Mit CARTHAGODS in Istanbul (und mit BLIND GUARDIAN)

24.06.2015 | 12:34

Mit 'nem Flieger nach Istanbul, nur für eine Nacht...

Ist natürlich eigentlich irre. Da fliege ich nach Istanbul für gerade mal 20 Stunden. Aber in diesem Fall doch sinnvoll. Aber dazu muss ich einmal etwas weiter ausholen. CARTHAGODS ist eine tunesische Metalband, die ich schon vor einigen Jahren entdeckte. Durch die politischen Wirren in Nordafrika verzögerte sich die Fertigstellung des Debütalbums, das am 12. Juni 2015 nun endlich erschienen ist, immer wieder. Zu guter Letzt machte sich Marcel Coenen daran, das Album mit den vier Tunesiern aufzunehmen, und der war weniger Produzent als vor allem Bandmitglied, denn der Holländer, den man vor allem durch SUN CAGED kennt, spielt auch die Leadgitarre auf dem Album "Carthagods".

So kam es, dass das Album irgendwann im März fertiggestellt war. Soweit war alles gut, und wir planten eine Veröffentlichung im Juni. Man braucht ja schließlich noch ein bisschen Vorlauf. Zumal ich noch Booklet und Inlaycard setzen musste, und Pressen dauert auch zwei bis drei Wochen. Doch dann teilte mir Gitarrist Tarak Ben Sassi mit, dass CARTHAGODS für die deutschen Fantasymetaller BLIND GUARDIAN in Istanbul würden eröffnen dürfen. Das warf unsere Pläne vollständig über den Haufen. Eine solche Gelegenheit, und dann keine CDs vor Ort? Undenkbar! Also hieß es Gas geben! Schnell entwarf ich die Drucksachen, setzte die Texte und sandte die Dateien zusammen mit der Musik an das Presswerk. Von Anfang an presse ich bei der HOFA in Deutschland, besonders weil ich da sicher sein kann, dass alles klar geht, denn dort werden meine Daten nochmal begutachtet und die Mitarbeiter sind immer so schön ruhig und locker. Nach der Abgabe der Dateien habe ich noch kurz angemerkt, dass ich die CDs dringend brauche, und nur zehn Tage später kamen ganz unspektakulär die Pakete bei mir an.

Nächstes Problem: Wie kriegt die Band die CDs? Nach Rücksprache mit Tarak scheint Postversand in die Türkei nicht die beste Lösung zu sein. Das gäbe Probleme. Okay, also schnell nach Tunesien mit den Dingern. Nach kurzer Recherche folgt die Ernüchterung. Versand nach Tunesien ist möglich, unbeschadetes Eintreffen allerdings eher unwahrscheinlich. Einzige relativ verlässliche Option wäre UPS. Nach einem kurzen Preischeck mutmaße ich, dass ich neben dem Versand von 100 CDs mit einem Gewicht von etwa 11 Kilogramm auch Anteilseigner bei UPS werden würde. Anders kann ich mir die Versandkosten von 775 Euro nicht erklären. Noch am gleichen Tag reift die Entscheidung, dass persönlich nach Istanbul bringen deutlich billiger werden würde. Und siehe da, 330 Euro für den Flug, 90 Euro für das Hotel. Gesagt, getan. Türkei, ich komme!

Der Hinflug mit Turkish Airlines ist sehr angenehm. Drei Stunden, nette Flugbegleiterinnen, es gibt sogar Metallbesteck zur Mahlzeit. Und In-Flight Entertainment. Ungewohnt sind die türkischen Ansagen, aber die Absturz- und Notwasserroutine kennt man ja. Wobei man sich ja fragt, in welchem Tümpel wir notwassern wollen zwischen Stuttgart und Istanbul. Sollten wir wirklich irgendwie in einem Teich oder der Donau notwassern, nehme ich mir vor, ruhig sitzen zu bleiben, damit die Einsatzkräfte auch etwas zu tun haben, und wir nicht alle bereits an Land gewatet sind. Danach Touchdown in Istanbul, und ich muss zugeben, dass ich erstmals die Türkei besuche. Schon vom Flughafen aus sehe ich bereits die ersten, dünnen Türme einer weit entfernten Moschee. Da ich mich vorher informiert habe, wo ich hinmuss, geht es jetzt Richtung Metro. Nur wo kriege ich ein Ticket, und wie viele Tickets brauche ich? Ich muss nämlich einmal umsteigen. Glücklicherweise hilft mir ein freundlicher Mitarbeiter der Touristeninformation, der sogar Deutsch spricht. Die Automaten sprechen hier nämlich nur türkisch. So kaufe ich eine Istanbul-Karte für 20 Türkische Lira, etwa 7 Euro, was ausreichen wird, um mich nach Sisly und wieder zurück zu bringen.

