Chronical Moshers Open Air - Cunsdorf bei Reichenbach/ Vogtland

21.06.2004 | 11:22

12.06.2004, Sportplatz

Die SUFFOCATION-Sause in Leipzig ist beendet, sofort geht es weiter zum "Chronical Moshers"-Festival nach Cunsdorf bei Reichenbach im Vogtland, also ab zum zänkischen Bergvolk ins südliche Westsachsen. Man schenkt sich ja sonst nichts. Eine nette und gar unzänkische Polizeikontrolle will noch nicht einmal den Blutgehalt im Alkohol wissen, weist aber bereitwillig den Weg zum Open Air. Ein süßes Bild bietet sich bei der Ankunft: Ein Fan taumelt herum, hält sich an einer Hauswand fest und kotzt - ok, das macht ja nichts. Der Einlass daneben ist verwaist. Also rein ins eigentliche Gelände. Dort steht ein großes Bierzelt, darin tummeln sich um zwei Uhr nachts noch vereinzelte Partyreste. Einer der Hinterbliebenen ist Seraphackh von ANAEL. In seiner Nähe steht Angel of Doom, auch bekannt als Patrick W. Engel oder Basser von ANAEL oder Mastermind von den aufgelösten IMPENDING DOOM - sein Blick ist alkoholgeschwängert, seine Augen stechen blau hervor. Es ist schon wie eine kleine Familienfeier, dieses "Chronical Moshers"-Open Air. Kurz darauf kommen noch ein paar Leute vom RockLife e.V. dazu, der Verein organisiert seit dem Beginn der 90er Konzerte in ganz Sachsen. Auf der Bühne steht in dieser Nacht nur ein DJ-Pult, dahinter hat es sich Veranstalter Heiko Richter bequem gemacht. Der 31-jährige Wirtschaftsingenieur hat das Festival mit einer dreißig Leute starken Crew organisiert, alle sind sie Mitglied im örtlichen Metalclub "Chronical Moshers". Die Feier wird lang, die Sonne scheint, als die letzten standhaften Biertrinker aus dem Zelt wanken. Was der Schreiberling nicht mitbekommen hat, aber durch mehrere mündliche Berichte bestätigt wird: Am frühen Abend gab es eine Schweigeminute für BATHORYs Quorthon. Das ist echtes Metal-Feeling, ehrlich und voll nötiger Emotion!

Ehrlichkeit: Mit diesem Wort darf sich am nächsten Morgen auch der Auftritt von ARTLESS schmücken. Die junge Band ist ein direktes Anhängsel des "Chronical Moshers"-Metalclubs. Deshalb klingen sie noch lange nicht gut, aber eben so von ihrer Mission "Metal" überzeugt, dass der Auftritt dann doch halbwegs Spaß macht. Brillante Songschreiber sind ARTLESS aber wirklich nicht, ihre Art Death Metal kriecht ganz schön behäbig aus den Boxen. Trotzdem grinsen die Jungs die ganze Zeit über ihre Bäckchen, zumal sich im Zelt vor der Bühne die Massen drängen - draußen geht gerade ein Wolkenguss der Marke "Extrem viel Nass" runter. So darf sich jeder Zuschauer wenigstens ein kleines Lächeln über den akkuraten Kurzhaar-Mittelscheitel des ARTLESS-Sängers abringen. Sie wirken eben wirklich noch ganz schön jung, diese Kunstlosen!

GANYMED sind da schon ein paar Jährchen älter. Sie spielen eine putzige Mischung aus CROWBAR und PANTERA. Diese Mixtur würde spätestens nach 20 Minuten gehörigen Sackgang verbreiten, wenn die Jungs nicht noch dazu absolute Spaßvögel wären. Gerade die Ode an alle Fleischfresser mit dem simplen Namen 'Fleisch' haut mächtig in die Gehörgänge und hilft auch dem örtlichen "Für das leibliche Wohl ist gesorgt"-Roster-und-Steak-Stand. Und auch der von jeglicher Oberkörper-Bekleidung befreite Sänger gurgelt frisch ins Mikro - schon ganz nett, die Jungs von GANYMED.

