Perlen der Redaktion: Marius Lührings Highlights 2019

13.01.2020 | 18:58

Von unsicheren Zeiten, dem großen R und widerstandslosem Abstieg ins Reich Hels - 2019 war musikalisch abwechslungsreich und mit genügend Mut sehr überraschend. Ich lasse die vergangenen zwölf Monate Revue passieren.

Vor allem eine Band hat mein Jahr 2019 überschattet. RAMMSTEIN hat es geschafft, nach dekadenlangem Warten tatsächlich elf neue Lieder einzuspielen und als selbstbetiteltes Album zu veröffentlichen. Die Vorfreude war riesig, die Ernüchterung zunächst recht groß. Aber meine Beziehung zu "Rammstein" sollte sich festigen - spätestens nach dem furiosen Gig im Rotterdamer Stadion. Das war selbstverständlich auch mein Konzerthöhepunkt des Jahres (vor TÝR, ARMORED SAINT, KNORKATOR und COG übrigens). Doch wenn ich mir meine liebsten Alben des Jahres anschaue, landet das große R nur auf Rang drei.

Denn an meinem Spitzenplatz gibt es rückblickend nichts zu rütteln. Der punkige Geschwindigkeitsstahl der Hamburger Band MIDNIGHT PREY ließ mich in ganz andere Sphären aufsteigen. "Uncertain Times", ein Debütwerk noch dazu, ist in allen Belangen unfassbar kreativ, schert sich einen Dreck um Konventionen und Genregrenzen und sorgt für Glückseligkeit. Und natürlich findet sich auch der beste Song des Jahres auf der Scheibe. Über den achtminütigen Schlusstrack 'The Fall (Into The Atmosphere)' ging 2019 nichts.

Auf Platz zwei landen meine ewigen Lieblinge TÝR. Auf das achte Album der Band von den Färöer Inseln (inzwischen besteht man allerdings zur Hälfte aus Ungarn) mussten die Fans sechs lange Jahre warten, doch es sollte sich lohnen. "Hel" offenbart sich als der beste Banddreher seit "Land" und die zugehörige Headlinertour mit HEIDEVOLK und DALRIADA, die trotz aller Proteste stattfand, setzte dem noch ein Krönchen auf. Bandleader Joensen arbeitet momentan wohl an einer zweiten HELJAREYGA-Scheibe und dem Debütwerk seines neuen Projekts SURMA. Die Zeichen für 2020 stehen also auf Sturm.

Ich sprach es bereits an, RAMMSTEIN spielte im vergangenen Jahr eine große Rolle. Nein, "Rammstein" ist sicher nicht das beste Album der Band, aber bei den Berlinern reicht auch ein im diskographischen Vergleich eher durchschnittliches Werk, um mich zu begeistern. 'Zeig Dich' gehört wohl zu den besten Songs des gesamten Œuvres und das allein wäre schon Grund genug, in dieser Liste aufzutauchen. Zum Ende des Jahres erschien dann sogar noch "F&M", ein neues Album von Tills Nebenprojekt mit Peter Tägtgren LINDEMANN. Der große Overkill blieb aber aus, dazu ist "F&M" leider nicht stark genug.

Auf Platz vier geht es sehr berlinerisch weiter. Denn auch KNORKATOR veröffentlichte einen neuen Rundling. Mit "Widerstand ist zwecklos" ist Deutschlands meister Band der Welt wirklich ein Glanzstück gelungen, das trotz ernsterer Töne zum Glück ausreichend humoristisch bleibt. Die zugehörige Tour war ein Augenschmaus und allein schon wegen der Resteverwertung 'Zu kurz' gibt's hier Anhörpflicht. In eine doch recht andere Richtung schlage ich nun mit ELVENKING ein. Die Italiener stellten 2019 den ersten Teil ihres Opus "Reader Of The Runes" vor, den ich mir begeistert einverleibte. Der folkige Melodic Metal ließ im August mein Herz höher schlagen und erfreut mich auch jetzt immer noch. Ich bin sehr gespannt auf die im Januar laufende Tour mit BROTHERS OF METAL. Auch SIGNUM REGIS spielt melodischen Metal, lässt aber den Folk lieber sein. Ich bin schon lang Freund der Slowaken und habe mich nach der ersten Vorstellung des neuen brasilianischen Sängers Jota Fortinho sehr auf "The Seal Of A New World" gefreut. Ich sollte nicht enttäuscht werden. Folgerichtig gab's auch den zweiten Platz in unserem November-Soundcheck.

Aus der Slowakei geht's direkt nach Estland. Still und heimlich veröffentlichten meine Lieblingsbalten METSATÖLL im Februar ein neues Album als Eigenproduktion. "Katk Kutsariks" hätte ich beinahe verpasst, hätte ich nicht aus Langeweile mal bei den Esten auf der Homepage geguckt, ob's da mal was Neues gibt. Göttliche Fügung wohl, das Jahr wäre jedenfalls ärmer ohne den erhofften und bekommenen Folk Metal des Wolfes. Neben MIDNIGHT PREY gab es noch eine weitere Veröffentlichung bei Dying Victims Records, die mich richtig angefixt hat. Und zwar die der Chilenen HEMISFERIO. Ebenfalls ein Langspieldebüt, ebenfalls höchst kreativ und konventionenbefreit. "Anacronía" sollten alle Traditionsmetalfans sofort antesten und sich dabei vom wunderbaren Artwork von Adam Burke in den Bann ziehen lassen. In den Bann gezogen hat mich erst vor kurzem die Bergener Truppe HELHEIM, die ich bisher vermieden habe. Allein wegen der Rezension meines hochgeschätzten Kollegen Rüdiger Stehle landete "Rignir" im Warenkorb und kurz darauf im CD-Spieler. Eine glückliche Fügung, denn das Album ist wirklich fantastisch. Hätte ich es früher im Jahr entdeckt und öfter gehört, wäre es vielleicht noch weiter oben gelandet.

