DISSECTION/WATAIN - Leipzig

25.12.2004 | 09:49

03.12.2004, Hellraiser

"Das können wir so stehen lassen. Die Legende lebt noch." So konstatiert am Ende des Konzertes ein Fan höchst zufrieden. Hatte irgend jemand daran gezweifelt?

Es ist eiskalt und frostig in dieser Dezembernacht. Im Hellraiser wird dafür heute extra mit Flammen gearbeitet. Zum Warmwerden reicht aber auch erst mal die Vorband aus Leipzig. Widererwartend entpuppt sich GRABAKs kompromisslose Black-Metal-Dröhnung als bangtauglich und wartet auch sonst mit ein paar originellen Melodieläufen auf. So richtig interessiert das aber leider noch niemanden im mäßig gefüllten Saal. Ob der Hauptband hätte man eigentlich ein ausverkauftes Hellraiser erwarten können, aber letztlich finden doch nur knapp fünfhundert Leute den Weg durch die eisige Nacht dorthin. Für manchen ist es gar nicht so einfach den Club zu orten. Mein Glück! Ein verirrtes Metal-Pärchen im Auto sammelt mich am Straßenrand ein. Zu Fuß hätte ich sicher noch ein Weilchen gebraucht und wäre frustriert weiter die Straße langgestapft, weil es kein "normaler" Autofahrer um diese Zeit für nötig hält einen mal ein Stück mitzunehmen. Irgendwie typisch deutsch, oder? GRABAK lassen mich meinen Frust auf die heimische Mentalität zum Glück schnell wieder vergessen, dank selig finsterem Black Metal.

In der Umbaupause vor WATAIN bleibt Zeit für einen Blick hinter die "Kulissen". Sucht man die Band, muss man nur der Nase nachgehen. Dort, wo es am schlimmsten nach erbrochenem Harzer Käse stinkt, sind sie zu finden. Die Ursache des Gestankes ist aber eine andere: drei Monate altes Ochsenblut, das die Jungs seit ihrer Mini-Tour mit SECRETS OF THE MOON mit sich herumtragen. Damit begießt sich der kleine Satanstrupp vor jedem Konzert reichlich. Im Nebenraum gehen derweilen noch mystischere Dinge vor. Jon Nödtveidt zelebriert ein Ritual. Aber keiner darf wissen, was genau vor sich geht.

Inzwischen müffelt es schon sehr streng von der Bühne her. Umgedrehte Metallkreuze mit Kerzenhaltern werden aufgestellt und Eisenketten kreuz und quer gespannt. Abgesehen von dem Geruch, der sich nun auch noch mit echter Kotze vor der Bühne mischt, ist die Atmosphäre sehr romantisch. Ein mystisches Intro kündigt den Einmarsch der fünf Gesandten aus Schweden an: WATAIN betreten in zerrupfter Kluft, Leder und Nieten die Bühne. Sänger Eric besitzt wohl auch nur dieses eine alte MAYHEM-Shirt. Heute sieht er besonders krank aus, sein Blick lässt ahnen, dass diese Show eine ganz besonders übersinnlich-finstere wird. Mit 'The Walls Of Life Ruptured' brettert das Höllenfahrtskommando los. Sofort wandern alle Blicke nach vorn. Viele hier kennen WATAIN wohl noch nicht, zeigen sich aber ernsthaft angesprochen von dem abgrundtief schwarzen Black Metal der Formation. Zwar ist ihr Sound wie gewohnt grottenschlecht, aber das tut der unsäglichen Atmosphäre, welche von der Musik ausströmt, keinen Abbruch. Zugegeben, für einen Soundtechniker muss es auch schwierig sein die individuellen Eigenarten der fünf Musiker an ihrem Instrument am Mischpult nachzuvollziehen. Z.B. trommelt H. Jonsson sehr unberechenbar auf seine Felle ein. Mal ziemlich leise, wenn es darum geht in Lichtgeschwindigkeit die Stöcke aufprallen zu lassen, dann wieder extrem laut bei den kraftvollen Midtempo-Parts, sodass fast die Felle bersten. Ersatz-Bassist Worph, auch unter dem Namen Mork von MALIGN bekannt, leistet da etwas beständigere Arbeit und meistert gekonnt all die vertrackten Spuren seines Instrumentes, durch die WATAINS Musik gleich noch mal so dämonisch klingt. Kurze Pausen nutzt er zum Feuerspucken. Hölle! Was für ein Bild, wenn hinter den Flammen Sänger Erics verdrehte Augen auftauchen, die einen Eindruck von seiner Besessenheit während des Auftritts geben. Er quält sich am Mikro, hält sich mit letzter Kraft daran fest, zieht sich herauf, lässt den Blick nach oben wandern, spannt die Arme weit auseinadner und faucht mit aller Hingabe die Worte "seines Meisters" ins Mikro. Dann saust der Kopf wieder nach unten, die schwarzen Haare schweben hinterher. Angeblich sind es ja gar nicht WATAIN selbst, die diese Musik spielen, sondern eine höhere Macht. Bei dem monumentalen 'I Am The Earth' möchte man es fast glauben. Dieser Song und das sowohl kompositorisch als auch lyrisch schon fast göttliche 'Black Salvation' überzeugen so manchen im Hellraiser.