Und wer macht im Anschluss immer noch eine ganz schön verstrahlte Figur? Richtig, ANAEL. Dafür, dass sie wirklich noch ganz schön hin- und herwanken, klingt der Auftritt trotzdem erstaunlich professionell. Obwohl die Jungs ja auch nicht so viel passgenaue Fingerfertigkeit brauchen, schließlich klingen ANAEL ganz ähnlich wie ihre großen Vorbilder von HELLHAMMER. Fast so morbide kommen die Kompositionen von ANAEL rüber, die ersten Fans moshen sich schon einmal warm. Und nach dem Gig trinken ANAEL gleich weiter - rock on, be strong!

DISREPUTE sind ähnlich lustige Gesellen. Die Jungs spielen AMON AMARTH-mäßigen Death Metal, der herrlich groovt und göttlich ballert. Die Songs haben Namen wie 'Wrath And Pain' oder 'Madness', alles knallt frisch und munter aus den Boxen. Der Drummer wirbelt dazu auf seinem Schlagzeug umher und haut mit seinen blauen Badelatschen aufs Doublebass-Gestelle. Geil! Die Leute im Publikum schütteln jetzt schon ganz schön zahreich ihre Birnen, die Jungs von DISREPUTE grinsen und Sänger Jens brüllt wie ein Berserker. Hinterher wird er sagen: "Der Sound auf der Bühne war richtig gut!" Und erst davor - eine echter Thrasher-Band!!!

Die Kollegen von ARBOR IRA aus dem fast schon benachbarten Zwickau klingen längst nicht so ruppig wie DISREPUTE, dafür aber nicht minder schlecht. Sehr schleppend und ganz schön melancholisch sickert ihr Doom Metal ins Ohr, dazu kommt eine ordentliche Röhre von Frontgrunzer Herr Blum. Der lacht schon während des Gigs und danach und zuvor und überhaupt. Denn ARBOR IRA mögen vielleicht ein trauriges Image verfolgen, in Wahrheit sind es aber ganz fröhliche Burschen. Exemplarische Selbstbeschreibungsversuche (Vorsicht, IRONIE!): "Wir sind die, die die Menschen aufwecken wollen, darüber nachzudenken, was sie sind..." Oder: "Wir sind frei jeglicher Konventionen, beladen von Weltschmerz." Coole Band, coole Musik, hoffentlich schaffen es die Jungs bald mal wieder mit einer neuen Scheibe.

ATANATOS sind als Black-Metal-Band leider mit einem ganz schön nervigen Keyboard "gesegnet". Wenn das nicht wäre, würden die Jungs um Längen besser klingen, denn an sich spielen sie spikebewehrt und voller Energie. So ätzt sich wenigstens das SODOM-Cover 'Outbreak Of Evil' ordentlich fies aus den Boxen heraus. Auch Stücke wie 'Ripped From My Inner Eyes' sind ebenso gute Mosh-Ware, wenn, ja wenn nicht dieses Keyboard wäre. Dadurch bleibt während ATANATOS auch noch Zeit für ein kurzes Interview mit "Chronical Moshers"-Cheffe Heiko. "Wir machen das Festival von Fans für Fans", sagt Heiko, "und wir bekommen hier viel Unterstützung von der Stadt und den Anwohnern. Die Leute sind froh, dass hier überhaupt mal etwas für die Jugend los ist."

Die jungen Metal-Fans aus Reichenbach und Umgebung vergnügen sich derweil bei POSTMORTEM. Die Berliner böllern wild drauflos und zeigen eindrucksvoll, warum sie als eine der heftigsten Live-Bands des Ostens gelten. Zwar ist der eigentlich traditionelle Thrash-Sound von POSTMORTEM inzwischen ganz schön mit modernen NuMetal-Klängen durchsetzt, doch das ist dem Publikum beim "Chronical Moshers"-Festival egal. Mehr als nur ein Paar Haarschüttler lassen ihre Köpfe vor der Bühne auf- und niederkrachen. Babumm, das macht Spaß im Glas. Hoch die Tassen für POSTMORTEM!

