Deep Purple - München

30.12.2000 | 13:22

31.10.2000, Olympiahalle

Es ist ja in den letzten Jahren zunehmend in Mode gekommen, daß -ohne jede Wertung gesprochen- die unterschiedlichsten Bands aus dem Rock-Bereich ihre Alben unter Zuhilfename klassischer Musiker aufpeppen respektive altes Material zusammen mit einem Orchester in neuem Glanz erstrahlen lassen. Müssig, sich an dieser Stelle in Beispielen für wirklich gelungene oder weniger geglückte Unternehmungen dieser Art zu ergehen. Zumal die betreffenden Gruppen ja nun hinlänglich bekannt sind. Den allerersten Versuch allerdings, harten Rock mit Klassik zu verschmelzen, hat DEEP PURPLE-Tastenmann Jon Lord bereits Ende der Sechziger Jahre mit seinem \"Concerto For Group And Orchestra\" unternommen und dieses kann nach wie vor als uneingeschränktes Lehrbeispiel für derartige künstlerische Ambitionen herangezogen werden. Da ist es doch nur recht und billig, daß DEEP PURPLE allen \"Nachahmern\" einmal mehr zeigen, wo der wahre Hammer hängt. Zu diesem Behufe begaben sich die Herren Lord, Paice, Glover, Gillan und Morse mit dem Rumänischen Philharmonieorchester auf eine ausgedehnte Welttour, die sie am 31.10.00 nach München führte.

Ich muß gestehen, daß es mir zunächst ein wenig mulmig wurde, als Jon Lord zu Beginn des Konzertes mutterseelenalleine auf die Bühne spazierte und nach einigen kurzen Erläuterungen am Konzertflügel Platz nahm, um zusammen mit dem Orchester eine arg ruhige Nummer aus seinem Soloschaffen zu interpretieren. Den Gesangspart übernahm dabei Miller Anderson, der im Laufe seiner langen Karriere u.A. schon mit solchen Größen wie Spencer Davis oder Pete York, selbstverständlich aber auch mit Lord selber gearbeitet hat. Neben Anderson mit seinem kernigen Organ wussten auch drei am Bühnerand plazierte junge Damen (später scherzhaft als \"Backstreet Girls\" tituliert) mit voluminösen Backing Vocals zu gefallen und beeindruckten auch im weiteren Verlauf des Abends immer wieder mit ihrem vorzüglichen Gesang.

Nach diesem sehr verhaltenen Einstieg allerdings erklommen ohne größere Umschweife Lords Mitmusiker die Bühne, um mit \"Sitting In A Dream\" und \"Love Is All\" zwei Songs aus Roger Glovers `74er Soloalbum \"The Butterfly Ball\" zu intonieren, ebenfalls unterstützt vom Orchester. Miller Anderson wiederum griff nun zur zweiten Gitarre und gesellte sich -wie auch im weiteren Verlauf der Show immer wieder- zu den inbrünstig trällernden Mädels im Hintergrund; die Lead Vocals hingegen übernahm kein Geringerer als Ronnie James Dio (DIO, Ex-RAINBOW, Ex-BLACK SABBATH), der die beiden Songs bereits auf der angesprochenen Soloscheibe interpertiert hatte. Bereits an dieser Stelle wurde auch für meine in Sachen Klassik nur mässig geschulten Ohren die Klasse des rumänischen Orchesters offenkundig.
Und weil Meister Dio nun schon mal da war -und sich, ganz nebenbei bemerkt, stimmlich in guter Verfassung präsentierte- gab es mit \"Fever Dream\" von dessen aktuellem \"Magica\"-Output und dem Klassiker \"Rainbow In The Dark\" gleich noch zwei Nummern aus seinem eigenen Schaffen zu hören, vorgetragen allerdings \"nur\" von DEEP PURPLE.
Nachdem man mit den ersten 5 Songs den Spannungsbogen von der getragenen Eröffnung bis zum fetzigen \"Rainbow In The Dark\" wunderbar gestaltet hatte, folgte nun eine Kurzversion von \"Wring That Neck\", bei der anstelle von Steve Morse die dreiköpfige Bläsersektion \"Kick Horns\" zum Einsatz kam und Ian Paice mit unvergleichlich lockeren Grooves bewies, daß er nach wie vor zur Creme de la Creme der Rockschlagzeuger gehört.

