EPICA, VUUR, MYRATH - München

04.12.2017 | 17:19

30.11.2017, Backstage

Melodie und Frauenpower!

Nachdem ich Anfang dieses Jahres EPICA in Stuttgart gesehen habe, haben sich die Holländer in meinen musikalischen Radius gespielt. Trotzdem muss ich zugeben, dass den Ausschlag für den Besuch des heutigen Konzerts die beiden Vorgruppen gegeben haben, was sich am Ende als ungerecht gegenüber EPICA herausstellen soll.

Doch zuerst darf MYRATH aus Tunesien die Bühne erklimmen. Dass der Konzertbeginn für 20:00 Uhr angekündigt wurde und MYRATH bereits um 19:30 beginnt, war zwar zu erwarten, das macht es aber nicht besser. Die Halle ist zwar bereits einigermaßen gefüllt, aber viele der Eintreffenden schauen überrascht, dass bereits Musik gespielt wird, obwohl es noch deutlich vor der angekündigten Uhrzeit ist. MYRATH eröffnet ihr kurzes Gastspiel mit dem Intro ihres letzten Longplayers "Legacy", zu dem eine Bauchtänzerin auf die Herkunft der Band hinweist. Exotisch, erotisch und dann platzmachend für die international wohl bekannteste Metalband aus dem nordafrikanischen Land, die mit dem Opener des letzten Albums, 'Believer', den Reigen eröffnet.

Ich sehe die Band mittlerweile zum dritten Mal und kann behaupten, dass sie mitreißend spielt und tatsächlich mit dem Debüt "Hope" auf hohem Niveau begonnen hat, nur um mit jedem folgenden Album noch besser zu werden. Sänger Tarek Idouani ist ein sehr guter Frontmann geworden, und genauso wie die junge Tänzerin die Männerwelt im Raum verzücken konnte, ist der Tunesier in seinen ungewöhnlichen orientalischen Gewändern eine Augenweide für die Damen. Woher ich das weiß? Neben mir stehen vier Damen, die sich durchaus hörbar in diese Richtung äußern.

Mich interessiert allerdings in erster Linie die Musik, und da dominiert das letzte Album deutlich. MYRATH kann nur fünf Stücke spielen, da nur etwa eine halbe Stunde zur Verfügung steht, in der einfach nicht mehr Lieder Platz finden. Nur 'Merciless Time' vom vorletzten Album "Tales Of The Sand" ist nicht ganz aktuell, ansonsten wird natürlich Werbung für "Legacy" gemacht. Das gelingt auch, das Publikum, das die Band augenscheinlich zum größten Teil nicht kennt, taut schnell auf. Die Einlagen der hübschen Tänzerin, orientalische Melodien, große Hymnen und der brillante Sänger Tarek sorgen dafür, dass der Gig viel zu kurz ist. Und als die Bauchtänzerin zum Rausschmeißer 'Beyond The Stars' ihre Kunst und Heavy Metal verbindet, freue ich mich darüber, dass MYRATH nicht nur ein neues Album mit dem Titel "Shehili" ankündigt, sondern auch einen Headlinergig im März 2018. Das sollte man sich schon mal notieren, zumal die Vorband MANIGANCE auch empfehlenswert ist!

Setliste: Believer; Get Your Freedom Back; Storm of Lies; Merciless Times; Beyond the Stars

 

Die Halle ist warmgespielt, Frau van Giersbergen, Sie können loslegen. Zwanzig Minuten nachdem MYRATH die Bühne verlassen hat, gehört selbige den Holländern VUUR, die die Fortführung von THE GENTLE STORM, dem Projekt der Sängerin und des Prog-Meisters Arjen Lucassen, darstellt. Anneke van Giersbergen kann auf eine durchaus umfangreiche musikalische Vergangenheit zurückblicken und wäre in der Lage, den Abend allein zu bestreiten, ohne einen schwachen Song spielen zu müssen.

Umso schwieriger dürfte sich die Zusammenstellung der Setliste gestaltet haben, denn im Mittelpunkt soll natürlich VUUR stehen, aber ganz ohne den Griff in die Historie können die Niederländer nicht gehen. Diese Gratwanderung absolviert VUUR ganz ausgezeichnet. Die Songauswahl besteht aus vier Liedern des aktuellen Longplayers "In This Moment We Are Free – Cities" und drei älteren Songs, die ebenfalls hervorragend gemischt sind.

