Rettet den Underground: Doppelinterview mit SYCRONOMICA und COMMANDER

18.10.2010 | 16:51

Ob beim Helion-Festival oder in einer Giesinger Location - das unheilige Duo SYCRONOMICA/COMMANDER sät Hass im Underground.

SYCRONOMICA sind eine der dienstältesten Melodic-Black-Metal-Bands in München, COMMANDER stellen sich seit 2001 auf die Bühnen dieser Welt, um dem Death Metal zu frönen. Wir haben uns die beiden Frontmänner der Bands zum nicht nur bierernsten Doppelinterview geholt. SYCRONOMICA schicken Oliver Walther ins Rennen, COMMANDER Nick Kolar.

Julian Rohrer:
SYNCRONOMICA ist jetzt dabei, massive Umbrüche zu erleben. Was ist in dem Dreivierteljahr seit der Veröffentlichung von ''Sycroscope'' passiert? Seid ihr dahin gekommen, wo ihr hinkommen wolltet mit dem Album?


Oliver Walther:
Ja und nein. Einerseits haben wir all unsere Energie in das Album gesteckt, da ist entsprechend was rausgekommen. Wir hatten das Glück, dass wir zehn Tage nach der Veröffentlichung auf Tour gehen konnten mit ENDSTILLE und HOLLENTHON, haben ein paar Länder bereist. Das war genau das Richtige nach einer Veröffentlichung und hat sehr viel Spaß gemacht, genauso sollte es auch sein. Als Problem hat sich herauskristallisiert, dass zwei Leute von uns jetzt nicht mehr die Zeit, die Energie und den Enthusiasmus haben, den man für eine Band braucht. Uns gibt es schon seit fünfzehn Jahren. Unser Gitarrist Chris - er ist seit 14 Jahren dabei - und unser Drummer Michi, der seit zehn Jahren dabei ist, haben beschlossen, dass sie uns jetzt im Sommer verlassen. Das wussten wir und haben uns ein halbes Jahr darauf vorbereiten können. Heute ist offiziell das letzte Konzert der beiden. Deshalb war es relativ schwierig, livetechnisch richtig zu fokussieren. Man hat auch das Ganze voranzutreiben, und wenn man weiß, dass neue Leute kommen beziehungsweise alte gehen, muss man erstmal schauen, dass man überhaupt livefähig ist. Bevor ich einen schlechten Gig spiele, weil einige Leute noch nicht fit genug sind, lasse ich's lieber. Wenn das genau eintrifft, wenn man eine neue CD veröffentlicht hat, ist das natürlich ungünstig. Zum neuen Line-Up sage ich noch nichts, das ist gerade im Umbau, das Geheimnis wird sich bald herauskristallisieren und heute ist auch ein sehr interessanter Abend, weil die möglichen Kandidaten heute alle da sind.

Julian:
Das bedeutet, dass die Band in den Grundfesten erschüttert wird?


Oliver:
Es ist schon ein radikaler Schnitt, wenn etwa ein Leadgitarrist aussteigt, der neben unserem Keyboarder auch maßgeblich am Songwriting mitwirkt. An unserem Schlagzeug hatten wir auch jemaden sitzen, dem von der Geschwindigkeit her wenige hier im Umfeld das Wasser reichen können. Wir werden erstmal sehen, wie es jetzt weitergeht. Es ist natürlich ein großer Einschnitt, aber auch eine große Chance. So sehe ich das, und so etwas musste irgendwann kommen. Es wird auch bestimmt frischer Wind wehen, wenn auch neue Ideen dazukommen - mal sehen, was wir daraus machen.



Julian:
Nick, wie sieht es bei euch aus? COMMANDER haben ja die Eigenschaft, sich eine Weile bedeckt zu halten, um sich dann guerilla-mäßig zurückzumelden mit einem Album, an verschiedensten Orten zu spielen und dann wieder zu verschwinden. Wie sieht die zukünftige Planung aus? Soll dieser Weg so weitergeführt werden?

Nick Kolar:
Nachdem wir mit dem letzten Album nicht hundertprozentig zufrieden waren, haben wir uns einfach Zeit genommen. Wir haben dem Raum Zeit gegeben, sozusagen. Wir haben keine Termine, wir haben keine Deadlines zu bedienen, das wirkt sich aufs Songwriting aus. Ich denke, wir sind auf dem besten Wege, das für uns persönlich beste Album zu machen. Momentan stehen fünf Lieder komplett, drei im Umbau, insgesamt werden wir wohl zehn bis elf machen. Das Album wird ''Fatalis'' heißen und noch einen Untertitel tragen, darüber sind wir uns noch nicht ganz schlüssig. Voraussichtlich nächstes Jahr im Februar werden wir es zum zehnjährigen COMMANDER-Jubiläum rausbringen, massiv mit Konzerten, Touren und allem Drum und Dran.

