THE RUINS OF BEVERAST: Interview mit Alexander von Meilenwald

25.01.2021 | 22:07

Das Aufbegehren der Naturgewalten passt besser ins Zeitgeschehen als es vielen lieb sein dürfte.

Musik für die Komfortzone gab es noch nie im Hause Meilenwald. Daran ändert auch das neueste THE RUINS OF BEVERAST-Album "The Thule Grimoires" nichts. Dass sich auch die Beschäftigung mit allen Aspekten jenseits der eigentlichen Musik lohnt, ist ebenfalls kein Geheimnis. Zeit für ein Gespräch mit Alexander von Meilenwald, Spiritus Rector und multiinstrumentale One-Man-Show.


Zunächst Danke für deine Zeit und das Beantworten der Fragen. Auch das jüngste THE RUINS OF BEVERAST-Album spaltet in unserer Redaktion die Gemüter. Hand aufs Herz, wie egal ist dir inzwischen die Meinung von höchstwahrscheinlich fremden Menschen im Internet?

Mir ist das nicht egal, das ist definitiv der falsche Ausdruck. Aber erstens bin ich wirklich niemand, der seinen eigenen Bandnamen googelt. Das heißt, vieles was über THE RUINS OF BEVERAST (TROB) geschrieben wird, kriege ich entweder gar nicht oder nur über Umwege mit. Zweitens arbeite ich mit TROB, um meine Seele im Gleichgewicht zu halten und meine Sucht nach Musik zu befriedigen, und ganz sicher nicht, um mir meinen regelmäßigen Egoboost zu geben und um Aufmerksamkeit oder Gunst zu buhlen. Ich kann es nicht leiden, wenn Musik für sowas missbraucht wird. Und da ich kein Profimusiker bin, hängt mein Lebensentwurf nicht an guten oder schlechten Reviews und ebensowenig an Verkaufszahlen. Davon abgesehen sollte Musik eigentlich immer spalten, sie ist nunmal eine Kunstform und damit im besten Fall unbequem. Dass Musik wie die von THE RUINS OF BEVERAST irgendwann mal nicht die Meinungen teilen wird, ist ziemlich ausgeschlossen. Wenn man auf solche Art und Weise mit Musik arbeitet, gehört das einfach dazu. Ich habe damit echt kein Problem.

Viele Musiker brauchen nach den Aufnahmen erst einmal Distanz zu ihrer Musik. Wie sieht es bei dir aus, hast du die gut 70 Minuten inzwischen mit Abstand betrachten können?

Eigentlich nicht. Wir haben zwar schon im März aufgenommen, aber der Mix dauerte eine Weile, und ich habe dann relativ zügig schon angefangen, die Songs für die Live-Situation vorzubereiten. Auch wenn das aktuell leider nicht wirklich nötig ist. Aber so richtig Abstand habe ich noch nicht gewonnen. Das funktioniert eigentlich erst dann, wenn ich nicht bei jedem Riff automatisch an den Entstehungsprozess und die Situation im Studio denken muss, sondern genau das vergessen habe. Und selbst bei "Exuvia" ist das eigentlich erst ungefähr heute der Fall.

Das neue Album ist kaum mit "Exuvia" vergleichbar. Mit welcher Zielsetzung bist du an "The Thule Grimoires" herangegangen?

Es ist ein Gitarrenalbum, wesentlich mehr als "Exuvia" das war. Die Hauptlast der Dramaturgie trägt die Leadgitarre, manchmal die Rhythmusgitarre, die Songs sind weitgehend aus Riffs entstanden. Und das war mir auch wichtig, nachdem es bei "Exuvia" eher auf Atmosphäre, Soundscapes und Trancezustände ankam. Dass sich dazu jetzt noch relativ markanter Gesang gesellt, war ein Produkt der Studioarbeit.

Der Name des Albums legt nahe, dass es um Mythologie geht. In den Texten finden sich viele Naturbezüge. Welchen thematischen Faden wolltest du spannen?

