NAPALM DEATH: Interview mit Barney

01.01.1970 | 01:00

Es ist schon später am Abend, aber England liegt ja eine Stunde zurück. Und so ist es für Mark "Barney" Greenway kein Problem, immer noch Interviews zu geben. "Hi, is this Carsten?", kommt mit tiefem Birminghamer Akzent durch den Hörer, ehe sich der NAPALM DEATH-Grunzer u.a. über das neue Cover-Album "Leaders Not Followers: Part 2" , Tony Blair und Ronald Reagan äußert.

Carsten:
Warum bringt ihr einen zweiten Teil von "Leaders Not Followers" heraus? Warum ein zweites Cover-Album?

Barney:
Wir hatten beim ersten Teil wirklich Spaß, es hat gut geklappt und die Leute mochten es. Wir hatten auch schon einen zweiten Teil geplant, die Frage war nur, wann wir ihn machen. Wir hatten auch noch Aufnahmen von der ersten Session, die wir leider nicht verwenden konnten, weil wir auf sechs Tracks beschränkt waren. Aber dann dachten wir, lasst uns das noch mal machen. Wir haben viele Songs zusammengetragen und uns dann entschieden es wirklich zu machen. Und offensichtlich wollten wir wieder einen Mix aus Hardcore, Punk und Metal aufnehmen und den habt ihr nun bekommen.

Carsten:
Und was waren die Kriterien, nach denen ihr die Songs für das Album ausgesucht habt?

Barney:
Keine, wirklich. Es sollten lediglich Songs sein, die NAPALM DEATH oder uns persönlich beeinflusst haben. Also aus dem Metal-Hardcore-Genre, das war es eigentlich. Und vielleicht etwas obskurer, okay. Was wir so gehört haben in der goldenen Ära des Hardcore und extremen Metal, was natürlich Anfang, Mitte der Achtziger war.

Carsten:
Habt ihr euch viele Songs angehört, bevor ihr eine Auswahl getroffen habt?

Barney:
Was wir getan haben, ist, dass wir uns nicht eingeschränkt haben. Es war sehr vertraut, was wir wollten, oder auch nicht wollten, denn die Songs waren ja schon da. Wir sind einfach mit einer Liste ins Studio gegangen und haben angefangen. Als wir bei 19 Songs ankamen, merkten wir "oh, die Zeit läuft uns davon", ha ha. Das Geld ging zu Ende, das das Label für die Session bezahlt hatte. Wir mussten also bei 19 aufhören und dann mixen. Es sind also ein paar Songs übrig geblieben. Wir sind also soweit gegangen, wie wir konnten.

Carsten:
Einen meiner Redaktionskollegen würde interessieren, wie ihr gerade auf "so geile Bands" wie WEHRMACHT oder MASSACRE gekommen seid.

Barney:
Einer unserer Punkte für "Leaders Not Followers" war, den Leuten zu zeigen, dass es Bands gibt, die Demos aufnahmen, ohne großes Geld. Was immer noch rauskommen könnte, auch wenn es nur Demo-Zeugs ist. Und weil es so klassisches Material ist, sollten die Leute es hören. Sie können es vielleicht besser hören, wenn NAPALM DEATH es aufnehmen. Leute, die es noch nicht gehört haben, sollten danach Ausschau halten. Das war die generelle Idee, weißt du: "schaut, da gibt es klasse Songs, die sollten ihr anchecken". Vielleicht werden dann einige Leute den Original-Song anchecken. Wenn sie ihn finden können, denn einige sind sehr schwer zu finden. Das war das Kriterium. Natürlich sind auch einige bekannte Bands drauf wie KREATOR, SEPULTURA und AGNOSTIC FRONT. Und dann gibt es mehr obskuren Stoff wie THE OFFENDERS. Ein netter Mix.

Carsten:
Wenn du nur ein paar dieser Bands auswählen müsstest, welche würdest du nehmen? Was sind die wichtigsten Bands auf diesem Album?

Barney:
Ich würde sagen THE OFFENDERS, MASTER, DISCHARGE... wie viele soll ich nennen?

