Im Rückspiegel: FEAR FACTORY ("Soul Of A New Machine" - "Genexus")

06.10.2020 | 10:39

FEAR FACTORY ist ein Phänomen, startete wie eine geölte Maschine, brach dann fast zusammen, rappelte sich wieder auf und wuchs zu fast alter Stärke wieder heran. Nun hat Sänger Burton C. Bell angekündigt, dass er FEAR FACTORY - wieder - verlässt. Höchste Zeit, in unserem Rückspiegel mal einen Blick auf die Studioalben zu werfen, in Erinnerungen zu schwelgen und 30 Jahre Bandgeschichte Revue passieren zu lassen.

Es ist ein Weilchen her, da sah ich auf YouTube den Auftritt FEAR FACTORYs auf der 2015er Ausgabe des Resurrection Fests in Spanien. Es war ein guter Auftritt, wirklich! In diesem folgte in der 38. Minute mit 'Martyrs' ein Song, den ich zunächst nicht richtig zuordnen konnte, obwohl er mir extrem bekannt vorkam. Und dann fiel es mir wie metallische Schuppen von den Augen: "Soul Of A New Machine"! Bereits 1992 war FEAR FACTORY der Zeit voraus, denn der eigentliche Death Metal der Jungs war anders, innovativer, kälter und genau aus diesem Grund unbarmherziger. Auch wenn erst drei Jahre später "Demanufacture" FEAR FACTORY unsterblich machen sollte, war es doch "Soul Of A New Machine", die das folgenreiche Zweitwerk erst möglich machte. Kalt, brutal, mit gewissem Groove und zumindest einem sehr dezenten Fünkchen Menschlichkeit - mit Songs wie eben jenem Opener oder auch 'Scapegoat', 'Crash Test' und 'Scumgrief' kristallisierte die Angstfabrik schon damals heraus, zu was sie imstande ist. Und dann folgte drei Jahre später das Jahr 1995...

[Marcel Rapp]

 

Schlägt man im Duden "Industrial Metal" nach, wird man unweigerlich auf "Demanufacture" als absolutes Aushängeschild und definitiv eines der Top-3-Alben der FEAR FACTORY-Diskografie stoßen. Was Burton, Dino und Co. nur drei Jahre nach dem Debüt vom Stapel gelassen haben, ist an fabrikneuer Kraft, maschineller Kälte und drückender Vehemenz kaum zu übertreffen. Noch heute, stolze 25 Jahre später, erfreut sich die damalige Produktion einer fast schon zeitlosen Klasse, vom ersten Ton des Titeltracks an bis zur letzten 'A Therapy Of Pain'-Schnappatmung läuft es dem Hörer hier eiskalt den Rücken herunter. Diese fast schon unheimlichen Fabriksounds, der klirrendkalte Hauch des "Mensch vs. Maschine"-Konzepts, eine Kaltschnäuzigkeit, die ihresgleichen sucht - "Demanufacture" ist und bleibt meine Pole-Position, wenn ich das gesamte Schaffen der Amis betrachte. 'Zero Signal' als unheimlich spannendes Statement, 'H-K (Hunter-Killer)' versetzt mir stets aufs Neue einen unbarmherzigen Faustschlag, 'Pisschrist' streckt alles nieder und 'Dog Day Sunrise' lässt selbst Herrn Schwarzenegger als Terminator ein bisschen tanzen, es ist schlicht und ergreifend ein perfektes Album! Und wenn man als kleiner Bub im CD-Schrank seines Onkels stöbert, man mit der Naivität eines Achtjährigen nach der Platte greift und einem dann beim Durchlauf Angst und Bange wird, dann prägt dieses Album ungemein. Über all die Jahre hat dieses Referenzwerk der Industrial-Musik nichts aus Aussagekraft, Erbarmungslosigkeit und Kälte verloren. Nicht umsonst feierte FEAR FACTORY den 20-jährigen Geburtstag mit einer ausgiebigen "Demanufacture"-Tour - und ich war dabei!

