SUBWAY TO SALLY: Interview mit Ingo Hampf

01.01.1970 | 01:00

Erstaunen, Verwirrung, Zustimmung, Ablehnung - mit ihrem nunmehr achten Album "Engelskrieger" haben SUBWAY TO SALLY eine Vielzahl an Reaktionen unter Hörern und Fans ausgelöst. Keine Frage, die neue, härtere Gangart der Potsdamer ist auf den ersten Eindruck gewöhnungsbedürftig und lässt einigen Raum für Diskussionen. Saitenzauberer und Hauptkomponist Ingo Hampf brachte beim allseits bewährten und beliebten Frage-und-Antwort-Spiel Licht ins Dunkel: Warum diese neue Seite an SUBWAY TO SALLY? Wieso keine mittelalterliche Romantik mehr? Was genau ist ein Engelskrieger? Und womit vertreiben sich amerikanische Pfarrer ihre Zeit in der Wüste?


Kathy:
"Engelskrieger" stellt das härteste und düsterste Album eurer bisherigen Karriere dar. Wie kam es, dass ihr euch in derartige, beinahe RAMMSTEIN-hafte Gefilde weiterentwickelt habt?

Ingo:
Das passierte schon recht bald, nachdem "Herzblut" fertig war und wir mit dem Album auf Tour gegangen sind, da haben wir uns schon darüber unterhalten, wie die nächste Platte aussehen soll. Der Name und praktisch auch das Motto "Engelskrieger" waren recht schnell gefunden und die Texte, die dann entstanden, waren vom Inhalt her ganz anders als sonst, ohne Metaphern, Mystik und dem ganzen Mittelalterlichen wie man es ja sonst von uns kennt, sondern sehr direkt mit Bezug zur Realität. Da wurde es auch bald klar, dass man solche Themen nur mit der entsprechenden Musik umsetzen kann, da ja auch sehr harte Themen mit dabei sind. Man kann einfach keine Party-Mucke oder Düdeldü-Mittelaltertänzchen spielen, wenn es textlich um Kindesmissbrauch oder Selbstverstümmelung geht.

Kathy:
Dieser auffallende Rückgang der mittelalterlichen Elemente, rührt der eventuell auch daher, dass ihr die Nase voll davon habt, ewig in die Schublade der Dudelsack- und Schalmeibands gesteckt zu werden?

Ingo:
Ja, könnte man fast so sagen; unsere Promotion war ja auch ziemlich darauf ausgelegt, dass wir uns vom Mittelalterlichen abgekehrt haben. Weißt du, früher war's einfach immer so: Ach, eine neue Platte, OK, wir machen alles so wie immer, alles lustig, alles schön. Diesmal wollten wir den Leuten radikal zeigen, dass noch mehr drinsteckt in dieser Band, das wir nicht immer das Selbe machen möchten. Bei einem Studioalbum muss man sich ja auch immer überlegen, ob man auf Nummer sicher gehen und die Erwartungen der Leute erfüllen möchte oder ob man sich selbst verwirklichen und Neues ausprobieren will - wir haben uns schlussendlich für Letzteres entschieden. Trotzdem sind wir weiterhin die gleiche Band, aber vielleicht nicht mehr ganz so plakativ - nach dem Motto jetzt wird ein Schild hochgerissen und hier kommt der Mittelaltertanz mit Glöckchen an den Füßen.

Kathy:
Aber findest du nicht, dass durch das (zugunsten der Härte) verstärkte Riffing und die zusammengestrichenen verspielten Momente ein relativ großer Teil an Abwechslung verlorengegangen ist?

Ingo:
Najaaa..., ich seh das nicht wirklich so. Ich finde das Album durchaus abwechslungsreich, es gibt ja z.B. Sachen wie das 'Abendlied' oder 'Abendland' zum Schluss, bei 'Verloren' kommt auch mal eine Laute vor; Mittelalterinstrumente sind übrigens immer noch sehr oft vertreten, Dudelsack und Drehleier sind ebenfalls dabei, aber, wie gesagt, nicht mehr so plakativ nach vorne gestellt, sie agieren eher im Soundgefüge.

Kathy:
Stammen die Texte wieder primär von Bodenski?

Ingo:
Ein paar Texte hab ich mitgeschrieben, 'Unsterblich' z.B., 'Kleine Schwester' und 'Der Geist des Kriegers', aber im Prinzip muss man sich das so vorstellen, dass ich ein Thema habe, von dem ich denke, dass man da einen Text drüber machen sollte, das dann quasi vorfertige und mich anschließend mit Bodenski darüber unterhalte und er dann "mehr" draus macht. Aber das haben wir auch früher schon so gehandhabt.

Kathy:
Und wie kam es schlussendlich dazu, dass die Texte nüchterner, zynischer, provokanter, moderner wurden? Warum keine Galgen, Henker und Spielleute mehr?

