NACHTGESCHREI: Interview mit Martin, Laui und Stephan

07.03.2017 | 23:07

Am dritten März erschien mit "Tiefenrausch" der sechste Langspieler von NACHTGESCHREI. Im Interview mit Martin, Laui und Stephan wird schnell klar - schon jetzt zeigt sich die Band von ihrem Werk durchaus.... berauscht.

Für Klaustrophobiker sind die Backstage-Räume auf den WACKEN WINTER NIGHTS nur bedingt geeignet. Ganz im Stile idyllischer Skihütten inklusive Interieur gehalten, wird es hier zum Interview mit NACHTGESCHREI schnell richtig kuschlig. Fast so kuschlig wie im THEATER OF GRACE, der zweiten Bühne des Winter-Festivals. Hier machten die Frankfurter Nachtgestalten wenige Stunden zuvor noch richtig Stimmung, Platzproblemen zum Trotz. "Das war eben eine Low-Budget-Nummer", fasst Sänger Martin schmunzelnd zusammen. Nicht nur auf der Bühne wurde es für die siebenköpfige Band bei ausladenderen Gesten etwas eng. Auch dem großen Publikumsandrang bei NACHTGESCHREI konnte die Location leider nicht vollkommen gerecht werden. Einige Zuschauer mussten so draußen warten, hier passt endlich einmal das phrasenhafte Sprichwort: "Denen wurde die Bühne zu klein." Nichtsdestotrotz: "Generell ist das Festival und die Idee dahinter schon ziemlich cool", lobt Martin den Frischling im Veranstaltungskalender. Auch Bandküken Laui kann da nur beipflichten: "Für uns hat das Ganze schon etwas von einem Familientreffen." Durch den Fokus auf die mittelalterliche Musik, den das Line-up in diesem Jahr legte, treffe man "die gleichen Leute, eben nur an einem anderen Ort".

Und so ist es kaum verwunderlich, dass diese Leute auch schon im Bilde über den Nachwuchs im Hause NACHTGESCHREI sind und dementsprechend nach neuen Klangeindrücken bei der Show des Septetts lechzten. Am dritten März erschien der neue Langspieler, der nunmehr Sechste im Bunde, "Tiefenrausch". Ein bildgewaltiges Wort, welches die sieben Musiker schon seit Beginn der Arbeiten am Album prägte. "Tatsächlich standen das Wort und auch der Titelsong als Allererstes", erinnert sich Martin. "Wir sind von einem Auftritt zurückgefahren und auf einmal war der Titel einfach da." Da die Band sich auf zwei Fahrzeuge aufgeteilt hatte, wurde der zündende Funke per Telefon sofort an die restlichen Mitglieder übermittelt. "Auf einmal herrschte Stille im Bus und wir haben uns gefragt, wie das neue Album wohl klingen wird", erzählt Schlagzeuger Stefan vom Entstehungsmoment des Motivs, welches den Sound und auch die Optik der CD prägte. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt vollkommene Ungewissheit über diese Frage herrschte, der Name fiel auf fruchtbaren Boden. "Wir waren alle wie berauscht", berichtet Laui. Danach ging alles ganz schnell. Das Lied 'Tiefenrausch' selbst entstand enorm flott, so Martin: "Der Text war vielleicht eine Sache von vier bis fünf Minuten." Eine unglaubliche Kreativleistung, mit der die Frankfurter eine echte Marke gesetzt haben. Kein Wunder, dass Laui da mit stolzgeschwellter Brust sagen kann: "Ich denke, dieser Song ist unser aller Liebling. Das ist ein wahnsinnig schönes Gefühl."

