RIVERSIDE: Interview mit Mariusz Duda, zweiter Teil

13.02.2013 | 19:08

Im zweiten Teil des Interviews mit Marius Duda geht es um die Texte auf "Shrine Of New Generation Slaves". Die regen in der Tat zum Nachdenken an.




Mariusz, ein wichtiger Aspekt bei RIVERSIDE sind immer die Lyrics gewesen. Kannst Du etwas über die Lyrics auf "SONGS" erzählen? Hat sich hier etwas geändert?


Zunächst einmal ist "SONGS" kein Konzeptalbum, sondern eher ein thematisches Album. Das Grundthema, das sich durch alle Songs zieht, ist Sklaverei. Sklaverei in der heutigen Zeit. Ich wollte diesmal keine Texte über Mobiltelefone, Computer, soziale Medien und, du weisst schon, dieses ganze "big brother is watching you"-Thema schreiben, was wir ja in den vorherigen Alben bearbeitet haben. Diesmal wollte ich mich mehr auf die Gegebenheit konzentrieren, dass viele Leute ihr eigenes Leben nicht mehr kontrollieren können. Sie können sich nicht so verhalten, wie sie gerne wollten. In jedem Track geht es um eine bestimmte Situation, in der man sich heutzutage wie ein Sklave fühlen kann.

Zum Beispiel wird es immer schwieriger, so etwas wie Passion oder Freude mit seiner täglichen Arbeit zu verbinden. Darum geht es im ersten Song ('New Generation Slave'): Die Leute, um die es sich hier dreht,  müssen sich ständig beschweren und fühlen sich ständig krank.

In eine ähnliche Richtung geht der dritte Track ('Celebrity Touch'; kann man wohl am besten mit "die Berührung mit Ruhm" übersetzen). Hier geht es im Prinzip um die immer stärker werdende Geltungssucht. Heutzutage kann sich jeder vormachen, wichtig zu sein. Jeder kann sich auf Facebook ein Profil erstellen, seine Bilder hochladen und Likes zählen. Dies suggeriert einem dann, anerkannt zu werden, etwas zu zählen. Nach dieser virtuellen Berührung mit dem "Berühmtsein" werden viele Leute regelrecht süchtig und damit gewissermaßen versklavt.

Bei 'We Got Used To Us'  geht es um Beziehungen, insbesondere um solche, die einem nur noch das Gefühl geben, in einem Käfig zu leben.

In 'Deprived (Irretrievably Lost Imagination)'  geht es darum, dass wir als Kinder eine viel breitere Phantasie und Vorstellungskraft hatten, als als Erwachsene. Dieser hat heutzutage doch alles, was seine Persönlichkeit ausmacht und was ihn prägen könnte auf seiner Festplatte oder seinem Smartphone gespeichert.

'Escalator Shrine' thematisiert die Identität einer Person. Leute geben viel leichter ihre Persönlickeit auf oder bilden sie gar nicht erst aus. Zum Beispiel gibt es vor allem jüngere Menschen, die einmal hier arbeiten, dann nach ein paar Monaten woanders, dann werfen sie alles komplett über einen Haufen und machen etwas ganz anderes. Dasselbe gilt auch für ihre Gefühle und ihren Glauben. Überspitzt gesagt, beschliessen sie, katholisch zu sein und zwei Wochen später werden sie dann Buddhisten.

All diese Situationen, die ich Dir gerade beschrieben habe, führen dazu, dass man sich wie ein Skalve fühlen kann. Dennoch - die Lyrics sollen nicht politisch oder irgendwie sozialkritisch sein. Ich möchte das Thema eher auf der psychologischen anstatt auf den soziologischen Ebene behandeln.






Okay, jetzt haben wir die Sklaven der heutigen Generation behandelt, jetzt bleibt noch der Schrein, den ich in diesem Zusammenhang nicht ganz verstehe. Ein Schrein ist doch eher etwas religiöses. Deutest Du mit dem Schrein einen Weg zu Erlösung dieser Sklaven an? Oder wofür steht der Schrein?

Der Schrein ist für mich eher wie eine große Markthalle. Er symbolisiert einen Ort, wo die Leute gerne sind, wo sie sich treffen, wo sie gerne Zeit verbringen. Viele Familien verbringen doch am liebsten den gesamten Sonntag auf dem Markt.