[Marcel Rapp]

 

Mein erster Kontakt mit FEAR FACTORY war 1998, als "Obsolete" das Licht der Welt erblickte. Meine Fresse, was für ein geiles Album! Meine Hörgewohnheiten, die damals im zarten Alter "Load" und "Reload" als das Härteste abgespeichert hatten, wurden radikal weggeblasen, geradezu beängstigend klangen beispielsweise 'Shock', 'Police State 2000', 'Freedom Or Fire' oder der Titeltrack. Das absolut mörderische Drumming setzte allem die Krone auf, konnte ich doch gerade mal einen normalen 4/4-Takt auf dem Schlagzeug spielen. 'Edgecrusher' heißt hier der Megahit, abgerundet wird "Obsolete" von einem düsteren Konzept, dass der Mensch durch den Einsatz von Maschinen überflüssig wird. Ganz klar: "Obsolete" ist auch anno 2020 tatsächlich noch so beeindruckend und wirkungsvoll, wenn nicht gar beängstigender als vor 22 Jahren!

[Jakob Ehmke]

 

Drei Jahre später, im April 2001, erschien "Digimortal". Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich es nach dem Kauf sofort auf den portablen CD-Player gelegt habe - und nach den ersten Takten von 'What Will Become?' erstmal leicht enttäuscht wurde: Wo ist das Stakkato-Gewitter? Es ist zwar noch da, aber dennoch tönt "Digimortal" in der Tat etwas aufgeräumter und einfacher strukturiert als seine Vorgänger, doch in der Wirkung nicht weniger überzeugend. Zudem ist mit 'Linchpin' der vielleicht letzte richtig große Megahit der Bandgeschichte enthalten, der seitdem in keiner Metaldisco fehlen darf. Bei FEAR FACTORY begann anschließend (bis heute) das Bandkarussell kräftig zu drehen und führte gar zum ersten Split.

[Jakob Ehmke]

 

 

Bei "Concrete" handelt es sich um das ursprünglich 1991 aufgenommene Debüt-Album, das der Band den Deal mit Roadrunner Records einbrachte. Es wurde jedoch bis 2002 nicht offiziell veröffentlicht, dazu brauchte es wohl den ersten Split der Band. "Concrete" klingt definitiv anders als das, was man ab "Soul Of A New Machine" kennt. Man hört heftige Death-Thrash-Einflüsse, beim genauen Hinhören aber auch einige Songs, die später in neuer Form wiederveröffentlicht wurden, darunter alleine acht Songs für das offizielle Debüt, aber auch für "Demanufacture" und "Obsolete" diente "Concrete" teilweise als Song-Pool. Dennoch legte Burton C. Bell hier bereits den Grundstein dafür, wofür FEAR FACTORY ab "Soul Of A New Machine" Vorreiter wurden und was kaum mehr aus dem Metal wegzudenken ist: Das Wechselspiel aus Shouts und Klargesang.

[Jakob Ehmke]

