AS I LAY DYING, ERRA, BLEED FROM WITHIN - Oberhausen

06.12.2018 | 19:15

01.12.2018, Turbinenhalle

Eine Rückkehr wie ein Donnerschlag.

Manchmal zeichnet sich bereits im Vorfeld eines Konzertes ab, dass es sich bei den folgenden Geschehnissen nicht um einen unterhaltsamen Abend mit der Lieblingsband wie jeder andere handeln wird. Die vieldiskutierte Rückkehr von AS I LAY DYING sorgte natürlich aufgrund der spektakulären Vorgeschichte um Sänger Tim Lambesis, der vor bald zwei Jahren wegen guter Führung vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wurde, für reichlich Aufmerksamkeit. Unabhängig davon hatte Metalcore während der ersten Schaffensperiode der Band einen festen Platz in der deutschen Konzertszene mit gut besuchten Veranstaltungen besetzt – doch die Nachfrage um die Auftritte der AS I LAY DYING-Reunion-Tour übertraf sogar die hohen Erwartungen von Fans und Presse: Fast sämtliche Konzerte in kürzester Zeit ausverkauft, viele Termine wurden aufgrund der hohen Nachfrage in größere Locations verlegt. Der zweite Gig der schlicht als "European Tour 2018" betitelten Konzertreihe wurde in der mächtigen Turbinenhalle in Oberhausen angesetzt.

SchTour 2018on bei der Ankunft am Ort des Geschehens wird klar, dass sich hier und heute etwas Besonderes abspielen dürfte: Der Stau der ankommenden Fahrzeuge zieht sich durch mehrere Straßen und um die Halle selbst schlängelt sich die endlose Reihe der Besucher weit bis hinter die Gebäuderückseite. In der trüben Herbstluft liegt gespannte Vorfreude und banges Erwarten. Kaum jemand dürfte sich von den Gedanken um Tim Lambesis' tragischen Sturz freimachen können - würde also heute alles so sein wie früher, als die Kalifornier mit ihrem unprätentiösen, brachialen Modern Metal, der einst dem heutigen Metalcore den Weg bereitete, regelmäßig Säle und Äcker zum Erbeben und die Konkurrenz vor Neid erblassen ließ?

Als wir die Turbinenhalle betreten, ist der Einheizer BLEED FROM WITHIN bereits bei der Arbeit. Geplagt von unsäglichen Soundproblemen – die PA setzt beinahe im Zehnsekundentakt immer wieder für einen Moment aus -, ist der Auftritt der Schotten eine leider wenig vielversprechende Einleitung für diesen besonderen Abend. Auch sonst leidet die Band unter einem schlecht geregelten Klangbild; ich erkenne außer 'Cast Down' und dem abschließenden 'Alive' kaum einen Song. Ob es an ihren technischen Schwierigkeiten liegt oder nicht, jedenfalls spielen die Herren aus Glasgow recht unaufgeregt, bisweilen etwas freudlos ihren Stiefel runter. Die Halle ist unterdessen bereits brechend voll; viele Anwesenden lassen sich glücklicherweise von den technischen Schwierigkeiten nicht beirren und machen sich mit BLEED FROM WITHIN warm für den eigentlichen Anlass ihres Besuches.

Der zweite Special Guest hört auf den Namen ERRA, eine Truppe, die ich bisher nur vom Hörensagen kannte, die aber mit ihrem Mix aus Metalcore, atmosphärisch-proggigen Elementen und dem üblichen Wechsel aus Schrei- und Klargesang die Metalcore-Generation nach AS I LAY DYING repräsentiert. Deutlich zeitgemäßer unterwegs als der Headliner, ernten die Amis eher verhaltene Reaktionen im Publikum. Immerhin sind die Soundprobleme behoben und als angenehme Hintergrundbeschallung taugt die sehr präzise agierende Truppe allemal. Es wird allerdings auch endgültig offensichtlich, dass das anwesende Publikum mehrheitlich zur ursprünglichen AS I LAY DYING-Fanbase und somit zur ersten Generation der Metalcore-Gemeinde gehört. Altersschnitt klar über 30; hier will jedermann und -frau einfach brachialen Metal hören, keine wie auch immer gearteten Experimente. Der Innenraum der Turbinenhalle ist zum Bersten gefüllt, auch auf den Emporen stehen die Zuschauer dicht an dicht, die Spannung ist mit den Händen zu greifen, als ERRA unter Anstandsapplaus abtritt und die Bühne für die Rückkehrer des Jahres vorbereitet wird.

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Und es soll ein Comeback werden, das ein Regisseur nicht angemessener, nicht perfekter hätte inszenieren können: Die stimmungsvolle industrielle Kulisse der Turbinenhalle bietet den locker zweitausend gespannten Fans einen feierlichen Rahmen für die sehnlichst erwartete Rückkehr ihrer alten Helden. Als die Umbaupause beendet ist und die Beleuchtung ausgeht, ertönt als Intro das besinnliche Kurzinstrumental 'Washed Away' von "Awakening"; im Hintergrund angestrahlt der schlichte, altbekannte AS I LAY DYING-Schriftzug. Nie haben die fünf Amis bei ihren Auftritten geprotzt, stets stand einzig und allein die Musik im Vordergrund, und das soll ganz offensichtlich auch nach sechs Jahren Zwangspause der Fall sein. Unter tosendem Applaus betreten erst die vier Instrumentalisten, die sich in den vergangenen Jahren bei WOVENWAR warmhielten, die ausladende Bühne und schließlich Tim Lambesis, immer noch muskelbepackt, immer noch bescheiden lächelnd, ohne triumphale, effektheischende Gestik. Eröffnet wird die Rückkehr mit dem "Shadows Are Security"-Opener 'Meaning In Tragedy' und vom ersten Moment an kennt der Pit kein Halten. Erleichterung bricht sich Bahn, die Gesichter im Publikum gelöst, euphorisch – weg mit den Ketten der Vergangenheit, endlich wieder Metal, endlich wieder AS I LAY DYING! Der Sound zunächst etwas dumpf, im weiteren Verlauf aber klar und druckvoll, die Band in prächtiger Spielfreude, Nick Hippa wie immer zwischen Dauerstrahlen und konzentriertem Gefrickel, Josh Gilbert der Einheizer, Phil Sgrosso zwischen stoischer Bescheidenheit und engagierter Bühnenarbeit, Jordan Mancino, die unbezwingbare Schlagzeugmaschine, ein Bartwunder vor dem Herrn, und Tim Lambesis wuchtig, präsent und charismatisch wie eh und je.

