Edguy - New York

18.09.2007 | 23:40

16.09.2007, B. B. King Blues Club

Nicht nur die glückselige Erinnerung an den genialen Headliner-Auftritt von EDGUY auf dem diesjährigen Bang Your Head!!!-Festival lässt mich den 16. September schon lange im Voraus ganz dick rot in meinem Kalender einkreisen, sondern auch die Neugierde darauf, ob Front-Scherzkeks Tobi auf Englisch genauso viel Blödsinn babbeln kann wie in seiner Muttersprache. INTO ETERNITY, die ich drei Wochen vorher als Support von DREAM THEATER erstmals mit dem neuen Fronter Stu Block bestaunen durfte, sind da fast nur noch das I-Tüpfelchen, um mich an diesem spätsommerlichen Sonntag Abend trotz heftiger Erkältung in den B.B. King Club zu schleppen. Moment mal, passen diese zwei Acts überhaupt zusammen? Was bei uns in Deutschland vermutlich nachdrücklich verneint würde, scheint in den USA kein Problem darzustellen. Ganz im Gegenteil: Mit ECHOES OF ETERNITY und LIGHT THIS CITY wird die musikalische Mischung des Abends sogar noch sehr viel bunter.

Erstere verpasse ich leider im Backstage-Bereich des Clubs zwischen zwei Interviews und einer wie immer äußerst unterhaltsamen "Heavy Metal Paintbox"-Aktion, die ihr in Kürze bei uns begutachten könnt. Wirklich schade, denn das, was vom Sound der Gothic-Death-Metal-Formation aus Kalifornien um Front-Dame Francine Boucher dort hinten ankommt, klingt vielversprechend.

Ein Sandwich und eine Zigarettenlänge vor der Tür später bolzen sich LIGHT THIS CITY bereits durch ihr Set, und angesichts der Stimmgewalt des Wesens hinter dem Mikroständer muss ich mindestens drei Mal hinkucken, um unter dem coolen Muffin-meets-Totenkopf-Logo des T-Shirts zwei weibliche Brüste zu erkennen. Laura Nichol heißt die Dame, die hier nix anbrennen lässt und dem sich mächtig in Circle-Pit-Laune befindlichen Publikum eine ordentliche Portion Thrash-meets-Göteborg-Death-Metal aus der Bay Area kredenzt. Etwas zu heftig für meine melodiesüchtigen Ohren, aber definitiv nicht schlecht.

Doch was ist das denn? Übler Sound-Matsch ertönt, als INTO ETERNITY die wegen der beiden effektvoll drapierten Backdrops viel zu klein wirkende Bühne betreten, und das soll sich leider, leider auch über die kompletten 45 Minuten des Gigs nicht ändern. Die klaren Gesangspassagen sind gerade noch so erträglich, aber sobald Steve Bolognese das Doublebass-Pedal kräftig durchtritt, geht gar nix mehr. Würde sich nicht Stu Block mit einer stoisch-hinreißenden Performance (Motto: Haben wir einen schlechten Sound? Scheiß drauf, ich mach das Beste draus!) derart ins Zeug legen, ich wäre fast gewillt, mir lieber vor der Tür noch ein paar Kippen durchzuziehen. Irgendwas stimmt wohl mit einer der Boxen nicht, aber INTO ETERNITY sind viel zu sehr Profis, um nicht den Umständen entsprechend das Größtmöglichste aus dieser misslichen Situation heraus zu holen. Die kleine Bühne und damit verbundene Nähe zum Publikum lässt Stu zur Höchstform auflaufen - der Junge ist wirklich einer der besten Entertainer, die ich in den letzten Jahren zu sehen bekam! Spätestens zum Mitmach-Spielchen "Die rechte Hälfte schreit jetzt "Heavy", die linke Hälfte "Metal"!" frisst ihm das Publikum aus der Hand - oh yeah, this guy is fucking Heavy Metal himself! Bassist Troy Bleich, der fast schon zur Stammbesetzung der von ständigen Line-up-Wechseln geplagten Kanadier gehört, grunzt dazu gewohnt grimmig, während Justin Bender und Tim Roth an den Gitarren fast vergeblich versuchen, den Bass-Matsch mit ihren genialen Gitarren-Riffs und -Soli zu übertönen. Ich schwanke zwischen Grausen (wegen des miserablen Sounds) und Faszination, wie sehr sich diese früher eher team-orientierte Band zu einer immer noch einheitlichen Truppe mit einem erstklassigen Fronter gemausert hat. Trotz oder gerade wegen der katastrophalen Gesamtsituation Daumen hoch für einen sympathischen Auftritt!

