IM RÜCKSPIEGEL: DREAM THEATER (Teil 4: "Systematic Chaos" - "A Dramatic Turn Of Events")

13.02.2019 | 22:45

Eine Ära geht zu Ende.

Einen Teil verpasst?
Teil 1 ("When Dream And Day Unite" - "Awake")
Teil 2 ("A Change Of Seasons" - "Metropolis Pt.2: Scenes From A Memory")
Teil 3 ("Six Degrees Of Inner Turbulence" -"Octavarium")
Teil 4 ("Systematic Chaos" - "A Dramatic Turn Of Events")
Teil 5 ("Dream Theater" - "The Astonishing")
Bonus (Die Official Bootlegs und die interessantesten Live-DVDs)

Die großen Kracher des letzten Jahrtausends haben wir bereits behandelt, doch gerade DREAM THEATER ist eine Band, bei der auch die Alben aus der zweiten Reihe so einiges können, wie mein Kollege Jonathan Walzer im letzten Teil auch schon festgestellt hat. Das laufende Jahrzehnt begann jedoch für Fans wie auch die Band selbst mit einem großen Schock, denn das Gründungsmitglied und heimlicher Frontmann der Truppe (zumindest live), Mike Portnoy, hatte mit seinem Austritt aus der Band überall für große Augen und weit geöffnete Münder gesorgt. Um den bestmöglichen Ersatz zu finden, erstellte die Band eine Liste mit mehreren möglichen Kandidaten, welche dann zum gemeinsamen Proben und Jammen eingeladen wurden. Auf Video wurde das Ganze ebenfalls festgehalten und ist als mehrteilige Dokumentation mit dem Namen "The Spirit Carries On" unter anderem bei YouTube zu finden. Bekanntlich hat Mike Mangini das Rennen gemacht und damit das Line-up komplettiert, das noch bis zum heutigen Tage Bestand hat.

Systematic Chaos (2007)


Nachdem sich DREAM THEATER im Sommer 2006 zum ersten Mal seit zehn Jahren eine Pause vom dauernden Touren gegönnt hatte, entstand "Systematic Chaos". Kommerziell war die Scheibe überall ziemlich erfolgreich, in vielen Ländern konnte man sich den Top 20 platzieren. In Norwegen und Schweden konnte der dritte Platz sowie in den Niederlanden sogar der zweite Platz erreicht werden. In den USA konnte mit Platz 19 sogar die zu diesem Zeitpunkt höchste Chartplatzierung in der Bandgeschichte eingefahren werden. Trotzdem wird "Systematic Chaos" selten genannt, wenn es um die Lieblingsalben der Band oder zumindest um die stärkeren Scheiben geht.

Bei mir persönlich ist das Album vor allem in den letzten Jahren deutlich gewachsen und mittlerweile höre ich es sogar öfter als viele andere Scheiben aus dem aktuellen Jahrtausend. Mit 'Forsaken', 'Constant Motion' und 'Dark Eternal Night' sind auch einige richtig starke Songs mit an Bord, zudem ist mit 'Repentance' der vierte Teil der "Twelve-Step-Suite" enthalten. Bei diesem Track ist vor allem die Gästeliste beachtlich, die mit Namen wie Corey Taylor, Chris Jericho, Steve Vai, Daniel Gildenlöw, Joe Satriani, Steven Wilson, Neal Morse und vielen anderen aufwarten kann, welche diverse Sprachsamples beigesteuert haben.