Im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses steht bei VUUR natürlich die Frontdame, die mit ihrer ehemaligen Band THE GATHERING zu einer Gesangsikone geworden ist. Ihre Show und ihre Ansagen sind äußerst sympathisch, dass sie bereits als Headliner ganz andere Hallen gefüllt hat und nun doch wieder für andere eröffnen muss, scheint ihr nichts auszumachen. Dabei würde ich auch von den Virtuosen aus unserem Nachbarland einen Headlinergig begrüßen, den VUUR dann auch für 2018 ankündigt. Es wird ja immer besser!

Musikalisch ist das Ganze eine starke Werbung für dieses kommende Konzert und das aktuelle Album. Anneke singt großartig und die Band rockt und lässt sich nicht davon beeindrucken, dass ihre berühmte Frontfrau unweigerlich immer mehr vom Rampenlicht bekommt als die anderen vier Musiker. Die Publikumsreaktionen auf die Band, die Interaktion mit Anneke und der Jubel über den GENTLE STORM-Song 'The Storm' und den THE GATHERING-Klassiker 'Strange Machines' zeigen, dass viele hier im Saal durchaus mit dem Schaffen der Band und der Sängern vertraut sind.

Setliste: Sail Away – Santiago; My Champion – Berlin; The Storm; Fallout; Days Go By – London; Your Glorious Light Will Shine – Helsinki; Strange Machines

Zwei Vorbands diesen Kalibers zeugen auch von einem beachtlichen Selbstbewusstsein der anderen niederländischen Band des heutigen Abends. EPICA weiß natürlich, dass dies hier heute Abend ihre Crowd ist, aber zwei stilistisch passende Bands mit solch muskalischer Qualität mitzubringen, sollte ein Argument für jeden sein, auch an einem Mittwochabend den Hintern vom Sofa zu bekommen und ins Backstage zu fahren. Denn EPICA steht heute Abend dem bisherigen musikalischen Ablauf in Nichts nach. Sobald das Intro verklungen ist und die Band mit 'Edge Of The Blade' loslegt, sind die Vorgruppen vergessen. Neunzig Minuten lang feuert der Headliner einen großen Song nach dem anderen in die Halle!

Dabei wird klar, dass das Schaffen der Band auf durchgehend hohem Niveau stattfindet und -fand. Gleich als zweiten Song wird 'Sensorium' vom 2003er Debüt "The Phantom Agony" gespielt, nur um 'Wheel Of Destiny' von der aktuellen EP "The Solace System" folgen zu lassen. Von einem qualitativen Bruch ist hier keine Spur. Sängerin Simone Simons steht naturgemäß im Mittelpunkt, doch ist EPICA ganz eindeutig eine funktionierende Band, denn die Mannschaft rockt behend und intensiv und lässt an keiner Stelle der Bühne Langeweile aufkommen. Selbst Keyboarder Coen Janssen, naturgemäß eigentlich zu einem eingeschränkten Bewegungsradius verdammt, dreht sich mit seinem Tastenintrument im Kreis und genießt den Auftritt zusammen mit Bassist Rob von der Loo, der sich mit ihm im Hintergrund hält.

Für mich, der ich mit der Diskographie der Band nicht allzu vertraut bin, ist der Höhepunkt des Abends das lange, abwechslungsreiche 'The Holographic Principle - A Profound Understanding of Reality', in dem der progressive Teil EPICAs durchscheint. Dass Mark Jansen mit Growls Frau Simons unterstützt, wirkt live übrigens ebenfalls großartig und gibt den symphonischen Klängen eine härtere Facette, die der Band gut zu Gesicht steht. Als bei 'Storm The Sorrow' VUUR-Sängerin Anneke einen Gastauftritt hat, wird deutlich, dass heute die drei Damen einen großen Anteil am Gelingen hatten, ohne dass sie die durchgehend phantastische instrumentale Leistung alle Mitwirkenden überstrahlt hätten. Dieser Abend und dieses Paket waren absolut sehenswert, und das beziehe ich ausdrücklich auf jede einzelne der drei Bands.

Setliste: Edge of the Blade; Sensorium; Wheel of Destiny; The Essence of Silence; Unleashed; The Holographic Principle - A Profound Understanding of Reality; Storm the Sorrow; Victims of Contingency; Unchain Utopia; Once Upon a Nightmare; Encore:Sancta Terra; Beyond the Matrix; Consign to Oblivion

Redakteur:
Frank Jaeger

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