SOLEFALD: Interview mit Cornelius Jakhelln

30.01.2011 | 10:46

"Fuck yeah, ich mach das jetzt – und werde dein Preis im nachhinein bezahlen." - im Gespräch mit einem der interessantesten Künstler des zeitgenössischen Metals.

Seit dem 15. November 2010 steht eines der Top-Alben desselben Jahres in den Läden: SOLEFALDs "Norrøn Livskunst". Es ist ein ambitioniertes Werk, auf verschiedenen Ebenen. Sowohl lyrisch als auch musikalisch fordert das Album eine Menge vom Hörer - kann dem Interessierten aber ebenso eine Menge schenken. Schnell zeigt sich, dass die beiden Kreativköpfe, die hinter SOLEFALD stehen, eine faszinierende Blick auf die Welt haben, und daraus einen hohen Anspruch an ihre Kunst ableiten. Anders sind die zahlreichen Allegorien und gewagten Brüche mit Standards kaum zu erklären. Wir haben Cornelius Jakhelln (Gesang, Gitarren, Bass) zum Interview gebeten.

Zunächst Gratulation zu diesem tollen Album, das mich vom Fleck weg begeistert hat und so etwas wie den Höhepunkt des Schaffens von SOLEFALD darstellt. Wie ordnest du das Album ein – ist es eine konsequente Weiterentwicklung oder vielleicht sogar das homogenste Werk bis dato?

Vielen Dank für das Kompliment! Ich denke, dass beide Perspektiven gleichermaßen korrekt sind. "Norrøn Livskunst" integriert sich gut in unsere Diskographie, aber es ruht eben auch in sich selbst, was die Unterschiedlichkeit des Materials angeht – sowohl textlich als auch musikalisch.

Gesanglich musste ich mehrfach an Heri Lande von TYR denken. Er singt auch in seiner Landessprache und hat diesen klaren, hellen, epischen Ton in seiner Stimme. Siehst du diese Parallele? Wie ist das Gefühl, in seiner Muttersprache zu singen?

Ich sehe die Parallele, ich bedaure das sagen zu müssen – aber du musst auch zugeben, dass wir trotz einer epischeren Ausrichtung von Lazarus Chören immer noch meilenweit entfernt von der Humorlosigkeit einer Band wie TYR sind. Sie sind zwar fähige Musiker – aber sie sind weit entfernt von der Komplexität, um die es bei SOLEFALD geht, die Ironie, den Humor, aber auch die Aggression. TYR spielen Viking Power Metal – im Vergleich dazu könnte man SOLEFALD als Black Art Rock bezeichnen! The Red Music Diabolos lurks in our midst.



Wie stehst du im Allgemeinen zu Künstlern, die in ihrer Muttersprache singen – begrüßt du das, oder freust du dich eher darüber die Texte im englischen leichter zu verstehen, gerade wenn die Band eine Sprache spricht, derer du nicht mächtig bist?

Ich werde immer mehr zum Fanatiker, was das Singen in der Muttersprache angeht. Schon zu Zeiten unserer "Lernlov" Demo machten wir einige Songs in Norwegisch. Ich denke, dass später der norwegische Autor Håvard Rem daran schuld war. Er fand heraus, dass die Karriere muttersprachlicher Sänger etwa 40 Jahre andauert, während die von englisch-sprachigen Künstlern unabwendbar nach fünf bis zehn Jahren endet – oder vielleicht 15. Es ist nicht nur ein kommerzielles Argument, sondern auch ein künstlerisches: Von wie vielen norwegischen Sängern könnte man behaupten, dass sie die englisches Phonetik wirklich gemeistert hätten? In deiner Muttersprache zu singen bedeutet, dass man deutlich tiefgehenderes ausdrücken kann als in einer Fremdsprache.

Bleiben wir gleich beim Thema Sprache: Was mich an deinem künstlerischen Schaffen fasziniert ist, dass du einen mehrfachen Zugang wählst. Als Dichter und Literat ebenso wie als Musiker. Öffne doch einmal die Tür in deinen Kosmos und erzähle, an was du dich orientierst, wo die Wurzeln deines Schaffens liegen.

Die Wurzeln meines Schaffens: Das Leben in Städten wie Paris und Berlin war sehr wichtig, schätze ich, aber nicht entscheidend – das Philosophiestudium, meine Reisen, Freundschaften, Herausforderungen, die ich über die Jahre meistern musste, Bücher, die ich gelesen habe – oder selbst geschrieben habe. Und zuletzt: Das Temperament, mit dem ich geboren wurde. Mein Genom.