Carsten:
Sind dir diese drei am wichtigsten?

Barney:
Ja, vielleicht auch, weil sie etwas anders sind, wenn ich mir die Trackliste so ansehe. (lacht)

Carsten:
Kann die Trackliste als ultimative Auswahl eures persönlichen Musikgeschmacks angesehen werden?

Barney:
Es sind die persönlichen Einflüssen von fünf Leuten. Unterschiedliche Einflüsse. Denn mein Lieblingsalbum war für lange Zeit "Ace Of Spades" von MOTÖRHEAD. Aber von denen ist nicht mal ein Track auf dem Album. MOTÖRHEAD ist für mich ein Einfluss auf NAPALM DEATH, denn sie hatten einen großen Einfluss auf extreme Musik. Dennoch ist kein Song von ihnen auf dem Album, da die anderen Songs einfach besser zu NAPALM DEATH passen als MOTÖRHEAD.

Carsten:
Ist denn der Musikgeschmack von euch Fünfen recht unterschiedlich?

Barney:
Nicht in der ganz extremen Musikrichtung, die auch auf dem Album vertreten ist. Jeder von uns hört aber auch Bands, die absolut keine musikalische Verbindung zu NAPALM DEATH haben.

Carsten:
Du hast mal gesagt, dass du dich etwas verloren fühlst, wenn ein Song länger als 2 ½ Minuten geht. Bei KREATORs 'Riot Of Violence' – mit 4:40 Minuten der längste Song auf "Leaders Not Followers: Part 2" – musst dich dann ja sehr verloren gefühlt haben.

Barney:
Ja, nach drei Minuten, ha ha ha! Es ist wirklich hart, einen langen Song zu spielen, denn selbst wenn es nicht langweilig wird, fragst du dich "wird es vielleicht langweilig, wenn die Leute es hören?" Und du hörst auf, das zu hinterfragen, denn das muss ja nicht sein. Das ist schon lustig.

Carsten:
Du bevorzugst eher kurze Songs, auch auf dem Coveralbum.

Barney:
Genauso ist es.

Carsten:
Habt ihr denn auch Bands ausgewählt, die dieselbe politische Einstellung wie ihr habt?

Barney:
Ja, da sind einige drauf, wie DISCHARGE beispielsweise, ANTI-CINEX, SIEGE, CRYPTIC SLAUGHTER. Da gibt es einige Bands, die dieselbe Weltansicht haben wie wir.

Carsten:
Und wo wir gerade beim Politik sind: Sag mir doch bitte ein paar Worte zu Tony Blair.

Barney:
Ha ha, ein paar Worte zu Tony Blair, he he. Tony Blair ist der Führer der Labour-Partei, wie jeder weiß. Eine Labour-Partei, deren Mitglied ich mal war, aber nicht mehr bin, da die Partei nach meiner Meinung – und auch der einiger anderer mehr – zu weit nach rechts gedriftet ist, weißt du. Tony Blair ist ein guter Redner, aber ich finde ihn nicht vertrauenswürdig. Ich traue keinem, der einige Dinge mit etwas getan hat, was ich anfangs eine Labour-Partei genannt habe. Und grundsätzlich ist er der Mann, der, wie wir alle wissen, auf die Seite von George Bush sprang und in einen lächerlichen Krieg zog, der viele unschuldige Menschen getötet hat. Wer immer man ist, aber wer so viele Menschen ohne Grund tötet, sorry, das geht nicht an. (lacht verächtlich) Ich finde es sehr merkwürdig, dass die damit durchkommen, ohne eine Antwort dafür zu geben, was sie getan haben. Und es macht mich etwas verrückt, dass auch in Britannien viele Leute nicht mehr darüber reden. Oder warum wird Tony Blair nicht vermehrt in Frage gestellt? Weißt du, es ist so wahnsinnig. Bush und Blair gehen einfach weiter, ohne irgendeine Schuld. Es ist verrückt.

Carsten:
Auf dem letzten Album habt ihr mit 'Continuing War On Stupidity' bereits einen Song geschrieben, in dem es hieß: "Thatcher, Reagan, Bush – that's one three headed beast."

