Bang Your Head 2005 - Balingen

10.07.2005 | 17:39

24.06.2005, Messegelände

Nach einer doch noch recht langen Nacht steht am nächsten Morgen so langsam die Heimreise an. Nicht verkatert, dafür aber gut verspannt, denn das Auto hat seit dem Absaufen des Zeltes als Schlafplatz herhalten müssen. Als Schlafsack und Decke, noch voller Wasser, zum Trocknen über den Autotüren hängen und ich versuche, den Rest des Wassers aus dem Zelt zu bekommen, bietet sich die Gelegenheit, über die fast schon apokalyptischen Geschehnisse in der Nacht von Freitag auf Samstag zu reflektieren:

Wer vor Ort war und dieses Unwetter (die Bezeichnung beschreibt eigentlich nur unzureichend, was da alles abging) selbst miterlebt hat, wird mir sicherlich zustimmen, dass das nur schwer in Worte zu fassen ist. Zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, nämlich gegen 1 Uhr mitten in der Nacht, brach der Platzregen (fast 50 Liter pro Quadratemeter und Stunde) mitsamt Hagel und Orkanböen über Balingen herein. Die Veranstalter hatten eine Vorwarn- und Vorbereitungszeit von gerade mal acht bis zehn Minuten erhalten - selbstredend viel zu wenig, um zu dieser Uhrzeit den Großteil der Festivalbesucher, die sich fast geschlossen auf den Campingplätzen befanden, zu erreichen. Kollege Tolga und meine Wenigkeit hatten das unverschämte Glück, zu diesem Zeitpunkt noch im VIP-Zelt zu sein. Als der Orkan dann loslegte, mühten sich teilweise bis zu fünf Leute an den großen Zelteingängen ab, um diese zu schließen, was nach enormem Kraftaufwand auch gelang. Unter unseren Füßen machten sich die Wassermassen breit, während draußen der Weltuntergang in vollem Gange war. Wer auch immer über das asphaltierte Veranstaltungsgelände meckert: In diesem Fall hat der Asphalt vermutlich das Festival gerettet. Nicht auszudenken, wie das Gelände ausgesehen hätte, wenn das alles Wiesen- oder Ackerland gewesen wäre.
Nachdem sich das Unwetter wieder gelegt hatte, marschierten wir langsam in Richtung Campingplatz, noch recht uninformiert über die Ausmaße dieses Wolkenbruchs. Als wir den VIP-Bereich verließen, trauten wir unseren Augen kaum: Das gesamte Festivalgelände sah aus wie nach einem Bombenangriff, alles, aber auch alles war verwüstet. Bänke, Stände, Schirme lagen kreuz und quer über das Gelände verteilt, als hätte ein Riese hier mit Bausteinen gespielt und einen Wutanfall bekommen. Durch die Unterführung zum Campingplatz (wohlgemerkt nicht das kleine Fußgängerding, sondern die große, "richtige" Unterführung) hätte man ohne größere Mühen durchschwimmen können, überall Feuerwehr, Polizei und Krankenwagen. Auf dem Campingplatz ein ähnlich erschreckendes Bild: Manche Zeltplätze waren im wahrsten Sinne des Wortes leergefegt, als hätte dort nie jemand seine Lagerstätte aufgeschlagen. Glücklicherweise hat die gesamte PM.de-Crew diese Nacht mehr oder weniger unbeschadet überstanden, jedoch sind uns auch einige Zelte abgesoffen - wenn ich mir überlege, dass hier manche Leute sämtliche Mitbringsel verloren haben oder gar vierstellige Schäden an den Autos zu beklagen hatten, kann man hier von riesigem Glück sprechen.

