Desertfest Berlin - Berlin

29.07.2012 | 23:34

20.04.2012, Astra

Ver-Wüstung der Hauptstadt: Das Desertfest fegt durch Berlin

Die Berlin heimsuchende Triade des tiefergelegten Wüstenrocks und sphärischen Schwurbelgeknatters bietet ein willkommenes Ziel für die staubhungrigen Pilgerer, die das Astra (bzw. zum Warm-up-Abend den Festsaal Kreuzberg) in großer Zahl in Beschlag nehmen. Vom Wochenend-Studentenrocker bis zum eingefleischten Alt-Hippie findet sich am Freitagabend ein buntgemischter Haufen auf dem weitläufigen Gelände am Astra ein, um ihren nach Musik gierenden Schallorganen mal ordentlich einheizen zu lassen. Und nicht nur diese werden in Dauererregungszustand versetzt, beim TRUCKFIGHTERS-Film "Fuzzomentary" sowie "Black Mass Rising" bekommt man auch was auf die Augen. Im Angesicht der zünftigen, schweißtreibenden Bretter verleihen die von der Decke baumelnden Lüster dem Festsaal eine eigenwillige Atmosphäre. Um Umbaupausen zu verknappen, wurden zwei Bühnen ins Astra gezimmert, eine im großen Saal und eine im Raum davor, gegenüber vom Tresen. Der Wechsel klappt ganz gut, auch wenn speziell für die TRUCKFIGHTERS ob der Publikumsresonanz und dessen ausgelassener Wildheit der Saal die richtige Wahl gewesen wäre, denn so werden auch unbeteiligte Zuschauer unfreiwillig in das Gedränge reingezogen. Der insgesamt stimmungsvollen und ausgelassenen Atmosphäre tut dies allerdings keinen Abbruch.

Nachdem die wunderbaren norwegischen Stoner-Blues-Rocker LONELY KAMEL krankheitsbedingt leider kurzfristig absagen mussten, ist es an GLOWSUN, mit einer überzeugenden Darbietung dafür zu entschädigen. Mit einem perfekten Mix aus kraftvollem Riffing und atmosphärischen Verschnaufpausen sind die Franzosen auf jeden Fall ein frühes Highlight des Stoner-Rock-Tages auf dem Desertfest. Schön anzuschauen auch, wie der Zappelphilipp an der Sechssaitigen im wilden Reigen seine dicken Riffs rausprügelt. Die sind sowieso das Aushängeschild – druckvoll, groovy und furztrocken wummern die Rifforkane aus den Boxen. Da ist man tatsächlich schnell bei den TRUCKFIGHTERS, wenn man sich überlegt, welche Wüstenrock-Kapelle das mit ähnlicher Intensität auf die Bretter zaubert. Wobei GLOWSUN viel mehr ruhige, verfrickelte und psychedelische Passagen untermischen als die Kollegen aus Schweden. Anyway, so früh am Abend schon so ein dickes Brett serviert zu bekommen, ist jedenfalls ein gutes Rezept. Da läuft der Motor gleich auf Hochtouren.

Etwas verrückter, aber nicht minder mitreißend wird es bei TRIGGERFINGER. Schon optisch ein echter Hingucker. Die Bass-Glatze mit fetter Pornobrille und der angegraute Sänger im schnieken Anzug mit Krawatte, da stellt man automatisch erwartungsfroh die Ohren auf. So eigentümlich bejackt bieten die gut gelaunten Drei eine abgefahrene, wilde und stimmungsvolle Show, in die sie sich mit zunehmender Dauer immer weiter hineinsteigern. Die Belgier würzen ihren straighten Rock mit allerlei psychedelischen bis rockabilliesken Einsprengseln – das läuft sehr gut rein, von der ein oder anderen Länge mal abgesehen. Dennoch merkt man, es hier mit exzellenten Musikern zu tun zu haben, die zwischendurch auch mal die Sau rauslassen, aber vor allem einen kunterbunten Stilmix bieten, der jenseits von 08/15 durch die Heide pflügt und ein freudiges Grinsen in die Fratze zaubert. Beim finalen Gassenhauer 'Let It Ride' sowieso – mitreißender Schweinerock vom Feinsten und perfekte Festival-Tanzmucke.