In einer Band, in der auch beim Songwriting viele verschiedene Einflüsse und Meinungen zum Tragen kommen, ein besonders starkes Zeichen. Denn nach DEM Mastermind, auf dessen Kappe alle Melodien, Riffs und Lyrics gehen, sucht man bei NACHTGESCHREI vergebens. "Jeder bringt sich in die Musik mit ein, wir haben alleine vier Haupttexter", verrät Martin. Ein jeder habe dabei andere Ansätze, vor allem die Einsätze mittelalterlichen Instrumente von Laui und Nic erfordere von den beiden auch kompositorisches Engagement. Die Baustellen liegen allerdings bei jedem Bandmitglied an einer anderen Stelle: "Man kann fast sagen, dass Sane und ich für das Gerüst der Songs verantwortlich sind." Währenddessen habe Oli einen immens hohen Output, was Riffs betrifft. Alleine für das neue Album seien da 86 Riffs aus seiner Feder zusammengekommen, dem heroischen Stück 'Heldenmut' hat er damit definitiv seinen persönlichen Stempel aufgedrückt.

Es scheint, als habe der "Tiefenrausch" die Band in ihrem Schaffen immens beflügelt. Nicht nur musikalisch - für das Cover der fast schon abstrakt anmutenden Platte überfluteten die Nachtgestalten den Künstler Travis Smith (u.a. OPETH, KATATONIA) mit Motiven und Ideen: vogelartige Rauschgestalten, Miniaturstädte unter Wasser... "Er ist ein unglaublicher Künstler", sagt Martin bewundernd. Seine Bandkollegin Laui führt weiter aus: "Er vereint deinen Stil einfach mit seiner Kunst." Um ihr Statement zu untermauern, zieht die Drehleierspielerin die erste gepresste CD des neuen Albums hervor. Auch zur Überraschung ihrer Bandkollegen. Beim ersten ehrfürchtigen Durchblättern des Booklets stellt sich schnell heraus: Auch im Inneren behält "Tiefenrausch" den sphärischen, mystischen Stil bei, den das Cover der Platte ausmacht. "Es ist nichts von unseren Ideen verlorengegangen", merkt Laui an. Bei dem Übermitteln der Songtexte musste NACHTGESCHREI dabei besonders aufmerksam vorgehen, verrät Stefan. "Schließlich ist Travis Amerikaner und hat sich darauf verlassen, dass unsere Texte, inklusive der Umlaute, stimmen."

"Die CD ist wunderschön", schwärmt Laui über das Resultat der Bemühungen und geht gleich zur Antwort auf meine nächste Frage über. Was macht den Nachfolger des 2015 erschienenen Langspielers "Staub und Schatten" denn abseits der Optik aus? Für sie stellt das Album den großen Umbruch dar. "Wir sind direkter geworden", begründet sie diese Einschätzung. "Die Musik ist druckvoller geworden, das Schlagzeug ist bisweilen druckvoller und präsenter", ergänzt Stephan. Dies führt er auch auf die Aufnahmemöglichkeiten im neuen Studio von Phil Hillen zurück, in dem "Tiefenrausch" entstand. "Ich habe mich dort drei Tage eingenistet und nur Schlagzeug gespielt. Das SU2-Studio liegt etwas außerhalb, während das erste Studio noch im Wohngebiet war. Aber hier hat es einfach niemanden interessiert." Keine Ablenkung, höchste Konzentration auf das wohl mutigste Album von NACHTGESCHREI.

Keine Kompromisse - das ist für Martin die Kernaussage von "Tiefenrausch". "Auf dem Album experimentieren wir viel mehr mit Elementen wie beispielsweise Synthesizern, Western-Einflüssen und anderem." Ebenfalls beziehen die Nachtgestalten auf vielen Songs offensiv Stellung und präsentieren sich mutig und offen. "Wir haben uns freigestrampelt und sind erwachsen geworden", fasst Stephan all diese Eindrücke zusammen und betont: "Das spürt man in der Musik."

Erste Eindrücke von der neuen NACHTGESCHREI-Scheibe gingen übrigens kurz nach dem Auftritt der Band auf den WACKEN WINTER NIGHTS online. Den Titeltrack des Albums "Tiefenrausch" findet ihr hier:

Redakteur:
Leoni Dowidat

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