Barney:
Das ist wirklich "fucking" Dynamite. Das macht mich echt wütend, vor allem Margarete Thatcher, die eine absolut abgefuckte Kreatur ist, he he. Und neben Margarete Thatcher hast du George Bush, George Bush senior und natürlich Ronald Reagan. Weißt du, das ist eine Sache, die mir wirklich nah geht. Ronald Reagan starb und in Amerika gab es diese große Trauer. Sie sagten "oh, es ist der Tod eines großen Mannes". Nein, er war kein "fucking great man", er war ein beschissenes Arschloch! Ich meine, das ist der Typ, der dafür verantwortlich war, dass Todesschwadronen nach Zentralamerika geschickt wurden. Wo Familien, Frauen mit Kindern, getötet wurden, wie jeder mit einer linken Einstellung, der sich nur engagieren wollte. Das können nicht die Taten eines großen Mannes gewesen sein. Das waren die Taten eines verdammten Drecksacks. (lacht verächtlich) Wenn solche Typen sterben, fangen alle an zu weinen. Auch vermeintliche Denker sagen dann "wir müssen einem großen Mann gedenken". Nein, er war kein großer Mann. Und zwar genau, weil er nicht für das gerade stand, was er getan hat. Das macht ihn zu keinem großen Mann. Also "what the fuck" macht ihr da? Wacht auf, ihr blöden, verdammten Idioten! Weißt du, es ist wirklich erstaunlich.

Carsten:
Okay, ich würde wirklich gerne noch weiter mit dir über Politik diskutieren, aber ich habe noch ein paar Fragen zu eurem Album. Ich habe gelesen, dass ihr versucht habt, den Sound der Klassiker originalgetreu zu übernehmen.

Barney:
Ja, bei einigen. Auch wenn es natürlich nichts gab um abzumessen, wie man den originalen Sound hinbekommt. Aber es gibt zum Beispiel einige Tracks, die die selbe Snare-Drum wie im Original haben, weißt du. Oder der CELTIC FROST-Track (er meint HELLHAMMERs 'Messiah' – Anm. d. Verf.) hat dasselbe Reverb. Oder die Vocals, HELLHAMMER hat im Original-Track dieselbe Einstellung für den Stimmen-Harmonizer. Und so gibt es einige kleine Details, die man vielleicht bemerkt, wenn man mit dem Original sehr vertraut ist und genau hinhört. Denn wir wollten einfach treu sein. Wir wollten die Songs zwar in der Weise durchziehen, wie NAPALM es tut, aber wir wollten auch originalgetreu sein. Es sind einfach Klassiker, weißt du.

Carsten:
Es muss ja ziemlich heiß im Robannas Studio in Birmingham gewesen sein, so dass sich die Geräte immer wieder abschalten wollten?

Barney:
Ha ha, genau so war es, denn es war so heiß. Es gab dort keine Klimaanlage, und das im Hochsommer. Wir haben vielleicht geschwitzt, das war schon etwas unkomfortabel. Manchmal wollte sich das Aufnahmepult abschalten, aber es musste noch 20 Minuten weitergehen. Also mussten wir es irgendwie kühlen, um weiterzumachen, he he.

Carsten:
Jim Whiteley, euer alter Bassist, ist in 'Game Of The Arseholes' und 'War's No Fairytale' zu hören.

Barney:
Ja, richtig. Jim ist auch drauf, ein alter Punk-Kamerad.

Carsten:
Ferner war euer Gitarrist Jesse raus aus der Band und ist nun wieder zurückgekehrt?

Barney:
Ja, Jesse hatte einige persönliche Probleme und Alkoholprobleme. Einige Sachen, er versucht immer noch, darüber hinwegzukommen. Wir werden sehen, wie das weitergeht. Er sieht ganz gut aus, aber es ist offensichtlich, dass er große Probleme hat.

Carsten:
Mal zu den anderen Mitgliedern: Weißt du, wann Shane was neues mit LOCK UP aufnehmen wird?