Äh? Irgendwie bekomme ich den Dreh nicht hin. Fragen wir mal anders. Was sollen die Leute denn Deiner Meinung nach tun, um der beschriebenen Art der modernen Sklaverei zu entkommen?

Nun, das lustige ist ja, in diesem Schrein hast Du ja eine Rolltreppe ('Escalator Shrine').

Stimmt …

Der Schrein ist doch der einzige Ort, an dem Du beten kannst. Oder, übertragen gesagt, der Schrein symbolisiert den Ort, an dem Du etwas zu Ruhe kommst, die Momente im Leben, wo Du darüber nachdenken kannst, was los ist und was Du tun sollst. Diese Momente werden aber immer seltener und sind viel zu kurz. Und es wird auch schwerer: Wir haben die Finanzkrise, dazu ist vor kurzem auch noch die Welt untergegangen, alles Dinge, die Dich davon ablenken, Dich mit Dir selbst zu beschäftigen.


Was soll man tun? Ich weiß es nicht. Versuche irgendwie, glücklicher zu leben. Versuche, all die Dinge, die du tun musst, um zu leben (also Arbeit, Geld verdienen…) zu etwas zu verbinden, mit dem du dich identifizieren kannst, dem Du Leidenschaft entgegen bringen kannst. Ich weiß, das ist schwer. Aber was ich eben auch nicht verstehen kann ist, dass Leute Dinge tun, die sie eigentlich hassen und dies oft zwanzig, dreißig Jahre lang! Warum kann man nicht mehr sagen: "Hey, das ist MEIN Leben! Ich kann tun, was ich will!" Ich habe selber Leute in meiner Familie, die in so einer Falle sind und alles was sie haben, ist, sich bei anderen zu beschweren, wie unglücklich sie doch sind. Klar, ich habe keine Lösung für das Problem, aber gerade deshalb versuche ich ja, Texte darüber zu schreiben, um die Situation besser nachvollziehen zu können.

Um dieses Thema abzuschließen: Ich wollte mit meinen Lyrics zeigen, wie sich viele Menschen von heute fühlen. Ich wollte ein Bild unserer Gesellschaft machen, ich wollte den Leuten einen Spiegel vorhalten und zeigen, dass irgendwas ziemlich seltsames mit unserer Gesellschaft passiert.

Puh! Man hört Mariusz an, dass ihm sehr viel an dieser Botschaft liegt. Vieles, was er hier sagt, kann ich auch nachvollziehen und ich sehe es selber bei meinen Freunden, bei meiner Familie, bei mir selber. Ich kann nur empfehlen, "SONGS" auch auf der Ebene der Lyrics zu erkunden.


Meine letzte Frage, die nach diesem ernsten Thema eher trivial anmutet, thematisiert die polnische Progszene: Sind RIVERSIDE von polnischen Progbands beeinflusst worden und andersherum, inwieweit reicht der Einfluß von RIVERSIDE auf neue Progbands aus Polen?

Als ich angefangen habe, mit RIVERSIDE diese Progschiene zu fahren, gab es eigentlich nur wenig Bands. Klar, ganz früher gab es SSB und Czesław Niemen, das war's aber auch schon. In den Neunzigern hatten wir natürlich mehr Bands (COLLAGE, ABRAXAS, QUIDAM…), aber die waren alle eher mit dem klassischen Art Rock oder Prog Rock verwurzelt und waren auch nur in der entsprechenden Szene bekannt. Wir waren die ersten, die diesen Stil etwas härter spielten.  Einige Bands sind mit uns gestartet, doch wir waren die ersten, die hier auch in anderen Kreisen ankamen. Zum Beispiel bei Metallern, aber auch in Alternativ-  und sogar Pop-Kreisen konnten wir unsere Popularität aufbauen. Das hat sicher einigen Bands, die mit oder nach uns angefangen haben, Mut gemacht, selber durchzustarten.

Gut gesagt. Damit bedanke ich mich bei Mariusz für seine Zeit, trotz polnischem Winterchaos, und fordere ihn auf, bei der kommenden Tour zu "SONGS" doch endlich auch mal nach München zu kommen. Sonst …

Redakteur:
Thomas Becker
1 Mitglied mag diesen Artikel.

Login

Neu registrieren