FATES WARNING - Hamburg

02.02.2017 | 00:49

24.01.2017, Logo

Fates Warning beprogt Hamburg livehaftig

Es ist Dienstagabend und es ist saukalt in Hamburg. Da freut man sich, wenn man ins pickepacke gefüllte Logo gehen darf, um sich etwas aufzuwärmen. Ein Unterfangen, welches bei der Menschenmenge auch ohne Musik nicht weiter schwer fallen wird, denn als ich um kurz vor 20 Uhr am Ort des Geschehens eintreffe, ist es so voll, dass ich beinahe gar nicht mehr ins Innere gelangen kann. Als die erste Vorband zum Tanze aufspielt, könnte ich nun bösartig schreiben "Ein Glück", aber ich belasse es dabei, zu erwähnen, dass ich es nach kurzem Antesten vorziehe, in die Kälte zu flüchten. FALLEN ARISE spielt keyboardlastigen Gothic Metal und wird von einer Dame angeführt, die optisch wunderbar aufs Wave-Gothic-Treffen passen würde. Neben ihr brüllt ein männliches Pendant wütende Core-Shouts ins zweite Mikrophon, was die eh schon zwiespältige Angelegenheit nicht angenehmer macht. Das Publikum scheint dies ähnlich zu sehen, denn mehr als spärlichen Höflichkeitsapplaus erntet die Band zwischen den Songs nicht.

Die zweite Supportband namens ARMORED DAWN aus Brasilien überrascht schon rein optisch mit einer kruden Mischung aus Viking-Bärten und Gothic-Frisuren. Dieses Durcheinander setzt sich leider auch in den unentschlossen klingenden Songs fort. Viel zu laute Keyboards nehmen diesen dann obendrein auch noch jegliche Heaviness, so dass trotz der recht frostigen Temperaturen relativ viele Zuschauer vor der Halle ihr wärmendes Kaltgetränk zu sich nehmen. Kein Kompliment für die Band, die mir beinahe ein bisschen leid tut.

Dann aber ist es endlich so weit: FATES WARNING betritt die Bühne und startet gleich mit einer Livepremiere:  'From The Rooftops' erlebt seine erste Liveaufführung vor Publikum und wird vom ersten Ton an abgefeiert wie ein Klassiker. Kein Wunder bei der sensationellen Qualität der Nummer. Als Ray Alder das erste Mal seine Singstimme einsetzt ist die Welt auf einmal völlig in Ordnung. Ob der Mann jemals einen Set absolvieren wird, den man in Nachhinein nicht als sensationell bezeichnen wird? Kaum vorstellbar. Zwar ist der Sound zu Beginn noch ein bisschen übersteuert, aber dieses minimale Manko bekommt man schnell unter Kontrolle, so dass einer absoluten Abfahrt nichts im Wege steht. Überraschend folgt nun 'Life In Still Water' von der sensationellen "Parallels", welches aus fast allen anwesenden Kehlen lautstark mitgesungen wird. Es soll nicht der letzte Song von diesem Jahrhundertalbum bleiben. Weiter im Text geht es mit dem eingängigen 'One' von der auch in Fankreisen etwas umstrittenen "Disconnected". Funktioniert im Livekontext ganz ausgezeichnet, was aber sicherlich auch an der extrem spielfreudigen Darbietung aller Beteiligten liegen mag. Bobby Jarzombek so nah beim Oktopussieren zu beobachten ist schon eine echte Augenweide. Der Mann scheint über acht Arme zu verfügen und spielt mit einer unglaublichen Gelassenheit, dass man glaubt, er würde im Kopf gerade den nächsten Urlaub planen. Unfassbar. Nach einer warmen Ansage an das gar nicht nordisch-kühle Publikum schwenkt die Band auf "A Pleasant Shade Of Gray" um und packt 'Part III' aus dem Köcher. Publikumschor inklusive.

Es folgt der Opener der harten "Darkness In A Different Light". Bei 'One Thousand Fires' sieht man sich bestätigt, dass Mister Jarzombek sich hier sehr wohl fühlt. Progressive Schlachtplatte. Das nächste Livedebüt wird in Form des eingängigen 'Seven Stars' nachgeschenkt und erneut dreht die Menge kollektiv am Rad. Luftinstrumente werden bearbeitet und es wird gesungen bis die Lunge die Flügel streicht. Dieser Enthusiasmus überträgt sich auf die Musiker, was dazu führt, dass Jim lächelt. Ja, richtig gelesen: Jim Matheos lächelt! Euphorisches Highlight. Wir bleiben bei Debütanten, allerdings dieses Mal in Form des "FWX"-Knallers 'A Handful Of Doubt'. Weiter im Text geht es mit 'Firefly', bevor die Band den besten Song des letzten Jahres auspackt: 'The Light And Shade Of Things' ist auch in der livehaftigen Umsetzung ein absoluter Überflieger. Diese Gesangsmelodien töten mich jedes Mal aufs Neue. Besser geht Musik nicht. Livegitarrist Mike Abdow singt mit verträumtem Blick herrliche Backing Vocals und Joey Vera ackert wie gewohnt auf seinem Tieftöner herum. Allerdings habe ich das Gefühl als wäre er körperlich nicht ganz auf der Höhe, da er nicht ganz so spritzig agiert wie sonst. Nach diesem emotionalen Killersong gibt es einen Doppelschlag aus der "Pleasant Shade"-Phase. Der neunte und der elfte Part werden dargeboten, wobei man als Finale noch ein bisschen was aus 'Ivory Gate Of Dreams (Acquiescence)' spielt. Atemberaubend.

Nun setzt die Band zu endgültigen Rundumschlag an und serviert 'The Eleventh Hour'. Für mich der zweitbeste Song des – ich erwähnte es wohl schon – sensationellen Albums namens "Parallels". Ein Werk, welches offenbar auch von der Band selbst sehr geschätzt wird, wenn man sich die Setlist und das Merchandise anschaut. Haben halt Geschmack, die Musiker. Sagte ich eben noch "zweitbester Song", so scheinen die Herren auf der Bühne meine Gedanken lesen zu können, denn sie toppen dieses Meisterwerk mit dem unfassbaren 'Point Of View'. Entenparka und Heiserkeit. Das restliche Publikum sieht und hört dies wohl genau so, denn anders kann ich die Mienen um mich herum nicht erklären. Die totale Glückseligkeit. Endlich einmal etwas Totalitäres, was man unterstützen kann. Hiernach ist erst einmal Schluss mit lustig, denn die Herrschaften gehen von der Bühne.

Natürlich kommen sie noch einmal wieder und natürlich gibt es 'Through Different Eyes' und im Anschluss das beste Stück der leicht verschmähten "Inside Out", namentlich 'Monument'. Natürlich ist hier noch einmal die Hölle los und als sich Ray beim Abgang für den tollen Tourauftakt bedankt und an den letzten grandiosen Auftritt im Rock Cafe zu Hamburg erinnert, spürt man noch einmal, wie viel Freude auch die Musiker an diesem Abend hatten. Aber: Wir haben zu danken, denn FATES WARNING hat die Messlatte für das Konzerthighlight des gerade begonnenen Jahres extrem hoch gelegt. Abwarten und Cirith Ungol hören...

 

Alle Photos: Stephan Lenze

Redakteur:
Holger Andrae

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