An dem mythologischen Aspekt sollte man nicht zu sehr kleben. Die Lyrics von TROB haben immer einen grundlegenden Plot, sozusagen ein Szenario, in das sie eingebettet sind, und das hat oft Bezüge zu alten religiösen oder mythischen Schauplätzen. Die Lyrics kauen aber keine alten Sagen wieder, sondern nutzen deren Symbolik für modernere Bezüge, und auf "The Thule Grimoires" geht es in erster Linie um den konfliktbehafteten menschlichen Umgang mit der ihn beherbergenden Natur. Das Album erzählt die fiktionale Geschichte, wie die letzten Atemzüge der menschlichen Spezies aussehen könnten, im Moment der totalen Zerstörung seines eigenen Lebensraums, empfangen von seinem Schöpfer. Also nicht von Gott, sondern der Natur. Der Erde. Und es ist kein freundlicher Empfang, und er verspricht kein Leben danach. Die Insel Thule bildet den symbolischen, oder vielleicht eher geographischen Rahmen für diese Fiktion, denn sie ist selbst eine Art Fiktion, geographisch nicht fassbar, diffus in ihrer tatsächlichen historischen Bedeutung. Sie ist der surreale Plot für Musik, die mit surrealer Ästhetik arbeitet.

Textlich schreien die meisten Songs nach nordischer Kälte. Im epischen (und für meinen Geschmack musikalisch "mutigsten") Song 'Deserts To Bind And Defeat' geht es dann aber um den griechischen Sonnengott Helios. Inwiefern gehört das inhaltlich zusammen?

Die Texte sind nicht "nordisch". Sie sind in verschiedenen Landschaftstypen angesiedelt, der Tiefsee ('Ropes Into Eden'), der Basalttundra ('The Tundra Shines'), im Sumpfgebiet ('Kromlec'h Knell'), im Urwald ('Mammothpolis'), im Hochgebirge ('Anchoress In Furs'), Eiswüste ('Polar Hiss Hysteria'), Sandwüste ('Deserts...'). Also in sogenannten Anökumenen, die vom Menschen kaum oder überhaupt nicht bewohnbar sind. Die symbolhafte Zusammenfassung dieser Orte ist die ebenfalls laut antikem Verständnis nicht bewohnbare und wenig bekannte Insel Thule. Die Idee des Albums sieht an diesen verschiedenen Orten Naturgeister und deren Götter aktiv, die den vier klassischen Grundelementen zugeordnet sind. Helios als Sonne ist das Symbol des Feuers, und hält die Wüste frei von Menschen. Das Outro von 'Deserts To Bind And Defeat' vertont den Zusammenbruch des Protagonisten in der Wüste, bevor Helios ihn empfängt und von der Erde tilgt.

Das aktuelle Werk ist erst das zweite Album von THE RUINS OF BEVERAST, das in einem professionellen Studio aufgenommen wurde. Wie hat dich das bzw. die Musik beeinflusst?

Ich hätte gar nicht im Studio aufgenommen, wenn ich nicht die Möglichkeit hätte, mit Michael Zech als Studiotechniker zu arbeiten. Er ist unser Livegitarrist, musikalisch sehr ähnlich gelagert wie ich und wahnsinnig genug, meine auf den ersten Blick manchmal etwas schiefen Ideen schätzen zu wollen, statt sie irritiert wegzulächeln (was früher durchaus schon passiert ist). Das bedeutet also, er kann auch aus abstrusesten Necro-Ideen und verunstalteten Soundschnipseln das heraushören, was der Song später mal werden soll, und arbeitet mit viel Phantasie auf dieses Ziel hin. Ich empfinde das als große Qualität und für TROB als großen Fortschritt, weil ich bei meinen eigenen Aufnahmen immer irgendwann an den Punkt kam, wo ich die Brechstange rausholen musste, um die ganzen Elemente irgendwie hörbar zu machen. Trotzdem würde ich niemals in irgendein beliebiges Studio gehen, nur um in einem Studio aufnehmen zu können. Ich würde mich schon am ersten Tag mit dem Produzenten streiten, weil er mich unprofessionell findet und ich ihn phantasielos. Die Studioarbeit beeinflusst das Songwriting bei TROB nicht wirklich, obwohl die Songs sich im Studio durchaus verändern können. Aber nicht was das Songwriting angeht. Ich schreibe Musik nicht anders, wenn ich weiß, dass ich sie im Studio aufnehmen werde. An diesem Prozess hat sich gegenüber den älteren Alben nichts geändert.