AGATHODAIMON bekommen danach den wohl druckvollsten Sound des Abends hin. Glück gehabt! Denn eigentlich gilt Sachsen nicht unbedingt als Land, in dem solch symphonisch-orchestraler Black Metal gern gesehen ist. Doch dank des guten Sounds gehen AGATHODAIMON selbst eingefleischten Thrash- und True-Black-Metal-Jüngern nicht sofort auf den Sack. Mit viel Spielfreude und den recht ordentlich klingenden Hymnen des kommenden "Serpent's Embrace"-Albums klappt es für die Band am Ende rund 30 bis 40 Mosher vor der Bühne zu versammeln. Respekt!

Die wahren High- und Hicklights des Abends heißen aber eindeutig:

DESASTER

und

DISBELIEF.

Der Alkoholspiegel ist im grünen Bereich, die Nackenmuskeln zucken noch einmal und dann geht es ab. Die mit weißgeschminkten Bassisten auftretenden DESASTER donnern ihren himmlischen Thrash Metal mit extremem Old-School-Black-Einschlag in die Massen, DISBELIEF lassen ihre Gitarren zu ihrem unvergleichlichen Groove Death Metal explodieren. Die beiden Bands bilden an diesem Abend auch ein schöne Kombination in anderer Hinsicht: DESASTER als Vertreter von altem deutschen Metal á la DESTRUCTION oder SODOM, DISBELIEF dagegen als ein Vorreiter, die aus diesem traditionell engen musikalischen Korsett ausbrechen. Gefeiert werden alle beiden Bands von den Fans, DESASTER vielleicht noch einen Tick heftiger. Dafür hat DESASTERs Vokills-Künstler Sataniac längst nicht so ein geiles Organ wie Jagger von DISBELIEF - wenn der Typ ein Mikro in der Hand hält, klingt das Ergebnis nach einem wütenden Sturm der verzweifelten Hoffnungslosigkeit.

Nach diesem "Zwei-Band-Orkan" ist bei VANDEN PLAS die Luft raus. Die sind eher durch Zufall auf das Billing gerutscht, richtig interessieren will sich kein Fan mehr für die progressiven Metallinge aus Kaiserslautern. Trotzdem geben sie sich Mühe, aber vor einer desinteressierten Death- und Black-Metal-Schar ist es eben nicht so einfach. Immerhin fliegen keine Gegenstände vor, die meisten Leute sind zu eifrig mit Trinken für zwei Euro pro Bier beschäftigt oder legen sich gleich in ihre Zelte. Vor den restlichen zehn begeisterten Fans kommen VANDEN PLAS aber sogar noch einmal zurück auf die Bühne. In ihrem Gästebuch steht dafür jetzt ein Eintrag von Susi Grinsebacke: "Hallo, DANKE DANKE DANKE für den Gig in Reichenbach am Samstag , das war mein erstes Mal, dass ich Euch live sehen durfte. [...] Ich hab's restlos genossen und war völlig erschlagen, von der Seele Eurer Musik. Und ich war zugegeben wahnsinnig erstaunt über die Fannähe, die Ihr pflegt, ich hätts nicht gedacht meinen Faves einfach mal Hallo sagen zu können." Also hat auch die Susi noch Spaß gehabt... Schön! Ähnlich ergeht's an diesem Wochenende wohl auch den anderen 400 Nasen beim "Chronical Moshers"-Open Air. Auch meine Hose freut sich über Schlamm bis zum Knie und kommt zu folgendem Fazit: "Dank solcher Festivals und dem Enthusiasmus ihrer Macher funktioniert diese Szene so gut!" PROST!

PS: Der Dank für die Fotos geht an Trabi von www.metalnews.de

Redakteur:
Henri Kramer

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