Die Multiperspektivität deines Schaffens lässt sich vielleicht auch als Superkonstruktion umschreiben. Hast du Angst, dass die enge Verzahnung von Text und Musik nicht auch zum Korsett wird? Gibt es das vielleicht sogar und ihr versucht es durch eine extreme Anwendung der musikalischen Genreüberwindungen (Black Metal mit Rap) zu durchbrechen?

Ich kann nicht behaupten, das als Problem zu sehen. Die meisten Hörer kümmern sich ja gar nicht um die Texte... wie auch immer. Unsere Musik war schon immer exzentrisch und progressiv, lange bevor ich meine literarisches Debüt gab. Lazare hat auch einen Teil der Lyrics geschrieben. Natürlich kannst du fragen, ob unsere Experimentierfreudigkeit eine gute Sache ist – vielleicht wären wir besser, wenn wir wie TYR klingen würden? Ich kenne zumindest meine Antwort auf die Frage...

Der Refrain vom Titeltrack 'Norrøn Livskunst' klingt für mich wie eine eindringliche Warnung an eure Landsleute, sich doch bitte mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Woraus resultiert diese wiederholte Phrase? Gibt es einen Werteverfall, den es aufzuhalten gibt?

Eine interessante Frage. Pessimisten haben schon immer behauptet, dass sich die Geschichte immer in die schlechteste Richtung entwickelt. Ich bin kein Pessimist. Dennoch ist deine Beobachtung korrekt, insofern, als dass ich die jungen Norweger stolz auf deren nordisches Vermächtnis machen will. Ich will, dass sie die Edda lesen, ihre paganen Götter kennen und dass sie verstehen, dass man gleichzeitig nordisch und international sein kann. Die nordische Kultur war schon immer kosmopolitisch, mehr als einseitig national – lies die Sagas. Ich mag viele Dinge von verschiedenen Nationen wie den Franzosen, den Norwegern oder den Deutschen. Aber ich mag nicht eingepfercht in einem Nationalismus sein – egal, was dieses Wort im Detail bedeuten mag.

In meiner Rezension unterstelle ich dir gewisse biographische Analogien mit dem Leben und Schaffen von Olav H. Hauge – gibt es da eine Verbindung? Ist er eine Art Vorbild für dich?

Ich habe deine extrem gründliche Rezension des Albums zur Kenntnis genommen und war sehr beeindruckt von der Tatsache, dass du Hauge gelesen haben musst. Gibt es eine Verbindung? Auf einem tieferen Level gibt es diese sicherlich. "Song Til Stormen" ist ein sehr vitales Gedicht (ich bin mir nicht sicher, ob Cornelius hier auf das Konzept des Vitalismus Bezug nimmt – JR) und es beinhaltet eine Analogie des Sturm und Drangs, von einem besessenen Willen, der sowohl gut als auch böse leben will. Ich bewundere Hauge als Poet, aber ich kann nicht behaupten, dass er für mich ein Vorbild auf einer persönlichen Ebene darstellt. Er wählte ein ruhiges Leben in der Kunst und der Meditation und litt unter ausgedehnte Phasen von Geisteskrankheiten. Dennoch machen ihn sein großer literarischer Horizont, sein Humor, sein Pathos und sein Wissen um die norweigische "høgnorsk"-Sprache (hochnorwegisch – abseits der Sprachreform der norwegischen Sprache von 1938 - JR) sicherlich zu einem poetischen Vorbild.

Mich würde interessieren, inwiefern sich dein Naturbild in den letzten Jahren verändert hat. Hast du einen spirituellen Zugang, oder eher bewahrend/nachhaltig?

Eine weitere interessante Frage. Ich betrachte eine Persönlichkeit als eine Art Container der Möglichkeiten. Folglich hat sich meine Liebe zur Natur in den letzten Jahren wieder in den Vordergrund gedrängt und tritt nach meiner pantheistischen Phase in meiner Jungend wieder verstärkt auf. Als SOLEFALD gegründet wurde, trug ich grüne Wolljacken aus Österreich und streifte Nachts durch Wälder, Panflöten spielend und Gedichte im Licht von Paraffinlampen schreibend. Es war weniger Verrücktheit als vielmehr eine Erfahrung persönlicher und spiritueller Bedeutung. Heute ist dieselbe Freude an der Anbetung der Natur zurückgekehrt. Ich bin mir sicher, dass du Spuren davon auf "Norrøn Livskunst" gefunden hast. Vergleiche das mal mit einem Text wie "Countryside Bohemians"...

Wie wichtig ist die Natur für SOLEFALD? Und im Gegensatz dazu: Wie wichtig ist der Mensch?

Die Natur ist sehr wichtig für uns – Lazare hasst sie, ich liebe sie! Und der Mensch? Well, there would not be much music without poor Mensch, would it?