Oliver:
Ist es möglich, dass du in jedem Liedtext das Wort 'Hass' unterbringst?

Nick:
Das schaff ich bestimmt!

Julian:
Habt ihr euch bandintern auch mehr gefunden'? Ich hatte den Eindruck, dass ihr musikalisch auf einer guten Ebene wart. Gibt es auch neue Entwicklungen oder neue Konstellationen, dass sich der ein oder andere mehr einbringt oder hat sich da nichts geändert, ist es eher eine individuelle Geschichte?

Nick:
Nein, es hat nichts damit zu tun. Im Vorfeld des letzten Albums war es so, dass wir im Endeffekt in einem Tag und ein paar Stunden das Album gemacht haben. Da ist es nicht die optimale Vorbereitung, ohne gewisse Gesangsstrukturen, Texte und fertige Soli ins Studio zu gehen. Besser, wenn man etwas mehr Luft nach hinten hat, um etwas Besseres abzuliefern. Diesmal haben wir das ganze Jahr 2009 versucht, Songs zu schreiben, was aus der reinen Blockade heraus nicht ging - aber wir haben Ideen gesammelt. Irgendwann waren wir auch mit privaten Dingen beschäftigt, Umzügen, neuen Jobs und so weiter. Nachdem 2008 so intensiv war, war für uns 2009 das Wiederfindungjahr. Seit Anfang diesen Jahres läuft es richtig gut! Zum Thema Konstellation: Wir sind nicht im Clinch oder dergleichen, an unserer Beziehung innerhalb der Band hat sich in dem Sinne nichts verändert. Bei uns ist alles sehr familiär, es gibt auch keinen großen Zoff - wenn's einmal kracht, dann ist es nicht von langer Dauer. Wir sind aufgeteilt in Rhythmusfraktion und Gitarrenfraktion, das ist die einzige 'Konstellation', die es bei uns gibt. Normalerweise hält auch jeder zu seinem Part.

Julian:
Jetzt seid ihr auch schon seit Jahren im Geschäft, in der Szene. Hat sich da mit der Zeit auch eine gewisse Ermüdung eingestellt? Wie wichtig ist es, darüber hinwegzukommen, als Band aber auch allgemein auf die Szene bezogen?


Oliver:
Wenn man lange dabei ist, hat man viel mitgemacht, durchgemacht, viel erlebt, Positives wie Negatives. Vieles, wo man als Bandmitglied gemerkt hat, das braucht man nicht, das muss nicht sein - da entwickelt man sich natürlich weiter. Der Enthusiasmus, den man früher bei jedem Gig hatte, legt sich mit der Zeit ein wenig. Ich denke, dass man sich mit der Zeit selbst die Sahnestücke raussucht. Man muss nicht mehr jeden Mist annehmen, wo man im Prinzip für ein Bier eine halbe Stunde auf der Bühne steht, dann rausgescheucht wird und noch Glück hat, wenn man das Spritgeld erstattet bekommt. Diese Zeiten sind definitiv vorbei. Alle in der Band sind gereift, haben ein gewisses Alter erreicht, Familien gegründet, da ist ein Wochenende mit der Familie wichtiger als irgendwo ein Gig für einen Hunderter. Trotzdem ist man bemüht, das Ganze am Leben zu erhalten. Man muss noch einen gewissen Enthusiasmus, ein gewisses Maß an Eigenregie aufbringen, um die Band am Leben zu erhalten und voranzutreiben - gerade dann, wenn die Interessen auseinandergehen und bei den Bandmitgliedern das Interesse aufgrund von Job und Familie ein wenig nachlässt. Die Prioritäten werden mit dem Alter einfach anders. Da kann man einfach nicht dieselbe Energie aufbringen wie eine ganz junge Band, wo die Mitglieder Schüler oder Studenten sind. Man ist einfach gereift und weiß, was man will und was man nicht will. Was man will, das setzt man noch um.

