Tyr (Listening-Session)

14.05.2008 | 12:16

TYR haben sich in vom erklärten Geheimtipp dieser kleinen Insel zu einer festen Größe im Viking Metal entwickelt. Heri Joensen ist mit der neuen Platte "Land" nach München gereist, um uns einen Einblick zu ermöglichen. Wir haben die Situation genutzt, um ihn von bayerischer Braukunst zu überzeugen, kräftig auszufragen und uns daran zu erinnern, dass die kleine Insel "Färöer" heißt.

Heri JoensenFür TYR ist Heri, Sänger, Gitarrist und Kopf der Band, nach München gereist. Erstaunlicherweise ließ er sich nicht zum Probieren süddeutscher Braukunst überreden, aber wer bekanntlich schon hat, der braucht nicht mehr.

Nichtsdestotrotz haben TYR seit der Veröffentlichung ihres Demos im Jahr 2000 einen erstaunlichen Bekanntheitsgrad erreicht. Gerade im Folk/Pagan Metal sind ihre außergewöhnlichen Melodieläufe und originellen Interepretationen skandinavischer Volkslieder wohl jedem halbwegs Interessierten bekannt, was sich auch auf der letzten Tour mit ODROERIR und BLACK MESSIAH zeigte.

Nach "How Far To Asgard", "Eric The Red" und "Ragnarok" hatte Heri nichts weniger als die vierte Veröffentlichung der Wikinger im Gepäck. Das neue Album hört auf den Namen "Land" und beinhaltet neun Songs plus einen Bonustrack. Lasst mich vor der Besprechung der einzelnen Songs vorschieben, dass man dem neuen Album der Insulaner mit einem Mal Hören wohl kaum gerecht werden kann. Deshalb war Heri so nett, uns vor den einzelnen Songs kurz etwas über den Inhalt und die Struktur zu sagen, so dass der Zugang so zumindest erleichtert wurde. Schnallt euch an und macht euch bereit: TYR singen von alten Tagen und längst vergangenen Zeiten.

'Gandkvæði Tróndar':
Eröffnet wird das Album von einer einzelnen verträumten Geige, die eine färöische Weise anstimmt. Darüber wird mit getragener Stimme ein Gedicht vorgetragen. Das Ganze gerät sehr traditionell und stimmt gut auf das Album ein. Auch die "Stammesgesänge" im Hintergrund verbreiten folkloristische Lagerfeuerstimmung. Das Thema, das die Geige am Anfang anstimmt, wird dann von der E-Gitarre aufgenommen und plätschert uns im klassischen TYR-Gewand entgegen. Für alle Zweifler schon an dieser Stelle: Ja, was wir hören, ist definitiv TYR, und wenn das so weitergeht, bleiben die Jungs ihren Markenzeichen treu.

'Sinklars Vísa':
Der zweite Track wird uns als norwegische Volksweise vorgestellt. Diese wird uns in wahrscheinlich blumigen Worten von einem mehrstimmigen Männerchor vorgetragen, der sich durch das ganze Lied zieht. Das Riffing bleibt im groovenden Midtempo. Aufgegriffen wird die gesungene Melodie des Chors durch die Sologitarre, die passend zum Song mit kaum verhohlener Virtuosität Heris Fähigkeiten unterstreicht. Der Mastermind verrät uns am späteren Abend: "Meine Soli sind definitiv nicht improvisiert. Ich komponiere sie ebenso wie die Songs."

'Gátu Ríma':

Das dritte Lied im Reigen handelt von Loki und Odin. Wiederum basierend auf einer färöischen Volksweise, bewegt sich das Lied im Midtempo. Herausstechend bei diesem Song ist die ausnehmend fröhliche Strophe, die richtig Laune macht. Sie geht aber zu keinem Zeitpunkt in die FINNTROLL-Humppa-Richtung, lädt in ihrer Leichtigkeit aber definitiv zum häufigen Hörnerstoßen an. Auch in diesem Lied erhebt sich die Gitarre zu einem Solo, das mir in seiner Geschwindigkeit und Raffinesse fast noch ein bisschen besser als das erste im vorherigen Stück gefällt.


