MEKONG DELTA: Interview mit Ralf Hubert

17.05.2020 | 11:09

Wenn ein neues MEKONG DELTA-Album ansteht, sind die Ohren gespitzt und die Vorfreude enorm. Auch wenn die letzte Studiorille schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hat, so war die Gruppe um Ralf Hubert doch immer präsent. Die Melo-Prog-Thrasher sind ein Garant für spannende, ausgefeilte und interessante Geschichten, vor denen auch "Tales Of A Future Past" keinen Halt macht. Sprachrohr Ralf stand unseren Fragen Rede und Antwort und ließ uns in das neuste Konzept etwas tiefer blicken.

Hi Ralf, erst einmal ein großes Dankeschön, dass du dir ein wenig Zeit für meine Fragen nimmst. Bevor es ans Eingemachte geht: Wie geht es dir und wie ist die Stimmung bei MEKONG DELTA?

Uns geht es allen gut. Schlechte Stimmung kennen wir eh nicht.

Stolze sechs Jahre sind seit "In A Mirror Darkly" ins Land gezogen. Was ist in der Zwischenzeit bei dir passiert? Kannst du mir ein kleines Update geben?

Die letzten drei, vier Jahre sind im Wesentlichen mit den Arbeiten für "Tales Of A Future Past" gefüllt gewesen. Ein Jahr für das Erstellen der Kompositionen, ein weiteres für Ausarbeitung und Basic-Arrangements, der Rest der Zeit wurde für Einspielen und Fertigstellung der Orchesterarrangements gebraucht, wobei letzteres eine Menge Zeit in Anspruch nahm. Davor habe ich mich im Wesentlichen mit meiner persönlichen Nemesis, "Into The Heart Of Darkness", beschäftigt.

Welchen Beweggrund hatte Peter vor zwei Jahren wieder bei MEKONG DELTA einzusteigen?

Erik konnte sich aus Zeitgründen nicht intensiv mit den Riffs beschäftigen, also habe ich Peter Lake gefragt. Und die Riffs schienen förmlich für seine Art des Gitarrenspiels geschrieben zu sein. Allerdings ist das mit dem Line-up schon ziemlich merkwürdig, mittlerweile glaube ich fast, dass sich jedes MEKONG DELTA-Album die zu den Songs der Scheibe passenden Musiker selber sucht. Klar, klingt ziemlich gaga, ich weiß. Aber bei den letzten drei Alben gab es, speziell bei der Gitarre, von mir nicht wirklich bewusst herbeigeführte Veränderungen, die sich dann für das Album positiv auswirkten. Den gleichen Effekt kann man auch jetzt bei "Tales Of A Future Past" wieder beobachten.

Nun steht das neue MEKONG DELTA-Album in den Startlöchern. Lass uns noch einmal über die Entstehung sprechen und mit welcher Zielsetzung ihr an die Arbeiten herangetreten seid?

Da bei MEKONG DELTA alle Titel komplett von mir geschrieben werden, bevor die Mitmusiker die Songs erhalten, liegt die meiste Arbeit zunächst bei mir. Das beginnt erst einmal mit dem Erstellen der Kompositionen, was mit ca. einem Jahr zu Buche schlägt. Da ich schon seit Jahren alle musikalischen Themen und Riffs - wenn sie mir gut genug erscheinen - notiere, ist über die Zeit ein sehr großer Pool an verwertbarem Material entstanden. Eine Albumidee entsteht meist dann, wenn ich kurzfristig mehrere Riffs habe, die tonal zusammenpassen. Das heißt nicht, dass die Elemente unbedingt einen Song bilden, sondern lediglich, dass sie miteinander korrespondieren. Gefällt mir das auch nach zwei bis vier Wochen noch, fange ich langsam an, die einzelnen Themen weiter auszubauen. Gefällt mir das dabei entstandene Gerüst auch nach längerer Zeit noch, geht es an das richtige Ausarbeiten. Auch das dauert ca. ein Jahr. Erst wenn das erledigt ist, erhalten die Mitmusiker die Titel und der letzte Schritt beginnt. Während Alex an Drum-Arrangements bastelt, Martin an Vocal-Lines tüftelt, checkt Peter, ob die Guitar-Riffs auch so umsetzbar sind, wie ich die notiert habe. Diese Zeit nutze ich zur Fertigstellung der Orchester-Arrangements, die diesmal eine Menge Zeit in Anspruch nahmen. Danach wird dann, wenn sich jeder fit für das Material fühlt, eingespielt. Die Zielsetzung ist eigentlich immer identisch: ein gutes Album zu erstellen.

