One Nation Underground - Part V: LIQUID GRAVEYARD

30.09.2010 | 21:03

Unter der Rubrik One Nation Underground präsentiert POWERMETAL.de in unregelmäßigen Abständen Portraits von Musikern, die abseits des ganz großen Rockzirkus ihrem Schaffen nachgehen und unserer Meinung nach mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. Diesmal geht es um die progressiven Heavy/Death-Metaller von LIQUID GRAVEYARD.


LIQUID GRAVEYARD Bandname:
LIQUID GRAVEYARD

Bandmitglieder:
Raquel Walker (Gesang, Growls) / John Walker (Gitarren) / Adrian de Buitléar (Bass) / Acaymo D. (Schlagzeug).

Bandgründung: 2006

Bisherige Veröffentlichung:
Album "On Evil Days" (2009), My Kingdom Music

Glorreichste Momente der Bandgeschichte:
Als mit Acaymo D. ein festes Lineup gefunden war. Immer wenn jemand "On Evil Days" mit Wertschätzung hört.


Es war einmal vor langer, langer Zeit, an einem schlimmen Tag, da gab es in der in der Mitte von Nirgendwo ein kleines Häuflein Musiker, das ausgerechnet in einer öffentlichen Toilette seine gemeinsame Faszination für alles politisch Unkorrekte entdeckte. Huaahahaha! Und so machte man sich auf den Weg zu einem schicken und teuren italienischen Restaurant voller piekfeiner, reicher Leute, um dort zu fressen wie die Schweine - nur zum eigenen Spaß. Stattdessen freilich bekamen unsere Helden fiese Verdauungsprobleme und rieten daher jedem, sich möglichst fern zu halten von diesem Gestank!!! Nun, dieser Tage besteht ihr größtes Ziel darin, die selben faulen Säcke zu bleiben, die sie seit jeher sind. Denn was gibt es auch noch zu tun, nachdem man das Illegale, das Unmoralische, das Gefährliche und das Verfettende zur Genüge durchgekaut hat? In näherer Zukunft jedoch planen die Bandmitglieder, noch jede Menge "nützliche" Dinge zu tun, um ihre Mamis fröhlich zu machen. Wenn alles gutgeht, werden sie auch noch etwas Geld daraus schlagen und hinfort glücklich und zufrieden leben. Und wenn sie nicht gestorben sind, soll Anfang 2011 ihr zweites Album erscheinen...

Soviel zur (durch gewisse Schlagwort-Vorgaben evozierten) Selbstauskunft der Band in Kurzform.

Als weiterer Höhepunkt der Bandkarriere zu ergänzen wäre hier natürlich noch die Veröffentlichung ihres stilisitisch ungewöhnlichen ersten Albums "On Evil Days" mit seiner Offenheit sowohl für rauen Death Metal als auch für traditionellen Heavy Metal und gelegentliche Ausflüge in progressive Gefilde. Auf dem Releasekonzert gab Schlagzeuger Acaymo D. denn auch seinen Live-Einstand bei LIQUID GRAVEYARD und die Band lieferte eine Show mit zuvor noch nie öffentlich aufgeführten Songs ab, die entsprechend gut ankam. Doch seither wurde schon wieder viel Zeit in das Schreiben neuer Songs investiert und mit Rising Records hat die Band auch eine neue Labelheimat für die Veröffentlichung ihres kommenden Zweitwerkes gefunden. Seitens der Kritiker traf die eigenwillige Mischung des Quartetts aus brutalen Riffs, klarem und gegrowltem Gesang, progressiven Einschüben und auch der gelegentlichen Blastbeatattacke nicht überall auf ungeteilte Zustimmung. Bassist Adrian meint dazu, dass man Leute, die nichts Neues akzeptieren können, am besten in ihrem eigenen, hinterwäldlerischen Saft schmoren lässt, auch wenn manchmal ein großes Label mit der Aussage "Dies ist anders und gut" einige Schafe zur Folgsamkeit rufen kann. Allerdings bedauert er es, wenn Menschen, die die Musik einfach nicht verstehen, von Job wegen dann mit mächtiger Feder dagegen anfuchteln. Jedoch will er sich dadurch nicht davon abhalten lassen, auf der Suche nach neuen musikalischen Wegen auch Risiken einzugehen: "Warum nicht versuchen, es woanders hinzubringen? Heutzutage ist es schwierig genug, etwas Neues und Interessantes zu finden." Auch Raquel glaubt an Innovation, solange man dabei stets vernünftig vorgeht und Erneuerung nicht zum Selbstzweck betreibt. Für sie liegt genug Innovation und Herausforderung darin, den von der Band eingeschlagenen Weg weiterzugehen und dabei einige Aspekte des Bandsounds zuzuspitzen und zu verbessern.