In gewisser Weise kann man dies als Abschluß der ersten Konzertphase werten, denn nun betrat unter dem Jubel der Anwesenden Ian Gillan die Bühne in der leider nur ca. zur Hälfte gefüllten Olympiahalle und zockte mit der Band \"Fools\", bevor PURPLE dann zusammen mit dem Orchester eine schlichtweg überwältigende Version des bluesigen Klassikers \"When A Blind Man Cries\" darboten, veredelt vom genialen Gitarrenspiel eines Steve Morse, der insbesondere beim getragenen Anfangspart brillierte.
Es folgte \"Ted The Mechanic\", ehe Morse mit Unterstützung des Orchester ein ausgedehntes Solo unter dem Titel \"The Well-Dressed Ghoul\" zum Besten gab, das er interessanterweise am selben Tag auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel geschrieben hatte. Frontmann Ian Gillan widmete dieses scherzhaft dem Gepäckmeister auf dem Flughafen München, mit dem die Band offensichtlich gewisse Differenzen gehabt hatte.
Überhaupt, der Grandseigneur des Hard Rock präsentierte sich in bestechender Form, flirtete in seiner unvergleichlichen Art mit dem Publikum, scherzte, kokettierte, schmeichelte. Und sang so ganz nebenbei so gut wie schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr; selbst seine spitzen Schreie bekam der Meister durch die Bank gut hin.
Danach erfreuten die Herren das Publikum noch mit \"Pictures Of Home\" (mit wunderbarer Orchester-Ouvertüre) und \"Sometimes I Feel Like Screaming\" und schon war auch der zweite Teil des Auftrittes abgeschlossen.

Jetzt endlich war es soweit, das erste und nach wie vor unbestritten gelungenste \"Rock-meets-Klassik\"-Oeuvre wurde zum Besten gegeben: gute 55 Minuten lang steigerten sich die Philharmoniker und die ohnehin bestens aufgelegte Band bei \"Concerto For Group And Orchestra\" in einen wahren Spielrausch hinein, der bei sämtlichen Anwesenden einen ungläubigen Gesichtsausdruck bzw. zwischen den einzelnen Aufzügen frenetischen Beifall hervorrief. Überflüssig, das Werk per se näher zu kommentieren; allein, es hat geherrscht!
Wie ein Mann sprang die vornehme Gesellschaft im durchweg bestuhlten Innenraum am Ende dieser wahren Demonstration auf, um allen Beteiligten mit stehenden Ovationen zu huldigen. Und als Jon Lord nach einer kleinen Variation des \"In München Steht Ein Hofbräuhaus\"-Themas die bombastischen Orgelklänge von \"Perfect Strangers\" ertönen liess, stürmten doch tatsächlich Tausende von Konzertbesuchern vor die Bühne und sorgten damit endlich auch für richtige Rockkonzertatmosphäre, während sich Euer ergebener Berichterstatter bei der göttlichen Version dieses ohnehin majestätischen Stückes auf seinem Sitzplatz im Pressebereich die Nackenmuskulatur blutig bangte.

Es folgte, was einfach folgen mußte: Gitarrero Steve Morse spielte kurz mit ein paar berühmten Rockthemen herum und leitete dann in das bekannteste Gitarrenriff seit der Französischen Revolution über. Unter Einsatz aller Beteiligten, also Band, Orchester, Sängerinnen, Bläser sowie der Gastsänger Anderson und Dio wurde eine einzigartige Version von \"Smoke On The Water\" in das Auditorium geblasen und die kochende Stimmung liess die altehrwürdige Olympiahalle beinahe in den Grundfesten erzittern. Schwer vorstellbar, daß so etwas bei den Konzerten in den Tagen zuvor (BRITNEY SPEARS und PUR) ebenfalls möglich gewesen sein könnte.

Als dann die Philharmoniker und die weiteren Gastmusikanten die Bühne verlassen hatten, kehrten DEEP PURPLE noch einmal zurück, um diesen mehr als gelungenen Abend mit \"Black Night\" und einem furiosen \"Highway Star\" würdig abzuschließen.

Bleibt zu sagen, daß ungeachtet überwiegend auf Uralt-Material aufgebauten Setlist dieser knapp dreistündige Konzertabend einer der aussergewöhnlichsten, ja denkwürdigsten war, die meiner einer in seiner langen Karriere als Musikfan jemals geniessen durfte. Daß DEEP PURPLE nach wie vor eine der genialsten Truppen des Erdballs sind. Und daß dieses einmalige hapening anstatt einer spärlich gefüllten Olympiahalle eher ein rappelvolles Olympiastadion verdient gehabt hätte (wobei dieser Vergleich natürlich rein theoretischer Natur ist).
Holy shit, was für ein Erlebnis!

Setlist: ?; Sitting In A Dream; Love Is All; Fever Dream; Rainbow In The Dark; Wring That Neck; Fools; When A Blind Man Cries; Ted The Mechanic; The Well-Dressed Ghoul; Pictures Of Home; Sometimes I Feel Like Screaming; Concerto For Group And Orchestra; Perfect Strangers; Smoke On The Water; Black Night; Highway Star

Redakteur:
Rainer Raithel

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