Black Clouds & Silver Linings (2009)


Kommen wir nun zu meinem bisher unangefochtenen Lieblingsalbum von DREAM THEATER in diesem Jahrtausend: "Black Clouds & Silver Linings". Obwohl mir die letzten Scheiben allesamt sehr gut gefallen, sticht dieses Album doch noch etwas hervor. Zum einen finde ich das Artwork sehr gelungen, aber auch die Songs wissen zu überzeugen. 'A Rite Of Passage' hat sich mittlerweile zu meinem heimlichen Ohrwurm der Truppe entwickelt, aber auch die Ballade 'Wither' finde ich richtig stark. 'The Shattered Fortress' markiert den letzten Teil von Mike Portnoys "Twelve-Step Suite" und das sehr emotionale und mitreißende 'The Best Of Times', in dem Portnoy seinem zuvor verstorbenen Vater ein Denkmal setzt, zählt ebenso zu meinen persönlichen Bandfaves. Besonders gefällt mir an dem Song, dass er traurig und fröhlich zugleich ist, so etwas muss man auch erstmal schaffen unter diesen Umständen. Der Rausschmeißer und mit über 19 Minuten Spielzeit der längste der Scheibe 'The Count Of Tuscany' ist auch verdammt stark. Die Tatsache, dass auf "Black Clouds & Silver Linings" nur zwei Songs enthalten sind, die kürzer als zehn Minuten sind, ist ebenfalls hervorzuheben.

Die Special-Edition von diesem Teil mit Bonus-CDs ist ebenso erwähnenswert, denn hier hat DREAM THEATER wieder einmal Coverversionen von diversen Künstlern aufgenommen, die sich auf jeden Fall hören lassen können. Dazu gibt es die Songs des Hauptalbums noch als Instrumentalversion. Die Chartplatzierungen, die mit "Black Clouds & Silver Linings" erreicht werden konnten, sind ebenfalls nicht von schlechten Eltern. In Finnland, Ungarn sowie den europäischen Album-Top 100 konnte man sich sogar die Spitzenposition sichern, in Deutschland, Schweden und den Niederlanden immerhin mit Platz 3 noch auf dem Treppchen landen und in vielen anderen Ländern konnte man sich ebenfalls in den Top 10 platzieren. Im Heimatland der Band konnte mit Platz 9 ebenfalls der Erfolg des Vorgängers getoppt werden.

Auf "Black Clouds & Silver Linings" sind meiner Meinung nach alle Komponenten enthalten, die DREAM THEATER zu einer absoluten Ausnahmeband machen. Die Songs sind sehr emotional, aber ebenso mitreißend und aufwühlend. Das ist zwar bei so ziemlich allen Alben der Band der Fall, aber bei diesem ist es für mich insgesamt am stimmigsten. Die Tatsache, dass es die letzte Scheibe mit Mike Portnoy ist, macht es sogar noch emotionaler. Wenigstens hat er sich mit diesem Werk gebührend verabschiedet. Als er im September 2010 bekannt gab, dass er die Band verlässt, war dies ein Schock, denn Portnoy war Gründungsmitglied und damit bereits seit über 20 Jahren bei DREAM THEATER bzw. MAJESTY. Später gab John Petrucci bekannt, dass Portnoy ursprünglich nur eine Auszeit nehmen wollte, weil ihm das fast pausenlose Touren zu viel wurde. Erst als die anderen Mitglieder ihren Unmut darüber zum Ausdruck brachten, soll er sich entschieden haben, die Band zu verlassen. Von der Bildfläche ist der gute Mike damit aber zum Glück nicht verschwunden, denn über die Jahre war und ist er in verschiedenen Projekten und Bands aktiv, aktuell vor allem bei den SONS OF APOLLO, die er zusammen mit dem ehemaligen DREAM THEATER-Keyboarder Derek Sherinian gegründet hat.

A Dramatic Turn Of Events (2011)


Das erste Album mit Mike Mangini ist fast genau ein Jahr nach dem Ausstieg von Mike Portnoy erschienen. Bei den Fans ist er sehr zwiespältig aufgenommen worden, viele mögen ihn zwar, doch es gibt natürlich auch sehr viele Nörgler, die nicht müde werden zu behaupten, dass mit Portnoy alles besser und dieser sowieso der bessere Drummer war. Also wer ernsthaft die fachliche Kompetenz des Herrn Mangini in Frage stellt, dem empfehle ich das sechsminütige Schlagzeugsolo auf "Live At Luna Park". Wer das so nachspielen kann, dem sei auch jegliche Kritik gestattet. In Sachen Bühnenpräsenz und Stageacting hat Portnoy allerdings durchaus eine Lücke hinterlassen, da kann der Herr Mangini leider nicht mithalten. Angeblich soll Portnoy sogar kurz nach dessen Einstieg in einer E-Mail seine Bereitwilligkeit zum Wiedereinstieg ausgedrückt haben, was jedoch von den anderen Bandmitgliedern abgelehnt worden sein soll. Angesichts der aufwändigen Suche nach einem Ersatz, der zudem bereits gefunden und engagiert war, kann man das sogar absolut nachvollziehen.