John hatte in einem früheren Interview angesprochen, dass das Nachfolgealbum zusammenhängender wirken sollte als "On Evil Days". Anfang des Jahres 2010 hat er diesen Kurs, das Songwriting flüssiger gestalten zu wollen, noch einmal bestätigt. Ihm geht es dabei nicht darum, ein bestimmtes Genre (ganz neu) zu definieren, sondern neue musikalische Gebiete zu erschließen, die er in den bestehenden Bandsound inkorporieren kann. Sich dabei auf einzelne Stimmungen zu konzentrieren, hält er keineswegs für eine zu starke kreative Einschränkung und wäre daher auch dem Schreiben von Filmmusik nicht abgeneigt. An den bestehenden Songs 'Criministers' und 'On Evil Days' vom gleichnamigen Album hat mit F. Lobohem bereits ein erster Regisseur Interesse bekundet. Und einmal ganz gezielt Filmmusik zu schreiben? "Ich denke, das wäre unglaublich interessant", meint John und scherzt: "Vielleicht fragt man uns, wenn sie ein Re-Remake von Titanic drehen, hahaha." Er selbst bewundert Musiker wie Davy Graham ("Legende der Akustikgitarre"), Keyboarder Dr Goettel (SKINNY PUPPY) und Bassist Paul Raven der im Industrial-Rock gleichermaßen wie SKINNY PUPPY Maßstäbe setzenden Band KILLING JOKE, deren letztjähriger Liveauftritt in Originalbesetzung ihn und seine Ehefrau Raquel begeistert hat. Man mag der Musik von LIQUID GRAVEYARD diese Vorlieben der beiden nicht anhören, und doch ist mit der anhaltenden Begeisterung für so unterschiedliche Genre-Pioniere (S. P. erfand sich mehrfach grundlegend neu, K. J. bestach und besticht durch nachhaltig gepflegte, vorsichtig variierte Beharrlichkeit) schon Einiges gesagt. Auch an ihren persönlichen musikalischen Vorlieben erkennt man also, dass die Mitglieder von LIQUID GRAVEYARD zwar gewisse Trademark-Sounds zu schätzen wissen, dabei aber stilistisch kaum limitiert sind. So kann sich Adrian unter anderem für große Helden wie QUEEN und PINK FLOYD, die alten ALICE IN CHAINS und JOHNNY CASH erwärmen, die er leider alle nicht mehr live gesehen hat. Mit LEONARD COHEN hingegen hat er einen weiteren großen Songwriter im Konzert erleben können, der ihn selbst persönlich geprägt hat. Live besonders beeindruckt hat ihn aber AT THE GATES, die Band, die er auch am ehesten mit Metal in Verbindung bringt.

LIQUID GRAVEYARD

Die moderne Welt des Internets ist etwas, das für die Musiker von LIQUID GRAVEYARD eher am Rande eine Rolle spielt. Raquel fehlt schlichtweg die Zeit, mehr als nur ihre E-Mails zu checken, und auch über die Welt der illegalen Downloads hat sie sich noch nicht viele Gedanken gemacht. Songs kostenlos hochladen? - "Würdet Ihr von neun bis fünf umsonst arbeiten?". Und überhaupt: Spricht man vom weltweiten Netz, ist ihre erste Assoziation "Und wir sind die kleinen Insekten, die in die Falle gegangen sind". Adrian hingegen muss sich schon geschäftlich für Lugga Music mit dem neuen Medium auseinandersetzen, bezeichnet dies jedoch eher distanziert als notwendiges Übel beziehungsweise "dreckige, böse Notwendigkeit". Nach einer langen Tour fällt es ihm mitunter schwer, sich wieder auf die Bildschirmarbeit zu konzentrieren, merkt er an und führt weiter aus: "Ich erinnere mich daran, wie ich vor Jahren Briefe geschrieben und Tapes getauscht habe, das ging langsamer, war aber gewissermaßen aufregender." Überhaupt sieht er den Rockzirkus eher nüchtern: Musikhändler haben für ihn mafiöse Züge, statt Ruhm hätte er lieber einen Scheck, mit etwas Glück einen großen, und auch wenn Platinverkäufe für ihn "niemals real" sind, verbindet er mit dem in der Metalszene oft beschworenen Untergrund was? "In der Mitte eines großen Matschfeldes stehen, wo dir die Stiefel zu groß sind und dein Verstärker zu klein." Solange die dicken Schecks ausbleiben, bedeutet ihm Luxus jedoch nicht mehr als gutes Toilettenpapier. Aller Abgeklärtheit zum Trotz, gehört Lampenfieber für Adrian nach wie vor zum Geschäft. Und auch für Raquel hält jeder Auftritt eine eigentümliche, emotionale Mischung aus Stress, Spaß und Verantwortung bereit. Erstmal auf der Bühne, kann sie dann die Sau rauslassen: "Danach schläft man ein ganzes Stück besser". Für Adrian hingegen ist Raserei vor allem eins: "RAGE - mit Orchester!!!" Obwohl Adrian bei Plattenlabeldeals zunächst einmal der Begriff "Architekten des Kleingedruckten" durch das Hirn schießt, stellt das Geschäftliche für die LIQUID GRAVEYARD-Musiker keinen Angstfaktor dar und für John bedeutet TROUBLE zuallererst dies: "Guter Heavy Metal, klassisch aber cool." In vielen Fällen sei ein Plattendeal eben das, was die Bands am Arbeiten hielte, und wahrscheinlich auch, was den Fleiß am Leben erhalte, gesteht Raquel noch Anfang des Jahres ein. Da wirklich nicht jede gute Band alleine von ihren Fans bei MyTwit, Booker und FaceSpace und deren virtueller Unterstützung leben kann und da so ganz ohne Penunzen selbst die motivierteste Band irgendwann die Segel wird streichen müssen oder aber niemals über den Proberaum hinauskommen, lässt sich diese bodenständige Sichtweise schwerlich widerlegen. Dessen ungeachtet haben Raquel und ihre Mitmusiker sich auch ohne Label im Rücken nicht auf die faule Haut gelegt, sondern einfach weiter gemacht, bis es ihnen im August 2010 schließlich gelang, bei Rising Records unterzukommen, wo voraussichtlich Anfang 2011 ihr zweites Album erscheinen wird. Man kann nur hoffen, dass dies dem Erschließen einer sicht stetig verbreiternden Hörerschaft zuträglich ist. Die bisherige Anhängerschaft LIQUID GRAVEYARDs rekrutiert sich der Band zufolge tendenziell aus dem Metallager, ist aber nicht stilistisch festgelegt, sodass sowohl Gothic- als auch Hardrock- und Power-Metal-Fans bei ihren Konzerten auflaufen. So gewinnt man von LIQUID GRAVEYARD ein differenziertes Bild: Die Band will nicht auf Teufel komm raus in irgendeiner obskuren Untergrundszene verharren, aber eben auch keine Fastfoodmusik abliefern.