Nick:
Ich bin schon gute zwanzig Jahre in der Münchner Szene und auch überregional unterwegs. Wir haben viele Bands und viele Musiker neben uns 'gehen' sehen. Vielleicht ist es generationenbedingt, was Oliver gerade erlebt, dass der ein oder andere allmählich aufhört. Entweder du bist Vollblutmusiker und hast einfach diesen Drive oder du hast ihn nicht und bist nur bis zu einem gewissen Punkt dabei, aber man wird dich auch nie wieder in einem bestimmten anderen Rahmen sehen. Wenn ich mir überlege, was man alles in der Szene erleben kann, dann wäre mir München schon zu eng als Korsett. Das einzige, was ich mittlerweile etwas traurig finde an der Szene, ist einfach, dass kein Zusammenhang mehr besteht. Die Alten sind weggestorben und die Jungen, die nachkommen, die haben diese Philosophie, die wir noch in uns tragen, diesen Underground-Charakter einfach nicht mehr in sich, sondern sie denken gleich in anderen Sphären. Auch die Einstellung der Clubs und Veranstaler heutzutage, dieses Pay-to-play, das wieder stark vermehrt ist - ich weiß nicht, ob das so szenenförderlich ist. Da bin ich wiederum froh, dass ich alt genug bin und nicht ich von null anfange. Da tun mir die jungen Bands leid, weil einige Talente verschreckt werden und sich vielleicht für andere Dinge anfangen zu interessieren, als dass sie sich weiterhin der Musik widmen.

Oliver:
Es hat auch damit zu tun, dass sich in den vergangenen zwanzig Jahren brutal viel entwickelt hat. Beispielweise haben Bands zu meiner Zeit mit einem Vierspurer oder Achtspurer Demotapes aufgenommen, haben 60-Minuten-Bänder gekauft und haben die an der Hi-Fi-Anlage überspielt. Das war damals das Medium, mit dem man Musikkassetten an den Mann bringen konnte. Und wer eine CD hatte, hatte es damals schon geschafft, der war wer. Das Geld aufzubringen, um ins Studio zu gehen und eine CD aufzunehmen ... Heutzutage kann sich jeder sein Heimstudio für ein paar Tausender selbst aufbauen, die CD ist ruckizucki aufgenommen, jeder bekommt von seinem Papa die neueste Gitarre in die Hand gedrückt. Da versuchen sich eben viele als Band, dadurch ist auf einmal eine ganz breite Masse da. Daraus die Vollblutmusiker herauszusuchen - da verschwimmt eben alles. Es war aber schon immer so, das bereinigt sich nach einiger Zeit von selbst, da sieht man ganz genau, wer Bock hat. So manche Band fängt ganz gut an und ist nach zwei Jahren weg, weil sie einfach keinen Bock haben oder nichts zusammengegangen ist. Ab und zu kristallisiert sich eine Band heraus, bei der man sieht, sie könnte sich aus der Masse abheben. Heutzutage hat jede Band, die gerade mal ihren zweiten Gig spielt, einen Riesen-Backdrop irgendwo hängen, hat Top-Equiptment dastehen und hat vor dem zweiten Gig schon eine CD aufgenommen. Das gab's früher nicht, da hast du fünfzig Gigs gespielt, bevor du gesagt hast: 'So, jetzt nehme ich mal ein Tape auf'. Ich hatte wirklich noch Schwarzweiß-Tapes, die ich mit dem Kopierer, mit dem Nadeldrucker ausgedruckt habe, dann mit der Schere dastand, sie ausgeschnitten und die Ränder überklebt habe. Das war früher das, was heute innerhalb von fünf Minuten am PC geht.

Nick:
Früher wurde auch mehr gehasst. Das gibt's ja heutzutage gar nicht mehr, dieses Mobbing in der Szene.



Julian:
Wenn es keine Szene gibt, dann kann's auch kein Mobbing in der Szene geben, weil der Zusammenhalt nicht da ist, als dass sich das fortpflanzen würde. So etwas gibt es übrigens trotzdem noch, das weiß ich.


Nick:
Da bin ich vielleicht raus, weil ich schon alt genug bin.

Julian:
Vielleicht auch, weil ihr etabliert genug seid?


Nick:
Das eher weniger. Wenn du weniger mit Bands zu tun hast, gibt es auch keinen Reibungspunkt. Und vor allem ist es meistens eine Generationsfrage. Eine junge Band würde nie sagen: 'Scheiße, COMMANDER', die werden sich eher denken: 'Mensch, die alten Säcke, die haben's ja noch drauf'. Andererseits ist es auch interessant, zu sehen, dass viele Musiker, die sich früher gerieben haben, im Laufe der Jahre, als sie gereift sind, erkannt haben, dass sie miteinander auch können.

Oliver:
Das ist alles nicht wichtig, hauptsache Hass. Viel mehr Hass. Die Welt ist viel zu lieb geworden.

Julian:
Dann kommen wir mal zu den kommerziellen Punkten. Das Helion-Festival hat sich sehr schnell sehr stark entwickelt über die vergangenen drei Jahre und ist, kann man sagen, im brachliegenden München eine herausragende Veranstaltung. Könnt ihr, da ihr beide in diesem Team beteiligt seid, den Grundgedanken zusammenfassen, der hinter diesem Festvial steht?


