DRITTE WAHL - Dresden

09.06.2015 | 09:16

10.04.2015, Alter Schlachthof

'Wo ist mein Preis?' Ach nein, wo ist denn mein Schuh?

An einem lauen Freitagabend im April strömen die unterschiedlichsten Menschen in den Alten Schlachthof Dresden, um der Rostocker Band DRITTE WAHL einen Besuch abzustatten. Diese befindet sich gerade auf ihrer "Geblitzdingst"-Tour. Das Album "Geblitzdingst" ist Ende Januar erschienen und recht gut in die Charts eingestiegen. Für die Jungs ist es sogar die beste Platzierung in der Bandgeschichte. Ob damit jetzt der musikalische Mainstream eingesetzt hat wird also das Konzert zeigen - hoffentlich nicht.

Den Anfang macht aber erst einmal eine andere Band. Kurz nach 20 Uhr betreten die Jungs von COR die Bühne. Eine Mischung aus Punk und Hardcore servieren uns die Herrschaften von der Insel Rügen. Was die Band gesanglich und musikalisch nicht so drauf hat, das machen sie mit Sympathie und Charisma wieder wett. Und sie verbreitet gute Laune und macht Stimmung. Sind bei den ersten paar Songs noch wenige Gäste da, so füllt es sich danach doch recht schnell. Schon jetzt wird gepogt, was das Zeug hält. Neben 'Freunde des Wortes' und dem neuen 'Frei sein' erklingt auch 'Herztier'. Vor fast jedem Lied hat Frontmann Friedemann Hinz eine Botschaft an die Fans. Bei letzterem Stück geht es um die "Pegida"-Bewegung in Dresden. Der Sänger zeigt direkt seine linkspolitische Einstellung und wartet mit Zitaten von Rosa Luxemburg auf. Die Zuschauer bejubeln seine Aussagen und natürlich auch die Songs. Nach gut einer Stunde verabschiedet sich COR mit 'Am Meer' vom Publikum unter viel Applaus. Die lauten "Zugabe!"-Rufe werden nicht erhört und so startet die Umbaupause.

Als die Lichter ausgehen, bricht im großen Saal des Alten Schlachthofes in Dresden frenetischer Jubel aus. Die Lokalität ist sehr gut gefüllt. Weit mehr als tausend Besucher sind am Start und warten auf DRITTE WAHL. Als die Musiker auf die Bühne kommen, gibt es für das Publikum erst einmal einen Glitter-Regen. Kann man bei einem Punkkonzert machen, muss man aber nicht. Wie dem auch sei, die Jungs starten mit 'Geblitzdingst' in den Konzertabend. Das neue Stück wird recht gut beklatscht und es folgt 'Keine Angst'. In den vorderen Reihen fängt es langsam an zu rumoren, und so dauert es auch nicht lange, bis der erste Pogo gestartet wird. Der Sänger nimmt das sofort wohlwollend zur Kenntnis und spätestens jetzt müsste jeder wissen, dass das ein stimmungsvoller Abend wird. Ein paar Songs später gibt es mit 'Mainzer Straße' kein Halten mehr im Publikum. Während die Band dafür tosenden Beifall erhält, sucht ein Besucher verzweifelt seinen Schuh, den er wohl im Handgemenge verloren hat. Wer es also bis jetzt noch nicht begriffen hat, der weiß es nun: bei einem Konzert von DRITTE WAHL bedarf es keinerlei "Warmlaufzeit" der Fans.

Bevor 'Wo ist mein Preis?' erklingt, wird ein neues Bandmitglied vorgestellt. Dietmar, der bisherige Keyboarder wird von Holger abgelöst und kann sein Können gleich unter Beweis stellen: "Der Junge sieht nicht nur verdammt gut aus, er kann auch verdammt gut spielen", erklärt Frontmann Gunnar. Und in der Tat er hat bei beiden Dingen nicht gelogen. Wobei ersterer Fakt mehr den Damen auffällt. Bei 'Auge um Auge' kann sich im Anschluss jeder wieder so richtig austoben, bevor es mit 'Stillstehn' ruhig wird. Ja, auch das ist DRITTE WAHL. Ruhige und ernste Songs gehören ebenso ins Repertoire wie schweißtreibende Lieder. Und noch etwas fällt positiv ins Gewicht: Er ist neben dem bereits gespielten Stück 'Der Schatten' vom aktuellen Album. Also ist jetzt schon klar, dass das neue Album genügend Tiefgang besitzt und die anfänglich erwähnte Befürchtung nicht zutrifft. Und realistisch bleiben die Jungs ebenfalls. "Thomaner [Anm.: Leipziger Knabenchor] werden wohl nicht mehr aus uns", witzelt Gunnar bei 'Der Spiegel'. Damit hat er wohl auch recht. Aber wer von den Fans will denn das? Wohl keiner. Eben, und so singt das Publikum danach bei 'Greif ein' und 'Morgen schon weg' lieber lautstark mit, als sich über die Gesangstalente die Köpfe zu zerbrechen.

