DR. LIVING DEAD und DUST BOLT - München

07.03.2014 | 12:56

25.12.2013, Backstage

Tourauftakt von DR. LIVING DEAD und DUST BOLT im Herzen der bayrischen Hauptstadt!

Erster Weihnachtsfeiertag, Tourauftakt von DR. LIVING DEAD und DUST BOLT. Ohne zu zögern und mit süffisantem Grinsen bewaffnet tausche ich also eine medial inszenierte Familienidylle, erzwungene Christbaumromantik und in Staniolpapier verpackten Weihnachtsplunder gegen die modrige, aber doch so heimische Luft des gut gefüllten Münchner Backstages. Das Konzertfieber ist mir dann halt doch vertrauter, ja sogar lieber als der über Jahrzehnte indoktrinierte und "alle Jahre wieder" erzwungen praktizierte Weihnachtswahnsinn. Der kleine Club im Herzen von Bayerns Hauptstadt ist gut gefüllt und man kennt sich untereinander. Über die Jahre hinweg kristallisierte sich doch ein kleiner Kern von hartgesottenen, unermüdlichen Konzertbesuchern und Die-Hard-Fans heraus, die sich gefühlt auf jedem Gig die Seele aus dem Leib bangen. Die fast magische Atmosphäre des gestrigen Abends nötigt mich aber zugleich zum Innehalten, Nachdenken und Reflektieren. Um es vorweg zu  nehmen, DR. LIVING DEAD bot eine Show, die mit allen Wassern der freien Künste gewaschen war und beantwortet mir zugleich die Frage aller Fragen, die sich im Laufe der Jahre wohl jedem Heavy-Metal-Herz stellt: Ist es das alles wert? Warum sich die Haare nicht abschneiden lassen, obwohl es vielleicht ratsam wäre? Wozu steigen manche für Konzertbesuche in den Ring und scheuen keine Konflikte dafür? Warum nehmen Leute mit überschaubarem musikalischen Talent Woche für Woche ihre Instrumente in die Hand, nur um Krach zu machen? Und weshalb steigt man immer wieder ins Auto und fährt drei oder gar vier Stunden durch die Gegend, nur um eine Band sehen zu dürfen? Die Antworten darauf sind sicher subjektiv und ganz bestimmt vielschichtig, aber trotzdem – heruntergebrochen – relativ simpel: Wegen des kalten Schauers, der einem bei 100 Watt EL-34-Röhrenpower über den Rücken läuft, den Schmetterlingen im Bauch, ausgelöst vom Basswummern unter 100Hz, und wegen des Muskelkaters in der Nackengegend, für den die krachende Snare verantwortlich ist. Ganz einfach, wegen des Grinsens nach einem Konzert, das wohl mit postkoitalen Endorphinausschüttungen vergleichbar ist. Spätestens jetzt sollte jedem Leser klar sein, dass DR. LIVING DEAD am hart angefochtenen Treppchen meiner "All-Time-Live-Faves" kratzt und wohl eines meiner Highlights anno 2013 sein wird.

Doch lassen wir die einzelnen Stationen des Abends Revue passieren. Die Abensberger Thrasher von ANTIPEEWEE dürfen heute die Tour supporten und eröffnen die Show mit einer Hommage an den Bay-Area-Thrash der alten Tage. Aber was ist das? "Frauen runter von der Bühne, rein in die Küche" zischt ein etwas angetrunkener Zeitgenosse neben mir und seine "gut gebaute" Gefährtin murmelt noch etwas wie "wenigstens singt sie nicht" in ihren leicht sichtbaren Damenbart. Leider waren dies nur jene Sprüche, die nicht unter die Gürtellinie gingen – liebe Fans, das ist zum Kotzen! Ich bin der Letzte, der Heavy Metal zur akademischen Disziplin über korrektes Gendering machen möchte und für mich ist der Konzertboden sicher auch nicht das richtige Medium für eine Grundsatzdebatte über die Ideale von Simone de Beauvoir, aber Sexismus hat im Heavy Metal schlicht und ergreifend nichts verloren. R.J. Dio prägte eine Perspektive auf Heavy Metal, die nach wie vor von meinem eigenen Zugang zum Phänomen nicht wegzudenken ist. "Heavy Metal is such a wonderful, free thing" (R.J. Dio) sprach er am Beginn der 80er, und genau das wird aber durch stupide Chauvisprüche, ignorantem Überlegenheitsdenken, Ausgrenzungsparolen und Fandilettantismus empfindlich angetastet. Über die Rolle von Frauen im Heavy Metal sollten sich jene Herrschaften neben mir (to whom it may concern) bei Mrs. Bench oder Frau Classen erkundigen. Jedenfalls macht ANTIPEEWEE heute vieles richtig. Trotz leicht verwaschenem, etwas basslastigem Sound, der im kleinen Backstage nicht vermeidbar ist, und einem Anflug von Nervosität, der die Band eigentlich sympathisch macht, transportieren die fünf Abensberger ihre Spielfreude auf das Publikum. Die Reihen vor der Bühne füllen sich langsam und die ersten Fans beginnen mit den Aufwärmübungen ihrer Nackenmuskulatur. Songs wie 'Pleasure Of Flesh' offenbaren die jungen Nachwuchs-Thrasher als EXODUS-Jünger, aber auch TESTAMENT-Anleihen sind im Solo von 'Waste of Mankind' (?) nicht zu verkennen. Natürlich lässt der Fünfer auch alte METALLICA aufleben wie bei 'Cool Guy Chthulu'. Thrash, der rumpelt, eben Rumpelthrash! Deshalb folgen auch die standesgemäßen Aufrufe zum Boykott der Medienkultur und zum hemmungslosen Konsum von Alkohol, die ich mit meinen Hardline-Idealen und meiner Straight-Edge-Attitüde nie so richtig vereinbaren konnte. Trotzdem ist die Show ganz cool und die junge Band wird ihrer Rolle als Opener mehr als gerecht.