Setlist:
Paralysed
Nothing
Splintered Visions
Severe Emotional Distress
Spiralling Into Depression
Out
Timeless Winter
Elysium Dream
Pain Through Breathing
Beginning Of The End

Brechend voll ist es nicht gerade im gut 600 Personen fassenden B. B. Kings, aber EDGUY rennen trotzdem offene Türen ein. "Ladies and Gentleman, welcome to the freak show" tönt es zur Eröffnung nicht nur aus den Boxen, sondern aus vielen partyhungrigen Kehlen. Der immer noch kurzhaarige, dafür aber erfreulich dezent gekleidete Front-Stahlemann Tobias Sammet schwenkt zum einzigen mir nicht geläufigen Song des Abends die Deutschland-Fahne, und schon geht's los mit dem Rhythmus, bei dem man mit muss. Meine Erkältung ist auf einmal wie weggeblasen, und meine Laune hebt sich nicht nur wegen des Dauergrinsens, das Gitarrist Jens Ludwig über die kompletten gut neunzig Minuten an den Tag legt.

"Wir haben in den USA zwar noch nicht so viele Fans wie bei uns in Europa, aber es werden mit jeder Tour mehr!" freut sich Tobi wie ein Schneekönig, um dann auch gleich die ersten Kalauer vom Stapel zu lassen. In seinem nicht ganz akzeptfreien Englisch, das die Amis vermutlich dafür umso mehr lieben, zieht er nach Herzenslust über den angeblich schwulen Schlagzeuger her, der sein Geld früher mit Pornofilmen und Prostitution verdient habe, bevor er mit EDGUY versuchte reich zu werden, oder verteilt Seitenhiebe an HAMMERFALL (ein Schelm, wer in Erinnerung an den Bang Your Head!!!-Gig der Schweden Böses dabei denkt). Mitsingspielchen werden mit dem ihm eigenen, auch auf Englisch hervorragend funktionieren Humor angezettelt: "Jetzt kommt der schwierige Teil der Show, bei dem ihr singen müsst", feixt er schelmisch. "Die linke Seite schreit auf mein Zeichen ganz laut "yeah", während die rechte sie dafür auslacht, und dann umgekehrt. Beweist mir, dass es auch in den USA echte Heavy-Metal-Fans gibt!" Ans Bein gepisst fühlt sich deswegen offenbar keiner der Anwesenden, und nach den frenetisch abgefeierten Stücken 'Lavatory Love Machine' und 'Mandrake' gibt Tobi schließlich klein bei: "Wir haben nicht mit so einem tollen Publikum gerechnet. Ihr haut uns echt um! Dafür werden wir jetzt alles geben, damit ihr glücklich nach Hause geht."

Gesagt, getan: Mit 'Vain Glory Opera' und 'Superheroes' (bei dem passenderweise ein Mädel mit Bunny-Ohren in der Menge gesichtet wird) folgen die nächsten Kracher des vor Höhepunkten nur so strotzenden Auftritts. Und auch der nächste Sammet-Witz lauert gleich um die Ecke: "Das folgende Stück ist ein zwar Liebeslied, aber keine der typischen Schnulzen, obwohl jede Heavy-Metal-Band mindestens eine davon im Repertoire haben sollte" kündigt Tobi die Ballade 'Shave' - ähm, 'Save Me' an, und das Publikum greift die Gelegenheit dankbar auf, ihm ein donnerndes "Es geht um Anal-Sex!" um die Ohren zu hauen. Dieser kriegt sich fast nicht mehr ein: "In einem Land, wo es verboten ist, im Radio zu fluchen, darf das Publikum hemmungslos nach "Anal-Sex" verlangen - ich fass es nicht!". 'Fucking With Fire' ist danach die perfekte Antwort auf das sich deutlich unter der Gürtellinie bewegende sprachliche Niveau (auch wenn Tobi ihn mit "Blähungen nach einem mexikanischen Essen" assoziiert), bevor die Hessen sich - begleitet von "One More Song"-Sprechchören - vorläufig verabschieden.

"Wir haben zwar keinen Song namens 'One More Song', und auch keinen mit dem Titel 'Anal Sex'", erfreut sich der Sänger sichtlich an der Gelegenheit, den Spruch des Abends nochmals aufzugreifen. "Aber wir spielen euch dafür einen ziemlichen schnellen Track, den wir schon lange nicht mehr zum Besten gegeben haben und der K. K. Downing und Glenn Tipton vor Neid erblassen lassen würde." An Selbstbewusstsein hat es dem Blondschopf bekanntlich noch nie gefehlt, aber selbst wenn die JUDAS PRIEST-Klampfer höchstpersönlich auf der Bühne stehen würden, könnte die Stimmung kaum besser sein wie beim folgenden 'Mysteria'. Großartig ist auch die Paul-Stanley-Parodie, die Tobi anschließend zum Besten gibt, bevor die Stimmung mit 'Avantasia' (immer wieder geil!) und 'King Of Fools' ihren finalen Höhepunkt erreicht. Danke für die tolle Party, Jungs - und kommt bald wieder über den großen Teich!

(Nicht ganz vollständige) Setlist:
?
Sacrifice
Babylon
Lavatory Love Machine
Tears Of A Mandrake
Vain Glory Opera
Superheroes
Save Me
Fucking With Fire
---
Mysteria
Avantasia
King Of Fools

Redakteur:
Elke Huber

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