TEMPLE KOLUDRA: Interview mit I.H.

17.04.2013 | 17:39

Nachdem der Black Metal um die Jahrtausend-Wende merklich an Fahrt verlor, erlebt er nun einen zweiten Frühling. Gerade der Bereich Avantgardistischen und/ oder Orthodoxen Black Metals ist stärker denn je und insgesamt erscheint eine erfreuliche Vielzahl an Gruppen auf der Bildfläche, welche tiefschürfender zu Werke gehen wollen, als die oftmals müde und alt gewordenen Genre-Väter. Zu so einer Gruppe zählt auch das Duo TEMPLE KOLUDRA, welches vor kurzem ihre erste, gleichnamige EP veröffentlichte, die nicht nur bei uns großes Lob bekam. Wir sprachen mit Sängerin I.H.

TEMPLE KOLUDRA – ein einigermaßen kryptischer Name, zu dem es eine ausführliche Introduktion auf der bandeigenen Website gibt. Könnt ihr trotzdem ein, zwei Worte zum Namen und der Geschichte TEMPLE KOLUDRAS verlieren?

TEMPLE KOLUDRA entstand 2010. Damals haben wir über Ideen gesprochen und hin und wieder zusammen Gitarre gespielt. Bei M:W war bereits Einiges an Aufnahmen vorhanden und er suchte seit Längerem einen Sänger. Irgendwann versuchte ich mich bei 'Zornissen' dann erstmalig an den Vocals. Bereits vorhandene Ideen wurden darauf folgend weiter bearbeitet und es kamen neuere Ideen hinzu. Die vielfältige Bedeutung des "Tempels" fanden wir grundsätzlich gut. Der erste Namensteil war insofern schnell klar. Koludra entstand aus dem lateinischen Begriff "Coluber" für Natter/ Schlange, angelehnt an die Bedeutung des Ouroboros als Ganzes und dem englischen Verb "to collude", das Zusammenwirken sowie unerlaubtes Zusammenwirken bedeuten kann.

Was ist die Aufgabe TEMPLE KOLUDRAs, könnt ihr eine konkrete Vision, sowohl inhaltlich als auch musikalisch formulieren?

Über Temple Koludra schwebt der Transformationsgedanke. Damit geht es um etwas, das immer aktuell und oberbegrifflich ist. Zudem bietet ein Wandelgrundsatz die Freiheit an, sich aus Strukturen, die sich nicht nur in Religion sondern auch in den alltäglichsten Mentalitäten sowie Lebensgrundsätzen befinden, herauszupellen.

Auch wenn ihr es geschafft habt, einigermaßen gekonnt das Kopieren der Genre-Blaupausen zu umschiffen bzw. non-standard zu interpretieren, muss es doch eine Art Basis geben. Ich zog Vergleiche zu SECRETS OF THE MOON oder NEGURA BUNGET, teils wegen der Musik hier und da, oft aber auch wegen der Atmosphäre. Könntet ihr in diesem Sinne bestimmte Einflüsse benennen?

Wir haben beide einen breit gefächerten Musikgeschmack. Was das Erschaffen einer Atmosphäre angeht, gehören MAYHEM, EMPEROR, DISSECTION, DEAD CAN DANCE, NIN, THORNS sicherlich für M:W neben einigen Anderen zu den wichtigsten Künstlern. Der norwegische Black Metal als solches bot uns beiden wegweisende Veröffentlichungen. Manche Einflüsse manifestieren sich auch unbewusst, deshalb hatten vermutlich noch viele andre Künstler auf die gesamte Atmosphäre Einfluss. Aber auch archaische, naturverbundene und rituelle Musik anderer Kulturen hinterließen ihre Spuren in unserem Verständnis von Musik.
Von NEGURA BUNGET haben wir beide vor und während Produktion nichts mit bekommen und erst wirklich wahrgenommen, nachdem schon nahezu alles stand. Von SOTM kennt jeder von uns nur ein paar Songs. Ich hatte während des Schreibprozesses über die letzten Jahre weniger Metal gehört und wich gelegentlich auf komplett andere Musik aus, um mich auch nicht zu sehr beeinflussen zu lassen. Erst seit letztem Jahr habe ich auch wieder wirklich Zeit mit würdiger Aufmerksamkeit meinen Empfehlungsstapel für den Metalbereich durchzugehen.