Ingo:
Weil wir die Hofnarren, Henkersbräute und was weiß ich noch schon alle durch und von allen Seiten beleuchtet hatten. Früher haben wir uns immer nicht getraut, textlich was anderes zu machen, weil wir dachten, das passt nicht zur Band. Solche modernen Themen haben uns schon immer interessiert und wir haben oft gesagt, dass man da eigentlich mal einen Song dazu machen müsste, aber dann war immer die Frage: Wie macht man das, welche Metapher zieht man dafür heran, um Text und Musik zusammen zu bringen? Damit alles eben auch in der selben Welt ist. Diesmal war die Zeit einfach reif für die Gratwanderung, um solche Themen endlich anzuschneiden.

Kathy:
Spielt unterschwellige Wut auf die heutige Zeit mit all' ihren Krankheiten und Perversitäten dabei ebenfalls eine Rolle?

Ingo:
Ja, auch. Weißt du, dieses Bild des Engelskriegers entstand eigentlich bereits während der "Herzblut"-Aufnahmen, da ging ein Bild um die Welt bzgl. dem Palästinenser-Israeli-Konflikt, da war ein Vater mit seinem Sohn und die wurden von Heckenschützen beschossen. Da wurde direkt für eine Viertelstunde die Kamera draufgehalten, das ging dann damit aus, dass der Junge - der war drei oder vier Jahre alt - tot war und der Vater schwer verwundet. Da haben wir uns gesagt: Wenn wir der Vater wären, dann Gnade denen, die dafür verantwortlich sind... . Es würde mich echt nicht wundern, wenn so ein Typ in ein Flugzeug steigen und in ein Hochhaus reinfliegen würde, das könnte ich sofort nachvollziehen. Das war damals schon ein beklemmendes Gefühl, so was Tragisches zu sehen und nicht eingreifen zu können; wenn, dann können das nur Engel oder Engelskrieger, falls es sie gibt - es entsteht der Wunsch nach einer Macht, die helfen kann, wenn man selbst nicht dazu in der Lage ist. Das alles steckt in dem Wort und dem Titel "Engelskrieger" mit drin.

Kathy:
Thema Provokation: Im Song 'Falscher Heiland' gibt es die Textzeile "du bist der falsche Heiland [...] wir singen und wir tanzen und pinkeln auf dein Grab". Gab es diesbezüglich keinen Ärger mit bestimmten (christlichen) Gruppen?

Ingo:
Nö, wir singen ja vom falschen Heiland. Das kann zwar falsch interpretiert werden, aber die kennen uns eh alle schon lange durch diverse andere Liedtexte (lacht). Das Interessante ist, dass dieser Text schon vor dem 11. September 2001 fertig war und danach dann plötzlich einen Bezug gekriegt hat zu den scheiß Politikern, sag ich mal, egal ob jetzt Hussein oder Bush und wie die alle heißen. Oh, das muss ich jetzt erzählen, ich hab kürzlich im Fernsehen gesehen, wie sie amerikanische GIs in der Wüste getauft haben, die haben ein Loch gebuddelt, und dann kam so ein Feld-Pfarrer in Camouflage und mit Talar - also eigentlich ein Tarn-Pfarrer (grinst) - und der hat die Soldaten halt unter Wasser getaucht. Und die kamen dann an mit voll den romantischen Gefühlen, von wegen wenn Männer in den Krieg ziehen usw., also, dazu ist mir dann auch nix mehr eingefallen.

Kathy:
Bislang habe ich recht gespaltene Meinungen zu "Engelskrieger" gehört, manche loben es in den höchsten Tönen, manche wiederum empfinden es als das schlechteste Album eurer Laufbahn. Wenn man sowas hört, ist das nicht wie ein Schlag ins Gesicht?

Ingo:
Nee, das ist ganz logisch, wenn man gewisse Erwartungshaltungen nicht erfüllt. Die Leute wollen ja eigentlich keine großen Veränderungen, die wollen ihre 'Henkersbraut' und ihren 'Veitstanz' und 'Kleid aus Rosen' bis in alle Ewigkeit, bis sie vom Hocker fallen. Wenn man dann sagt: Nein, wir wollen das nicht mehr und Stillstand ist der Tod und wir machen jetzt was anderes, dann muss man einfach mit sowas rechnen. Im Prinzip ist es auch egal, du kannst nur das machen, was du wirklich selber machen möchtest, und wenn du dazu stehst, kannst du mit einer solchen Kritik auch umgehen. Ich meine, es wird immer die Leute geben, die zum Konzert kommen und den Schottenrock anhaben und ihr "Blut, Blut, Räuber saufen Blut" haben wollen und rumtanzen möchten - aber das gibt's ja trotz "Engelskrieger" immer noch, das ist ein Teil von uns und wird auch so bleiben.