Wir sind im Jahre 2004 und der jugendliche Marcel, dessen Musikgeschmack sich allmählich ein wenig formte, schaute recht beeindruckt auf seinen Fernseher. Und da hörte und sah er es: 'Look Into My Eyes And Tell Me What You See' - wenn Burton C. Bell den Refrain des Titeltracks mit recht melancholischer Schwermut singt, dann zeigen sich auch bei der unterkühltesten Maschine ein paar Emotionen. "Archetype" markiert eine Art Comeback der Angstfabrik, da sich die Band wieder auf die alten Tugenden verlassen hat. Doch wie klingt FEAR FACTORY ohne Dino? Konnten die Industrial-Helden der 1990er Jahre überhaupt ohne ihr Aushängeschild an der Gitarre die 00er-Jahre bestehen? Ja, das konnten sie und machten es mit "Archetype" auch durchaus ordentlich. Ich sah den Clip zum Titelstück eines Tages auf MTV oder VIVA - ich weiß es nicht mehr genau. Was ich jedoch da schon definitiv wusste: Was für ein enorm geiles Stück Musik. Diese Mixtur aus Härte und Emotion, aus Kaltschnäuzigkeit und menschlicher Wärme, aus frostiger Souveränität und einer warmen Melodie. Zwar konnte der Rest auf "Archetype" bis auf den "Saw"-Soundtracksong 'Bite The Hand That Bleeds', den Hardcore-lastigen 'Slave Labor'-Einstieg, das finstere 'Default Judgement', das immens brutale 'Corporate Cloning' sowie den tieftraurigen 'Human Shields'-Regentropfen die Klasse nicht komplett ins Ziel bringen, doch in der Gesamtbetrachtung belegt "Archetype" definitiv einen Platz im soliden Mittelfeld. Zum Glück kam Herr Cazares eines Tages wieder zurück an die FEAR FACTORY-Klampfe und verhalf den Fabrikhelden zumindest ab "Mechanize" wieder zu alter Klasse.

[Marcel Rapp]

 

"Transgression" ist wohl das FEAR FACTORY-Album, das die Tendenz hat, vergessen zu werden. Dabei ist das Album von 2005 alles andere als austauschbar, denn so wie hier sollte die Band (immer noch ohne Dino, dafür das letzte Mal mit den Originalmitgliedern Herrera an den Drums und Wolbers an der Gitarre, ehem. Bass) nie mehr klingen. Es ist gewissermaßen das Rock-Album der Diskographie, man hört zwar alleine Dank Burtons Gesang, wer hier musiziert, doch so straight und locker klang die Maschinerie bisher nicht. Vom Opener '540.000 Degrees Fahrenheit' über 'Contagion' hin zum U2-Cover (!) 'I Will Follow You' und dem Brecher 'Moment Of Impact' hört man eine Band, die ihren Sound weiterdenkt, ohne ihn zu verraten. Dass man weitere fünf Jahre später mit "Mechanize" wieder an Anfangstage anknüpfte, zeigt, dass FEAR FACTORY immer wieder für eine Überraschung gut ist.

[Jakob Ehmke]

 

"Mechanize" schaffte stolze fünf Jahre nach dem etwas schwächelnden "Transgression" das Kunststück, Fans auf mehreren Ebenen zufrieden zu stimmen. Zum einen kehrte Dino zurück, der zusammen mit dem unnachahmlichen Brüllwürfel Burton die Mastermind-Achse der Angstfabrik wieder bestimmen sollte. Zum anderen darf und kann man auf vollkommen legitime Art das 2010er Album als eleganten Querschnitt zwischen "Demanufacture" und "Obsolete" betrachten. Überraschungen gibt es zwar keine, aber die Wucht, Vehemenz und diese "Jetzt erst recht"-Mentalität der Band wird von der ersten bis zur letzten Sekunde deutlich spürbar. Typisch FEAR FACTORY eben: Es wird geballert, geklotzt und nicht gekleckert und die Maschinen werden ziemlich gut geölt. Allein wie Bell den Titeltrack-Refrain brüllt, ist ein deutliches Statement in Richtung der damaligen Zeit, in der bei allen Rechtsstreitigkeiten Burton und Dino einfach Taten folgen ließen. Und wenn auch noch ein Schlagzeug-Ungetüm wie Gene fucking Hoglan an der Schießbude sitzt, bleibt eh kein Stein auf dem anderen. Auch heute höre ich die Platte noch sehr gerne und sie steht für mich persönlich auf einer Ebene mit dem mächtigen "Genexus"-Rundumschlag und belegt bei mir einen sehr smoothen vierten Platz. Ich könnte die Gründe noch weiter ausführen, aber ich mache es einfach wie FEAR FACTORY und lasse Songs wie 'Designing The Enemy', 'Industrial Discipline', 'Controlled Demolition' und natürlich 'Mechanize' für mich sprechen.