Die Uhr schlägt Punkt Neun, als DUST BOLT die Bühne betritt. Auf die Jungs bin ich besonders gespannt, da ich zum Einen noch nicht in das Vergnügen gekommen bin und zum Anderen der lokale Untergrund mit Gerüchten über DUST BOLT nahezu überflutet ist. Gerüchte über Pay-On-Gigs und Nepotismus sind wahrscheinlich die Kehrseite des Erfolgs in der Schwellenzone des Untergrunds. Wer mich kennt, weiß, dass ich in vielen Bereichen Idealist bin und mir Pay-Ons zuwider sind, aber vielleicht entstehen solche Gerüchte tatsächlich nur, weil manche Bands technisch einfach besser sind als andere. Neid als Katalysator für üble Nachrede. Jedenfalls bringt mich die Bühnenpräsenz der Bayern soweit, meine Vorurteile zu überdenken. DUST BOLT ist meines Erachtens eine Band, die aus musikalischer Perspektive betrachtet unwahrscheinlich viel Potential besitzt. Sicher sind die Zeiten, um mit Thrash-Metal richtig groß zu werden, längst abgefahren, aber DUST BOLT könnte es mit einem Quäntchen Glück dennoch schaffen, sich einen bleibenden Namen zu machen. Energiegeladen geht die Show jedenfalls los und DUST BOLT thrasht mit der Brechstange. Die Jungs entern die puristisch dekorierte Bühne (für mich ist ein SM 57 vor einer 4x12er Box einfach Deko genug) und der Vierer lässt die Köpfe wuchtvoll kreisen. Unzählige Büschel überlanger Haarknäuel beugen sich im Takt der Snare den Gesetzen der Schwerkraft und fliegen kreuz und quer über die Bühne. Darüber, ob das Acting einstudiert wirkt oder nicht, lässt sich sicherlich streiten, aber die Jungs vermögen es, das Publikum zu animieren. Dabei dann auch noch präzisen und technisch anspruchsvollen Thrash geradezu zu zelebrieren, verdient beachtlichen Respekt. Mit einem neuen Album bewaffnet, dessen Release noch auf sich warten lässt, und mit einer Best-Of-Setlist ihrer LP "Violent Demolition" (2012) und der 2010er EP "Chaos Posession" heizen die Lokalmatadore dem Münchner Untergrund richtig ein. Gleich der erste Song des Sets, 'Violent Abolition', zieht das Publikum in seinen Bann. Selbst ein kleiner Circle erschüttert den Boden der kleinen, aber gemütlichen Halle. Kein Wunder, denn Songs wie 'Pleasure On Illusion' und 'Toxic Attack' demonstrieren eindrucksvoll die Livequalität der Band. 'Children Of Violence' von der EP darf mit seinem fast schon poserrockartigem Refrain natürlich auch nicht fehlen. Selbst zwei neue Songs, deren Namen ich dem Soundgewitter der Ansagen nicht entnehmen habe können, werden angestimmt. Das neue Material macht definitiv Lust auf mehr und entlässt die Fans voller Spannung ins neue Jahr!