Ich habe den Eindruck, dass auf der einen Seite die Menge an inhaltlich (gleich welcher Art) wirklich ernst zu nehmenden Bands zugenommen hat, auf der anderen Seite aber auch die musikalische Entwicklung des Genres in den letzten sieben, acht Jahren einen Quantensprung vollzogen hat. Was denkt ihr über die deutsche Black Metal Szene und die Entwicklung in anderen Ländern, sei es Skandinavien, Frankreich oder Amerika?

Ja. In den 80ern war Black Metal generell rumpeliger. Der erste Quantensprung fand wohl in den 90ern statt. In den letzten Jahren geschah etwas Ähnliches mit fortschreitender Entwicklung. Mittlerweile gibt es ein hohes Maß an Professionalität und Virtuosität. Einige bewegen sich ideologisch auf neuem, anspruchsvollerem Terrain (weil der 90er BM natürlich absolut ideologiefrei war - NM). Der Recordingbereich ist zudem zugänglicher geworden, man hat nochmal andere Möglichkeiten als vor zehn Jahren. Es ist zwar nicht so ganz einfach in der Flut an Projekten und Bands alles zu verfolgen und wahrzunehmen, andererseits haben einige ziemlich talentierte Künstler die Gelegenheit genutzt, ihr Können zu demonstrieren.
Ich hatte Ende der 90er vermehrt die skandinavischen Bands verfolgt, aber es gibt weltweit so viel Hörenswertes in allen möglichen Musikbereichen. Mit der Szene in Amerika habe ich mich noch nicht auseinander gesetzt. Deshalb kann ich Dir dazu nichts sagen. Im Moment höre ich mir einige neue Alben aus dem Death-Metal-Bereich an, allerdings von alt eingesessenen Bands. Was neuere Bands angeht haben mich aus Italien UFOMAMMUT (nicht unbedingt BM) erreicht. Aber auch Deutschland hat sehr Interessantes zu bieten, wie FALKENBACH und MELKOR. DARK FORTRESS gehören schon länger zu meinen Favoriten. Ich muss allerdings dazu sagen, dass ich mich wie oben beschrieben noch durch den "Dschungel" jüngerer Erscheinungen hangle.

http://static4.powermetal.de/pics/2013/04/08/165497-Pic-1365438564.jpgIhr habt euch beide für den Gebrauch von Pseudonymen entschieden und erscheint nur mit, in den letzten Jahren anscheinend in Mode gekommenen, Kürzeln. Wie steht ihr zu dem weit verbreiteten Gebrauch von Pseudonymen, gerade im Black Metal?

Für den Gebrauch von Synonymen habe ich das gleiche Verständnis wie für den Gebrauch des normalen Namens. Es ist eine individuelle Entscheidung, seine Privatsphäre zu schützen oder sich unter einem anderen Namen mehr mit seinem Schaffen identifizieren zu können. Bei Temple Koludra steht die Kunst im Vordergrund. Die Kürzel/Pseudonyme sind einfach ein Mittel (wenn auch nicht das Perfekte), um die uns wichtige Privatsphäre zu erhalten und wirken ansonsten eher neutral.

Auch ihr habt einen betont ernsthaften Zugang zu Musik und Texten. Das "TEMPLE" im Namen hebt ja die Band bzw. die Aktivität in ihr in einen heiligen Bereich (man erinnere sich an den heute sehr beliebten Begriff des für Konzerte verwendeten "Rituals"). Was bedeutet euch Religion, weniger im Sinne der heute assoziierten Dogmatik, sondern eher in der etymologischen Wortbedeutung als Rück-Bindung an etwas Übernatürliches?

Ich kann mir gut vorstellen, dass es so etwas wie ein Urbewusstsein gibt. Ein Ganzes, dem wir alle entspringen und durch das sich dieses Urbewusstsein selbst erfährt. Dagegen wirken fast alle Interpretationen von Geschichten und gerade festere Formen viel zu spezifisch. Ich persönlich bin eher wissenschaftlich interessiert. Unsere rudimentären Fähigkeiten werden mit steigendem Interesse erforscht. Darin sehe wirklich ich einen gewichtigen Schritt innerhalb unserer Entwicklung. So etwas wie "Intuition" ist womöglich ein Zugang zu einem Urbewusstsein.
In Bezug auf Temple Koludra habe ich versucht, die Texte in einigen Passagen intuitiv, auch etwas wirr und bruchstückhaft zu gestalten, da das meine Idee von einem Urbewusstsein ist, das wertfrei und übergeordnet ist und sich nicht unbedingt für uns zusammenhängend preisgibt ("wirr" ist gelungen - NM).