Nach Metro mit Umsteigen - easy -, einem kurzen Orientierungsmarsch - schweißtreibend, vor allem mit 11 Kilogramm CDs im Gepäck, und weil ich feststelle, dass Istanbul schwer am Hang liegt und ich irgendwie dauernd bergauf muss, einer abschließenden Taxifahrt, - wieder easy und gar nicht teuer - erreiche ich das nette, kleine Hotel, in dem auch die CARTHAGODS wohnen. Als ich eintreffe, stehen die Vier zufällig gerade draußen vor der Tür und wollen los in Richtung Venue. Das passt ja perfekt! Aber wieso vier? Das müssten doch fünf sein? Tarak berichtet mir betreten, dass Marcel Probleme mit seinem Pass hatte und nicht kommen konnte. Es fehlt also der Lead Gitarrist! Das ist ja eine Katastrophe! Obendrein konnte Basser Yassine nicht mitkommen, und der ehemalige Basser Nad musste einspringen. Na, das kann ja heiter werden...

Ich checke kurz ein, gebe den Jungs die CDs, die sie natürlich erfreut entgegennehmen und dabei über mein Gepäck lachen: 105 CARTHAGODS-CDs, jeweils ein Exemplar meiner anderen bisherigen Veröffentlichungen, ein T-Shirt, eine Unterhose und eine kleine Plastiktüte mit Zahnbürste und Zahnpasta. Mehr passte einfach nicht ins Handgepäck, ich reise also leicht.

Wir haben ein Taxi und sagen, wir bräuchten noch ein zweites. Der Taxifahrer überzeugt uns, dass wir auch zu fünft in sein Auto passen würden. Tatsächlich, wir passen rein, bequem geht allerdings anders. Mehdi, der Sänger der CARTHAGODS, verhandelt den Preis, der mit 20 Türkischen Lira auch nicht zu hoch ausfällt. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir den Veranstaltungsort, den KüçükÇiftlik Park. Dort erwartet uns bereits die Promoterin, die uns schnell Backstagepässe verpasst und sagt, alles sei zum Soundcheck bereit.

Die ganze Organisation ist entspannt, aber gut strukturiert. Der lokale Veranstalter Vera Promotions macht ganze Arbeit. Alles ist pünktlich, aber die Atmosphäre ist sehr gelöst. Wir gehen erstmal auf die wirklich sehr große Bühne und soundchecken. Der Band steht quasi soviel Zeit zur Verfügung, wie sie möchte. Das ist auch nötig, denn normalerweise kümmert sich Marcel mit seiner weitaus größeren Erfahrung um Sound und Technik, aber der ist ja nicht da. Mehdi springt ein und organisiert alles. Die Roadies werden schon etwas ungeduldig, denn das Ganze dauert wirklich lange. Vor allem an der Gitarre, bis sich herausstellt, dass irgendetwas an der Monitorbox nicht stimmt. Doch kurz danach sind auch diese technischen Probleme behoben, und wir gehen wieder runter.

BLIND GUARDIAN ist gerade beim Abendessen. Wir beschließen, einfach mal außerhalb stehen zu bleiben und einen Kaffee zu trinken und zusammen mit den Guides, die Vera Promotions den Jungs gestern gesandt hatte, damit sie nicht verloren gehen, ein bisschen zu palavern. Die vier Musiker sind durchaus etwas nervös, die Umstände sind ja auch denkbar schlecht. Eigentlich haben sie 35 Minuten Spielzeit, aber von den Songs des Albums meinen sie, gerade einmal vier Stück ohne Marcel spielen zu können. Kurz überschlagen sind das 25 Minuten. Statt zu straffen, dürfen sie jetzt besonders den Hit 'Memories Of Never Ending Pains' etwas verlängern.

Ich beschließe, erstmal zu schauen, wo es Merchandise geben wird. Nachdem die CDs schon hier sind, sollen sie natürlich auch zu erwerben sein. Der offizielle Verkaufsstand entpuppt sich als eine Art Gemischtwarenladen mit Magic- und Yu-Gi-Oh!-Karten, Tassen, Handybändchen und BLIND GUARDIAN-T-Shirts. Gerne legen die Jungs unsere CDs dazu. 20 Türkische Lira wäre ein sinnvoller Preis, sagen sie. Und sind mit ihrem Anteil von 10% auch durchaus genügsam. Also gibt es ab jetzt auch Tonträger - denn die CARTHAGODS-CDs sind die einzigen. Wieso gibt es hier keine BLIND GUARDIAN-CDs? Schade, ich wollte eigentlich die Gelegenheit nutzen, und mir das neue Album zulegen und hätte gerne gesehen, ob es irgendetwas Besonderes gibt bei der türkischen Ausgabe.

