Citadel Music Festival 2007 - Berlin

09.08.2007 | 22:48

14.07.2007, Zitadelle Spandau

Das Organisationsteam des Citadel Music Festivals hatte sich mit dem Programm mal wieder selbst übertroffen. Größen wie STEELY DAN, STATUS QUO, KORN, CORVUS CORAX und MARILYN MANSON gaben sich im Sommer 2007 in der Zitadelle zu Spandau die Klinke in die Hand. Nicht zu vergessen: die Berliner Countryrocker von THE BOSSHOSS

Berlin ist ja nun nicht unbedingt der Ort, in dem man eine Rodeo-Rockband vermuten würde, aber mit THE BOSSHOSS hat die Hauptstadt genau das vorzuweisen. So wundert es auch nicht, dass die Truppe im Zuge des Sommerfestivals in der Zitadelle zu Spandau auch den Headliner stellte, wenn auch in einer etwas merkwürdigen Zusammenstellung an Bands. So durften die Elektroniker von POLARKREIS 18, die Alternativeband DINGSBUMS, die Southern-Rocker von MOTHER TONGUE und die Deutschpopper von KLEE das Vorprogramm stellen.
Die Location an sich dürfte wohl zu den eindrucksvollsten Konzertstätten des Landes zählen, in einer alten Festung bekommt man nicht alle Tage Konzerte serviert, was sich wohl auch ein Großteil der Berliner Besucher gedacht haben dürfte. Die Besuchermenge, welche sich wohl im Fünftausender-Bereich versammelt haben dürfte, stellte sich überraschenderweise aus Menschen quasi jeder Altersgruppe und Szene zusammen, wobei der Altersdurchschnitt jenseits der dreißig lag.

Der Anfang stellte sich schon als recht mühsam heraus, wartete man doch eine Weile auf Einlass. Diesem Umstand war es auch zu verdanken, dass ich POLARKREIS 18 verpasste, auf die ich mich eigentlich noch am meisten freute. Quasi pünktlich zum Ende ihrer Show betrat ich das Festivalgelände, ärgerte mich schwarz und nutzte gleichzeitig die Zeit zum Ausloten des lokalen Angebots, welches von x Bierbuden mit gewöhnungsbedürftigen Berliner Sorten aufwartete über verschiedenen Fressbuden, welche von deftig bis leicht quasi alles im Angebot hatten, und diversen anderen Ständen keine Wünsche offen ließ.

THE SHELL

Als nächstes, und damit für mich als erstes, traten die Jungs von THE SHELL auf, die mit einer soliden Mischung aus Alternative und Britpop versuchten, mehr als hundert Zuschauer vor die Bühne zu locken, was ihnen auch halbwegs gelang. Trotzdem zogen die meisten im Publikum es vor, sich die Vorbands aus sicherer Entfernung in liegender und sitzender Position anzuschauen, Platz genug war ja da. Die flaue Publikumsresonanz merkte man der Band aber nicht an, welche mit einem lockeren und dennoch anspruchsvollen Programm um Zustimmung buhlte. Saftige Gitarrenriffs, eingängige Hooklines und ein klarer wie ausdrucksstarker Gesang reichten trotzdem nicht, die Menge zu mehr als einem Anstandsapplaus zu bewegen, was ich persönlich ziemlich schade fand, schließlich brachten die Jungs ein Programm auf die Beine, was vor etwas jüngerem Publikum durchaus mehr Reaktion erfahren hätte. So blieb der Gruppe nichts anderes übrig, als ihr durchaus interessantes Programm aus verspielten Rocksongs und treibendem Riffing runterzuholzen, und sich brav für jeden Pfiff zu bedanken, bis ihre fünfundzwanzig Minuten ein Ende gefunden hatten. Wie BLUR, nur mit mehr Pfeffer.

MOTHER TONGUE

Als nächstes durfte man die Southern-Rocker von MOTHER TONGUE bewundern, welche meiner Meinung nach einen noch obskureren Platz auf dem Billing bekamen, in dem sie nicht vor dem Headliner spielen durften. Sehr seltsam, das alles. Auch wenn ich nicht unbedingt als Fan der Musik der Mutterzunge anzusehen bin, kann ich doch sagen, dass die Band deutlich mehr Publikum ansprach als die danach kommenden KLEE.
Wie dem auch sei, MOTHER TONGUE gaben sich gewohnt amerikanisch, versuchten die Berliner mit coolen Sprüchen und lockeren Posen mitzureißen, scheiterten aber an ihrer eigenen Musik. Vertracktes Songwriting, LIFE OF AGONY-esquer Gesang und wenig eingängiges Tonmaterial machten den Einstieg für Neulinge nicht unbedingt einfach, was die Band auch hautnah mitbekam, denn das Publikum verhielt sich bis auf ein paar Fans still und abwartend, was dem Sänger per se gar nicht gefiel, und er es dennoch nicht ändern konnte. Musikalisch vielleicht im Vorprogramm von THE BOSSHOSS genau getroffen, beim Publikum aber durchgefallen.