Ich habe es bislang an keiner Stelle gelesen, aber letztendlich macht die Band einen okkulten Eindruck, sowohl inhaltlich, optisch, als auch was die im wahrsten Sinne des Wortes "verhüllten" Identitäten der Bandmitglieder angeht. Nun, gerade in den letzten fünf Jahren hat es eine rapide wachsende Zahl an Bands gegeben, die ein okkultes "Image" wie ein Leuchtfeuer vor sich hertragen und Begriffe wie "Gnostizimus", "Qliphothische Kabbalah" und über allem das "Chaos" sind schon fast Allgemeinplätze geworden. Wie steht es mit euch? Hat sich das Interesse für derlei Themen zusammen mit der Liebe zum (Black) Metal entwickelt und wo liegt euer Hauptaugenmerk drauf?

Mit dem Grundinteresse an Philosophien gab es bestimmt eine Art Wechselwirkung mit dem Genre, aber ich würde es nicht ausschließlich damit verknüpfen. Die Musik selbst (nicht nur im Metalbereich) erreicht uns alle auf einer weniger kopflastigen Ebene und ist Ausdruck eines Lebensgefühls. Unser Hauptaugenmerk richtet sich insofern auch auf die künstlerische Umsetzung aus uns selbst heraus. Nimmt man "okkult" wörtlich als verborgen, oder aus Verborgenem heraus handeln, trifft das auf Temple Koludra sicherlich zu. Da jeder eine individuelle Wahrnehmung aller Dinge hat, seien es auch noch so nuancierte Unterschiede, ist eine allgemeine Lehre in die eine oder andre Richtung einfach schwierig. Ich selbst bin nicht missionarisch unterwegs und nehme viele Themen und Konzepte auch für mich eher nur noch zur Kenntnis.
Wir teilen beide die grundsätzliche Philosophie, dass alles relativ ist. Es gibt immer mehr, als man weiß und etwas Größeres. Ich versuche auch nicht, den Faktor der Erfahrung zu unterschätzen, in verschiedenen Lebensabschnitten und -phasen treten einfach unterschiedliche Interessen in den Vordergrund.

Ihr schreibt, dass die Texte "fremdartige Bräuche des Übergangs und der Anrufung" sind, "die den Ausbruch aus den gewohnten und erlernten Strukturen und die Suche nach Authentizität und Klarheit evozieren". "Authentizität und Klarheit" - ist dieses Ziel jemals erreichbar?

Der Passus spielt auf das unkonditionierte Wesen in uns an. Die Erreichbarkeit von Authentizität und Klarheit ist ein subjektives Unterfangen, je nachdem wie sehr es begraben ist. Die Strategien eines intelligenten, konditionierten Bewusstseins sind oft schwer zu erkennen und überwinden.

Gute Literatur kann sicherlich eine ähnlich starke Wirkung wie Musik haben, wenn auch vielleicht auf einer anderen Ebene. Ist sie eine Inspiration für euer Schaffen? Was für Werke haben euch beeindruckt?

Es gab Literatur, die mich zwar früher insgesamt beeinflusst hat, heute sehe ich aber Einiges anders. Als Inspiration für Temple Koludra würde mir jetzt bewusst keine einfallen. Bis auf ein paar Texte bezüglich Symbolik und damit verbundene Hintergründe, aber das ist wirklich sehr fragmentarisch.

Im Gegensatz zu Bands wie DARK FUNERAL schmeißen TEMPLE KOLUDRA scheinbar nicht wahllos mit okkulter oder satanistischer Symbolik um sich, es sieht alles sehr bewusst gesetzt aus. Das Front- und Backcover Artwork enthält eine Mischung verschiedener Symbole aus verschiedenen Kulturkreisen respektive (okkulten) Traditionen. Möchtet ihr etwas näher auf die Bedeutung in diesem Kontext eingehen und warum ihr euch für diese Kombination entschieden habt?