Wer mich kennt, weiß, dass ich wohl einer der größten SUICIDAL TENDENCIES-Fans überhaupt bin. Wenn ich mich vom Death Metal losreiße, dann landet meist eine der ersten Scheiben der Truppe aus Venice Beach, L.A., auf dem Plattenteller. Von daher begegnete ich DR. LIVING DEAD in der Vergangenheit immer mit etwas Skepsis. Zu sehr wurden die Schweden doch als SUICIDAL-Klone und Kopisten verschrien. Mike Muir kopieren, das geht ja wohl gar nicht! Trotzdem hab ich mir natürlich ihre beiden Alben, "Dr. Living Dead!" (2011) und "Radioactive Intervention" (2012), gekauft und schon das erste Hörvergnügen stimmte mein kritisches Gemüt etwas um.

Live haben sie mir in der diesjährigen Festivalsaison sogar ein leichtes Schmunzeln auf die Lippen zaubern können, da das überzogene Gepose und das übertriebene Outfit die Band mehr als ein Tribut an SUICIDAL TENDENCIES als ein Abklatsch outete. Zudem bot mir die Hallensaison 2013 sogar die Gelegenheit, DR. LIVING DEAD direkt an Mike Muir & Co. zu messen. Unter uns gesagt brauchen sich die vier Schweden vor den amerikanischen Urgesteinen nicht zu verstecken. Sicherlich ist ein direkter Vergleich mehr als unfair, da Alben wie "Suicidal Tendencies", "Join The Army" & Co. eine ganz andere Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte durchlaufen haben als das schwedische Exportprodukt, aber was die Livepräsenz betrifft bewegen sich beide Bands auf Augenhöhe. Die Bühnenshow der Jungs ist unbeschreiblich dynamisch. Dr. Rads Slamwalk und die Spins von Dr. Toxic pushen das Publikum, das von Anfang an außer Rand und Band ist, extrem nach vorne. Dazu tritt das Gepose von Dr. Mania, der die Rolle von Dr. Ape ohne Einschränkungen wahrnimmt. Seine enorme Bühnenpräsenz macht sogar die fehlenden oder nur spärlichen Ansagen wett. Schon die ersten beiden Songs, 'Radioactive Intervention' und 'You’re Lost', beide von der "Radioactive Intervention", werden vom Publikum mit einem ordentlichen Pit quittiert. Auch auf 'Gremlins Night' vom ersten Album reagiert das Publikum nicht minder heftig. Gleich darauf folgt mit 'Sings From The Other Side' ein weiterer Track von der "Radioactive Intervention". Schon jetzt erschließt sich für mich, dass der Gig den Unterhaltungswert betreffend definitiv mit zu den Top 5 meiner Liveerlebnisse 2013 gehören wird. Die Show ist voll nach meinem Geschmack. Schon allein die Bühnendeko, die nur aus Umzugskartons mit getagten Strahlenwarnzeichen besteht, lässt mein Puristenherz höher schlagen. Nach etwa zwei Drittel der Spielzeit landen diese nach und nach im Pit und werden sprichwörtlich mit Füßen getreten. Nieder mit der Bühnenshow! Wenig Licht, keine großen Aufbauten, dafür aber ein räudiger Sound. Mehr ist für Heavy Metal nicht von Nöten.

Nein, auch musikalisch sind DR. LIVING DEAD alles andere als ein bloßer Abklatsch nach dem Motto "SUICIDAL ohne Funk". Der Stockholmer Vierer ist wesentlich härter und direkter als die Jungs aus L.A.. Hart und direkt sind auch genau die passenden Worte, um auch ihren Sound zu beschreiben. Der Mischer lässt Bass und Gitarre ziemlich roh durch die PA laufen und auch das Drum hat einen äußerst natürlichen Touch. Dr. Dawn hat einfach nur einen lebendigen Groove, den er bei 'Dead End Life' und dem drauffolgenden 'My Brain Is For Sale' eindrucksvoll zu Wort kommen lässt – beide Nummern sind übrigens auch auf Platte absolute Anspieltipps. Mich hat ja ehrlich gesagt schon Thomas Dauns (alias Dr. Dawn) Drumming auf der letzten DISMEMBER-Scheibe überzeugen können. Bei DR. LIVING DEAD groovt er aber nicht weniger gut. Natürlich sind auch Highlights wie 'World War Nine' und 'Revenge On John' im Set enthalten und auch 'UFO Attack', das als Zugabe kommt, darf natürlich nicht fehlen. Wenn mich eine Show dazu bringt, meine müden Knochen in den Pit zu werfen, ist das eigentlich schon ein Qualitätsurteil! Nein, im Ernst! DR. LIVING DEAD in der Halle ist für mich die Überraschung 2013 gewesen!

Redakteur:
Michael Sommer

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