LAMINIUS X: Interview mit Timmi

20.09.2010 | 14:40

Drummer und Sänger Timmi der deutsch-französischen Alternative-Rock-Kombo LAMINIUS X berichtet, wie man als Rockband zum Gegenstand von Schulunterricht wird und gewährt Einblicke in seine gesellschaftskritischen Haltungen, die als Motivation für so manchen Songtext dienen.

"Wir fördern die Kenntnis der deutschen Sprache im Ausland und pflegen die internationale kulturelle Zusammenarbeit. Darüber hinaus vermitteln wir ein umfassendes Deutschlandbild durch Information über das kulturelle, gesellschaftliche und politische Leben."

Das ist die Selbstbeschreibung des Goethe-Instituts, welches man unter Beachtung dieser Zielsetzung nicht so ohne Weiteres mit Rockmusik in Verbindung bringt.
Und doch hat sich der namhafte Kulturbotschafter gerade die deutsch-französische Rockformation LAMINIUS X ausgesucht, um den Deutschunterricht an französischen Schulen voranzutreiben. Da passt es ganz gut, dass LAMINIUS X nach ihrem Debütwerk "One Man Show" aus dem Jahre 2008 nunmehr unter dem Titel "Vitamin" das Nachfolgewerk in den Schulunterricht einbringen.

Im Gegensatz zum Erstlingswerk, das stilistisch noch eine ziemlich unstete Mischung war, scheint die aktuelle Veröffentlichung, die Ende September in den deutschen CD-Regalen stehen wird, eine entschlossenere Rockproduktion zu sein, die von einem fetten Sound getragen wird. Ist man von den Kritiken der "One Man Show" also nicht völlig unbeeinflusst geblieben?

Drummer und Sänger Timmi erklärt hierzu: "Natürlich haben wir uns viele Kritiken angesehen und waren mit den meisten zufrieden, konnten aber auch sehen, dass es Magazine gibt, die jungen Bands mit kleinem Budget nicht die Möglichkeit geben, etwas zu produzieren. Obwohl immer abgelehnt, fahren doch die meisten auf Majorproduktionen ab und lassen alles andere runter fallen. Wir haben bei der "One Man Show" eine ganz andere Ausgangsposition gehabt. Uns ist selber aufgefallen, dass wir uns in mehreren Genres bewegten, wollten das aber nicht ändern, da wir auf einige Songs, die schon weit vor den Aufnahmen entstanden sind, nicht verzichten wollten. Bei "Vitamin" sind die Lieder in einem wesentlich kleineren Zeitraum entstanden, so konnte eine Linie eingehalten werden. Außerdem haben wir gezielt mit dem Produzenten versucht, einen roten Faden in diesem Album zu haben, um alles abzurunden."

Ein anderer roter Faden, den LAMINIUS X aus der "One Man Show" beibehalten haben, sind ihre Songtexte in drei Sprachen. Englische, deutsche und französische Lyrics finden sich auch diesmal wieder unter den zehn Tracks der neuen Scheibe. Dabei handelt es sich aber nicht um einen strategischen Schachzug der Band, sondern schlicht um eine sich aus der Situation ergebende Notwendigkeit.
"Zu dieser Idee sind wir gekommen, weil unsere Situation es so gefordert hat. Nesko und ich haben schon immer zusammen Musik gemacht und wollten auf Grund der neuen Situation, in zwei verschiedenen Ländern zu leben, nicht darauf verzichten", erklärt Timmi. "Wir wollten die Sprachen als Klangfarbe einsetzen. Dazu kommt, dass wir in Frankreich gute Möglichkeiten hatten und auch Unterstützung bekamen, so dass wir dort viel machen konnten. Letztendlich verbringen wir viel Zeit in beiden Ländern. Warum sich dann nicht auch die Situation zunutze machen?"

Sicher hat diese Mehrsprachigkeit der Band besonders dazu beigetragen, dass LAMINIUS X mit ihren Songs für den Einsatz im Deutschunterricht französischer Schulen geeignet erschienen. Die Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut erklärt Timmi allerdings anders.

"Der Grund für die Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut ist Neskos Migrationshintergrund, und die Möglichkeit, modern die deutsche Sprache im Ausland zu fördern."
Aber auch für die Lernenden sieht Timmi interessante Anreize. "Unsere Texte sind mit ihrer Sozialkritik dort sehr gut angekommen. Du machst einen Sprachkurs, in dem du dich mit einer Rockband befasst und zur Belohnung gibt es ein Konzert, auf dem du in vorangegangenen Workshops eigene Texte mit einbringen kannst. Das ist schon eine sehr individuelle Möglichkeit, Lyrik zu fördern."

Das Goethe-Institut, mit dem LAMINIUS X kooperieren, formuliert in seinem Leitbild: "Wir fördern weltweit das Verständnis für Europa und entwickeln gemeinsame europäische Perspektiven." Wie halten es Timmi, Nesko und Stephan mit der europäischen Union? Fühlen sie sich der europäischen Idee besonders verpflichtet?

"Verpflichtet würde ich es nicht nennen", relativiert Timmi. "Auf jeden Fall ist Europa eine gute Idee, mal abgesehen von den Armen, die der reiche Westen ausbeutet.
Für uns ist Europa aber eine Möglichkeit, sich in einer Gemeinschaft zu bewegen, die viele Vorteile hat gegenüber isolierten Ländern. Von diesem Gesichtspunkt sehen wir Europa schon als wichtig an. Die Frage kann man eigentlich nur mit ja beantworten, wenn man definieren würde, was die europäische Idee für einen selber bedeutet. Denn es gibt natürlich immer Länder, die darunter leiden müssen."