Was kannst du mir über die Verbindung zwischen Artwork und den einzelnen Texten sagen? Ich habe gelesen, dass ihr euch für Demaret und sein Werk "Berge des Wahnsinns" entschieden habt. War das Werk von H.P. Lovecraft auch inspirierend für das neue Album oder welche Geschichte(n) stecken hinter "Tales Of A Future Past"?

Ja, Lovecrafts "Berge des Wahnsinns" ist schon eine sehr gute Story, es stand allerdings nie zur Diskussion, diese zu vertonen. Conrads "Herz der Finsternis" bringt mich ja bei den Versuchen, die tonal umzusetzen, schon regelmäßig dem Wahnsinn sehr nahe. Auf das Bild von David Demaret bin ich zufällig bei der Suche nach einem passenden Cover für "Tales Of A Future Past" gestoßen. Als ich das dann meinen Mitmusikern mit einigen anderen zur Auswahl schickte, waren wir uns innerhalb eines Tages einig, dass es die Grundidee des Albums ganz gut darstellt:

Forscher finden Reste einer unbekannten (vergangenen) Zivilisation, entdecken dort Aufzeichnungen (Texte) einer Person (unseres Geigers), welche die Probleme schildern, die zum Untergang dieser führten und die den aktuellen bei uns (zu dem Zeitpunkt als die Texte geschrieben wurden, war CoVid 19 noch nicht akut) ziemlich nahe kommen.

Der Titel "Tales Of A Future Past" ist auf dem ersten Blick recht paradox. Welche Botschaft steckt dahinter, was soll der Titel in Kombination mit den neusten Stücken aussagen?

Um mal mit einem Zitat zu beginnen: "Geschichte wiederholt sich nicht, Geschichte reimt sich." Wenn man über die Jahrhunderte/Jahrtausende zurückschaut, wird man, sofern du eine rein forschende und nicht ideologische Position einnimmst - nach Möglichkeit auch noch echte Bücher aus der Zeit benutzt , wo Wissenschaft noch neutral war - feststellen, dass die meisten "Hochkulturen" vor dem Ende mit den gleichen Problemen zu tun hatten wie die heutige Zivilisation: Korruption, Zersplitterung, Kriege, Mangel hier, Überfluss dort, Dekadenz etc. Das lässt sich ganz gut am Römischen Imperium nachvollziehen, da der Untergang sehr gut dokumentiert ist. Bei näherer Analyse findest du exakt die gleichen Probleme wie aktuell. Manchmal frag ich mich, ob dies eine natürliche Gesetzmäßigkeit ist.

Nun, im Zeitalter der Corona-Krise sind Songtitel wie 'A Colony Of Liar Men', 'Mindeater' und 'When All Hope Is Gone' aktueller denn je. Als ihr euch an die Arbeiten zu "Tales Of A Future Past" gemacht habt, hattet ihr vermutlich keine Ahnung, wie aktuell die Titel sein könnten. Woher nahmst du die Inspiration zu den Stücken? Reicht ein kurzer Blick in die Tagespresse?

Vorweg, was jetzt folgt, spiegelt nur meine Meinung wider, ich kann bei politisch bezogenen Fragen nicht für die komplette Gruppe sprechen, da hat jeder seine eigene Meinung.

Aber ja, ein Blick in die Presse oder Nachrichten reicht völlig aus, um bei mir länger anhaltenden Brechreiz zu erzeugen. Im Kampf um die politische Meinungshoheit wird mittlerweile gelogen, dass sich die Balken biegen. Allen voran dabei von den so genannten Mainstream-Medien (aber nicht nur da), den Megaphonen der Selbstgerechten, die mittlerweile längst vergessen haben, dass es ihre Aufgabe ist, neutral über Fakten zu berichten und sich nicht mit irgendwelchen Meinungen gemein zu machen und das dann als Artikel zu verkaufen - es sei denn der ist so gekennzeichnet. Und dabei wird kein Versuch ausgelassen, die breite Masse zu beeinflussen, all das, was in der Narration am Ende vom 'Colony Of Liar Men' aufgeführt wird: Framing, Overtone Window usw. Dabei bin ich mir ziemlich sicher, dass die Menschen genügend Hirn besitzen, sich aus Fakten ein eigenes Bild zu machen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass unsere Gesellschaft in immer kleinere Teile zersplittert und keiner mehr dem anderen zuhört. Kontroverse Diskussionen, wie ich sie auch innerhalb unserer Gruppe kenne, wo Argumente ausgetauscht werden und wo man seine Position ändert, wenn die vorgetragen Fakten anderer einfach stimmiger sind als die eigenen, scheinen dort gar nicht mehr möglich.

Musikalisch stecken natürlich viele dramatische Elemente in den Songs. 'When All Hope Is Gone' ist ein gutes Beispiel. Welche Botschaft haben die Songs? Was willst du den Hörern mit diesem Album auf den Weg geben?