Musikalisch gibt es ein paar nette Überraschungen, so zum Beispiel der Klargesang bei 'Kromlec'h Knell' und für meinen Geschmack klingen auch die Gitarren-Leads bei dem Song ungewöhnlich für TROB. Oder sind das aus deiner Sicht eher Kleinigkeiten?

Nein, das sind sicher keine Kleinigkeiten, sondern markante Merkmale des Albums, aber ich finde sie nicht stilbrechend. Der Chorus von 'Kromlec'h Knell' klang auf dem Demo anders, eher nach den früheren TROB. Ich war damit aber nicht ganz einverstanden, deshalb haben wir die Gesangslinie im Studio nochmal intensiv angepackt und verändert, und den schweren Hall aus dem Gesangssound genommen. Damit klingt er jetzt etwas ungewohnt, ist aber trotzdem keine totale Neuerung, die wir unbedingt in den Song reinbringen wollten, sondern eher spontan entstanden. Was die Leads in der Mitte angeht - das sind die Elemente, von denen ich vorher sprach. Ich habe die Leadgitarren des Mittelparts zuerst geschrieben, dann die cleane und dann erst die Rhythmusgitarre daruntergesetzt. Das war etwas ungewohntes Arbeiten, normalerweise mache ich es umgekehrt. Ich habe aber viele Parts der neuen Songs so angefangen, keine Ahnung warum. Ich will es auch eigentlich nicht wissen, es ist schon okay so.

Im Vorfeld gab es eifrige Diskussionen bezüglich des Covers. Verrätst du uns, was es mit den beiden Bildhälften jeweils auf sich hat?

Siehst du, das sind zum Beispiel die Sachen die ich eingangs meinte, die ich irgendwie nicht mitkriege. Ich habe im Nachhinein auch von Diskussionen über das "Exuvia"-Cover gehört, warum da ein Indianer drauf sei und warum das Album mit Indianergesang starte. Dabei sind das auf dem Cover in erster Linie Dämonen, die erst in zweiter Linie indigene Accessoires tragen, und der angebliche Indianer im Intro ist ein fernöstlicher Schlangenbeschwörer. Also weiß ich nicht, was über das Thule-Cover diskutiert wurde, jedenfalls bildet es schlicht und einfach die Idee des Albums ab, die ich oben zum Teil schon erläutert habe. Der untere Teil symbolisiert die Welt unter dem fiktionalen Thule, hier wurden Schriften über die Tilgung des menschlichen Daseins von der Erde gefunden. Ich habe sie als Grimoiren benannt. Die Geistererscheinung mit dem Wildschädel ist die Personifizierung der gebündelten Naturkräfte und -geister. Sie gehören zu den vier Elementen der klassischen Naturphilosophie, die durch die vier Tempelsäulen repräsentiert werden. Der Hintergrund zeigt einen nicht (oder möglicherweise nicht mehr) bewohnbaren Landstrich, wie er als Grundelement für alle Texte des Albums dient.

Wie wichtig sind dir Aspekte wie die Aufmachung eines Albums über die Musik hinaus? Die Lavish-Editionen von Ván gehören ja mitunter zu den schönsten Sammlerstücken.

Ich finde sie heute wichtiger denn je. Einerseits natürlich innerhalb meiner eigenen Welt, denn TROB sind musikalisch und textlich auf weiten fiktionalen Schauplätzen unterwegs, das heißt, um die vollständige Wirkung zu erreichen, braucht es einen größeren Rahmen. Das hätte zum Demo sicher nicht gepasst, aber wenn man "The Thule Grimoires" mit einem schwarz-weißen 2-Seiter in Papierhülle veröffentlichen würde, würde die Musik kleiner wirken und die Ästhetik verloren gehen. Das gilt für die Musik vieler Bands, und diese Liebe zur Aufmachung ist natürlich auch ein Zeichen des Ván, dass er diese Sichtweise nicht nur versteht, sondern mit seinen Bands teilt. Davon abgesehen glaube ich aber auch, oder hoffe zumindest, dass solche aufwändigen Kunstwerke, wie der Ván sie produziert, einigen Menschen die Euphorie am Musikhören zurückbringen oder überhaupt erst offenbaren können. Es ist für viele immer noch schwer zu begreifen, dass man früher beim Kaufen, Auspacken und Anhören von LPs, dem Mitlesen der Texte und Erkunden und Kapieren des Gesamtwerks, ja sogar beim Beobachten der sich drehenden LP die gleiche Begeisterung verspürt hat, wie Menschen heute wenn sie neue Smartphones haben, oder wenn sie andere Menschen zusammenschlagen. Aber diese Möglichkeit des Erlebens von Musik ist ja nicht weg, man muss sie nur wahrnehmen, und dazu braucht es Anreize. Und ich glaube, dass Musik, die als hochwertiges Gesamtkunstwerk konzipiert wird, dann sicher auch eine Art Gegengewicht zum oberflächlichen Nebenbeihören auf Streamingkanälen sein kann. Kann natürlich ebenso gut sein, dass das einfach ein naiver und weltfremder Gedanke ist. Ich habe viele davon.