Der psychedelische Stoner Rock von MARS RED SKY geht dann zwar deutlich in eine andere Richtung, aber auch hier konnten die Organisatoren des Desertfest ein momentan recht hell leuchtendes Licht am Staub- und Schwurbelrock-Himmel einsammeln. Während sich die Franzosen gerne erst mal ausgiebig ihren instrumentalen, sphärisch und verspielt vor sich gniedelnden Passagen widmen, bei denen man schwelgerisch beseelt mitträumen kann, entlädt sich das Ganze schließlich doch in erdigen, donnernden Riffwänden voller Groove, wie sie bei Stoner-Liebhabern ein wohliges Prickeln im (Bier-)Bauch auslösen. Ja, der Spagat zwischen Psychedelic und Stoner tendiert eindeutig in Richtung ersteres und erreicht mühelos die Großartigkeitsgrenze, auch wenn man sicher noch die ein oder andere Energiereserve für später aufsparen kann. Doch das macht die Musik beileibe nicht schlechter und nicht nur der MARS RED SKY-Sänger macht den Eindruck, sich beim Spielen der Songs total in die Musik vertieft zu haben und "mitzufliegen". Wenn man sich darauf einlässt und mitschwebt, ein richtig tolles Erlebnis.

Danach ist Zeit für die richtig großen Namen des Tages. Zunächst AMPLIFIER, bei denen wohl mancher befürchtete, sie könnten etwas deplatziert sein. Sind sie aber nicht und das Publikumsinteresse ist angesichts der sonstigen stilistischen Ausrichtung des Festivals wirklich beachtlich, auch wenn der Funke nicht unbegrenzt überspringt. Dabei sind die progressiven Alternative Rocker mit spektakulärer Lightshow und einem ziemlich guten Sound am Start. Die härteren Parts türmen sich zudem sehr druckvoll, erhaben und britisch stilvoll auf. Aber insgesamt ist es eher ein Auftritt zum Zuschauen und Bestaunen der musikalischen Klasse der Band und der perfekt ausgearbeiteten Nummern. Zweifellos ein Genuss, allerdings nicht in dem Sinne, dass man euphorisch auf und nieder hüpfen müsste. Am knackigsten und treffsichersten ins Ziel schleudern die Engländer dann doch ihre neueren Nummern wie 'Interglacial Spell', 'Fall Of The Empire' und 'The Wave' von der "Octopus"-Scheibe – ein tolles, ambitioniertes und innovatives Album, das die Einzigartigkeit der Band unterstreicht. Kopfhörermusik, die sich bei konzentriertem Zuhören voll entfaltet und live ein ähnliches Gefühl beschert. Man muss einige Aufmerksamkeit aufbringen und so stehen die Leute dann auch fast ausschließlich entspannt da und genießen so das eingängige Hörerleben. Bei den großartigen Songs, die AMPLIFIER auf ihren bisherigen drei Alben unter's Volk gebracht haben, gibt es da allerdings auch genügend Futter für eindrucksvolle Momente. Insgesamt hätte der Auftritt trotz allem etwas aufbrausender oder vielleicht einfach ein bisschen ruppiger sein können. Das hat aber vermutlich auch viel mit der Erwartungshaltung an ein Festival zu tun, auf dem  furztrockener Wüstenrock zum Moshen und spaciger Psychedelic Rock zum Davonschweben einlädt. Immerhin, vielen Leuten scheinen AMPLIFIER dennoch richtig gut gefallen zu haben.

Ohrenbetäubend und in unnachahmlicher Weise wuchtig gehen die TRUCKFIGHTERS zu Werke. Und nicht nur in punkto Krachigkeit und Brachialität, sondern auch in Sachen Publikumsresonanz ist das hier das Nonplusultra. Da rächt es sich, dass man die TRUCKFIGHTERS in den Vorraum stopft, denn vor allem zu Beginn des Gigs sind das Gedränge und die Enge enorm. Da sich direkt gegenüber der Bühne der Haupt-Biertresen im Inneren befindet, kommen sich enthusiastische Mitrocker und lässig am Tresen Lehnende vereinzelt in die Quere. Das ist ein klarer Minuspunkt, während die Schweden musikalisch wie gewohnt nichts anbrennen lassen. Kein Wunder, bei derart mitreißendem Fuzz Rock, der quer durch die Wüste so viele Leute anspricht, dass das Ganze fast Richtung Mainstream tendiert. Hervorzuheben sind die gnadenlose Intensität, mit der das nordische Trio seine bekannten Nummern rausknallt und natürlich der Begeisterungssturm, der sich erhebt. Das "Abgehen" vor allem in den ersten Reihen muss sogar durch eine "please don't push to much"-Ansage gezügelt werden. Und die Band lässt sich anstecken, unbändiger Bewegungsdrang inklusive. Trotz allerlei Posing (z.B. auf dem Rücken gespielte Klampfe) wirkt die TRUCKFIGHTERS-Liveshow noch immer authentisch, wahrscheinlich weil sie schlicht und einfach coole Rampensäue sind. Da kann man nur die Matte schütteln und toben. Bei aller schweißtreibenden Raserei darf natürlich die musikalische Klasse der Schweden um Herrn Cedermalm in punkto Eingängigkeit und Wirkung nicht vergessen werden. El número uno del fiesta desierto.