Kommen wir noch einmal kurz auf die Einflüsse zu sprechen, die in LIQUID GRAVEYARDs Musik zusammenlaufen, belassen wir es dabei aber doch bei einem kurzen Streiflicht. Denn zum Einen mag die Rezension des Albums bereits das Offensichtlichste klären, zum Anderen aber würde es schon wieder äußerst schwierig werden, alles im Einzelnen auseinander zu klamüsern. John äußert sich vielleicht auch deswegen in eher allgemeinen Worten und Andeutungen, belässt es bei "denen, die dazu beitrugen, was zur modernen Musik geworden ist", und zieht ansonsten seine Inspiration ganz umfassend aus "dem Leben". Adrian hingegen wird konkreter und benennt knapp und prosaisch den U2-Bassisten Adam Clayton als einen seiner Input-Geber. Auch sonst zeigen sich die Musiker recht traditionsbewusst beziehungsweise in der Rockgeschichte gut bewandert, beispielsweise wenn Adrian die YARDBIRDS als maßstabgebend (engl.: yardsticks) bezeichnet - was freilich dazu noch ein schönes Wortspiel ergibt. Aber auch den Rock'n'Roll als "Ursprung von allem" (Raquel), oder zumindest Startpunkt (Adrian) weiß man bei LIQUID GRAVEYARD zu würdigen. Vielleicht ist es auch das, was diese sonst recht eigenwillige und experimentierfreudige, moderne Band mit musikalischer Bodenhaftung versieht. Sicherlich auch nicht ganz uninteressant ist die Tatsache, dass John vor LIQUID GRAVEYARD bereits mit CANCER im Death Metal aktiv war und dass - bei aller Spielfreudigkeit mit diversen Zutaten aus anderen Genres - diese Grundierung in Riffs alter Schule auch auf dem Flüssigfriedhof immer wieder durchscheint. Allzu freakig, sodass die Hörer auf der Suche nach einem roten Faden den Anschluss verlieren könnten, wird auf "On Evil Days" jedenfalls nie agiert. Ob die Band eine ähnlich gefällige und abwechslungsreiche Mischung auch auf ihrem Zweitling wieder hinbekommen wird, bleibt zwar letztlich noch offen, doch zuversichtlich - wenn auch vorfreudig gespannt - kann man da ganz ohne Sorge sein. Ein schubladenentwöhntes und offenes Ohr sollten zukünftige Fans jedoch mitbringen. Wer darüber hinaus noch weiteres Ohrenfutter von den LIQUID GRAVEYARD-Mitgliedern aufstöbern möchte, kann Adrians Beiträge auf älteren Scheiben von MOURNING BELOVETH sowie den irischen KINGDOM hören, oder aktuell Schlagzeuger Acaymo D. bei KAYRON SPES. Ansonsten gilt es natürlich wie immer, die Augen nach Tourdaten offen und den Untergrund am Leben zu halten!

Redakteur:
Eike Schmitz

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