Gruppentherapie: TANITH - In Another Time

23.05.2019 | 09:53

Der vierte Platz für das TANITH-Debüt "In Another Time" in unserem letzten Soundcheck kann sicher nur bedingt überraschen, wenn man bedenkt, dass Russ Tippins (SATAN) sich hier auf Retro-Rock-Pfade begibt. Dass Holger Andrae das Album lieben würde, konnten Leser seines letzten Jahrespolls schon erahnen. Doch wie steht unsere restliche Redaktion zu der Scheibe?

Also ich weiß nicht recht, ich kann die Begeisterung leider kaum nachvollziehen. Ich hatte mir Großartiges in der Schnittmenge von JETRHO TULL und ASHBURY erwartet, eventuell mit einer Prise WYTCH HAZEL. Und rein technisch bekomme ich das hier auch. Aber gefühlsmäßig will der Funke nicht überspringen, was vor allem an den fehlenden Melodien liegt. Klar, kopiert wird hier nichts, das verhindert allein das schiere Talent von Russ Tippins. Aber anders als bei SATAN ist das Neuartige nicht so wirklich eingängig. Dazu kommt, dass Russ nicht unbedingt ein herausragender Sänger ist; sicher trifft er alle Töne, aber Magie in seiner Stimme ist nicht auszumachen. Und auch Cindy ist mir zu wenig kantig und plätschert eher vor sich hin. Freunde von reiner Gitarrenmusik werden auf jeden Fall auf ihre Kosten kommen, allein das reicht mir nicht. Sicherlich hinkt der Vergleich zu SATAN gewaltig, weil es sich letztlich um unterschiedliche Genres handelt, aber mir geht bei TANITH die Power ab. Irgendwie wirkt das alles bieder und etwas lahm. Kollege Andrae wird nun vermutlich sagen, dass das genau so muss und das glaube ich auch, mir taugt es aber eher weniger. Nur ganz hinten in meinen Kopf, wo ich zugebe, dass ich hier wohl einfach nicht die Zielgruppe bin, oder schlicht zu blöd, es zu kapieren, da ruht noch ein kleiner Funken, der versteht, was einen an diesem Album faszinieren kann. Vielleicht wächst der ja noch. Also absolut kein Ausfall, aber leider eine enttäuschte Erwartung.

Note: 6/10
[Jakob Schnapp]

Für mich kommt TANITH aus dem Nichts, daher gibt es keine Erwartung. Klar, mit weniger durchgenudelten grauen Zellen hätte ich auf Grund der 2018er-Bestenliste des Kollegen Andrae auf die Band aufmerksam werden müssen. Das schreibt er genau richtig in seinem Review. Doch so fällt mir der (No-)Name eben durch einen starken vierten Platz im aktuellen Soundcheck auf, in guter Gesellschaft mit DEATH ANGEL und DIAMOND HEAD. Hach ja, DIAMOND HEAD. An die Zeit ihres großartigen weißen Albums erinnert mich auch TANITH. Die Musik ignoriert so schön alles, was nach 1980 kam. Klassischer Rock im Stil und Klang der End-Siebziger ist angesagt, mit schönen THIN LIZZY-Twin-Leads, anmutigen Melodien, harmonischem Gesang. Stimmt, Jakob, nix Power Metal hier, fluffig, herzig, gitarrig geht es zu Werke. Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich TANITH eventuell auch als lahm und bieder empfunden, doch diese Retro-Musik ist mir im Laufe der Zeit immer mehr ans Herz gewachsen. Weiblicher Gesang ja eh. Klar, eine Elin Larsson oder Heidi Solheim singt hier nicht und eventuell wäre mit einer Dame mit größerem Stimmvolumen noch ein Pünktchen mehr drin gewesen. Und ein My mehr Reibung statt Schönspielerei könnte vor allem in der zweiten Hälfte auch nochmal ein paar Knöpfchen verdrehen. Aber hey, TANITH ist doch feiner Stoff, der stets ein gutes Gefühl im Ohr erzeugt. Emotional bin ich also viel näher beim Kollegen Andrae als beim Kollegen Schnapp.

Note: 7,5/10
[Thomas Becker]

Mir ist wirklich schleierhaft, wie man die perlenden Leadgitarren auf "In Another Time" nicht eingängig finden kann. Ja, nicht jeder Song ist so eine Wuchtbrumme wie der famose Opener 'Citadel', aber über die gesamte Spielzeit erinnert mich das Feeling der Platte an das wunderbar befreit aufspielende DEAD LORD-Debüt. Dort gab es ebenso wie hier schöne 70er Anleihen, die sich aber in zwei wesentlichen Dingen unterscheiden: Erstens ist hier das Gitarrenspiel noch raffinierter und zweitens geht der Gesang in eine völlig andere Richtung. Auch wenn hier kein Dio am Mikrofon steht, passen doch beide Stimmen zur dargebotenen Musik. Das funktioniert sowohl bei den straighten Rockern als auch bei den etwas aus dem Rahmen fallenden Tracks 'Under The Stars (Reprise)' und 'Eleven Years'. Wie man also dieses abwechslungsreiche Album lahm oder unspektakulär finden kann, begreife ich nicht. Ein ganz wunderbares Scheibchen, das hier immer mal wieder läuft und nicht langweilig wird.

Note: 8,5/10
[Nils Macher]

 

Puh, wie man "In Another Time" bieder und lahm finden kann ist mir auch ein Rätsel. Ich gebe zu: Nach den ersten Reviews und Interviews hätte ich mir hier einen Treppchen-Kandidaten erhofft, zumal Russ Tippins ja immer für Qualitätsarbeit steht, sowohl beim Songwriting als auch bei der (auch hier großartigen) Gitarrenarbeit. Dieses Debüt dürfte eher nicht in die Jahres-Top-3 rücken, aber für den weiteren Kreis reicht es allemal. Das liegt daran, dass die Schnittmenge aus JETHRO TULL, ASHBURY und WYTCH HAZEL tatsächlich eine zutreffende Beschreibung der Musik ist - nur eben erweitert durch die warme Stimme von Cindy Maynard, die sich mit Russ das Mikro teilt. Des Weiteren fehlt aber auch die letzte Genialität und emotionale Wärme, die oben erwähnte Bands in den Olymp hievt. Anders als der Kollege Schnapp reicht das bei mir trotzdem zu mehr Punkten, da ich diesen Musikstil einfach ständig feiern könnte. Alles, was nach späten siebziger Jahren riecht, bezirzt meine Nase, oder wohl eher meine Gehörgänge, und so ist es auch hier. Das Coverartwork schreit nach URIAH HEEP, YES und natürlich ASHBURY, und macht sich sicher als LP besonders gut. Ein starker Einstand, aber ich würde mir wünschen, dass hier noch ein bisschen mehr folgt. Dann könnte man sich tatsächlich auf Augenhöhe mit den Größten des Retro-Trips bewegen: WYTCH HAZEL, DEAD LORD (an die ich hier beim Hören nie gedacht habe) oder auch WITCHCRAFT und GRAVEYARD. Herzlich willkommen, TANITH!

Note: 8/10
[Jonathan Walzer]

Redakteur:
Jonathan Walzer

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