VIRGIN BLACK: Interview mit Rowan London

11.05.2007 | 23:03

Nicht alle Tage kommt es vor, dass eine Band gleich drei Alben komponiert, bevor es zur Veröffentlichung auch nur eines einzigen Albums davon kommt. Die australischen Gothic-Vertreter VIRGIN BLACK allerdings haben diese Aufgabe bewältigt und soeben mit "Requiem-Mezzo Forte" das mittlere von drei gleichzeitig komponierten Alben veröffentlicht, auf dem unter erheblichem Einfluss klassischer Musik eine moderne Totenmesse zelebriert wird. Auch wenn die übrigen der drei Werke "Requiem-Pianissimo" und "Requiem- Fortissimo" noch unbekannt, da unveröffentlicht sind, zieht doch schon jetzt dieses außergewöhnliche Projekt Interesse auf sich. Rowan London, Gründungsmitglied von VIRGIN BLACK und verantwortlich für Gesang, Piano und Keyboard erklärt im Folgenden die Idee des Werkes und beleuchtet dabei gleichzeitig ein wenig die australische Musikszene.

Erika:
Euer soeben erschienenes Album "Requiem-Mezzo Forte" ist Teil einer Trilogie, die sich offensichtlich auf unterschiedliche Weise mit der gleichen Thematik befasst. Die Titel "Pianissimo", "Mezzo Forte" und "Fortissimo" zeigen schon, dass allein die Dynamik der einzelnen Alben unterschiedlich sein muss. Beschreibe bitte das Konzept der Trilogie! Warum habt ihr euch für dieses Projekt entschieden?

Rowan:
Die drei Alben ergeben ein großes Requiem, ein musikalisches Werk, um den Tod zu ehren. "Pianissimo" beginnt mit einer vom Adelaide Symphony Orchester dargebotenen Partitur von Streichern, Hörnern, Trommeln, Becken, Chor, Tenor- und Sopransolostimmen und ist gänzlich klassisch. Die Band tritt bis zum aktuellen Album "Requiem – Mezzo Forte" gar nicht in Erscheinung, auf dem Orchester und Band langsam miteinander verschmelzen und mehr die Metalausrichtung in den Mittelpunkt rückt. Das sich anschließende Album "Fortissimo" hat eine sehr Doom- bzw. Death-Metal-orientierte Ausrichtung und vollendet die Entwicklung von der puren Klassik zur puren Härte, die auf den drei Alben verfolgt werden kann. Hätten wir versucht, das Requiem in ein einziges Album zu packen, wäre es nicht gelungen und diese Entwicklung wäre zu schnell verlaufen, so dass große Momente verloren gegangen wären oder zu wenig Bedeutung gehabt hätten. Es war zwar nicht leicht, diese drei Alben aufzunehmen, aber die Entscheidung, überhaupt drei Alben daraus zu machen, war einfach.

Erika:
Der Einfluss klassischer Musik in euren Kompositionen ist groß. "Requiem-Pianissimo" zum Beispiel wird als von der Ära der Romantik beeinflusst beschrieben. Hat jemand von euch eine spezielle Beziehung zu Komponisten dieser Zeit? Was symbolisiert die Romantik für euch?

Rowan:
Der Dirigent des Adelaide Symphony Orchesters war definitiv der Meinung, dass die bizarre Mischung aus Metal und Klassik in der Musik VIRGIN BLACKs nicht avantgardistisch sei, sondern eigentlich eine Reminiszenz an die Romantik. Ich finde, dass wir anstatt die Tradition des Requiems und der romantischen Komponisten nicht zu würdigen diese viel mehr ehren und erheblich weiterentwickeln. Ich persönlich bevorzuge die Romantik gegenüber der "modernen" Klassik aufgrund ihrer zusammenhängenden Struktur und der Verlässlichkeit bezüglich der Melodien.

Erika:
"Requiem-Mezzo Forte" hat die dunkle melancholische Atmosphäre einer Oper. Bevorzugst du auch einen bestimmten Opernkomponisten? Wen und warum?