Als ich zurückkomme, werden wir gerade zum Essen gerufen. Das Catering ist toll. Türkische Spezialitäten, viel frisches Gemüse, und Huhn und Rind vom Grill, der schon seit geraumer Zeit backstage vor sich hinqualmt. Dazu Cacik, Humus, Yaprak Dolması. Und natürlich Baklava. Definitiv ein Höhepunkt der Reise. Wer weiß, wie gerne ich neue Spezialitäten probiere, weiß wie sehr ich das genieße. Dazu Tuborg aus der Dose. Ich hätte ja Efes vorgezogen - think global, drink local, sag ich immer - aber das ist nun wirklich eine Nebensache. Hansi Kürsch kommt während des Essens zu uns und hält einen kleinen Schnack. Als ich ihm auf Deutsch antworte, guckt er amüsiert. Klar, eine unbekannte tunesische Band als Vorgruppe, und dann ein deutscher Begleiter. Natürlich wird Hansi schnell mit einer der mitgebrachten CDs eingedeckt. Nur falls es mal nichts mehr zu hören gibt im Bandbus. Ich bin sicher, nach so einer Tour werden sie Dutzende, wenn nicht Hunderte von Tonträgern zugesteckt bekommen haben. Aber das ist uns egal. Wir haben einer der größten und besten deutschen Bands eine CARTHAGODS-CD gegeben und stellen uns natürlich vor, dass sie der Band gut gefällt. Ich zitiere mal die BLIND GUARDIANS: "It's nothing else but fantasy, it's make believe". Auch Mehdi ist begeistert und freut sich, dass ich ein Foto gemacht habe. Okay, mit meiner kleinen Knipse ist das natürlich eher für den, ähm, Hausgebrauch, aber wurscht.

Dann wird mir gesagt, ich müsse dafür sorgen, dass die Jungs pünktlich von der Bühne gehen würden. Klar, zu irgendwas muss ich ja auch gut sein. Es wird sowieso eher etwas kürzer, kündige ich an. Und dann geht es los. Das Gelände ist gut gefüllt, und die Fans sind tatsächlich schon super drauf. 'My Favorite Disguise' eröffnet den minimalistischen Set der CARTHAGODS und die türkischen Rockfans nehmen den Song an und geben der Band ein tolles Feedback. 'A Last Sigh' folgt, doch der Höhepunkt ist dann tatsächlich 'Memories Of Never Ending Pains'. Mehdi lässt das Publikum mitsingen. Toll, tatsächlich machen die BLIND GUARDIAN-Fans mit. Medhi ist begeistert, aber er macht als Frontmann auch eine gute Figur. Der Rest der Band bleibt eher blass, Nad und Tarak gehen eher schüchtern ein wenig auf der Bühne herum, aber Mehdi spielt mit den Fans und als die Band nach 25 Minuten die Bühne verlässt, ist das, was unter so widrigen Umständen begonnen hatte, doch noch zu einem versöhnlichen Abschluss gekommen.

Die Stimmung ist danach natürlich super. Dass wir am Ende nur zwei CDs verkauft haben werden, ist dabei Nebensache. Hey, zwei mehr als vorher, oder? Dann kommt BLIND GUARDIAN und wir wollen natürlich dem Tag das i-Tüpfelchen mit dem Genuss der Show der Deutschen aufsetzen. Der Beginn der Show ist auf 21.54 Uhr festgesetzt, so sagt es der Timetable im Backstagebereich, und tatsächlich, pünktlich wie die Maurer geht es mit 'The Ninth Wave' in die Vollen.

Wer mehr über den Auftritt der Krefelder wissen möchte, kann den Konzertbericht lesen, ich konzentriere mich hier mal auf unseren Platz im Publikum. Denn während wir bei 'Banish From Sanctuary' noch etwas Zurückhaltung an den Tag legen, geht es bei 'Nightfall' in die Vollen. Doch der größte Augenblick während des Auftrittes ist, als Hansi den 'Lord Of The Rings' anstimmt. Natürlich kann ich nicht an mich halten und singe mit, sicherlich bedeutend besser im Bereich Lautstärke denn im Treffen der Töne, aber das stört niemanden. Im Gegenteil, ein unbekannter türkischer Metalfan liegt mir kurz darauf in den Armen und den Rest des Liedes singen ein Tunesier, ein Deutscher und ein Türke inbrünstig mit. Völkerverständigung durch blinde Wächter. Aber wenn man sich einmal umsieht, ist das Publikum in Istanbul auch kaum anders als es auf einem Open Air in Deutschland wäre. Das ist nämlich der Unterschied. Während in Deutschland Regen und zehn Grad herrschen, rocken wir hier unter freiem Himmel bei frühsommerlichen Temperaturen.

