father Time' sowie dem balladesken 'I Know' mehr als nur brauchbares Material. Dass die neue Sparte OLIVAs nicht meine liebste ist, dürfte bekannt sein. Dafür ist mir jene Gesinnung zu verstaubt und fremdartig. Dennoch muss auch ich Jungspund anerkennen, dass "Raise The Curtain" ein ordentliches und überaus überraschendes Rock-Album geworden ist, welches man in dieser Form wohl nicht erwartet hätte.

Note: 7,0/10
[Marcel Rapp]

Ich bin mit dem Schaffen Jon Olivas ins keiner Weise ernsthaft vertraut. Die hohen Erwartungen, die einige Redaktionskollegen hatten, habe ich also nicht geteilt. Enttäuscht wurde ich aber ebenfalls. Denn schon das Intro 'Raise The Curtain' ist, äh, sehr speziell. Eigentlich möchte man die Platte gar nicht weiter hören. Aber gut, ich wage es und ganz so fragwürdig wie das Intro geht es zum Glück nicht weiter. Schon das eingängige 'Soul Chaser' kommt mit einem treibenden Beat daher und einem wirklich stimmkräftigen Jon Oliva. Die Gesangsleistung ist es auch, die "Raise The Curtain" vor einer tieferen Benotung rettet. Was hier geleistet wird, ist bemerkenswert. Leider bleibt von einem Großteil der Songs nichts hängen, hier fehlt es an einer ordentlichen Priese Pepp. 'Big Brother' ist mit Abstand der "härteste" Track und steht OLIVA ausgezeichnet. Warum nicht mehr davon? So ist "Raise The Curtain" ziemlich ernüchternd und kein Album, das man hören muss.

Note: 6,0/10
[Jakob Ehmke]



Ja, Jakob, wüsste ich es nicht besser, dann hegte ich mit Sicherheit auch den bösen Verdacht, dass ihr Kameraden nach dem nervigen Titel-Intro tatsächlich schon die Ohren eingeklappt und die Scheibe in die Tonne gehauen habt. Auf jeden Fall bin ich erstaunt, um nicht zu sagen geschockt, dass die Scheibe bei keinem Soundchecker richtig zünden konnte. Wenn ich als Einziger einer solchen Legende mehr als sieben Punkte gebe, dann ist irgend etwas seltsam. Dabei mag ich noch sogar verstehen, dass nicht jeder auf wabernde Siebziger-Synths steil geht, und mancher sich an zu viel Pathos und Tränendrüse stößt. Dass es aber an Hits oder gar an eingängigen Songs überhaupt fehle, und dass nichts hängen bleibe, das mag ich so nicht stehen lassen. Für mich beweist der Meister nämlich auf "Raise The Curtain" einmal mehr, dass er dieses goldene Händchen für gespenstisch eingängige und dabei doch anspruchsvolle Songs, für königliche Hooks und für perfekte Refrains hat, und dass er diesen Trumpf hier mehrfach ausspielt. Trotz einer gewissen Beschaulichkeit komponiert, spielt und singt Jon Oliva noch immer in seiner eigenen Liga. Damit ist er nach wie vor ein Garant für herausragend emotionalen Gesang und tolle Songs, und er vermittelt mir stets den Eindruck, uns sein eigenes Leben vorzusingen, was mich inzwischen seit zwanzig Jahren unheimlich fesselt.

Note: 8,5/10
[Rüdiger Stehle]