Rowan:
Für meinen Geschmack sind Opern ziemlich oft Glücksache. Auf Puccinis "Andrea Chenier" könnte ich zum Beispiel gut verzichten, aber die La Mama Morta-Arie ist einfach unglaublich und herzensbrechend. Ich vermute mal, ich mag einfach die ganz dunklen Momente in der Oper.

Erika:
Wie wichtig sind für euch die Texte?

Rowan:
Die Texte des Requiems reichen von traditionellen Texten in Kirchenlatein bis zu unseren eigenen eher innigen Beiträgen. Manche Texte wurden als Resonanz auf den Tod meines Vaters verfasst und eine Passage hat besondere Bedeutung, weil sie buchstäblich ausdrückt, was ich angesichts seines Todes gelernt habe.

Erika:
Gibt es eine spezielle Botschaft, die ihr mit "Requiem-Mezzo Forte" oder einem anderen Teil der Trilogie transportieren wollt?

Rowan:
Es gibt eine Reihe von Engeln, die die Menschen als Stärkung verstehen oder auch nicht verstehen. Für mich ist vielleicht jenes Konzept wichtiger, das die Vorstellung "der Tod durchtränkt meine Seele" überträgt in "ich durchtränke die Seele des Verstorbenen". Es ist ermutigend, Kummer über den Tod letztendlich in Inspiration für das Leben zu verwandeln.

Erika:
Wie schon andere Gothic- und Metalbands in der Vergangenheit arbeitet ihr speziell auf "Requiem-Mezzo Forte" mit einem klassischen Orchester zusammen. Wie würdest du diesen Prozess beschreiben? Haben die Musiker des klassischen Orchesters eure Art mit Musik umzugehen verstanden oder musstet ihr Konflikte hinsichtlich der Interpretation der Musik bewältigen?

Rowan:
Bei dem Projekt Requiem stand im Mittelpunkt sehr die Komposition, nicht die Aufführung. Sicher, am Tage der Aufnahmen mit dem Adelaide Symphony Orchester war schon eine Menge Druck da, aber die ganze Arbeit wurde an diesem Tage bewältigt und glücklicherweise lief alles perfekt. Mit dem Orchester selbst hatten wir nicht viele Berührungspunkte. Wenn etwas musikalisch so vorgegeben ist, dann spielen sie es einfach. Aber man muss auch sagen, dass unser Dirigent erstaunlich war und rücksichtslos Respekt von allen forderte, um den Respekt vor der Musik aufrechtzuerhalten.

Erika:
Habt ihr, bevor ihr begonnen habt in einer Band zu spielen, eine Ausbildung an einem Konservatorium genossen?

Rowan:
Die Leute sind oft überrascht zu hören, dass wir uns mithilfe von Samantha weitgehend alles selbst beigebracht haben, die den größten, aber immer noch nicht sehr weitgehenden Hintergrund im Hinblick auf die musikalische Ausbildung hat. Für mich hat sich das Interesse an Musik nicht prozesshaft entwickelt – ein Instrument lernen, dann in einer Band spielen. Vielmehr geschah alles gleichzeitig. Sofort, als ich begann, mich für Musik zu interessieren, habe ich begonnen, in einer Band zu spielen, noch bevor ich überhaupt wusste, wie man spielt. Der Rest ist Geschichte.

Erika:
Wie habt ihr euch in der Gothicszene etabliert?

Rowan:
Ich glaube gar nicht, dass wir das getan haben und in gewisser Weise haben wir auch immer noch keine Szene. Als VIRGIN BLACK zu spielen begann, taten wir das für uns allein und wer auch immer Interesse hatte, kam zu uns. Inzwischen haben wir eine Ahnung davon, wer sich für uns interessiert, aber wir identifizieren uns immer noch nicht ausschließlich mit einer Kultur. Der einzige Weg für uns, zufrieden zu sein, ist, zu spielen und zu verfassen, was wir hören wollen. Und das tun wir ziemlich kompromisslos ohne Rücksicht auf das Ergebnis.

