MOONLIGHT AGONY: Interview mit Kalle Lundin

08.06.2007 | 16:44

Mit ihrem Debüt "Echoes Of A Nightmare" tischten uns MOONGLIGHT AGONY vor drei Jahren einen leckeren Symphonic-Metal-Happen auf, der durch atmosphärisch dichte und mächtige Hymnen mit edlen Melodien überzeugte. Doch dann wanderten Sänger und Bassist ab, die Verbliebenen mussten sich neu orientieren. Heraus gekommen ist dabei "Silent Waters", ein deutlich komplexeres und härteres Album, das zwar vielseitig und tiefgründig daher kommt, aber auch recht schwer zugänglich und sperrig ausgefallen ist. Im Gespräch mit Gitarrist Kalle Lundin beleuchten wir Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von MOONLIGHT AGONY.

Martin:
Kalle, ihr habt ziemlich lange gebraucht, um euer zweites Album zu veröffentlichen. Was aber nicht weiter verwunderlich erscheint, wenn man weiß, was euch in der Zwischenzeit alles passiert ist. Besonders ins Gewicht fällt, dass ihr Sänger Chitral und Basser Christofer ersetzen musstet. Warum haben die beiden die Band verlassen und was kannst du uns über ihre Nachfolger erzählen?

Kalle:
Das Problem mit Chitral war vor allem die große räumliche Distanz. Es war halt sehr unpraktisch und saumäßig teuer, den Mann immer mit dem Flugzeug anreisen zu lassen, wenn wir auch mal alle zusammen proben wollten oder ein Gig anstand. Letztlich haben wir uns einvernehmlich getrennt, weil hinzu kam, dass Chitrals musikalische Ideen doch in eine etwas andere Richtung gingen als unsere. Bei Christofer war es so, dass er mich eines Tages anrief und mir sagte, dass er nicht mehr dabei sein wolle, weil ihm einfach die Leidenschaft und der Ehrgeiz abhanden gekommen waren. Er war nicht mehr in der Lage, 100% für die Band zu geben. Das war ein ziemlich Schlag für uns, wir waren echt traurig, schließlich war er mit dabei, als wir 1999 MOONLIGHT AGONY gründeten. Bei der Sängersuche haben wir von Anfang an festgelegt, dass wir unbedingt jemanden wollten, der in Schweden lebt, um nicht wieder vor denselben Problemen zu stehen wie zuvor. David Akesson war der Beste, der zu den Auditions kam, er ist ein ziemlich junger Kerl, der an der Musik-Akademie studiert. Seine stimmliche Bandbreite ist enorm und zudem hat er jede Menge Power. Außerdem arbeitet er sehr hart an sich und wird bestimmt noch besser werden. Mit Christer, genannt Zigge, hat ein alter Freund von uns den Bass übernommen. Er hat schon unsere ersten Demos produziert und spielt auch bei DRAGONLAND.

Martin:
Zu den Line-Up-Probleme kam dann auch noch ein Labelwechsel hinzu. Warum seid ihr nicht mehr bei Massacre Records sondern bei Dockyard1?

Kalle:
Massacre wollten unser neues Album schlicht und ergreifend nicht. Wahrscheinlich waren sie nicht erfreut darüber, in welche Richtung sich unsere Musik entwickelt hatte. Aber ehrlich gesagt weinen wir dem alten Deal auch keine Träne nach. Bei Dockyard1 werden wir bisher hervorragend behandelt, weshalb wir jetzt zuversichtlich nach vorne blicken.

Martin:
Tatsächlich ist der musikalische Schritt von "Echoes Of A Nightmare" zu "Silent Waters" ziemlich groß. Die hoch melodischen, symphonisch angelegten Hymnen mussten fast komplett weichen und haben das Feld deutlich progressiveren Klängen überlassen. Kannst du mal versuchen, diesen Weg für uns nachzuzeichnen?