Stimmt, Rüdiger, "Raise The Curtain" ist in gewisser Weise ein typisches Jon-Oliva-Werk - andererseits aber eben doch wieder nicht. Deshalb kommt Marcel, der offenbar lieber "Hall Of The Mountain King Reloaded" hören würde, auch nicht wirklich in Wallung. Und tendenziell geschichtsvergessene Kollegen wie Jakob, die gute Musik auch gerne mal bei den Betonmischern und Presslufthämmern finden, werden sich mit einer im besten Sinne des Wortes altmodisch-warmblütigen Platte wie "Raise The Curtain" wohl nie anfreunden können. Für mich klingt dieses Album zunächst mal wie ein spannendes Experiment: Was passiert, wenn Jon die SAVA- und JOP-Fesseln abschüttelt und sich kompositorisch einfach mal gehen lässt? Dann kommt noch deutlicher zutage, womit er schon seit langem seine fest im US-Metal verwurzelten Hauptwerke anreichert und so besonders macht. Da ist zunächst dieses morbide Theaterflair, dann diese ungebändigte, aufgewühlte Orgel, jazzy groovy funky Bläser schauen auch mal rein. Dazu kommt des Meisters unverwechselbare, immer bis an die Schmerzgrenze emotionale Stimme, die zwischen wehmütig und ekstatisch in allen Gefühlslagen gleichermaßen zu Hause ist. Auf "Raise The Curtain" stehen nicht der eingängige, plakative Refrain und das markante Killer-Riff im Mittelpunkt, sondern die Lust an der Erkundung der musikalischen Seele. Wenn das dann zu unorthodoxen Songs wie 'Stalker' oder Prog-Rock/Metal-Abfahrten wie 'The Witch' führt, dann mag das den einen oder anderen überfordern. Ich selbst, glühender Oliva-Verehrer seit über einem Vierteljahrhundert, finde das alles total aufregend und faszinierend. Genau so ein persönliches und freies Album habe ich mir von diesem großen Komponisten und Musiker gewünscht - und bin doch bei jedem Durchlauf wieder überrascht, was in der Wundertüte "Raise The Curtain" so alles drin steckt. Ich weiß aus Erfahrung, dass einem das eine oder andere, etwas schwierigere Kleinod schon mal durch die Lappen gehen kann, wenn man 25 Alben für einen Soundcheck sinnvoll bewerten muss/darf - daher kein Vorwurf an die werten Kollegen. Aber liebe Leser, bitte gebt diesem Album eine echte Chance und entdeckt Song-Perlen wie 'Soul Chaser' oder 'Father Time' für Euch.

Note: 9,0/10
[Martin van der Laan]


Die Wahrheit steckt, wie so oft, in der Mitte. Die 9,0 Punkte schocken mich wirklich, Kollege Thunderlaan, denn auch ich darf mich langjähriger Oliva-Fan schimpfen (seit der "Power Of The Night", um genau zu sein), aber da muss ich die rosarote Brille dann doch abnehmen. Denn, abgesehen von der Tatsache, dass offensichtlich alle hier das QUEEN-Memorial-Intro genauso nervig finden wie ich, bedeutet der Fakt, dass Jon experimentiert, nicht gleich eine hohe Wertung. Wobei ich betonen muss, dass 7,0 mitnichten eine schlechte Note ist! Ich werde mir das Album ganz sicher in meine Sammlung einreihen. Aber "Raise The Curtain" kommt trotzdem nicht an die großen SAVA-Sachen ran, und schon allein, um die Relation zu wahren, muss das neueste Album eine niedrigere Wertung erhalten. Sonst verwirren wir die Fans doch nur! Ansonsten stimme ich aber zu: Die seltsam platzierten Orgelklänge, die 'Soul Chaser' außergewöhnlich machen, die Bläser in 'Ten Years After', der Retrostil von 'Father Time', das alles ist interessant, spannend und ungewöhnlich. Aber ganz ehrlich: leider sind nicht alle Songs so, und obendrein ist ungewöhnlich nicht immer gleichzusetzen mit großartig. 'I Know' ist nur deshalb gut, weil Jon singt, 'Armageddon' macht viel zu sehr auf QUEEN mit Stakkato-Riffing, 'Soldier' ist ein langweiliger Flower Power-Song, Stalker ist sehr experimentell, es fehlt aber der große Chorus, der die Teile zu einem Ganzen verkleben könnte. Dass bis auf 'Raise The Curtain' und 'Soldier' keine Totalausfälle dabei sind, gleicht aus, dass eben nicht jeder Song ein Volltreffer ist und hält das Album bei einer guten Note, vielleicht am besten mit Zusatz: Das hier ist eine spannende 7!

Note: 7,0/10
[Frank Jaeger]


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Soundcheck 06/13

Review von Dennis Hogrefe

Redakteur:
Nils Macher
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