Die Alben von TYR'Brennivín':
Nun geht es mit der Fähre nach Island. Dieses Lied besticht zuerst durch den klaren Gesang Heris, der dazu einlädt, in diese träumerische Welt isländischer Volksweisen einzutauchen. Auf musikalischer Seite überrascht der Refrain mit einem sehr abgefahrenen Rhythmus. Aufgewachsen mit mitteleuropäischen Rhythmen, "fehlt" vermeintlich ein Schlag. Das macht diesen Teil sehr progressiv, wofür Heri die passende Erklärung parat hat: "Es ist nicht so, dass wir progressive Musik machen wollen. Es ist allerdings so, dass traditionelle Melodien sehr einfach klingen, wenn sie gesungen werden. Wenn man allerdings versucht, sie nachzuspielen, stellt man fest, dass sie fast nie normalen Rhythmen entsprechen. Deswegen fehlt in diesem Lied kein Schlag, er ist vielmehr einfach nicht vorgesehen oder da." Dieser ungewöhnliche Klang gibt dem Lied einen ureigenen Ohrwurmcharakter. Vor dem Ende des Songs wird noch einmal kräftig Geschwindigkeit herausgenommen, und wir bewegen uns stark in Richtung Doom.

'Ocean':

Nach dem Titeltrack 'Land' stellt 'Ocean' mit knapp zehn Minuten Spielzeit das zweitlängste Stück des Albums dar. Nach einem Mal Hören ist es sehr schwierig, die Nummer, die doch recht sperrig daherkommt, ganz zu begreifen und zu bewerten. Hängen geblieben ist allerdings das Zusammenspiel aus Lead- und Riff-Gitarre, das die klassischen TYR-Elemente potenziert und Fans nicht enttäuschen wird.

'Fípan Fagra':

Dieser Song besticht zu erst einmal durch seine witzige Geschichte: Eine junge Frau, ob Prinzessin oder nicht, wird von Riesen gekidnappt. Der Prinz, der sie eigentlich retten sollte/wollte, kommt nicht. Daraufhin nimmt die Dame ihr Schicksal selbst in die Hand und tötet die Riesen. Als sie dann völlig entkräftet nach Hause kommt, muss sie feststellen, dass ihr ach so geliebter Prinz mittlerweile eine Andere hat. Verrückte Geschichte, oder? Dieses Konzept wird dann auch musikalisch umgesetzt und findet sich in einer munteren, Veitstanz-ähnlichen Leadgitarre wieder. Das ganze Stück beinhaltet wirklich Power und zündet vom ersten Augenblick. Auch kommt wieder die klassische TYR-zwei-Gitarren-Wand zur Geltung, untermalt von einem punkigen Eins-zwei-eins-zwei-Schlagzeug. Sehr nett und erfreulich unkompliziert.

'Valkyrjan':

Komplizierter, aber dafür umso fesselnder geht es im siebten Song weiter. Hier greift Heri das Thema von 'Solvejgs Lied' aus Edvard Griegs "Peer Gynt" auf: "Edvard Grieg ist ein großer Einfluss für mich", so Heri. "Ich habe alle Noten der Peer-Gynt-Suite gekauft. Deswegen spielen die Gitarren auch exakt die Noten nach, die Grieg für die Streicher geschrieben hat. Ich liebe die Art und Weise, wie er Harmonien und Melodien arrangiert." Und diese Liebe zu Griegs Schaffen kann man dem Stück anhören. Zuerst wird das Thema akustisch interpretiert, bevor dann der Gesang einsetzt. Spannend ist, dass der Gesang nicht der bekannten Melodie folgt, diese also allein der Gitarre überlassen wird. Dann setzen Schlagzeug und verzerrte Gitarre ein und geben dem Stück die nötige Heaviness, ohne die Leichtigkeit und Schönheit von 'Solvejgs Lied' zu torpedieren. Auch das Gitarrensolo ist absolut erwähnenswert und gibt dem Stück noch einen weiteren Kick. Die Instrumentierung steigert sich zum Schluss immer weiter, bevor die Spannung in der Klimax aufgelöst wird und der Hörer in einen Zustand größter Zufriedenheit entlassen wird. Mein persönlicher Höhepunkt auf diesem Album