[Marcel Rapp]

 

Als "The Industrialist" 2012 veröffentlicht wurde, war bei vielen Fans die Enttäuschung groß, denn es wurden sehr plakativ programmierte Drums eingesetzt. Das Verständnis dafür war gering, zumal man mit Gene Hoglan zuletzt eine menschliche Maschine an den Kesseln verpflichtet hatte. Ich bin ja auch ein Freund von echten Drums, aber ganz ehrlich, FEAR FACTORY zeichnete sich nie durch einen organischen Schlagzeugsound aus, im Gegenteil war FEAR FACTORY ja eher Pionier in der Trigger-Technik. So stört es mich zumindest kein bisschen und es bleibt ein sehr starkes Album der späten Band-Ära. 'Recharger' oder das geniale 'New Messiah' (mit Gänsehautgarantie!), aber auch 'Depraved Mind Murder' und 'Virus Of Faith' sind dafür Glanzbeispiele. Auch der industrielle Sound kehrt mit der heftigen Groove-Walze 'God Eater' und 'Disassemble' verstärkt zurück.

[Jakob Ehmke]

 

Zugegeben, "The Industrialist" ging spurlos an mir vorbei. Auch wenn mich "Mechanize" Jahre zuvor wieder überzeugte, habe ich beinah nichts vom 2012er Rundling mitgenommen. Ähnlich ging ich dann auch wiederum drei Jahre später an ein neues Album der Angstfabrik heran, doch wollte ihm der alten, nostalgischen Zeiten wegen Gehör schenken - und ich wurde 2015 reich belohnt: Es ist das bis dato letzte FEAR FACTORY-Album, aber dafür auch eines der Besten. "Genexus" kam also 20 Jahre nach "Demanufacture" auf den Markt und serviert Fans all das, was sie an ihren Lieblingen so mögen. Das Who-is-who der FEAR FACTORY-Trademarks gibt sich mitsamt eines knüppelharten Sounds und einer schlichtweg großartigen Performance die Klinke in die Hand und doch sind es am Ende genau vier Stücke, die ich speziell hervorheben möchte: 'Autonomous Combat System' ist ein Opener nach Maß: brutal, ehrlich und direkt in die Fresse. Das hitlastige 'Soul Hacker' ist ein Ohrwurm nach Maß und lässt noch heute sämtliche Massen springen und auf welchen Trip uns Burton, Dino und Co. abschließend mit 'Expiration Date' schicken, ist definitiv nicht von dieser Welt, aber ziemlich geil. Mit 'Regenerate' trifft mich die Angstfabrik jedoch direkt ins Herz: Eine der zweifellos stärksten Bandhymnen ist gekennzeichnet von einer perfekten Symbiose aus Brutalität und Melancholie, der Refrain jagt mir die Gänsehaut reihenweise den Rücken herunter und mit welcher Authentizität Herr Bell den Text ins Mikro brüllt, ist nicht von dieser Welt. Dieses Songquartett gepaart mit den einen oder anderen kleineren Überraschungen und Ausrufezeichen auf "Genexus" sorgt dafür, dass - falls es zu keinem neuen Album kommen sollte - sich FEAR FACTORY zumindest musikalisch hiermit gebührend verabschiedet hat.

[Marcel Rapp]

 

Wie die Zukunft von FEAR FACTORY aussieht, ist ungewiss. Klar ist, zumindest Stand heute, dass Gitarrist Dino Cazares am neuen Album namens "Monolith" festhält, das für März 2021 geplant ist. Bis vor Kurzem hat Dino noch fleißig Spenden akquiriert, um das Album, das bereits seit 2017 mit Burtons Gesang im Kasten ist, soundtechnisch aufzupimpen.

Redakteur:
Jakob Ehmke

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