Die Apokalyptischen Reiter - Berlin

07.09.2006 | 16:22

06.09.2006, Kesselhaus

Seit zehn Jahren setzen sich DIE APOKALYPTISCHEN REITER konsequent zwischen alle Stühle und beweisen mit ihren aktuellen Album "Riders On The Storm", dass man auch als verrückte Spaßkapelle auf Platz 31 (Glückwunsch!) der deutschen Album-Charts einsteigen kann. Doch so unberechenbar die Weimarer auf CD immer waren, so scheint sich live inzwischen eine gewisse Routine eingespielt zu haben, die mir ein wenig Sorgen macht. Routine? Okay, vielleicht doch ein etwas zu hartes Wort. Aber zumindest sind REITER-Konzerte im Berliner Raum von drei verschiedenen Konstanten geprägt.

Konstante Nummer eins: Die erste Vorband ist meist schlecht, und zwar so richtig! Auf dem Gig der letzten Tour in Potsdam hieß diese musikalische Zumutung RIEFENSTAHL, heute eben HÄMATOM, aber das Ergebnis bleibt gleich: Man fragt sich, warum man nicht einfach ein bisschen später gekommen ist, um sich das zu ersparen. Der Ganzkörper-Verband von Sänger Nord soll vermutlich lustig sein, die anderen tragen SLIPKNOT-ähnliche Masken, musikalisch kreuzt man neben dem Schlüpferknoten-Sound auch noch ein bisschen Neue Deutsche Härte der übelsten Sorte mit hinein, und die stets an der Peinlichkeits-Klippe entlang schlitternden Texte sind natürlich auch auf Deutsch (oder ist der kunstbluttriefende Sänger auf der Suche nach der nächsten Plattitüde gar schon in den Abgrund gerutscht?). Immerhin liefern die Songtitel herrliche Schlagworte für meinen Verriss: Ich werde zum 'Tier', wenn ich mir das noch länger anhören muss, denn der 'Schmerz' in meinen Gehörgängen lässt mich Bi-Ba-'Butzemann'-mäßig im Kreis herumtanzen. Und es entbehrt nicht einer gewissen Situationskomik, als der Sänger das ziemlich desinteressierte Publikum bittet, ihm den Mittelfinger zu zeigen. Ene mene miste, es rappelt in der 'Kiste', ene mene meck - und sie sind endlich weg!

Konstante Nummer zwei: Die zweite Vorband ist in der musikalischen REITER-Gleichung so etwas wie die große, aber viel versprechende Unbekannte. Genauso wenig wie ich vor der "Samurai"-Tour jemals etwas von TURISAS gehört hatte, sind mit TÝR heute ein Begriff. Dass sie von den Färöer-Inseln kommen klingt exotisch, dass aber ausgerechnet die "Traditionalisten" in der Redaktion ganz aus dem Häuschen über diese Formation sind, macht mich ein wenig skeptisch. REITER-Sänger Fuchs hatte kurz zuvor im Interview etwas von "Pagan Metal" und "Kettenhemden" gemurmelt. Zum Glück verzichtet das Quartett auf weitere optische Albernheiten und liefern stattdessen epische Musik vom Feinsten! Schon das erste Stück 'Regin Smidur' begeistert durch mehrstimmigen Männergesang, da Hauptsänger und Gitarrist Heri Joensen fleißig von seinen musikalischen Mitstreitern unterstützt wird. Die färingische Sprache ertönt weich und rund, und die instrumentale Begleitung ist überraschend detailliert. Vor allem den Bass von Gunnar H. Thomsen hört man wunderbar heraus, aber auch die Gitarren von Heri und Terji Skibenæs streuen hübsche Leads und schmissige Riffs in das folkloristische Lagerfeuer-Feeling. Doch TÝR singen nicht nur in ihrer Landessprache: Nach dem eher getragenen 'Dreams' kommt Schunkel-Stimmung auf, als das bei uns unter dem Namen 'An der Nordseeküste' leider nur zu gut bekannte irische Volkslied 'The Wild Rover' angestimmt wird (und holla, Heris Akzent klingt plötzlich auch recht irisch!). Zu 'Hail To The Hammer' dürfen alle Möchtegern-Wikinger kurz ihre Fäuste erheben, aber das ist neben den Kettenhemden auch das einzige Klischee, das die sympathisch wirkenden Inselbewohner bedienen. Was allerdings auch ein wenig zu Lasten der Show geht, denn wer solche detailverliebten und obendrein episch-langen Stücke spielt und dazu auch noch als Trio singt, hat wenig Zeit zum Posen. Den Abschluss dieses sehr kurzweiligen Auftritts macht 'Ramond Hin Unge', welches laut dem Review von Kollege Rüdiger in dänischer Sprache verfasst ist, und ich glaube, nicht nur ich überlege mir gerade, ob ich nicht doch zur anstehenden AMON AMARTH-Tour gehen soll - wegen deren Vorgruppe TÝR natürlich!