Kalle:
Zuerst mal möchte ich darauf hinweisen, dass wir durchaus noch aufwendige, orchestrale Arrangements machen, auf "Silent Waters" vielleicht eher sogar noch mehr als früher. Nur auf diesen symphonischen Bombast der RHAPSODY-Schule hatten wir keine Lust mehr. Wir haben darauf geachtet, dass die Refrains nicht zu cheesy werden, um nicht in kitschige Albernheiten abzugleiten. Im Laufe der Zeit hat es sich einfach ergeben, dass wir lieber mit progressiveren, komplexeren Elementen arbeiten. Trotzdem haben wir immer noch sehr eingängige, melodische Gesangslinien, das unterscheidet uns wohl von den meisten anderen Prog-Bands. Ich würde sagen, wir haben uns weg bewegt vom typisch europäischen Power Metal und spielen jetzt orchestralen, progressiven Melodic Metal. Dieser Schritt war für uns unbedingt notwendig, weil wir eine eigenständige, originelle Band sein wollen und nicht der hundertste Klon von irgend etwas. Bleibt nur zu hoffen, dass die Fans diesen Weg akzeptieren.

Martin:
Ungewöhnlicher und eigenständiger als das Debüt ist "Silent Waters" mit Sicherheit, doch was hilft das alles, wenn es teilweise zu Lasten der Songs geht? Mir persönlich gefallen eingängigere Nummern wie 'Leaving Solitude', 'Different Stories' oder 'Solemn Waters' am besten, weil sie bei allem Anspruch und aller Lust an viel Abwechslung sehr kraftvolle, prominente und einprägsame Melodien in den Vordergrund stellen. Bei anderen, düster-verschachtelten Songs wie 'The Dark Era' oder 'Room 101' verzettelt ihr euch für meinen Geschmack stellenweise, weil die Breaks und rhythmischen Spielereien den Drive und die Dynamik killen.

Kalle:
Oh je, es ist immer schwer auf solche Fragen zu antworten, die etwas mit Geschmack und persönlichen Vorlieben zu tun haben. Aber ganz unvorbereitet trifft mich deine Kritik nicht. Selbst innerhalb der Band gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, welche Songs die stärksten sind und wie die Schwerpunkte gesetzt werden sollten. Meine Ansichten sind nicht so weit entfernt von deinen, ich lege auch sehr viel Wert auf starke, prägnante Melodien, die einen Song führen und bestimmen. Besonders der Chorus muss gut ins Ohr gehen. Aber es gibt da sicher Grenzen, zu viel locker-flockige Melodien darf man auch nicht haben, denn sonst endet das Ganze im belanglosen Tralala. Die Frage ist halt, wo liegt diese Grenze. Das ist der Punkt, wo wir uns bei MOONLIGHT AGONY auch nicht immer einig sind. Daher haben wir uns dazu entschieden, ein Album mit recht unterschiedlichen Songs aufzunehmen: melancholische, verschachtelte, besonders harte, besonders melodische. Ich habe inzwischen viele Reviews gelesen und stelle fest, dass da jeder andere Präferenzen zu haben scheint.

Martin:
Der Musik entsprechend scheint sich auch eure Art Texte zu schreiben zum Ernsthafteren hin verändert zu haben. Ist es euch sehr wichtig, worüber ihr singt, oder ist die Stimme letztlich nur ein weiteres Instrument?

Kalle:
Zunächst mal möchte ich betonen, dass jeder Text auf "Silent Waters" für sich allein steht, es gibt kein übergreifendes Konzept wie bei "Echoes Of A Nightmare". Es sind sehr realistische und persönliche Texte über eigene Erlebnisse, gute wie schlechte, und die Widrigkeiten des Lebens. 'Leaving Solitude' zum Beispiel handelt von einer Person, die an einer Art sozialer Phobie leidet. Bestimmt kennt fast jeder mindestens eine Person, die sich mit so etwas herum schlägt. In 'Different Stories' geht es um die Schwierigkeiten, die viele Menschen haben, einen bestimmten Glauben anzunehmen und an einen einzigen Gott zu glauben, wo es doch unzählige verschiedene Menschen gibt, die total unterschiedliche Philosophien vertreten. Viele bei uns in der Band würden sich wohl als Agnostiker bezeichnen. Du siehst an diesen Beispielen, wir bemühen uns schon, unsere Musik durch halbwegs intelligente Texte zu ergänzen.

Martin:
Wie seid ihr denn zu dem recht futuristisch anmutenden Cover mit den Kometen und dem Tsunami gekommen?