Kathy:
War euch im Studio schon bewusst, dass das neue Material die Fans vor den Kopf stoßen könnte?

Ingo:
Eigentlich nicht, verstärkend kam halt bloß dazu, dass der Produzent, den wir hatten, kein Superfan von Tröten und Geigen war - aber wenn's nach mir gegangen wäre, dann wäre "Engelskrieger" sogar noch etwas härter ausgefallen.

Kathy:
Trotz allem spricht das Album für euch, in der ersten Woche gleich Platz 9 der Media Control Charts. Habt ihr das erwartet?

Ingo:
Nein, eigentlich nicht, und zwar aus dem ganz einfachen Grunde, dass im Vorfeld sehr viel schiefgegangen ist bei uns - unsere Plattenfirma Mercury wurde praktisch 14 Tage vor VÖ aufgelöst, da waren alle Absprachen bzgl. Promo usw. nichtig. Bis Motor (das neue STS-Label - d. Verf.) soweit war, war alles zu spät, deswegen musste der Veröffentlichungstermin verschoben werden, ein paar Promotionsachen liefen auch nicht so gut usw. usf., da haben wir ehrlich nicht mehr mit den Top Ten gerechnet, obwohl es ein Ziel war. Und dann hat's doch geklappt, und das sogar ohne Radio und Fernsehen.

Kathy:
Jetzt geht aber auch wieder die Kräherei los, von wegen: SUBWAY TO SALLY sind in den Top Ten, Kommerzalarm!

Ingo:
Aber die, die schreien, haben die Platte doch auch gekauft, oder? (lacht) Also, kommerzieller Ausverkauf ist wohl das letzte, was man uns vorwerfen kann. Da muss man schon sehr oberflächlich sein, um das zu behaupten.

Kathy:
Wenn man auf eure letzten Alben zurückblickt, dann fällt auf, dass "Hochzeit" rockiger und härter daherkam, "Herzblut" euch von der emotional-verspielten Seite zeigte und "Engelskrieger" erneut in die härtere Kerbe schlug bzw. schlägt. Darf man also annehmen, dass die nächste Platte wieder etwas sanfter und melodiebetonter wird?

Ingo:
Du, da hab ich jetzt noch keine Ahnung (lacht). Wir stellen da auch kein Schema oder so auf, das wäre ja Blödsinn.

Kathy:
Was ist eigentlich dran an dem Gerücht, dass euch 'Julia und die Räuber' tierisch zum Hals raushängt und ihr es live am liebsten gar nicht mehr spielen würdet?

Ingo:
Da ist nichts Wahres dran, wir haben es bis jetzt jeden Tag auf der Tour gespielt. Gut, du musst ja auch überlegen, wenn man einen Titel gut...ähm...wie lange spielen wir nun eigentlich schon...(grübelt)...acht Jahre lang live spielt, davon gut 50 oder 60 Mal im Jahr, dann kannst du dir sicher vorstellen, dass man zu dem Stück eine Art gespaltenes Verhältnis hat. Aber als wir die Tour begonnen haben, da fing grade der Krieg im Irak an, da haben wir uns echt überlegt, ob wir 'Julia und die Räuber' spielen sollen, wegen der Textzeile "Raub und Mord und Überfall sind gut" - nicht dass es nachher heißt: da unten werden Menschen abgeschlachtet und die singen hier sowas. Aber im Endeffekt haben wir's als Zugabe dann doch immer durchgezogen.

Kathy:
Euer Eric beschreitet seit geraumer Zeit auch Solo-Pfade und unternimmt allein kleine Touren durch Deutschland. Wie sieht's mit dem Rest von euch aus was Pläne/Projekte abseits von SUBWAY TO SALLY angeht?

Ingo:
Jeder von uns hat so ein bisschen was am köcheln, aber keine Live-Tätigkeiten, die haben wir bei uns ja schon genug (lacht). Ich für meinen Teil fange grad an, mit anderen Bands zu produzieren, andere Stile zu machen, das ist aber alles noch nicht so spruchreif.

Kathy:
Verbringt ihr den Rest von 2003 STS-typisch hauptsächlich auf Touren und Festivals oder stehen bei euch noch andere Dinge auf dem Plan?

Ingo:
Das einzige, was noch ansteht, ist unsere DVD, auf der wir den Mitschnitt unseres Konzert in der Berliner Columbiahalle verwenden werden. Ansonsten wird's das Übliche geben, also die Festivalzeit und danach sehn wir mal weiter.

Kathy:
OK Ingo, die letzten Worte gehören dir.

Ingo:
Leute, habt keine kruden Vorbehalte gegenüber "Engelskrieger", es ist noch genügend alte Musik drinne!!

Redakteur:
Kathy Schütte

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