Barney:
Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass er momentan etwas mit einem Typen von MALEVOLENT macht. Die Band nennt sich VENOMOUS CONCEPT. Die klingt ziemlich nach dem Mitte-Achtziger-Hardcore aus Amerika. Es ist wirklich verdammt gut.

Carsten:
Und wird Mitch was neues mit DEFECATION machen?

Barney:
Es wird bestimmt was neues von DEFECATION geben, das wird sehr achtbar sein.

Carsten:
Hab ihr denn auch schon neuen Original-NAPALM-DEATH-Stoff?

Barney:
Wir haben schon neuen Stoff am Start, das neue Album sollte im Februar nächsten Jahres herauskommen.

Carsten:
Werdet ihr dann auch eine Tour spielen?

Barney:
Wir gehen schon vorher auf Tour, Ende dieses Jahres. Mit MARDUK, FINNTROLL, VADER und einigen anderen... THE BLACK DAHLIA MURDER. (Und BELPHEGOR! – Anm. d. Verf.) Es ist dieses X-Mas-Festival oder so. Außerdem werden wir durch Amerika touren mit CANNIBAL CORPSE. Denn beide Bands haben im Moment Zeit, also macht es Sinn diese beiden Bands zusammenzuführen. Und Anfang des nächsten Jahres werden wir natürlich eine Headliner-Tour spielen.

Carsten:
Da freu ich mich schon drauf. Hatte das Cover-Album denn Einfluss auf die neuen NAPALM DEATH-Sachen?

Barney:
Nein. Da waren natürlich schon immer Einflüsse, aber nicht speziell in dieser Periode. Die Einflüsse sind natürlich immer da. Also ja, ich denke, in gewisser Weise haben die Songs schon Einfluss. Aber eigentlich nur zuvor, auf die anderen Alben, bevor wir die Cover aufgenommen haben. Einflüsse sind natürlich immer da, weißt du.

Carsten:
Wie fühlt man sich eigentlich bei Century Media zwischen Bands wie TIAMAT und LACUNA COIL?

Barney:
Ich fühl mich wohl, es ist sehr gut. Alles, was mich kümmert, ist, was Century Media bisher für uns getan haben. Das ist sehr viel, und es ist sehr, sehr gut. Es sieht gut aus. Und ich bin sehr, sehr glücklich, dass wir Century Media haben. Sie haben jetzt schon mehr für uns getan, als jedes Label, bei dem wir in den letzten zehn Jahren waren. Ich bin also sehr glücklich im Moment.

Carsten:
Vor ein paar Jahren ward ihr ja noch sehr unglücklich bei Earache.

Barney:
Ja, in der Tat. Ja, wir hatten viele Probleme. Es ist jetzt alles Vergangenes, aber es gab viele Probleme. In gewisser Weise war es aber auch eine Zeit des Lernens und Experimentierens, Dinge, auf die wir uns heute nicht mehr einlassen würden. Wir konnten also Positives aus der Zeit ziehen, über Sachen, die wir noch mal oder nie wieder tun würden.

Carsten:
Mein Kollege würde noch gern wissen, wie lange ihr noch grinden wollt? Bis Hundert? Zusammen mit Lemmy?

Barney:
Weißt du, wir ziehen das jetzt schon seit über 15 Jahren durch. Ich bin sehr stolz auf NAPALM DEATH, wir haben die Band wirklich durch einige schlechte Zeiten gebracht. Wer weiß, wie lange wir noch spielen, aber wir geben unser bestes, wir rollen vorwärts. Wir fühlen uns immer noch wohl. Was lange währt...

Carsten:
Okay, gibt es zum Abschluss noch etwas, das du deinen Fans sagen möchtest oder ein letztes politisches Statement?

Barney:
Kein politisches Statement. Es ist ein Klischee, aber ich sage immer "Thanks for your support". Wir schätzen und würdigen das wirklich seit Jahren. Und ich hoffe, man sieht sich bald, "on the road" oder wo auch immer.

Carsten:
Gut, dann sehe ich euch auf Tour und danke dir für deine Zeit.

Barney:
Ich danke dir und wünsch dir alles Gute, Carsten.

Carsten:
Danke, dir auch.

Redakteur:
Carsten Praeg

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