Timmis Statement lässt ebenso wie die sozialkritischen Texte der Band darauf schließen, dass ihm und seinen Bandkollegen an einer politischen Auseinandersetzung durchaus gelegen ist. Dementsprechend hat Timmi auch einiges zum Thema Politikverdrossenheit in Deutschland zu sagen: "Die Politikverdrossenheit in Deutschland hat damit zu tun, dass wir durchgängig belogen werden. Wer hat noch Lust, sich damit zu beschäftigen, Lobbyisten und Karrieristen zu wählen, die parteiübergreifend den Reichen die Taschen füllen (bestes Beispiel: das jüngste Sparpaket). Sich während der politischen Karriere den Weg für die danach folgende Arbeit in der Wirtschaft zu formen  - z.B bei Gasprom oder BMW -  ist Standard. Die Leute haben das Gefühl, nichts verändern zu können, egal wer nun regiert. Viele merken es auch nicht, so lange ein Grundstandard geboten wird, der den Leuten gewisse Gewohnheiten lässt, so lange die Großen sich den Kuchen teilen, obwohl immer mehr Menschen in die Armut abrutschen. Wir erinnern uns gut an den G8 Gipfel in Heiligendamm. Die ganzen Demonstranten, die dort waren, viele Künstler! Was war das Ergebnis? Peinliche Klimaabkommen und viel zu wenig Hilfe für Afrika. Da stellen die Bürger sich leider die Frage: "Wozu soll ich mich bemühen? Es passiert eh nichts."

LAMINIUS X erheben mit ihren sozialkritischen Texten aber keinesfalls den Anspruch, selbst bessere Lösungen parat zu haben. "Wir haben ja nicht unbedingt eine politische Lösung für die Probleme, sonst wären wir Politiker geworden. Uns geht es um eine Feststellung und darum, eine Haltung zu haben."

Um politisches Bewusstsein und eine politische Haltung zum Tagesgeschehen in der Welt bei Jugendlichen zu wecken, bietet sich in diesem Sinne Arbeit mit Schülern im Unterricht geradezu an. Aber ist die tendenziell als wenig politisch bewegt geltende Schülergeneration hierfür überhaupt ansprechbar? Timmi ist optimistisch: "Es ist ohne Zweifel wichtig, Jugendliche mit einer Aussage oder dem Ist-Zustand zu konfrontieren. Dass junge Menschen sich mit gegenwärtigen Situationen befassen, finden wir schon sehr wichtig, da genug Ignoranz und Egoismus in unserer Gesellschaft zu finden sind. Nicht selten findet man diese auch an der Spitze der Gesellschaft, die eigentlich ein Vorbild darstellen sollte. Außerdem besteht bei unserer Arbeit die Möglichkeit, dass die Jungendlichen sich eine eigene Meinung über Dinge bilden, die sie auf jeden Fall noch betreffen werden. Die überwiegende Hörerschaft von LAMINIUS X ist zwischen 20 und 35. Wir erreichen also auch Menschen, die schon ein Meinungsbild haben."

Die Hörer der aktuellen Veröffentlichung "Vitamin" werden sodann auch gleich eingeladen, sich kritisch mit ihrem eigenen Blick in die Welt auseinanderzusetzen. Der Song "Denken ist schwer" dürfte unschwer von jedermann als deutliche Kritik an der Teenagergeneration zu verstehen sein, deren Weltblick nur noch durch Laptop, Internet und Handy geprägt ist. Timmi ist zuversichtlich, dass die Angesprochenen auch die nötige Selbstreflektion mitbringen, um die Botschaft des Songs zu verstehen. Im Übrigen sieht er seine Kritik auch überhaupt nicht nur auf Teenager beschränkt. "Bestimmt verstehen die Schüler, was wir sagen wollen. Es ist auch eher eine Feststellung, die sich nicht speziell auf Jugendliche bezieht. Erwachsene machen es genau so, wenn nicht sogar noch schlimmer. Da sie den jungen Menschen oft solches Verhalten vorleben. Die Medien und alles, was uns umgibt, ermöglicht es doch alle Menschen, zu manipulieren, und wir können uns in Konsumübersättigung aussuchen, welchen Krieg wir im Fernsehen 24 Stunden live ansehen möchten. Oder noch besser, uns, wenn wir wollen, überhaupt nicht mit irgendwas befassen, da wir ja eh nichts ändern können. Hauptsache, unsere Welt bleibt, wie sie ist, so lange Media Markt und Saturn mit den Banken Finanzierungen ermöglichen, die jeden in den Luxus bringen, sich mit Laptops und Ähnlichem auf 0% Finanzierung zuzudecken. Als Dank für diesen hohen Standard wird keiner auf die Straße gehen und sich für andere oder sogar sich selber einsetzen und Flagge zeigen."

An Timmis Ausführungen wird deutlich, dass er eine Menge Unbill angesichts unserer gegenwärtigen Lebensverhältnisse verspürt. Da dürfte noch Stoff für einige weitere Rockalben ähnlicher Gangart  vorhanden sein. Als nächstes widmen sich die drei Kulturbotschafter aber erst einmal dem neuen Album. Die Live-Show soll ausgebaut werden und "Vitamin" auch in Frankreich veröffentlicht werden. Wer erst mal schnuppern will, kann den Song "Meins" als Singelauskopplung mit zugehörigem Video antesten.

Redakteur:
Erika Becker

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