Auch wenn das Thema anstrengend ist - was hat die Pandemie mit dir als Künstler gemacht? Inwiefern spürt man das gegebenenfalls auch in der Musik?

Ich habe keinen Anlass zu jammern. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt nicht mit Musik, und mein regulärer Job war von der Pandemie kaum betroffen. Fast allen Leuten aus meinem engsten Umfeld geht es da völlig anders, sie sind größtenteils selbständig und kauen sich die Fingernägel weg an der Frage, ob sie ihren Lebensweg jemals wieder fortsetzen können. Das ist wirklich brutal, und deswegen halte ich mich bei diesem Thema gerne zurück. Außerdem konnte ich das ganze Jahr nutzen, um Musik zu machen und irgendwelche abenteuerlichen Experimente zu starten. Das einzige, was mir wirklich fehlt, ist das Unterwegssein mit der Band. Wir können natürlich weder vernünftig proben noch Shows spielen, und da wir alle relativ weit auseinander wohnen, haben wir derzeit nur online Kontakt, was nicht besonders cool ist. Die Zeit mit der Band ist etwas ganz Besonderes. Aber selbst ich gebe die Hoffnung nicht ganz auf, dass sie dieses Jahr wiederkommt. Davon abgesehen muss man sich aber eins doch mal vor Augen halten: Das Szenario, das wir gerade erleben, ist immer noch eine harmlose Variante dessen, was nicht nur TROB, sondern endlos viele andere ähnlich gelagerte Musiker und Bands seit jeher in ihren Texten prophezeihen. Es ist nicht sonderlich überraschend, dass so etwas in unserer Zeit über uns herfällt, und so sehr ich versuche, betroffene Freunde in dieser Zeit zu unterstützen, so zurückhaltend sollten wir möglicherweise mit unserem Selbstmitleid sein. Wir können trotz aller FCK2020-Parolen und alberner Verschwörungsideen nicht darüber hinwegsehen, dass wir als menschliche Spezies ganz sicher nicht unschuldig an dieser Pandemie sind. Ganz im Gegenteil, wir werden durch unsere Einstellung zu Natur und anderen Spezies und durch unsere tägliche Ignoranz unserer Außenwelt gegenüber weitere solcher Situationen heraufbeschwören, und sie werden sicherlich nicht harmloser werden.

Das Album sollte ursprünglich erst veröffentlicht werden, wenn auch Konzerte wieder möglich sind. Andere Künstler haben VÖ-Dates teilweise um ein ganzes Jahr nach hinten geschoben. Wie kommt es, dass wir jetzt doch schon in den Genuss der "Thule Grimoires" kommen?

Wir wollten ursprünglich im Oktober oder November veröffentlichen, aber je näher der Termin kam, desto unklarer wurde die Pandemielage, und desto unwahrscheinlicher wurde es, dass die ursprünglich für Februar und März geplanten Releaseshows stattfinden konnten. Wir haben uns dann auf Februar geeinigt, weil wir die Hoffnung hatten, vielleicht wenigstens im späten Frühling oder Sommer die Songs auf die Bühne bringen zu können, das wäre dann vom Abstand her noch vertretbar gewesen und wir hätten ausreichend Vorbereitungszeit gehabt. Mit dem Lockdown im Dezember war die Hoffnung dann aber auch dahin, aber wir wollten den Release nicht nochmal verschieben. TROB sind nicht auf die üblichen Businessmechanismen und -abläufe angewiesen, deshalb ist das letztendlich auch kein großes Drama.

Redakteur:
Nils Macher

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