Ja. M:W hat das Front- und Backcover designt. Das Unigramm Sigil visualisiert im Groben eine Schnittstelle zwischen einem nach Bewusstsein strebenden Individuum, wahrem Willen, sowie ewigem Urbewusstsein, zusammengesetzt aus verschiedenen Symbolen unterschiedlicher Herkunft, die diese Punkte repräsentieren. Da er mit verschiedenen Traditionen und Konzepten in Berührung kam und eine Quintessenz der ihn wichtig erscheinenden Ideen verschmelzen wollte, entstand daraus das o.g. Sigil.
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Das Cover enthält, wie eben ja schon angesprochen, diesen Mix aus germanischen Runen und alchemistischer Symbolik wie den siebenfaltigen Stern etc. Was haltet ihr von der synkretistischen, eklektischen und nicht selten scheinbar wahllosen Arbeit mit Systemen und Techniken von Runenmagie über Tantra bis zum Necronomicon, welche ja teilweise sogar "nicht mehr" als Fiktion sind bzw. ursprünglich so intendiert waren? Warum Eklektizismus und Synkretismus?

Die Optik der Symbole wird neben der Bedeutung schon eine Rolle spielen. Es kommt auf die Intention an, mit der die Symbole kombiniert wurden. Auf der anderen Seite kann neben der allgemeinen Bedeutung auch ein Bezug zu etwas Ähnlichem die eigene Wahrnehmung des Symbols prägen. Je nach Interpretation baut das Necronomicon auch auf Zusammenstellungen auf.
Glaubenssätze egal welcher Natur werden häufig reformiert. Das findet sich in Religionen gleichermaßen wie in gewöhnlichen Lebensgrundsätzen. Eklektizismus und Synkretismus sind Instrumente zur Entwicklung, denn sie bieten manchmal neue Perspektiven aus Altem heraus. Symbole und ihre Bedeutung dokumentieren das vielleicht ein Stück weit.

Ich erwähnte es vorhin schon einmal und es scheint auch bei euch eine tragende Funktion zu haben: Was ist Chaos? Ist es "nichts weiter" als eine poetische Umschreibung des Unterbewussten, aber trotzdem auf eine rein psychologische Ebene zu reduzieren, sei sie noch so obskur und im wörtlichen Sinne "okkult"? Oder würdest du dem Begriff eine größere, metaphysische Dimension beimessen?

Das Unterbewusste ist womöglich ein Teil des oder vielleicht sogar ein Zugang zum Chaos. Wenn man Chaos nicht als Zustand totaler Unordnung definiert, sondern als Zustand außerhalb einer uns bekannten Ordnung oder als eigene, höhere Ordnung zulässt, würde ich ihm absolut eine größere metaphysische Dimension zuschreiben. Die Natur liefert für mich die besten Beispiele für diese Überzeugung.

Kommen wir zurück auf Profanes. Die Resonanz auf eure EP war, soweit ich das übersehen kann, einigermaßen überragend und das völlig zu recht. Noch steht ihr ja auf eigenen Füßen, aber gab es schon Labelangebote?

Es gibt zwar schon hier und da Interesse, aber momentan stecken wir noch mitten in der Promo-Aktion, die jetzt erst seit Anfang März läuft. Es ist noch alles ganz frisch.

Ihr seid momentan nur zu zweit und anhand der generellen Ausrichtung der Band folgere ich mal, dass es vermutlich keine Live-Aktivitäten geben wird?

Wir haben derzeit nichts geplant. Bezüglich passender Musiker und livespezifische "Circumstances" müsste sich erst mal Einiges tun. Vielleicht tut es da ja auch im Zuge der Veröffentlichung.

Die Veröffentlichung der EP war der erste Streich und er glückte, kann man sagen. Gibt es schon konkrete Pläne für Folgendes?

Wir arbeiten beide kontinuierlich an Aufnahmen und Ideen weiter. M:W hat bereits Einiges an neuem Material entwickelt, das noch weitreichender ist. Ich habe das letzte Jahr damit verbracht, mich musikalisch fortzubilden und werde das auch noch weiterhin. Im Gesangsbereich setze ich mich momentan mit neuen Techniken und weiterer Stimmentwicklung auseinander.

Dann bedanke ich mich für das bzw. die Interview. Fühlt euch frei hinzuzufügen, was ihr wollt.

Allen Lesern empfehle ich, sich unsere EP nicht entgehen zu lassen. Dir, Christian, danke für Deine engagierte Auseinandersetzung mit Temple Koludra und die kreativen Fragen in Deinem Interview.
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Redakteur:
Christian Schwarzer

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