Der Samstag stellte sich aber dann als absolutes Highlight heraus: Auch wenn einige Besucher ob der Ereignisse in der Nacht zuvor das Feld räumten (finde ich nur allzu verständlich, wenn einem wirklich alles abgesoffen ist), so machte sich unter den Verbliebenen etwas wie eine "Jetzt erst recht"-Stimmung breit. Zelte wurden entleert, wieder aufgebaut, geflickt, und es sah durch die überall zum Trocknen aufgehängte Kleidung teils ein bisschen aus wie beim fahrenden Volk. Die Stimmung samstags empfand ich persönlich als noch besser und euphorischer als am Freitag, mag sein, dass dies auch an den Bands gelegen hat, eher aber daran, dass nun erst recht richtig gefeiert werden sollte. Mit den vielen Merch-Leuten und Standbesitzern hätte vermutlich keiner tauschen wollen, viele verbrachten die ganze Nacht auf dem Gelände, um am nächsten Tag wenigstens provisorisch ihre Waren darbieten zu können. Gott sei's gedankt, dass Georg just zu diesem Festival den neuen PM.de-Anhänger mitbrachte, der den Sturm unbeschadet überstanden hat.

Den schwierigsten und langwierigsten Wiederaufbau-Job dürfte aber wohl die gesamte BYH-Crew gehabt haben. Die Elektronik war ordentlich im Arsch, und es stand einige Zeit auf der Kippe, ob es überhaupt einen Festival-Samstag geben würde. Als dann klar wurde, dass es definitiv weitergehen würde, wenn auch mit ordentlicher Verspätung, fiel uns allen erstmal ein großer Stein vom Herzen, schließlich gab es gerade samstags noch einige Highlights zu bestaunen.
An dieser Stelle mal ein richtig fettes Lob an die gesamte Veranstaltungs-Crew: Was ihr da noch auf die Beine gestellt habt, das war gigantisch. Danke dafür, dass wir alle noch einen unvergesslichen Festivalsamstag erleben durften!
Wurde zunächst überlegt, alle Bands bis zum Start des Festivals zwischen 12 und 13 Uhr ausfallen zu lassen, war der endgültig dann durchgeführte Plan, alle Bands mit teils drastisch gekürzten Spielzeiten spielen zu lassen, in meinen Augen doch der einzig richtige. So ärgerlich es ist, von JAG PANZER oder NEVERMORE nur drei oder vier Songs sehen zu können - immer noch um Welten besser, als diese Bands ganz zu verpassen. Sicherlich hätte man die einzelnen Spielzeiten noch dadurch etwas strecken können, dass die später auftretenden Bands ebenfalls etwas in ihrer Spielzeit beschnitten worden wären, aber ich denke, im Endeffekt konnte jeder mit der gefundenen Lösung zumindest einigermaßen leben. Alleine schon der JAG PANZER-Gig war trotz der lächerlich geringen Spielzeit derart intensiv und grandios, dass ich den um nichts in der Welt hätte vermissen wollen.

Wenn man jetzt noch Parallelen zu Wacken 2002 ziehen mag, als das Festival nicht wirklich vergleichbar, aber auch ordentlich ins Wasser fiel, so komme ich zu dem Schluss, dass das BANG YOUR HEAD summa summarum wenn überhaupt gewonnen hat. Dieses Jahr wird zum Kult werden, das beweisen nicht nur die lustigen "Kampfschwimmer"-Shirts, die man kurz nach dem Desaster gleich erwerben konnte. Die Veranstalter, Verkäufer und auch die Besucher haben Charakter, Klasse und Größe bewiesen und zusammen für ein unvergessliches Festival gesorgt. Später am Tag konnte man die Ereignisse der Nacht auch wieder mit Humor nehmen, wie beispielsweise Chris Caffery, der beim Shirt-Signieren an unserem Stand flachste, dass er dank des Hagels wenigstens Wodka on Ice hatte. Na dann, Cheers! Etwas weniger trinken hätten vielleicht die geistigen Tiefflieger sollen, die es für nötig hielten, ihre Enttäuschung über HANOI ROCKS als Very Special Guest mit Flaschenwürfen auf die Bühne zum Ausdruck zu bringen. Leute, hoffentlich sauft ihr das nächste Mal ab ... jedoch blieb dies der einzig unschöne Vorfall an einem ungewöhnlichen und mitreißendem Festivalwochenende, das man so ganz sicher nicht alle Tage erlebt. Wir sehen uns 2006!

In diesem Sinne: Doom mit Gemüse!
(Rouven)

Redakteur:
Rouven Dorn

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