Gruppentherapie: RIVERSIDE-"Shrine Of New Generation Slaves"

24.01.2013 | 07:22

RIVERSIDE können sich auch mit "Shrine Of New Generation Slaves" wieder auf dem Treppchen des Soundchecks behaupten. Dabei sind sie so weit weg vom Metal wie noch nie. Lest die Gruppentherapie!




Man konnte sich zuletzt des Eindrucks kaum erwehren, dass RIVERSIDE mehr und mehr zu Everybody's Darling werden - zumindest unter eingefleischten Progressive-Rock/Metal-Liebhabern. Nun ist es in der Tat so, dass sich dieses Quartett aus Warschau wie kaum ein anderer Genre-Vertreter darauf versteht, authentische Emotionalität, wohlig warmes Rock-Feeling und melodische Eleganz miteinander zu verbinden. "Shrine Of New Generation Slaves" steht seinen Vorgängern in diesen Punkten kaum bis gar nicht nach. Diejenigen Elemente allerdings, die bisher verhindert haben, dass RIVERSIDE sich einen festen Platz auf meinem ganz persönlichen Prog-Olymp erobern konnten, sind auch noch vorhanden. Ich gieße es mal in die Form einer einfachen, provokanten Frage: Warum nur hören die nach ein, zwei richtig tollen Songs immer wieder auf zu spielen und wabern sich durch ein paar Minuten gepflegt-verträumte Ereignislosigkeit? Ist natürlich etwas übertrieben, denn auch die ruhigen Passagen haben durchaus ihren Reiz. Aber ein Album voll mit Songs vom Kaliber eines 'Celebrity Touch' oder 'New Generation Slave' wäre mir noch lieber gewesen. Oder gebt mir bitte eine sechsminütige Essenz aus den großartigen Momenten des Longtracks 'Escalator Shrine', das Ergebnis müsste vor Spannung fast zerspringen! Und wo wir gerade dabei sind: Von 'Deprived (Irretrievably Lost Imagination)' hätte mir die zweite Hälfte völlig ausgereicht. Ich weiß wohl, dass beinharte Fans gerade die phasenweisen Flirts von Post und Prog Rock an dieser Band besonders schätzen (ganz genau so ist es, Herr van der Laan, TB). Mich strengt das eher an. Was mich aber nicht daran hindert, zu erkennen, dass RIVERSIDE das, was sie machen, sehr gut machen. Allein die Klangfarben von Gitarre und Gesang erzeugen eine ganz besondere Atmosphäre, in der sich mehrere Jahrzehnte niveauvoller Rockmusik zu spiegeln scheinen.

Note: 8,0/10
[Martin van der Laan]


Der progophile Leser unserer Zeilen wird sich nun bestimmt fragen, was der Stehle denn gefrühstückt hat, dass er DANTE zehn Punkte kredenzt und RIVERSIDE mit lumpigen sechs Zählern abspeist. Nun, vermutlich habt ihr mich überführt und ich habe von Prog im Zweifel keine Ahnung. Oder ich bin einfach zu sehr Metalhead, um die ruhigen, entspannten, atmosphärischen Schwerpunkte dieser Band genießen zu können. Es sei betont, dass ich "Shrine Of New Generation Slaves" auf gar keinen Fall schlecht finde. Mariusz Dudas Gesang ist weitestgehend großartig, ganz gleich ob seine natürliche Stimme nun clean und reduziert  erklingt, oder ob sie mit Hall und Echo belegt in sphärische Dimensionen gleitet. Die feinen DEEP-PURPLE-Referenzen sind aller Ehren wert, und auch die atmosphärische Dichte des Albums ist beeindruckend. Es lädt zum Versinken und zum Verharren ein, wenn man die Muße dazu hat. Mir fehlt es dieser Tage offenbar genau daran, sodass ich das Album zwar auf seine Weise beeindruckend finde, dann aber schnell von zu langen und zu verspielten instrumentalen Klimpereien und Schwelgereien ermüdet bin und mir ein paar zünftige Riffs auf die Glocke wünsche, um das Valium aus den Ohren zu spülen. Das bekomme ich ein wenig zu selten, wobei ein Song wie die tolle 70er-Verneigung 'Celebrity Touch' hier eine wohltuende Ausnahme ist. Somit bleibt hier aus meiner Sicht toll gemachte Musik, die aber zu selten die Stimmung transportiert, nach der mich derzeit dürstet, wenn ich Musik hören möchte.