Ich habe gelesen, dass 'Raudedauden' eine Analogie zu HIV darstellt. Was hältst du von der heutigen Gesellschaft und ihren apokalyptischen Reitern? Ist sie zu Untergang verdammt?

Wiederum korrekt. Ich saß in einer Hütte im Norden von Tynset in Norwegen und betrachtete den Sonnenuntergang über dem Berg Tron (Tronfjellet). Da kam mir eine Idee: Ich wollte Theodor Kittelsens berüchtigte Hexe des Schwarzen Todes als Hexe des Roten Todes heraufbeschwören – diesmal allerdings nicht als Pest, sondern als Aids. Die Idee basiert allerdings auf Diamanda Galas, die eine "Plague Mass" über HIV geschrieben hat.  

Stichwort Kreativität. Was bedeutet das für dich?

Eigentlich alles, denke ich – ich habe keinen Job. Ich nutze meine Zeit für neue Ideen, Projekte, Reisen... hoffentlich nicht gänzlich ohne Resultat.



Gibt es in der heutigen Metalszene überhaupt noch Kreativität?

Auf jeden Fall! Obwohl ich mir wünsche, dass es manchmal einen größeren Willen gibt, aus der Dunkelheit auszubrechen und das Licht zu suchen... neue visuelle Kulturen zu nutzen und zu adaptieren... neue Kostüme... zurück in die Zeiten der BEATLES zu gehen... Ich klinge jetzt vielleicht wie ein Hippie – aber das ist okay!

Welche Bands würdest du einem jungen Fan empfehlen, um ihm den Iststand der Szene nahezubringen?

Vielleicht DEATHSPELL OMEGA, L'ACÉPHALE, HAVOC UNIT...

Du lebst nun seit einigen Jahren in Berlin. Mit STURMGEIST hast du ein Projekt, das unter anderem stark auf deutsche Stereotypen Bezug nimmt. Inwiefern hat sich dein Bild von Deutschland über die Jahre verändert?

Ganz viel! STURMGEIST wurde als Rebellion gegen einen antiweißen Rassismus und Bigotterie gegründet, die ich bemerkt hatte – eine parodistische Art der Kommunikation, dass ich auch eine Geschichte, eine Kultur, auf die ich stolz sein kann, hatte! Meine Reaktion war vielleicht übertrieben, aber zu dieser Zeit dachte ich, dass der Stolz auf die eigene Kultur lediglich eine Option für Nicht-Europäer sein dürfte. Wenn du stolz darauf bist, Franzose zu sein – ein Freund von mir war so, er bezeichnete sich sogar als Monarchisten, was in Frankreich doch ziemlich mutig ist – dann wird man gleich als Lepenist, als Rassist abgestempelt – ziemlich unfair.

Die Idee von STURMGEIST hatte aber immer zwei Seiten – auf der einen Seite der breitgefächerte Stereotyp des Deutschen, auf der anderen Seite meine eigene Familiengeschichte mit Wurzeln im Schleswig-Holstein des 17. Jahrhunderts. Nach meinen Jahren in Berlin hatte ich so etwas wie ein Post-Drittes-Reich-Trauma – und ich realisiere, dass der Prozess der Heilung von diesem Trauma immer noch andauert. Das bedeutet auch, dass man wahrscheinlich kein solches Cover wie "Über" bei STURMGEIST mehr sehen wird – es wurde kurz bevor ich nach Deutschland kam kreiert. Ich denke immer noch, dass es ein großartiges, starkes Cover ist, aber im Bezug zu den aktuellen Problemen mit rechtem Extremismus in Deutschland wäre dieser Weg wohl besser nicht gegangen worden. Es verblüfft mich, dass der Thors Hammer – für mich das gleiche wie ein christliches Kreuz – als Symbol der rechten Bewegung in Deutschland angesehen wird. Als Norweger kann ich nicht akzeptieren, dass meine pagane Tradition politisiert wird – und trage genau aus diesem Grund meinen Mjöllnir mit Stolz.

Klassizismus und Faschismus – zwei Begriffe, zwei starke Einflüsse. Ich würde dich bitten, frei darüber zu assoziieren...

Sowohl Faschismus (definiert als politische Diktatur, zentriert auf einen starken Führer) und Klassizismus (definiert als Fassung für reine und idealisierte Formen) finden in der NSK (Neue Slowenische Kunst) ein Zuhause. Im Oktober des vorigen Jahres eröffnete ich den ersten Kongress der NSK-Bürger im Haus der Kulturen der Welt. Ich war erstaunt über die starken Bilder, die ich dort sah – das ist der Grund, warum die schlimmsten System die besten Propaganda-Poster hatten, denn sie brauchten eine optimierte Ästhetik um ihr mangelhaftes politisches System zu verdecken.