Pause. Wir brauchen jetzt erst einmal etwas zu Trinken. Die Bierkarte an den Tresen klingt sehr gut, aber irgendwie finde ich Guinness unpassend. Wir bleiben bei mehr vom Gleichen, mal soll ja nicht immer so durcheinander trinken. Noch einmal wird es wild, als nämlich 'And Then There Was Silence' erklingt. Mehdi ist aus dem Häuschen. Er berichtet, dass Drummer Mohammed und er dieses Lied ein Jahr lang jeden Morgen gehört hätten. Dementsprechend textsicher sind die beiden. Die Meute tobt, die Zugaben sitzen ebenfalls, so langsam setzt eine gewisse Müdigkeit ein. Wir verabschieden uns von den neuen Bekanntschaften und verziehen uns kurz vor Schluss wieder in den Backstagebereich. BLIND GUARDIAN kommt von der Bühne und verzieht sich in die Garderoben. Eine kurze Zeit später kommt Bernd, der holländische Bassist, den die CARTHAGODS schon kennen, raus zum Plausch. Wir alle reden noch ein bisschen, es werden Fotos gemacht, aber es wird auch langsam Zeit, den Abend ausklingen zu lassen.

Wir holen uns noch ein paar T-Shirts am Merchandise-Stand, die mit 40 Türkischen Lira erschwinglich sind. Dann brauchen wir zwei Taxis. Diesmal aber wirklich zwei. Doch bevor es losgeht, werden die Jungs nochmal von ein paar Fans zum Foto gebeten, vor allem Mehdi. Als er bereits wieder bei uns ist, kommt ein türkischer Fan und stellt ihn zur Rede, er möge doch nicht "Alahu Akbar" sagen, was auf Arabisch "Gott ist groß" heißt. Der junge Mann fühlt sich in seinem Religionsempfinden auf den Schlips getreten. Mehdi schaut verblüfft. Er fragt den Jungen, ob dieser wüsste, woher die Band stammt? Als Mehdi ihm sagt, sie seien aus Tunesien, Moslems und sprächen alle fließend Arabisch, guckt der Fan ein wenig belämmert. Mehdi lässt nicht locker und erzählt ihm ziemlich deutlich, dass er jede Religion respektiert, doch bevor dieser Monolog ausarten kann, ruft Tarak, der den Austausch mitbekommen hat, alle zusammen und in die Taxis. Der Vorfall ist anschließend kein Thema mehr, ich bin sicher, ich messe ihm mehr Bedeutung zu, weil er für mich so ungewöhnlich ist, aber die Tunesier sind sicher ganz andere Diskussionen gewohnt.

Im Hotel angekommen, nach einer Fahrt durch das wirklich interessante Istanbul, das ich mir unbedingt mal richtig ansehen sollte, setzen wir uns noch ein bisschen raus in die laue Frühlingsnacht. Zufrieden, aber auch mit dem Gedanken, dass noch mehr drin gewesen wäre, wenn nicht das Missgeschick mit Marcel unterlaufen wäre. Irgendwann ist aber alles Adrenalin abgebaut, die Müdigkeit gewinnt, wir gehen ins Bett. Am nächsten Morgen treffe ich noch Mohammed und Tarak, als ich zum Flughafen aufbreche, da die beiden, deren Flug erst später am Tag abfliegt, noch eine kleine Erkundungstour durch die Nachbarschaft antreten wollen. Noch einmal fahre ich mit der Metro zurück, die wirklich eine großartige Verkehrsader dieser großen Stadt darstellt, dann geht es mit Onur-Air zurück nach Stuttgart. Ein teurer Trip für eine BLIND GUARDIAN-Show, sicher, aber ich habe eine tolle Erfahrung genossen und viel Spaß gehabt. Vor allem Dank zweier toller Bands, meinen CARTHAGODS und den sympathischen, professionellen und bodenständigen Stars aus Deutschland, aber auch aufgrund der vorbildlichen Organisation von Vera Promotion, Istanbul. Teşekkür ederim.

Redakteur:
Frank Jaeger

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