Konstante Nummer drei: Die Fans. Kaum ist das Intro verklungen, stürzt sich schon der erste Stage-Diver von der Bühne, weil er weiß: Bei DIE APOKALYPTISCHEN REITER darf man das und wird sicher von der zumindest in den vorderen Reihen dichten Menschenmenge aufgefangen. Trotzdem geht es im Pit nie aggressiv zu, man gibt aufeinander acht, möchte einfach nur die jährliche REITER-Party feiern und dabei ordentlich Spaß haben. Die Thüringer könnten vermutlich färingische Abzählreime singen und würden immer noch bejubelt. Die Stimmung in der ca. zu einem Drittel gefüllten Halle ist jedenfalls vom Anfang bis zum Ende phantastisch und rettet dadurch auch meine eigene Laune etwas über die unterschwellige Enttäuschung angesichts der recht einseitigen Setlist. Dass 'Metal Will Never Die' inzwischen stillschweigend durch 'We Will Never Die' ersetzt wurde, damit habe ich mich abgefunden. Aber auch sonst nichts von den ersten beiden Scheiben? So umfangreich ist die REITER-Diskographie ja nun auch wieder nicht, dass man komplette Alben ausklammern müsste … Der musikalische Schwerpunkt liegt naturgemäß auf dem für meinen Geschmack leicht durchwachsenen neuen Werk "Riders On The Storm", das mit acht Songs mehr als großzügig abgedeckt wird.

Neu an der Show (aber kaum überraschend) ist dass der maskierte und peitschenschwingende Keyboarder Dr. Pest in einem Käfig eingesperrt ist, der allerdings gar nicht Furcht einflößend wirkt, sondern eher wie ein Vogelkäfig im Menschenformat aussieht, Ausflugloch inklusive. Dieses nutzt er jedoch nur selten - vielmehr wird das seit 'Fatima' vom "Have A Nice Trip"-Album bekannte Spielchen "wir holen uns ein Mädel aus dem Publikum auf die Bühne" bis zum Erbrechen ausgedehnt. Die Ärmste darf nicht nur zu 'Revolution' Löcher in die Luft kucken, sondern sich angekettet während 'Sehnsucht' zum Doktor in das Drahtgestell begeben, wird bei 'Erhelle meine Seele' noch ein wenig ausgepeitscht, bis Pest selbst von einem kräftigen Kerl, der von irgendwo aus dem Backstage-Bereich auf die Bühne stürmt, zurück in seine Zelle gejagt wird. Hahaha … Und weil's so schön war, darf wenig später zu 'Die Sonne Scheint' eine weitere Dame ins Rampenlicht, die uns allerdings nicht ihre "Sonne" zeigt, sondern sich vielmehr durch Dauer-Propeller-Banging auszeichnet. Ist auch besser so, wobei - sehen will ich das auch nicht. Immerhin weigert sich die Dame standhaft, Pest einen Besuch in seinem Gitter-Domizil abzustatten, und tanzt lieber noch ein weiteres Stück durch.

Die Zugabe stimmt mich halbwegs versöhnlich: 'Ghostriders In The Sky', von Fuchs stilsicher mit Cowboyhut intoniert, ist ein wirklich gelungenes Cover, das man besser auf der regulären CD statt auf der Vorab-Single platziert hätte. 'Gone' befriedigt ein Mal mehr die älteren Fans, und 'Dschinghis Khan' kommt auch immer wieder gut. Trotzdem werde ich wohl die nächste REITER-Tour wegen der sich einstellenden Übersättigung ausfallen lassen - es sei denn, die Weimarer haben dann wieder ein richtig fettes Album am Start. Oder zumindest eine dieser viel versprechenden Unbekannten in der Konzert-Gleichung wie TÝR, die für mich die Gewinner des heutigen Abends darstellen.

Setlist:
Intro
Vier Reiter stehen bereit
Friede sei mit dir
Riders On The Storm
Barmherzigkeit
Soldaten dieser Erde
Terra nola
Revolution
Sehnsucht
Erhelle meine Seele
Mmmh
We Will Never Die
Wenn ich träume
Reitermania
Du kleiner Wicht
Die Sonne scheint
Seemann
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Ghostriders In The Sky
Gone
Dschinghis Khan

Redakteur:
Elke Huber

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