Zunächst einmal habe ich keine messianischen Gedanken und dementsprechend gibt es auch keine Botschaften von mir. Die Texte spiegeln gesellschaftliche Entwicklungen wider, die mir auffallen, interpretieren muss man die schon selbst. Dazu benutzen wir gerne Metaphern, oder wie bei 'When All Hope Is Gone' eine Parabel. Es wird erzählt, wie ein Planet sein Ende findet, da er in ein schwarzes Loch stürzt/gezogen wird. Seine Einzigartigkeit und trotzdem Bedeutungslosigkeit angesichts von Trillionen an weiteren Planeten ist ebenso Gegenstand des Textes - wirklich tolle Lyrics von Martin.

Speziell die 'Landscape'-Abschnitte haben es mir angetan. Welche Funktion erfüllen sie auf "Tales Of A Future Past"?

Zunächst einmal spielen alle Songs mit Vocals an verschiedenen Orten, und die muss unser Protagonist ja erst einmal erreichen. Was liegt also näher, als ihn verschiedene Landschaften passieren zu lassen. Außerdem unterteilen sie das Album auch noch in Abschnitte von Songs mit ähnlicher Charakteristik.

Allerdings haben die Titel noch einen tieferen Hintergrund. Im klassischen Sinn sind alle Titel eigentlich Vorstudien zur tonalen Umsetzung von Joseph Conrads Novelle "Herz der Finsternis", an der ich mich ja schon seit ein paar Jahren versuche. 'When All Hope Is Gone' gehört auch noch dazu. Bei 'Landscape 3' wird die Gruppe wie ein Orchester eingesetzt, ist quasi als Orchestersatz arrangiert, 'Landscape 2' und 'When All Hope Is Gone' setzt sich mit der Integration Gruppe/Orchester bzw. Gruppe/Orchester/Vocals auseinander und versucht dies gegenüber früheren Ansätzen noch einmal deutlich zu verbessern - was nach meiner Meinung auch sehr gut gelungen ist.

Wie wird es mit MEKONG DELTA in diesem Jahr weitergehen? Wie trifft dich/euch die Corona-Krise hinsichtlich eurer Bandaktivitäten?

Die dürfte Alex wohl am schwersten treffen, da er als Drummer in den letzten Jahren fast immer international unterwegs war. Der Terminkalender für 2020 war auch bis oben voll und das fällt nun alles weg. Bei unserem letzten Telefonat hat er mir erzählt, dass er nun viele Sachen online macht, quasi Mekong in der Breite: Drums normal oder auf dem Elektro-Set einspielen und an die Gruppen mailen.

Selbst bin ich da nicht so stark eingeschränkt: Studio und Instrumente im Haus, genug Ideen um zu experimentieren sind vorhanden. Das einzig Ärgerliche ist, dass wir für Europa einige Konzerte angeboten bekommen haben, die unter den momentanen Umständen wohl nicht stattfinden werden.

MEKONG DELTA besteht nunmehr seit 35 Jahren. Herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle! An welche Zeit denkst bzw. auf welches Album blickst du nach all der Zeit am liebsten zurück und warum?

Da habe ich kein bevorzugtes Album, nach meiner Auffassung sind alle Alben ebenbürtig. Jedes repräsentiert zu dem Zeitpunkt seines Entstehens den Status, auf dem man spieltechnisch und kompositorisch stand, sonst hätte ich die Alben nicht gemacht. Letztendlich ist es so, dass eine "The Music Of Erich Zann" ohne die Erfahrungen der ersten Scheibe nicht möglich, eine "The Principle Of Doubt" ohne "The Music Of Erich Zann“ undenkbar und eine "Dances Of Death" ohne das Wissen, wie man die Instrumente gezielt im Sinne der Komposition einsetzt, schlicht unmöglich gewesen wäre. Das kann man auch für die nachfolgenden Alben sagen.

Ralf, an dieser Stelle noch einmal vielen Dank für Geduld und Zeit. Ich wünsche euch viel Erfolg mit diesem tollen Album! Was möchtest du unseren Lesern und den MEKONG DELTA-Fans unter ihnen noch mit auf den Weg geben?

Ja, ich möchte mich im Rahmen von MEKONG DELTA bei allen alten und neuen Fans für den Support bedanken, ohne euch wäre jede Gruppe nichts. Und noch etwas: Es gibt noch so viele musikalische Sachen zu erforschen und zu entdecken, so ungeheuer viele technische Grenzen zu überschreiten, ich lade euch alle dazu ein, uns weiter zu begleiten.

Redakteur:
Marcel Rapp

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