KLEE

Als ich mitbekam, dass KLEE ins Billing geholt wurden, wollte ich den Veranstaltern ihre Zurechnungsfähigkeit absprechen. Dass die Band durchaus was für sich hat, ist unbestritten, aber sie in das Programm zwischen Gitarre und noch mehr Gitarre zu packen, das zeugt von Mut.
So durfte man gespannt darauf warten, ob das versammelte Volk die Deutschpopper in der Luft zerreißen würde oder sie einfach komplett ignoriert werden würden.
Nichts von beidem traf zu, Suzie Kerstgens und Konsorten schafften es, quasi aus dem Nichts die Masse so zu überrumpeln, dass größere Trotzreaktionen ausblieben. Gelungen, irgendwie, auch wenn man sich fragen musste, ob die Musik, der man stets eine gewisse Infantilität oder einen stumpfen Drogeneinfluss unterstellen musste, in dem Billing noch deplatzierter hätte sein können.
Wahrscheinlich nicht, und so begaffte das Volk eine losgelöste Sängerin, die mit Luftballons, Lametta-Kanone und Wunderkerzen bewaffnet über die Bühne tänzelte, und dazu die durchaus gekonnt dargebotenen Songs begleitete. Zu baff, um zu kapieren, dass dort oben feinstes Programm für Pädagogikstudentinnen abgeliefert wurde, fühlte sich die Menge immer wieder zu mäßigem Applaus ermutigt, ohne wirklich zu kapieren, was da oben eigentlich vorging.
Volle Punktzahl für die Band, die das beste aus einem widersinnigen Platz im Billing machte, und ein dickes Fragezeichen an die Orga des Festivals.

THE BOSSHOSS

Nun, endlich der Headliner. Die Sonne setzte zum Finale an, und die aufziehende Kühle brachte auch eine Invasion von Mücken mit sich, der die Konzertbesuchermeute quasi schutzlos ausgeliefert war. Nichtsdestotrotz steigerte sich die Laune der Menge um ein Vielfaches, als der Auftritt der Berliner immer näher kam, und schlagartig wurde klar: was vom Veranstalter als ganztägiges Festival angesehen wurde, war für die Menge nichts anderes als THE BOSSHOSS mit ein wenig Petersilie als Garnierung dabei.
Die Vorbands: schlagartig vergessen.
Die Cowboyhutdichte: wuchs ins Unermessliche.
Platzdichte: nahm zu, und doch konnte man noch bequem mit Blick auf die Bühne stehen. In der untergehenden Sonne offenbahrte die Location noch einmal ihr ganz eigenes Flair: die Festungsmauern leuchteten in einem Feuerrot, die Bäume wurden zu düsteren Schatten, und die Bühne stand als strahlender Fixpunkt mitten auf dem Exerzierplatz.
Als der Headliner des Tages dann auch die Bühne betrat, kannte der Jubel keine Grenzen. Die Berliner betrachten THE BOSSHOSS wohl als private Stadtrockband, so oft "datt sinn Bärliner" bekommt man wohl selten zu hören.

Wie dem auch sei, ich hatte das große Vergnügen, vollkommen unbefangen auf die folgende Show blicken zu können, war es doch mehr weibliche Intervention als persönlicher Wille, die mich überhaupt in die Zitadelle zog. Die erste Überraschung stellte die instrumentale Bandbreite dar: alles, was man in zehn Westernfilmen an Instrumenten zusammenkratzen kann, war auch vorhanden. Und wurde auch eingesetzt! So stellten Reisbrett und Banjo nur einen kleinen Teil der exotischen Komponenten dar, Mundharmonika war sowieso Pflicht, von der aufwändigen Percussion ganz zu schweigen.
Zweite Überraschung: das beinahe vollkommene Fehlen eigenem Songmaterials. Bei THE BOSSHOSS wird konsequent und quer durch den Garten abgekupfert, ob es nun 'You'll Never Walk Alone', 'Say A Little Prayer' oder 'Jesus Built My Hotrod' sind.

Was keinen Abbruch daran tat, dass die Band das Publikum jede Sekunde lang im Griff hatte, und durch eine überzeugende Livedarbietung, in der auch technische Probleme gekonnt überbrückt wurden, beeindruckende Soundgebilde schuf.
Zu sehen bekam man auch eine visuell äußerst eindrucksvolle Show, schließlich verstand sich quasi jedes Mitglied der Band aufs fotogene Rumposen, wobei vor allem Boss (aka Alec Völkel) es verstand, das weibliche Publikum um den Finger zu wickeln.
Gewöhnungsbedürftig war irgendwie die Tatsache, dass die Berliner Band es für nötig hielt, das US-Rodeo-Country-Rock-'n'-Roll-Image durchgehend und ohne Pause aufrecht zu erhalten, so fiel zum Beispiel kein einziges deutsches Wort seitens der Band, und es wurden Western-Phrasen bis zum Abwinken gedroschen. Davon mag man halten was man will, die Band lieferte dennoch einen Entertainment-Abend par excellence ab, kein großes Ohrenkino, aber große Unterhaltung auf jeden Fall. Einziges Manko war wohl die Tatsache, dass die Songauswahl zu schleppend geriet, die fetzigen und schnellen Songs, die deutlich besser ankamen, waren ebenso deutlich in der Minderheit. Schade eigentlich, hätte die Band das Publikum ohne größere Probleme aus dem Stehgreif wegpusten können.
Dennoch hatten THE BOSSHOSS keine Probleme, das Publikum in die Show einzubinden und die Stimmung auf immer höhere Zenite zu treiben, die Ami-Tour kam prima an, die musikalische Darbietung war fehlerlos und locker, und das gesamte Abendprogramm ein eindrucksvoller Beweis dafür wie weit man mit Idee und Können kommen kann. Vollendetes Abendprogramm!

Redakteur:
Michael Kulueke

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