Oliver:
Das Helion-Festvial kommt aus den Helion-Studios, die es in München gibt. Die Bands, die in diesen Studios waren, haben einen familiären Charakter entwickelt. Da kam die Idee, ein Festival aufzuziehen, wo genau die Bands, die im Helion-Studio aufgenommen haben, unter einem Dach spielen - sozusagen ein Family-Event. Der Gedanke hat etwa ein Jahr zum Reifen gebraucht, dann hat sich ein Team zusammengefasst, zu dem heutzutage der Nick und meinereiner dazugehören. Dann haben wir das erste Helion-Festival durchgezogen mit ein paar Leuten, die schon in der Vergangenheit etwas veranstaltet haben und das Know-how parat hatten - war mehr oder weniger eine Risikoveranstaltung, um einfach mal zu gucken, was passiert. Die erste Auflage hat funktioniert, wir haben gesehen, dass es angenommen wird, dass die Leute Interesse haben. Wir haben super Feedback bekommen. Es war damals rappelvoll im Feierwerk. Dann hieß es mal: 'Lasst uns versuchen, eine zweite Auflage zu machen', es gab ein wenig Clinch mit der damaligen Location - heutzutage sind in der Pagan-Szene Runen sowie gewisse Symboliken Gang und Gebe. Da hat diese linksgerichtete Location wohl Äpfel mit Birnen verglichen. Um den Hals getragen war es in Ordnung, auf der Jacke angenäht allerdings nicht mehr. Das war uns einfach nicht professionell genug. Wir wollten die Location wechseln, haben das Backstage in München angefragt, haben das Festival im zweiten Jahr also in zwei Hallen im Backstage gemacht. Auch wieder mit dem Risiko, dass alles wesentlich teurer wird, wir neue Bands dazu kaufen mussten, da es nicht geht, dass wir drei Jahre lang nur auf Helion-Bands zurückgreifen. Hat auch funktioniert, man hat in dem Jahr dazugelernt, und nun wollen wir es noch einen Ticken professioneller machen. Vielleicht auch ein bisschen größer, mal sehen, was passiert - die Kapazitäten haben wir auf jeden Fall.

Julian:
Wer ist diesmal dabei?


Oliver:
Aktuell werden wir wieder die 'Hausband' aus München als Aushängeschild haben: EQUILIBRIUM, die jetzt mit ihrem neuen Album in die Charts eingestiegen sind. Dann haben wir uns etwas aus Holland geholt: GOD DETHRONED werden den Death-Metal-Part übernehmen, mit ENDSTILLE haben wir aus Kiel auch ein Black-Metal-Aushängeschild, das in den vergangenen Jahren für Furore gesorgt hat. Somit schon drei verschiedene Musikrichtungen. Dann haben wir uns noch THE VISION BLEAK dazugeholt, die sehr extravaganten Horror-Metal machen; eine Doom-Metal-Band, AHAB, sehr interessant. Schließlich auch Helion-Bands ... Es ist eine absolut bunte Mischung. Wir werden sehen, was dabei entsteht und hoffen, dass es weiterhin gut ankommt. Wir versuchen, den Leuten in München wieder was zu bieten, weil wir sehen, dass es schwierig ist, etwas zu machen. Die Leute sind zwar da, es gibt aber eine gewisse Trägheit. Die Kohle sitzt auch nicht bei jedem so locker. Ein Fan-Festival mit zwölf Bands für 25 Euro kann sich sehen lassen, denke ich. Wir überschneiden keine Bands, wohlgemerkt, wir spielen auf zwei Bühnen. Das Ganze zielt darauf ab, dass es auch in ein paar Jahren noch umsetzbar ist. Da loten wir aus, was für Möglichkeiten wir den verschiedenen Bands in Zukunft bieten können.

Julian:
Heute Abend haben wir mit den drei Bands SYNCRONOMICA, COMMANDER und WALDWIND eine Veranstaltung, die auch mehr oder weniger die Peripherie vom Helion-Festival darstellt. Sind noch Sachen geplant, dass man kleinere Veranstaltungen und Touren wie Wacken Rocks South unter dem Helion-Label laufen lässt?

Nick:
Maximal eine Warm-Up-Show wird es wahrscheinlich in Kufstein geben, aber da sind wir noch am Ausloten. Das wird ungefähr eine Woche vor dem Helion sein. Erstmal ist es wichtig, diese Professionalität, die wir uns selbst auferlegt haben, zu erfüllen. Was wir im Laufe der Jahre noch erweitern werden. Das muss noch wachsen.

Redakteur:
Regina Löwenstein

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