Note: 6,0/10
[Rüdiger Stehle]





Ich kann mich halbdunkel erinnern, dass der Name der Polen RIVERSIDE hier in der Redaktion mit hoher musikalischer Qualität assoziiert wird. Sind sie also eine Konsensband, die auf einem so hohen Niveau agiert wie TOOL, AMPLIFIER, OCEANSIZE oder gar OPETH ? Ein Test muss her!
Das, was ich hier zu hören bekomme, hört sich durchaus nach einer durchdachten, abwechslungsreichen und spannenden Geschichte an. In 'The Depth Of Self-Delusion' hänge ich richtig mit drin, mein inneres Auge sieht förmlich diese filigranen, vollharmonischen, fast etwas zittrig anmutenden Gitarrenwechsel.  Die Musik ist rundum sensibel gespielt und gefühlvoll umgesetzt, selbst wenn es mal heftiger wird, wie in 'Celebrity Touch', in dem sich Tasten und Saiten ein wirbelndes Duell liefern. Die Singstimme ist sehr präsent und dominierend, der Herr kann sich das aber auch leisten, denn seine Stimme bräuchte eigentlich keine studiotechnische Aufarbeitung wie zum Beispiel die feinen Halleffekte bei den ruhigen, überleitenden Stellen. Die vielfachen Wechsel in Stimmung und Intensität stehen den Polen gut. Auch Stellen,  wo die Stücke vor sich hinzuschwingen scheinen, wirken nicht gekünstelt. Im Gegenteil, sind das sogar die eindrucksvollsten Momente dieser schönen Platte. Als Beweis kann ich 'We Got Use To Us' auch den absolut Unbefangenen als Schnell-Zugang zu diesem Quartett empfehlen. Wer waren noch mal DREDG?
Wer mit dem oft bemühten Begriff des Prog Rock so seine Einordnungsprobleme hat, ist erstens nicht allein und hat zweitens mit RIVERSIDEs Alben eine sehr gute Orientierung, worum es da geht.  Der große Kosmos packender Rockmusik kann mit RIVERSIDES "Shrine Of New Generation Slaves" besten Gewissens angeflogen werden.

Note: 8,0/10
[Mathias Freiesleben]


Bei der Bezeichnung Artock oder Artmetal verdrehe ich genervt die Augen, es ist schlicht und ergreifend nicht meine Baustelle. Und dennoch steht die ruhigere Ausrichtung auf "Shrine Of New Generation Slaves" den Jungs von RIVERSIDE erstaunlich gut, sodass ich mir nicht auf die Finger hauen muss, wenn ich eine durchaus positive Note zücke. Woran liegt das? Mein Kollege Thomas bringt es in seinem Hauptreview auf den Punkt: Es sind die vermehrten Orgel-Spielchen und die etwas rockigeren Passagen, die an klassische Zeiten erinnern. Dies gefällt dem Rezensenten sehr, auch wenn er zu Beginn etwas distanziert an das fünfte Werk der Polen herangestürmt ist.  RIVERSIDE präsentierten sich auf früheren Werken in Hinblick auf tolle Melodien und Spannungsbögen zwar gewaltiger, doch die vergleichsweise gelassenere Aura des neusten Werkes steht den Jungs meiner Ansicht nach besser. Die Songs wirken ungezwungener, abgerundeter und in sich stimmiger. Auch wenn ich geschmacklich nicht an das progressive Ufer schwimme, so kann ich mir "Shrine Of New Generation Slaves" auch mehrmals hintereinander antun, ohne verzweifelt nach Kopfschmerztabletten zu suchen. Das ist ein hohes Qualitätsmerkmal, was man RIVERSIDE zuschreiben muss. Kein Wunder also, dass dieses Werk redaktionsintern und -extern derart gefeiert wird.