Nicht den Kopf zerbrechen muss sich Sascha, der zu 'Zeit bleib stehen' von der Band gegrüßt wird, da er an diesem Abend seinen Junggesellenabschied feiert und zu einer Saalrunde aufgefordert wird. Diesen Wunsch wird er zwar nicht gerecht, macht sich aber via crowdsurfen auf in Richtung Bühne. Er ist gut unterwegs, denn zum einen nimmt er den Weg jetzt öfters. Zum anderen hat er schon recht gut dem Alkohol zugesprochen, was bei ihm am nächsten Tag wohl einen schweren Kopf verursachen wird. Aber darüber macht sich jetzt keiner große Gedanken.

Eher darüber, dass bald Schluss ist, was aber keiner will, denn mit 'Fliegen' wird das reguläre Ende eingeläutet und mit einem erneuten Konfettiregen besiegelt. Dieser hält die Fans aber nicht davon, ab weiter zu singen. Und so hält der Drummer die Menge in der musikalischen Bahn, während sich die anderen drei auf die Reise begeben. Gunnar, Stefan und Holger lassen es sich nicht nehmen, einen Ausflug in die Menge zu machen, um von ihr auf Händen getragen zu werden. Nachdem sie alle wohlbehalten zurück sind, ist das Konzert zu Ende. Eigentlich, denn ein DRITTE-WAHL-Konzert ohne Zugabe wäre undenkbar.

Weil 'Fliegen' so schön ist, geht es damit gleich noch einmal weiter, inklusive eines grölenden Zuschauerchores. Keine Ahnung wie lange das die Menge von allein noch so weitermachen würde. Aber die Band unterbricht irgendwann "vorsichtig" das Ganze, um auf 'Schaum auf der Ostsee' hinzuweisen. Das ruhige und nachdenkliche 'Zu wahr um schön zu sein' bremst die Euphorie etwas aus und lässt innehalten. 'Sonne & Meer' beendet die Ruhe wieder, ehe 'Was weiß ich schon von der Liebe' den ersten Zugabe-Teil beschaulich ausklingen lässt.

Lange bleibt es aber nicht ruhig, denn schnell werden wieder die "Zugabe!"-Rufe laut. Sie werden auch erhört und ein letztes Mal für heute Abend greift die Band zu den Instrumenten. Das nachdenkliche, aber schnelle 'Und jetzt?' gibt den Startschuss zur letzten Runde. 'Auf der Flucht', DER Gedenksong an der verstorbenen Bassisten "Busch'n", darf natürlich nicht im Set fehlen. Eher selten spielt eine Band im Zugabeteil noch ein neues Stück. Die DRITTE WAHL tut es. 'Immer auf der Reise' kommt kurz vor Schluss richtig gut an. Mit 'Danke' erklingt der obligatorische Rausschmeißer. Die Fans machen noch einmal gut Stimmung, bevor sich die Jungs zu frenetischen Beifall verabschieden. Eigentlich weiß es jeder, dass das Konzert zu Ende ist, aber einige versuchen es doch noch mit "Zugabe!"-Rufen. Sie werden aber nicht erhört.

So begibt sich eine glückliche und schweißgebadete Menge nach dem gut zweistündigen Konzert langsam in Richtung Ausgang. "Die sind ja richtig groß geworden!", hört man des Öfteren. Und in der Tat, hier in Dresden waren sehr viele Gäste da. War das Konzert noch im kleineren Saal geplant, hat die Band jetzt die große Halle richtig gut gefüllt. Es dürfte zwar noch ein wenig Kapazität übrig gewesen sein, aber so war es völlig in Ordnung. Über die eingangs erwähnte Konfetti-Spielerei kann man sich sicher streiten, fest steht jedoch, dass die Jungs nach wie vor authentisch sind und sich nicht verbiegen lassen. Und das ist das Wichtigste! Erfolg sei jedem gegönnt, Hauptsache man bleibt, wie man ist. Und etwas anderes ist bei DRITTE WAHL schwer vorstellbar. Das Konzert hat gezeigt, dass das neue Album wunderbar in das musikalische Schaffen passt und der Erfolg der Platte gerechtfertigt ist. Es wurde sich beim neuen Album weder verbogen, noch wurden simple Melodien oder Texte kreiert, nur um eine breitere Masse anzusprechen. Mit diesem guten Gefühl kann der Heimweg angetreten und sich auf das nächste DRITTE WAHL-Konzert gefreut werden.

Setlist:
Geblitzdingst, Keine Angst, Der Schatten, Störung, Mainzer Straße, Wo ist mein Preis?, Auge um Auge, Stillstehn, Brot & Spiele, Der Spiegel, Greif ein, Morgen schon weg, Resolution der Kommunarden, Sirenen, Tobias, Halt mich fest, So wie ihr seid, Zeit bleib stehen!, F. D. S., Fliegen, Zugabe 1: Fliegen, Schaum auf der Ostsee, Zu wahr um schön zu sein, Sonne & Meer, Was weiß ich schon von der Liebe, Zugabe 2: Und jetzt?, Auf der Flucht, Schreie hinter Glas, Immer auf der Reise, Danke

Redakteur:
Swen Reuter

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