Der Einstand von Mike Mangini mit "A Dramatic Turn Of Events" ist jedoch mehr als gelungen, denn erneut hat die Band ein richtig starkes Album veröffentlicht, das auch einige Hits enthält. 'Build Me Up, Break Me Down' ist ein schöner Song mit reichlich Ohrwurmcharakter, aber auch 'Bridges In The Sky' kann mit einem sehr eingängigen Chorus aufwarten. 'Lost Not Forgotten' ist ein schöner Stampfer, der einige gute Einlagen zu bieten hat. Insgesamt ist diese Scheibe auch deutlich eingängiger als der Vorgänger geworden, was auch daran liegt, dass die Songs im Schnitt kürzer ausfallen. Trotzdem gibt es immerhin vier Nummern, welche die Zehn-Minuten-Marke knacken. Auch von der Stimmung her ist dieses Werk eine ganze Ecke leichter verdaulich als "Black Clouds & Silver Linings", weshalb es bei vielen Fans wohl auch besser ankommt als der Vorgänger.

Auch an den Erfolg des Vorgängers konnte angeknüpft werden, in Finnland wurde erneut die Spitzenposition erreicht, ebenso wie in den UK-Rock Charts und den Billboard Tastemaker Albums. Das Artwork ist ebenfalls sehr gelungen, das des Vorgängers gefällt mir aber trotzdem etwas besser. Auch die insgesamt drei Balladen ('This Is The Life', 'Far From Heaven' und 'Beneath The Surface') sind zwar alles andere als schlecht, aber mir persönlich dann doch etwas zu viel des Guten. Eine reine Ballade pro Album finde ich absolut ausreichend, mehr brauche ich dann doch nicht. Zumal keine davon auch nur ansatzweise an 'The Spirit Carries On' herankommt. Jedoch finde ich, dass bei solchen Nummern die Stimme von James LaBrie am besten zur Geltung kommt, denn da kann er regelmäßig glänzen. Ich gehöre auch nicht zu der Fraktion, die an ihm immer etwas auszusetzen hat, ganz im Gegenteil. Ich mag seine Stimme sehr und möchte mir DREAM THEATER mit keinem anderen Sänger vorstellen. Auch live wurde ich noch nicht von ihm enttäuscht. Aber sei's drum, wenn wir das alle gleich empfinden würden, dann würde die Grundlage für viele hitzige wie interessante Diskussionen wegfallen, das wäre auch nichts.

Damit sind wir auch schon wieder am Ende dieses für mich sehr starken Albentriples angelangt. Nimmt man "Octavarium" und "Train Of Thought" noch dazu, dann hat man fünf sehr gute Veröffentlichungen nacheinander, so etwas hat nicht jede Band im Angebot. "Six Degrees Of Inner Turbulence" zählt in meinem Kosmos nicht dazu, mit der Scheibe werde ich irgendwie immer noch nicht wirklich warm und höre sie daher auch nur sehr selten. Um den Bogen zum fünften Teil dieser Serie zu spannen, würde ich allerdings noch das selbstbetitelte Album dazu nehmen, das mir auch richtig gut gefällt und das auch einige Hits an Bord hat. Damit wären es dann sogar sechs starke Alben am Stück. Aber das sieht der Kollege Jonathan Walzer vielleicht ganz anders. Seid also gespannt und auch beim nächsten Teil der Reihe wieder dabei, wenn die letzten beiden Alben besprochen werden.

Redakteur:
Hermann Wunner

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