Erika:
Erzähle mal etwas über die Gothicszene in Australien. Weißt du, ob sich euer Publikum dort hauptsächlich mit dieser Szene identifiziert?

Rowan:
Als Individuum identifiziere ich mich selbst mehr mit der Metalszene, während VIRGIN BLACK eine Szene für sich ist. Australien ist bekannt für seine Vorliebe für brutalen Metal, aber dieses Klischee - und noch wichtiger - die Realität verändern sich. Ich bin stolz darauf sagen zu können, dass OPETH mit ihrer Gesinnung, die ganz offensichtlich frei von irgendwelchen Mätzchen ist, mit ihrer intelligenten Musik einen großen Einfluss auf Bands ausüben, die ähnlich intelligent sind, mit der Folge, dass diese gelobt und unterstützt werden. Es gibt eine große Kultur musikalischer Mischungen hier, in der die Gothicszene aufgeht. Ich würde sagen, VIRGIN BLACK ist eine Schlüsselfigur in dieser Kultur.

Erika:
Wollt ihr denn eine bestimmte Gruppe mit eurer Musik erreichen?

Rowan:
Ich bin stolz auf die Fans, die wir haben. Normalerweise scheinen sie intelligent, respektvoll und oftmals selbst Künstler zu sein. In diesem Sinne bin ich irgendwie fatalistisch hinsichtlich der Frage, wer unsere Fans sind, obgleich es keinen Einfluss darauf hat, welche Musik wir verfassen. Während der Anfangsstadien sagten einige Leute zu uns, es sei absolut verrückt, "Requiem" zu machen und es könne das Ende von VIRGIN BLACK bedeuten. Jetzt scheint es aber so zu sein, dass "Requiem-Mezzo Forte" unser erfolgreichstes Album wird, aber immer noch ist es einfach das Album, das wir machen wollten, ohne Kompromisse.

Erika:
Wie erfolgreich seid ihr denn in Australien?

Rowan:
Augenblicklich gibt es keine großen Möglichkeiten für einen weiter gefächerten Erfolg für extremere alternative Bands oder Künstler. Ich pflegte das der Bevölkerung zuzuschreiben bis ich realisierte, dass einige der Adressaten für unsere Musik in Europa noch viel weniger Menschen in ihrem Land haben. Es muss geschlussfolgert werden, dass Australier unglücklicherweise Musik bevorzugen, die ihnen von den größten und seelenlosesten multinationalen Labels vorgesetzt wird. Mit diesen Einschränkungen würde ich jedoch sagen, dass VIRGIN BLACK mit vergleichbaren größeren Bands ganz gut mitgehalten hat. Komischerweise sind sich einige australische Fans gar nicht bewusst, dass VIRGIN BLACK aus dem gleichen Land stammen und fragen nach einer VIRGIN-BLACK-Australien-Tour, ohne zu wissen, dass wir direkt nebenan spielen könnten.

Erika:
Welche Erfahrungen habt ihr in Europa gemacht? Reagieren die Leute hier auf eure Musik anders?

Rowan:
Bisher mussten wir die europäischen Fans leider, was Live-Auftritte angeht, ziemlich verhungern lassen. Bis dato hätte ich gesagt, europäische Fans seien leiser und respektvoller als Australier, aber unsere letzte Tour durch Australien hat gezeigt, dass Australier meistens während der ruhigen Stücke auch sehr still sind. Was das neue Album betrifft, glaube ich, aus Europa kamen die stärksten und positivsten Reaktionen der Welt. Vielleicht liegt der Unterschied unterschwellig im Verständnis für klassische Musik.

Erika:
Was erwartet ihr im kommenden Jahr und was wünscht ihr euch?

Rowan:
Im Moment sehen wir der Veröffentlichung aller Teile des Requiems entgegen. Das zählt für uns am meisten.

Erika:
Vielen Dank für dieses Interview und alles Gute für eure nächsten Schritte!

Rowan:
Geschätzten Dank für deine Zeit und den Support.

Redakteur:
Erika Becker

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