AS I LAY DYING wurde nicht von ungefähr sehnlichst vermisst – alles was seither in Sachen Modern Metal und Metalcore auf den Plan trat, war ganz nett, interessant, aber an die Live-Energie dieser Truppe kam praktisch niemand sonst heran. Hier in Oberhausen spielt die Band nach Worten Tims ihren bislang größten Headliner-Gig, und abgesehen von der wahrscheinlich mittlerweile altersbedingten schnellen Erschöpfung der Zuschauer wird dieser Auftritt zu einem Zeichen des uneingeschränkten Triumphes: Bereits nach dem ersten Song sind die Zuschauer im vorderen Bereich nassgeschwitzt, es wird gemosht und crowdgesurft was das Zeug hält. 'An Ocean Between Us' an zweiter Stelle wird augenblicklich erkannt und enthusiastisch begrüßt, der Chorus aus tausenden Kehlen mitgeschrien. Phänomenal! Das Publikum ist erfreulich textsicher, Tim wiederum gesprächiger als früher – scheinbar hat er Rede- beziehungsweise Nachholbedarf; mehr als einmal weist er darauf hin, dass Lieder wie 'Through Struggle' oder 'A Greater Foundation' heute eine ganz neue Bedeutung für ihn erhalten hätten, und drückt immer wieder seine Dankbarkeit dafür aus, dass sich so viele Menschen heute noch für die Musik des Fünfers interessieren. Die AS I LAY DYING-Songs haben natürlich mit großteils mehr als zehn Jahren auf dem Buckel an Altersreife zugelegt, aber nichts von ihrem Genie, ihrer Überzeugungskraft verloren. Rückblickend scheint mir die kompositorische Mischung der Songs noch perfekter als anno dazumal: Mächtig moshbare Abschnitte, mitsingtaugliche, aber niemals weinerliche oder plump auf Stadiontauglichkeit ausgelegte Refrains, herrlich metallische Gitarrenarbeit und eine unbezwingbare Power im Gepäck. Zu meiner großen Freude werden zahlreiche Stücke von "An Ocean Between Us", dem eindeutig stärksten AILD-Output gespielt, aber auch das ultrabrachiale 'Condemned', das tragische 'Anodyne Sea' oder auch die uralte Melo-Death-Granate '94 Hours'. Auch die Rückkehrer-Single 'My Own Grave' wird aufgefahren, schlägt live ebenfalls ein wie die Bombe und wird vom Publikum, das den Song vor einem halben Jahr aufsog wie Wasser in der Wüste, frenetisch abgefeiert. Mit 'Forever' endet der offizielle Teil, und es wird an der schieren Erschöpfung der Zuschauer liegen, dass die "Zugabe"-Rufe etwas an Nachdruck vermissen lassen. Was zuvor nämlich im Pit los war, sprach meterdick Bände.

Bandfoto OfficialDas 'Separation'-Intro leitet den Zugabeblock ein, darauf folgt natürlich 'Nothing Left', zu dem zahlreiche Besucher (und auch die eine oder andere Besucherin) mittlerweile die nasse Oberbekleidung ablegen müssen. '94 Hours' zerlegt die Location vollends und das obligatorische 'Confined' beendet einen Auftritt, der im vorderen Zuschauerraum kontinuierlich von Wall of Deaths, Crowdsurfern und chaotischem Gemoshe begleitet wurde. Die Band verteilt anschließend artig Playlists und Drumsticks und ist sichtlich beeindruckt von der Zuneigung, die ihr nach ihrer langen Abwesenheit an diesem Abend entgegengebracht wurde. Und was soll ich hier noch weiter Worte verlieren? Der Auftritt in der Turbinenhalle war ein fantastischer Metal-Abend, und vor allem eine Rückkehr, wie man sie sich nicht schöner hätte ausmalen können. Unglaublich, dass AS I LAY DYING immer noch so beliebt ist und offenkundig so ungeduldig erwartet wurde. Andererseits, wen wundert's? Die Band bietet noch immer genau das, wofür sie vor ihrer Zwangspause geliebt wurde: schlichten, hochenergetischen, aggressiven, zugleich eingängigen modernen Metal. Sollte es Zweifler gegeben haben, wurden sie an diesem ersten Dezembertag im Jahre 2018 mit Nachdruck zum Schweigen gebracht. Die Konkurrenz kann sich warm anziehen – an AS I LAY DYING führt in Sachen Metal, endlich wieder, kein Weg vorbei.

Setliste: Washed Away; Meaning In Tragedy; An Ocean Between Us; The Sound Of Truth; Through Struggle; Within Destruction; Forsaken; Condemned; Anodyne Sea; A Greater Foundation; My Own Grave; The Darkest Nights; Forever; Zugaben: Separation; Nothing Left; 94 Hours; Confined

Redakteur:
Timon Krause

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