Jetzt ist eine Pause samt Stärkung dringend nötig. Im Hellraiser gibt es zum Glück "Schlingmasse" in Nudel- oder Pommes-Form, der Geschmack ist zweitrangig. Schließlich braucht es vor der bevorstehenden Verausgabung dringend was ins Bäuchlein. Mir reicht allerdings ein weiterer Kaffee zum Strammstehen. Irgendwie bin ich viel zu aufgeregt, dabei sind es doch nur DISSECTION, die einen ganz schön lange warten lassen, bis endlich das "Lights Bane"-Intro 'At The Fathomless Depths' von der Konserve ertönt. Mit 'Black Horizons' sollte es brachial losgehen, doch versagt Jons Gitarre. Viel zu leise kommen die Solos in dem "Somberlain"-Opener und dem nachfolgenden 'Frozen' herüber. Schlimmer geht's kaum. Ohne die Leistung der inzwischen gut eingespielten neuen Bandmitglieder in Frage zu stellen, aber gerade die Solos hauchen den DISSECTION-Songs doch ihr Leben ein und machen sie unverwechselbar gegenüber anderen Vertretern dieser Genres, seien es nun NECROPHOBIC oder OPHTHALAMIA. Da wären wir auch gleich beim wunden Punkt: Jon war 16, als die ersten DISSECTION-Songs entstanden. Jetzt ist er 29 und scheint noch höhere Ziele zu haben, als die Kollegen. Anstatt die alte Black-/Death-Metal-Tour weiterzufahren, mutet es so an, als würde er sich auf seine Wurzeln in den späten 70er und frühen 80er Jahren zurückbesinnen, die bei Bands wie z.B. JUDAS PRIEST, VENOM, BLACK SABBATH, DIO oder RAINBOW liegen. Genau diese alten Vorlieben sind in 'Maha Kali' herauszuhören, dem Schocker schlechthin, wenn man den entsetzten Reaktionen bei den Fans und der Presse Glauben schenkt. Dabei ist der Song live so was von heavy und mitreißend, dass ich danach erst mal meinen Kopf wiederfinden muss. Zum Glück geht das ein paar anderen hier genauso und endlich hat auch Jon's Gibson wieder Saft, sodass das Solo in der Hymne an die indische Göttin des Chaos nicht im selbigen verloren geht sondern hell erstrahlt. Danach gestaltet sich das Konzert wesentlich lässiger, keine weiteren Probleme. Der Song aber, welcher konservative DISSECTION-Fans, Liebhaber kalter Farbtöne und gemeine Black Metaller rot anlaufen lässt, bleibt eine Ausnahme im Set. Denn danach geht es frostig mit dem 'Soulreaper' weiter. Zeit für eine Beobachtung der übrigen Band: Brice Leclercq macht besonders böse Mine zum guten Spiel. So wie Jesus auf Renaissance-Gemälden dargestellt ist, schaut er manchmal aus, wenn die meterlangen dunkelblonden Haare in wilden Strähnen über dem Gesicht liegen und die Augen fast unter'm Oberlied verschwinden. Völlig abwesend scheint auf der anderen Seite der Bühne Set seine V-Gitarre zu spielen. Sein Arm ist auf einmal von zahlreichen frischen Schnittwunden übersät, aus denen noch das Blut glänzend heraustritt. Er singt eifrig mit. Inzwischen kann er auch schon die meisten Gesangspart auswendig, jedenfalls verzieht er seinen Mund mindestens genauso schräg wie der Kopf der Band. Ob sich da eine Persönlichkeitsübertragung anbahnt? Oder ist das seine Methode völlig und ganz mit den alten Songs zu verschmelzen? Auf jeden Fall meint er es höllisch ernst, wenn er auf der Bühne steht. Ein Lächeln entgleitet ihm nie. Anders bei Jon: der freut sich immer wieder ehrlich, wenn er die Meute vor der Bühne zum Toben bringt. Auch heute gelingt es ihm. So viel Begeisterung ist hierzulande bei dem Überangebot an Konzerten nur noch selten zu erleben. Man könnte es auch mit den Amphetaminschüben erklären, die einem bei Songs wie 'Thorns Of Crimson Death' oder 'The Cold Winds Of Nowhere' durch die Adern jagen. Die Setlist ist ja inzwischen von den anderen Konzerten bekannt. Eine Neuerung gibt es aber an diesem Abend: 'Mistress Of Bleeding Sorrow'. Das kommt auch gut an, obwohl es nicht unbedingt zu den stärksten Songs von DISSECTION gehört. Komischerweise spielen sie heute gar keine Zugaben, sondern ziehen gleich das volle Programm durch mit 'A Land Forlorn' am Ende. Das sollte eigentlich ausreichen. Wer's noch braucht, kann sich hinterher am Merchstand eindecken. Dabei sollte die Musik doch alles sein. Da mutet es schon unverschämt an, dass man ausgerechnet in dieser Region 20 Euro Eintritt bezahlen soll. Bei einem etwas niedrigeren Eintrittspreis wäre der Hellraiser sicher ausverkauft gewesen. Die Investition in diesen Abend war es aber letztlich doch wert. Irgendwie kann man bei manchen Bands echt noch mal ein wahnsinnsgutes Gefühl mit nach Hause tragen. Das Fan-Zitat am Anfang kam nicht von ungefähr!

Redakteur:
Wiebke Rost

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