Die Schweden WITCHERS CREED verwirren mich. Da veröffentlicht eine Band mal eben die beste BLACK SABBATH-Scheibe des Jahres und löst sich direkt wieder auf? Unfassbar. Wie dem aber auch sei - "Awakened From The Tomb" sollte man als Doom-Freund gehört haben. Der Song 'Rituals Of Decay' ist nicht ohne Grund mein zweitliebstes Lied des Jahres. Und es geht verdammt weiter. Auch ORODRUIN beglückt mein Doomherz. "Ruins Of Eternity", das Zweitwerk der US-Amerikaner nach sechzehn Jahren des Stillstands, wartet mit einer fantastischen Produktion und dem wohl schönsten Gitarrenklang des Jahres auf. Und die Songs stimmen selbstverständlich auch. Nach dem Langsamkeitszwischenspiel geht es mit meinem nächsten Jahresliebling direkt auf die Autobahn. APHRODITE, ein Projekt von ICE WARs Jo Capitalicide und DEMONA-Frontfrau Tanza Godoy, sollte genau das erfüllen, was ich mir bei den Namen erhoffte. Der traditionsbewusste Speed Metal setzt inhaltlich auf griechische Mythologie und klanglich natürlich auf den eigenständigen Gesang Tanzas. Das bringt Freude, manchen Ohrwurm und Muskelkater im Nacken.

Das Debüt der Griechen SILENT WINTER habe ich als Rezensent eigentlich nur übernommen, weil es sonst niemand machen wollte. Dabei sollte der melodische Metal der Band um RHODIUM-Sänger Mike Livas, der zwischen ANGRA und HELLOWEEN angesiedelt werden sollte, nicht nur wegen des erbarmungslosen Gesangs auf offene Ohren stoßen. Ähnliches trifft auf die Dänen IRONGUARD zu. Das bereits 2014 aufgenommene Debüt "Towards Victory" erschien im letzten Jahr erstmalig in 250er Auflage, zum Glück. Der epische Metal mit Anleihen bei RIOT und RUNNING WILD macht so dermaßen Bock, dass ich wochenlang kaum etwas anderes hören wollte. Noch etwas epischer geht es beim Debüt (schon wieder!) von SMOULDER zu Werke. Über "Times Of Obscene Evil And Wild Daring" wurden auf diesen Seiten schon manche Worte verloren, weitere sollten nicht nötig sein. Ganz feines Album. Das nächste Erstwerk auf dem nächsten Platz. Auch die Kanadier RIOT CITY vermochten mich sehr zu erfreuen. Ein großer Tipp für alle, die ihren Metal am liebsten mit völlig überdrehten Vocals genießen.

Das dänische Doppelpack aus ALTAR OF OBLIVION und IRON FIRE landet auf den Rängen siebzehn und achtzehn. Einmal gewohnt genialer Epic Doom Metal mit famosem Sänger und einmal eine schön angriffslustige Melodic-Metal-Attacke runden den dänischen Beitrag zu meinem Jahrespoll geschickt ab. Auf den letzten Plätzen finden sich dann noch zwei schwedische Bands. FRETERNIA feierte mit "The Gathering" ein wirklich starkes Comeback. Das fantasievolle Drittwerk schlug zumindest bei mir ziemlich ein. Und auch HAMMERFALL hat es noch in meine Liste geschafft. "Dominion" ist wieder wirklich schön geworden, aber für die oberen Ränge hat es, trotz 'And Yet I Smile', leider nicht gereicht.

Das war mein Jahr in Albenform. Dabei gab es noch eine Menge toller Veröffentlichungen, die es nicht ganz in meine Top 20 geschafft haben. Viele Newcomer aus den verschiedensten Regionen der Erde sind knapp gescheitert, etwa THE NEPTUNE POWER FEDERATION aus Australien, DEVA OBIDA aus dem russischen Murmansk oder DELFINIA aus der Ukraine. Außerdem gab es noch einige lobenswerte EPs - MANOWARs furioser erster Teil der finalen Schlacht zum Beispiel, oder der nächste Rundling der deutschen Nachwuchshoffnung GRENDEL'S SYSTER. So viel gute Musik macht echt Hoffnung auf 2020. Lasst uns zusammen viele neue Talente entdecken und die jungen wie alten Helden feiern! Im Grunde gibt es doch nichts Schöneres als unser so abwechslungsreiches kleines Paralleluniversum.

Die Top-20-Alben in der Übersicht. Mit einem Klick auf den Albumnamen gelangt ihr - soweit vorhanden - zur Rezension.

Rang Band Album
01. MIDNIGHT PREY Uncertain Times
02. TÝR Hel
03. RAMMSTEIN Rammstein
04. KNORKATOR Widerstand ist zwecklos
05. ELVENKING Reader Of The Runes - Divination
06. SIGNUM REGIS The Seal Of A New World
07. METSATÖLL Katk Kutsariks
08. HEMISFERIO Anacronía
09. HELHEIM Rignir
10. WITCHERS CREED Awakened From The Tomb
11. ORODRUIN Ruins Of Eternity
12. APHRODITE Lust And War
13. SILENT WINTER The Circles Of Hell
14. IRONGUARD Towards Victory
15. SMOULDER Times Of Obscene Evil And Wild Daring
16. RIOT CITY Burn The Night
17. ALTAR OF OBLIVION The Seven Spirits
18. IRON FIRE Beyond The Void
19. FRETERNIA The Gathering
20. HAMMERFALL Dominion

Redakteur:
Marius Luehring

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