'Lokka Táttur':

Dieser Zustand hält allerdings nicht lang an, da unsere noch zuckenden Gehörgänge mit einer Ballade über Loki in Beschlag genommen werden. Der Song lebt von seinem stampfenden Riff und einer proggigen Lead-Gitarre, die gut zur akustisch untermalten Strophe überleiten. Die Bridge wiederum ist groovy und heavy und macht das Lied zu einer netten Banger-Nummer.

'Land':

Der reguläre Schluss der Scheibe wird durch das Titelstück 'Land' markiert. Dieses massive Bollwerk TYR'scher Schaffenskunst bringt es auf eine Laufzeit von fünfzehn Minuten und greift das Thema des ersten Songs noch einmal auf. Bis auf dieses Thema ist der Song selbst komponiert und somit eher außergewöhnlich für TYR. Für Heri stellt dieser Song das Highlight des Albums dar: "Es ist der erste Fünfzehn-Minuten-Song, den wir gemacht haben. Es ist tatsächlich viel einfacher, einen langen guten Song zu schreiben, als Songs zu kürzen." Die Freude an derHeri Joenses ausufernden Länge ist dem Song anzumerken. Er ist bestimmt durch einige Ambient-Elemente wie z. B. den Einsatz einer einzelnen Geige, untermalt von Meeresrauschen und klassischem zweistimmigen TYR-Riffing. Für mich persönlich ist dieser Song nach dem ersten Mal Hören definitiv zu lang und zu sperrig. Es fällt mir schwer, mich auf die Atmosphäre einzulassen, geschweige denn mitgerissen zu werden. Trotz allem sollte man diesem Song in gemütlicher Runde einen weiteren Anlauf gönnen, denn es wäre doch wohl viel zu einfach, wenn immer alles schon beim ersten Mal klar wäre.

'Hail To The Hammer (Bonustrack)':

Der Bonustrack ist eine Neuaufnahme von 'Hail To The Hammer'. Dieser Track wurde laut Heri aufgrund der schlechten Aufnahmequalität des "How Far To Asgard"-Albums noch einmal neu eingespielt. Warum sie dieses Stück ausgewählt haben, ist schnell geklärt: "Es hat sich gezeigt, dass 'Hail To The Hammer' live sehr gut ankommt und die Leute meist darauf warten." Neu ist lediglich, dass Heri singt. Die Qualtiät ist natürlich um Welten besser als bei der Ur-Aufnahme, und der Song beschließt das Album würdig.

Bleibt der Raum für ein Fazit: Heri sieht die Platte (natürlich) als "Schritt vorwärts" in der TYR-Bandgeschichte. Ich selbst tue mich da ein wenig schwerer. Die Aufnahmen, fertig gemastert, sind mir ein wenig zu höhenlastig, irgendwie fehlt mir da ein bisschen der Wumms in den tieferen Regionen. Am stärksten auffällig war allerdings der Kontrast zwischen dem vergleichsweise alten 'Hail To The Hammer' und dem Rest der Platte. 'Hail To The Hammer' wartet mit einem schlüssigen, eingängigen Songwriting auf. Das geht mir bei den neuen Liedern einfach ein wenig ab. Trotz allem werden TYR-Fans höchstwahrscheinlich auf ihre Kosten kommen. Das Album ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als der schlüssige "Ragnarok"-Nachfolger und vereint alle Stileigenheiten des Exportschlagers von den Färöer-Inseln in sich. Ich hätte mir ein wenig mehr Originalität und Eingänigkeit gewünscht, aber nach einem Mal Hören ist ein Urteil bei diesen komplexen Songstrukturen und zum Teil fremdartigen Klängen recht schwierig.

Redakteur:
Julian Rohrer

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