Ich habe noch nie diese billige und blutige Ästhetik des Death Metal in meine eigenen musikalischen Kreationen implementiert. Ich will, dass meine Alben gerade, machtvoll und ambitioniert sind, insofern, als dass sie sowohl das und Problem und seine Lösung, sowohl das Gesetz als auch das Verbrechen beinhalten. Ein STURMGEIST-Album kann gar nichts anderes sein. Es sollte dich packen, verfolgen und deine Realitätsauffassung ordentlich durcheinander bringen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen radikale Entscheidungen getroffen werden. Nieten und freundliche Grüße an "Ernie Ball Strings" reichen da nicht. We need torment.

In den letzten Jahren hat mich ein Song ganz besonders beschäftigt: 'Survival Of The Outlaw (Solefald remix)' von THE BOMBS OF ENDURING FREEDOM. Wie kam es dazu? Was hältst du von dieser Variante?

Ich denke, dass THE BOMBS OF ENDURING FREEDOM eine großartige Arbeit leisteten, als sie den Song in ein Bigbeat-Gewand kleideten – es klingt ziemlich stark nach Brighton, von wo James Fogarty kommt! Ich habe dort ein Jahr lang gewohnt, aber unglücklicherweise habe ich ihn da noch nicht gekannt.

Welche zeitgenössischen Verästelungen der Kunst beschäftigen dich, was fasziniert dich? Welche Künstler würdest du empfehlen und warum?

Nächste Woche fahre ich nach Kopenhagen, um dort die grandiose Anselm Kiefer Ausstellung für das norwegische wöchentliche Morgenbladet zu rezensieren. Kiefer beeindruckt mich schon eine lange Zeit. Ich besuchte letzthin den Hamburger Bahnhof in Berlin, um "Wege der Weltweisheit – die Hermannsschlacht" zu studieren – eine Erforschung der deutschen Traumas, das ich oben angesprochen habe. Er berührt mich tief – genauso, wie ich hoffe, dass STURMGEIST seine Hörer berührt.

Wäre eure Musik ein Gemälde, wie würde es aussehen? Wen würdest du bitten, "Norrøn Livskunst" zeichnen zu lassen?

Der norwegische Maler Odd Nerdrum schmückte das Cover von "The Linear Scaffold" mit seiner Arbeit "The Return Of The Sun" - SOLEFALD hat schon immer vieles gemeinsam mit der Ästhetik von Nerdrum. Heute habe ich allerdings meinen Freund Sverre Malling, einen norwegischen Künstler, gefragt, ob er das Cover für "Norrøn Livskunst" zeichnen will. Er ist brillant – arbeitet aber sehr langsam, und konnte leider nicht.



Wer ist auf die geniale Idee gekommen, Agnete Maria Forfang Kjølsrud scatten zu lassen? Wie hat sich die Arbeit insgesamt dargestellt mit ihr?

Lazare, die Quelle aller großartigen Ideen! Wir kennen Agnete seit Jahren und wussten, dass sie genau die richtige für diesen wichtigen Job war.

Was bedeutet Black Metal für dich? Ist es eine Lebenseinstellung? Habt ihr diese Musikrichtung eigentlich jemals ernst genommen?

Das ist eine wichtige, schmerzhafte Frage – und verräterisch! Denn du fragst, ob wir es ernsthaft als "Musikrichtung" gesehen haben! Die Antwort ist: In den letzten Jahren wurde mir immer mehr klar, dass der True Norwegian Black Metal positive Werte, was die Attitüde angeht, beinhaltet: TNBM sollte als Quelle der Inspiration und als fanatische, nicht-kommerzielle Version des amerikanischen Slogans "Just do it!" wahrgenommen werden! Wenn ich darüber nachdenke, etwas zu tun oder eben nicht zu tun, dann denke ich oft an die Zeiten des TNBM zurück und entscheide danach: Ziemlich oft lautet die Antwort: "Fuck yeah, ich mach das jetzt – und werde dein Preis im nachhinein bezahlen." Und was die Musikrichtung angeht: Das ist der Aspekt des Black Metals, den wir immer sehr ernst genommen haben. Wir haben ihn belästigt und in jedes Extrem überzogen – aber wir hätten es niemals fünfzehn Jahre lang durchgezogen, wenn es nicht für die Liebe zum Black Metal gewesen wäre.

Wie geht es weiter mit SOLEFALD, was ist geplant?

Mehr Alben und eine große Vinyl-Box!

«One Box to rule them all, One Box to find them,
One Box to bring them all and in the darkness bind them»

Redakteur:
Julian Rohrer

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