EXODUS und ARCANIA - Hamburg

25.06.2015 | 12:36

01.06.2015, Knust

Exodus!

Im Vorprogramm der Bay-Area-Thrash Legende spielt eine mir völlig unbekannte, französische Thrashband namens ARCANIA. Mit dem guten Gefühl, dass die geschmacksicheren Herren aus Frisco da sicherlich einen neuen Geheimtipp einer breiteren Masse vorstellen möchten, stehe ich also mit einem erfrischenden Kaltgetränk in der Hand vor der Bühne. Leider spielt das Quartett sehr modernen, extrem rüden Thrash, bei dem ich weder Alleinstellungsmerkmale, noch Hooklines ausmachen kann. Der muffige Klang ändert wenig an dieser Tatsache und wenn ich die recht gelangweilten Gesichter anderer Anwesenden richtig deute, stehe ich mit dieser Meinung nicht allein auf weiter Flur. Als nach einer knappen halben Stunde bereits Schicht im Schacht ist, gibt es ein wenig Höflichkeitsapplaus und man wendet sich wieder anderen Dingen zu.

Was war das denn gerade? Da freue ich mich wie ein kleines Kind darüber, meine Lieblings-Thrash-Veteranen EXODUS endlich wieder mit einem genießbaren Sänger livehaftig erleben zu dürfen und dann tritt die Band ohne ihren Leader Gary Holt auf. Natürlich ist sein Ersatz Kragen Lum, den man unter anderem als Sidekick des anderen Gitarristen Lee Altus bei HEATHEN bewundern kann, ein extrem großartiger Klampfer, aber er ist eben nicht Gary Holt. Kann mir das nicht egal sein, so lange die musikalische Darbietung toll ausfällt? Könnte es, aber seien wir mal ganz ehrlich: Möchten wir ANNIHILATOR ohne Jeff Waters sehen? Nein, das möchten wir nicht, ganz einfach, weil es ein Riesenvergnügen ist, ihm einfach beim Spielen und Grimassen schneiden zu zuschauen. Genau so verhält es sich für mich mit EXODUS und Gary Holt. Er ist für mich immer ein absoluter Hingucker gewesen, der wie ein Derwisch völlig irrwitzig auf der Bühne herum derwischt, dabei sein Gesicht verzieht und locker flockig die grantigsten Riffs des Universums auf die Menge abfeuert. Good friendly violent riffing eben. Diese Bühnenpräsenz hat Kragen eben nicht, obwohl ich ihm eine sehr geile Leistung attestieren kann; spielerisch, wie auch optisch. Der gute Mann hat sich wohl mehrfach die Lockenmähne von der Rübe geschädelt. Das hat schon auch Laune gemacht beim Zusehen. Was mich aber obendrein ziemlich ärgert sind noch zwei andere Faktoren. Wieso schafft man es im Zeitalter der totalen Vernetzung nicht, den eigenen Fans vor so einer Tour mitzuteilen, dass es nicht gänzlich unwichtiges Mitglied nicht mit an Bord sein wird (auf den Plakaten und Ankündigungen im Netz wirbt man mit Photos, auf denen Gary zu sehen ist) und wieso rühmt sich die Band in den Ansagen alle Nase lang mit der Tatsache bereits seit 30 Jahren diese Musik zu spielen? Das sollte doch etwas mit Beständigkeit zu tun haben oder liege ich da jetzt mal wieder völlig altmodisch falsch?  Genug genörgelt, denn es gibt auch ausreichend positive Aspekte am heutigen Abend.

Von Beginn an merkt man den Musikern an, dass sie extrem motiviert sind. Alle fünf rackern sich schon während der ersten Nummern den Arsch ab. Es fliegen Haare, es wird hin und her gerannt und nebenher auch messerscharf gespielt. Das Zusammenspiel von Lee Altus und Kragen Lum ist natürlich von blindem Verständnis geprägt. Immerhin spielen die beiden auch bei HEATHEN zusammen. Zetro ist sehr gut bei Stimme und hat offenbar auch so richtig Lust. Er stachelt das Publikum immer wieder an und verplempert keine Zeit mit überflüssigen Ansagen. Mit 'Children Of A Worthless God' kommt dann auch schnell einer der wenigen herausragenden Songs der Dukes-Phase zum Einsatz und wie immer habe ich das Gefühl, dass Lee in diese Nummer sehr viel Herzblut gesteckt hat. Subjektiv betrachtet geht er während des Songs noch mehr aus sich heraus, als er es eh schon tut. Als sich die Band dann mit dem Fisch-Song endlich ihrer Klassiker erinnert, kommt als Ansage die Frage:"Anyone seen Gary Holt?" Es wird 'Raining Blood' angespielt und kurz erwähnt, dass Gary jetzt bei dieser anderen Thrashband sei. Was man davon halten soll, ist mir nicht ganz klar. Aber noch mehr Ärger möchte ich in diesen Bericht nicht stecken.

Es folgt 'Piranha' und die eh schon sehr gut angeheizte Menge geht völlig steil. Dieses Niveau kann die aktuelle Single 'Salt The Wound' zwar nicht halten, aber das Publikum hat augenscheinlich sehr viel Spaß. 'Pleasures Of The Flesh' ist natürlich ein absoluter Ohrgasmus und ich hoffe nun, endlich mehr Songs aus der Zetro-Phase serviert zu bekommen, aber leider gibt es im direkten Anschluss mit 'Body Harvest' wieder etwas vom neuen Album. Auch im weiteren Verlauf wechseln sich alte Klassiker mit modernen Nummern ab, wobei außer dem obligatorischen 'Toxic Waltz' keine weiteren Souza-Songs zum Einsatz kommen. Da hätte ich mir etwas mehr Ideenreichtum gewünscht. Allerdings mag es auch der Tatsache geschuldet sein, dass sich Kragen die Songs erstmal drauf packen muss. Wer weiß, wie kurzfristig sein Einsatz geplant wurde.

Insgesamt ein zwiespältiger Abend für mich. Die Band an sich hat objektiv eine gewohnt erstklassige Show abgeliefert, aber die Umstände haben mir persönlich die Freude an den gebotenen Thrash-Gourmet-Happen gründlich verdorben. Es mag daran liegen, dass ich EXODUS zu meinen absoluten Lieblingsbands zähle und Gary Holt mal eben DER Thrashgitarrist für mich ist. Betrachtet man die Sache nüchtern, so muss man der Band attestieren, dass sie gekonnt im Hier und Jetzt agiert, Klassiker und neues Material geschickt kombiniert und auf einer Bühne einfach mal mächtig nach vorne losgeht. Das gelingt kaum einer anderen Band aus der alten Riege so gut. Ausnahmen bestätigt OVERKILL.

Wie es mit der Band weitergeht, muss man sehen. Mit Kragen Lum muss man sich musikalisch allerdings wohl wenig Gedanken um musikalischen Qualitätsverlust machen. Alles andere ist scheint Makulatur im Casting-Zeitalter zu sein.

Redakteur:
Holger Andrae

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