Kalle:
Ich bin total glücklich über das Coverbild, ich mag es sehr, es ist großartig! Es war eine tolle Erfahrung mit Jan Yrlund zusammen zu arbeiten. Er ist unglaublich professionell. Ich denke, ein gutes, auffälliges Cover ist sehr wichtig. Mal ehrlich, wenn man an ein bestimmtes Album denkt, hat man Erstes immer gleich das Cover vor Augen. Und während man sich die Scheibe anhört, bleibt dieses Bild die ganze Zeit irgendwie da im Kopf. Für den Gesamteindruck einer Platte ist das Cover nicht zu unterschätzen.

Martin:
Wie haben die Fans euren stilistischen Wandel bisher eigentlich aufgenommen?

Kalle:
Die Resonanzen waren schon gemischt, aber das kam nicht wirklich überraschend für uns. Es gibt halt eine Fraktion, die hält das neue Album für einen großen Schritt nach vorne, und eine, die das Debüt bevorzugt, weil es eingängiger und üppiger arrangiert ist. Wir haben uns halt weg bewegt vom Power Metal hin zum Progressive Metal, und irgendwie stehen wir wohl gerade mit einem Fuß in beiden Genres. Aber das ist genau, was wir wollen: die fließenden, dynamischen Songs, die symphonischen Elemente und die melodischen Vocals kombiniert mit der künstlerischen Freiheit, dem gehobenen Anspruch und den besonderen Überraschungsmomenten.

Martin:
Dabei ist der Sound des neuen Albums ziemlich heavy und trocken, besonders das Schlagzeug steht ungewöhnlich weit im Vordergrund. Könnte das nicht ein bisschen zu kalt und steril wirken für eine Band wie MOONLIGHT AGONY, die eigentlich davon lebt mit Atmosphäre und Emotionen zu spielen.

Kalle:
Ich bin ganz zufrieden mit dem Sound, aber es gibt natürlich immer noch Raum für Verbesserungen. Für das nächste Album werden wir die Stücke wohl wieder ein wenig anders arrangieren. Man lernt halt mit jeder neuen Platte etwas dazu. Das unterscheidet doch eine gute Band von einer schlechten: Eine gute Band entwickelt sich immer weiter und setzt die gemachten Erfahrungen in echte musikalische Fortschritte um. Wir gehen sehr analytisch an die Sache heran und lesen uns auch die Reviews und Kommentare genau durch, um zu erfahren, wie die Leute unsere Musik wahrnehmen. Wir legen sehr viel Wert auf diese Meinungen. Ich denke, wir werden auf der nächsten Platte etwas rauer und voller klingen als auf "Silent Waters".

Martin:
Geht ihr auch mit derselben analytisch-kritischen Einstellung an die Werke anderer heran? Welche Art von Musik hört ihr privat am liebsten?

Kalle:
Nein, wir müssen nicht immer alles bis ins Detail auseinander nehmen. Aber auf ein gewisses kompositorisches Niveau legen wir großen Wert. In Sachen Metal treffen sich unsere Geschmäcker am ehesten bei SYMPHONY X, DIMMU BORGIR, SCAR SYMMETRY und DREAM THEATER. Wir stehen aber auch alle auf so herrlich bombastische Filmmusik wie die von John Williams, Danny Elfman und Hans Zimmer.

Martin:
Ah, was ich dich unbedingt noch fragen wollte: Euer neuer Basser Christer heißt ja mit Spitznamen "Zigge". Bedeutet dieser Name irgend etwas im Schwedischen? Ich finde ihn irgendwie total witzig, weil er mich so sehr an das deutsche Wort "Zicke" erinnert, was ja im Englischen soviel wie "bitch" bedeutet.

Kalle:
Hahaha, das ist ja genial, das muss ich Christer unbedingt erzählen! Zigge bedeutet gar nichts, das ist nur so eine Koseform seines Vornamens, so wie aus Robert Bob wird halt. Aber in Zukunft werden wir in jetzt wohl "bitch" nennen müssen... was natürlich ziemlich lustig ist bei einem über zwei Meter großen Typen, hahaha!

Redakteur:
Martin van der Laan

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