Note: 7,5/10
[Marcel Rapp]





Nun aber mal genug der gedämpft-europhischen Worte! Meine Lieblingspolen begehen mit "Shrine Of New Generation Slaves" klanglich neues Terrain, weg vom modern-sterilen "Anno Domini High Definition" und ihrem ureigenen Sound der ersten drei Platten, hin zu leicht ruhigeren Tönen mit einem Schuss 70er und Jazz. Dennoch merkt man sofort, dass man es hier mit RIVERSIDE zu tun hat: Die Vocals von Mariusz Duda sind wunderbar wie eh und je, die Instrumentalfraktion und vor allem das Songwriting sind ebenso unverkennbar. Letzteres verzaubert mich auch auf der neuen Platte immer wieder aufs Neue. Da macht es an dieser Stelle für mich auch keinen Sinn, einzelne Songs anzuführen, denn RIVERSIDE packen mich in nahezu jeder Sekunde. Die einzelnen Leads, die kurzen Ausbrüche, die Passagen des weiten Nichts, der zerbrechliche Gesang, das verträumte Element: es fügt sich alles wunderbar homogen zusammen. Zwei Halbnoten Abzug gibt es lediglich dafür, dass man hier und da auch gerne mal kräftig in die Saiten hätte hauen können und die Band auf den ersten drei Alben noch besser war.
Vor Kurzem habe ich gemeinsam mit dem Kollegen Becker festgestellt: RIVERSIDE sind nicht Metal im Sinne von Metal. Und auch nicht Prog im Sinne von Prog. Aber toll im Sinne von toll. Die ersten beiden Aussagen sind verhandelbar - die letzte nicht.

Note: 9,0/10
[Oliver Paßgang]


RIVERSIDE ist eine tolle Band. Dass das schon immer so war, haben mir die anderen progaffinen Kollegen mehrmals versucht, einzutrichtern. Aber manchmal findet man zu einer Band einfach keinen Zugang. So verhielt es sich mit RIVERSIDE und mir. Bis ich "Shrine Of New Generation Slaves" das erste Mal gehört habe. Und obwohl ich die älteren Alben kenne, weiß ich nicht, wieso ich diese Band plötzlich so mag. Es liegt wohl an der offensichtlichen Tatsache, dass die Polen hier ihr bislang bestes Album eingespielt haben. Der vor Classic Rock nur so strotzende Opener 'New Generation Slave' hat seinen Beitrag geleistet, drängt sich doch die Spritzigkeit und Kompaktheit des Songwritings geradezu auf. Wenn dann aber 'The Depth of Self-Delusion' folgt, das ich für eine der besten Gesangsleistungen von Mariusz Duda halte, ist das Eis endgültig gebrochen. Ein anderer Aspekt meiner plötzlichen Zuneigung zu dieser Band dürfte darin liegen, dass insbesondere bei 'Feel Like Falling' so manch ein Ton stark nach PORCUPINE TREE klingt. Auch wenn dieser Vergleich nicht neu ist, so hat er sich bis zuletzt nicht viel Aufmerksamkeit in meinen Ohren verschafft. Und so kann ich mich guten Gewissens und ziemlich begeistert von diesem Album den Jubelarien der Kollegen anschließen. "Shrine Of New Generation Slaves" ist sowohl ein wahnsinnig starkes Album als auch ein triftiger Grund, sich noch einmal mit dem Backkatalog der polnischen Vorzeige-Progger zu befassen.

Note: 9,0/10
[Nils Macher]


Mehr zu diesem Album:
Soundcheck 01/2013
Hauptrezension von Thomas Becker

Redakteur:
Thomas Becker
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