Dagegen wirken MOTORPSYCHO recht sperrig. Sie haben trotz psychedelischer Klangwelten durchaus Druck in den Backen, dennoch ist mir das Gebotene einen Tick zu progressiv und anstrengend. Das soll sicher genau so sein, aber live haut mich das Ganze nicht vom Hocker. Da kommt das straighte Element leider etwas zu kurz, die vertrackten und verspielten Nummern kann man sich auf Platte dann doch ein bisschen besser anhören. Direkt nach dem leckeren Schwedenbecher mit Sahne wirken MOTORPSYCHO etwas ziellos und zu kantig. Obwohl die Norweger ein breites Spektrum abdecken, zünden die Songs nur mäßig und man schaut sich das verworrene Treiben etwas distanziert an. Mag sein, dass es am Mitwirken von Ståle Storløkken liegt, seines Zeichens im Jazz beheimateter Keyboarder, denn obwohl das aus der Zusammenarbeit entsprungene Album ein unkonventionelles und originelles Stück Musik ist, liegt mir hier in der Live-Situation zu sehr der Fokus darauf. So richtig griffig kommt das Ganze nämlich nicht rüber. Vielleicht ist es zu später Stunde einfach etwas viel, zu viel Wirres und Komplexes, um noch richtig folgen und mitgehen zu können. Da sehnt man sich dann doch nach etwas mehr Gradlinigkeit. Wie gesagt, auf Platte entfaltet sich das Ganze deutlich besser, hier kommen die psychedelisch-experimentellen Klänge nicht so richtig zur Geltung.

Zum krönenden Abschluss geht es dann noch mal richtig heiß her. Auch wenn zu fortgeschrittener Stunde die Energie und Aufmerksamkeit langsam nachlassen, bleibt der Gig von GRANDLOOM doch als würdiges Finale des rundum überzeugenden Tages in Erinnerung. Und nach dem schwierig zu folgenden klanglichen Erguss von MOTORPSYCHO gibt's ein erfrischend direktes Gepolter. GRANDLOOM wechseln dabei geschickt zwischen gaaanz tief im Wüstensand steckenden SloMo-Gebratze, melodiös-wabernden Einschüben und treibender Dynamik. Den Kollegen von GLOWSUN damit nicht ganz unähnlich, webt man schön psychedelische Teppiche in die kraftstrotzenden Stoner-Rock-Keulen. Im direkten Vergleich gestalten die Franzosen das zwar etwas spannender als die Cottbuser Beinahe-Lokalmatadore, denn GRANDLOOM kommen auf Dauer doch ein bisschen zu gleichförmig daher, aber das fällt kaum ins Gewicht, denn die Mischung zwischen energetisch und atmosphärisch und vor allem die Spielfreude der Band stimmen. Wer jetzt noch stehen kann, wiegt das Haar gerne noch einmal mit Inbrunst im Takt.

Fazit: Die Veranstalter beweisen ein gutes Händchen und treffsicheres Gespür, indem sie neben Publikumsmagneten auch wunderbare Bands wie MARS RED SKY und TRIGGERFINGER an Land ziehen, die man nicht permanent an jeder Ecke sehen kann. Die Atmosphäre ist entspannt und angenehm. Das Warten in der Schlange am Bratwurststand bietet reichlich Zeit für einen ausführlichen fachlichen Diskurs. Ein Hoch auch auf die Klappsessel im Ruhebereich, in denen man wunderbar regenerieren und das Erlebte kurz sacken lassen kann. Auch die nette Toilettendame mit Engelsgeduld ist eine extra Erwähnung wert - weißbekittelt ist sie auch in den frühen Morgenstunden noch zu Scherzen aufgelegt. Ein weiterer Beleg für die gelöste, lockere Stimmung. Es kann kein Zweifel daran bestehen: Die Wüste lebt, egal wo.

Redakteur:
Stephan Voigtländer

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