Finntroll - Berlin

12.04.2005 | 14:04

09.04.2005, K17

Boah, wat is' denn hier los? Die Schlange der diszipliniert Anstehenden mäandert zig Meter vorm K17-Eingang. Vergleiche mit dem EISREGEN-Auftritt werden wach, aber selbst bei OBITUARY und DISSECTION soll hier weniger los gewesen sein. Doch ehe die aufgeregten Fans die Mannen um Vorzeige-FINNTROLL Wilska bekreischen dürfen, sind die finnischen Landsmänner von AMORAL dran. Am Merchandise-Stand gibt's nicht nur FINNTROLL-Feuerzeuge für drei Euro, sondern auch AMORAL-Shirts, auf denen was von Techno Trash steht: Angst! Nach dem symphonischen Intro aus der Konserve, dem ersten von dreien an diesem Abend, braust jedoch angenehmerweise übergangslos ein Death-Metal-Sturm über das dicht gedrängte Publikum. Ein wütend wirkender, bangender Sänger grunzt zu sich wiederholenden Riffs zwischen eintönigen Gitarrensoli und bemühten Tempiwechseln. Sollten die ambitionierten Jungspunde am eigenen Anspruch an die technisch (noch) nicht vorhandenen Möglichkeiten scheitern? 'Silent Renewal' vom ersten AMORAL-Nicht-Demo "Wound Creations" klingt gewollt verfrickelt. Bemerkenswert variiert Sängers Niko Kalliojärvi zwischen mächtigen Growls und rausgepresster Wut, was mit Applaus belohnt wird. 'The Last Round' lässt aufhorchen: Der hymnische Refrain mit schwebenden Gitarren-Melodien, gemahnt von der Struktur fast an HYPOCRISY'sche leichte Catchiness, wieder schimmert allerdings in den Strophen der Frickel-Anspruch mit erneuten Breaks durch, wird aber bejubelt. Drummer Juhana Karlsson verlässt sich auffallend auf den Double Bass-Effekt inmitten von treibendem Riffing und rhythmischem Grunzen außer während des hochmelodiösen Refrains, der in eine Gitarrenwand mündet. Haben AMORAL sich nun warm gespielt? Die Soli klingen abwechslungsreicher, doch bei dem insgesamt guten Sound geht die Lead-Gitarre dennoch unter. Eine weitere frickelige Walze folgt rasend - wenn's denn so was gibt - insgesamt besser strukturiert. Am Ende Jubel. "Das sind alles Auswärtige!" lautet die Erklärung für so viel entfesselten Zuspruch des ansonsten drögen Berliner Publikums. Trotz erwähnter Kritikpunkte können Liebhaber komplexeren Death Metals AMORAL gern im Auge behalten.

Und es bleibt spannend an diesem Abend: Wird NAGLFAR-Bassist Kristoffer Olivius den wegen seines Grafikdesign-Studium für diese Tour ausgestiegenen Sänger Jens Rydén ersetzen können? Unter "Hey, hey, hey"-Rufen mit erhobenen Fäusten im Publikum betritt er in bodenlangem Ledermantel mit hohem Kragen, frisch geschorener Glatze und schwarz geränderten Augen die Bühne und tut auch sonst alles, um möglichst diabolisch zu wirken. 'Of Gorgons Spawned Through Witchcraft' wird als gut gewählter Opener mit Zwischenjubel bedacht und Olivius guckt schon wieder ganz schlimm doll böse. Hach, Jens, du warst doch eigentlich wirklich charmant, wie du so breitbeinig und nahezu bewegungslos auf der Bühne gestanden hast. "Da darf jetzt mal einer im Mittelpunkt stehen ...", wird treffend gemutmaßt. Olivius will dem Publikum diktieren. Mit rhythmischem Arm-auf-und-ab, singt er allerdings weniger akzentuiert einen bösen Brei, rotzt die Texte eher raus, was gut zu den älteren Liedern passt. Insgesamt klingt musikalisch alles wie gehabt nach einer unzerfaserten todesmetallischen Einheit, in die sich der neue Tour-Bassist Morgan Lie anstandslos einfügt. Bei 'Emerging From Her Weepings' von der zehn Jahre alten, ersten NAGLFAR-Platte "Vittra" entblößt Olivius tätowierte Arme und eine nietenbeschlagene Lederweste überm ärmellosen BATHORY-Shirt. Rob Halford für Arme? 'A Swarm Of Plagues', der erste Track der im Juni erscheinenden "Pariah" kommt rasend schnell aus den Boxen, fast unstrukturiert, und der Eindruck drängt sich auf, dass die alten Melodie-Qualitäten verheizt werden. Richtig zu beurteilen wird das im Sommer sein. Live taugt der Refrain jedenfalls zum Mitgrölen. Jubel und erneute "Hey, hey, hey"-Rufe sind die Quittung. Die böse Stimmungskanone macht ihre Ansagen in langsamen Growls und läuft beim Dreierpack von der '98er "Diabolical" 'Blades', 'Horncrowned Majesty' und 'The Brimstone Gate' zu gesanglicher Hochform auf, fügt sich in die Melodien ein, baut allerdings auch mal das eine oder andere "Yeah, yeah, yeah!" ein, die Faust nach oben gereckt. Das Publikum spielt mit und grölt "Hey, hey, hey" zurück. Dann kommt noch eins von "Pariah", das von Tempo und Struktur an die letzten Lieder auf der "Sheol" erinnert. Über die rasende Instrumentierung legt sich langsamer der Gesang. "I like what I see, I like what I hear", freut sich Olivius. "Do you know the difference between the Christian god and me? I Am Vengeance!" Das gleichnamige Lied mit der rasenden und dennoch nachzuvollziehenden Melodie beschließt den NAGLFAR-Reigen, der ohne den optischen Störfaktor Poser-Sau kritischem Lauschen standgehalten hat.

Und endlich, endlich dürfen die, wegen derer heute fast alle da sind, loslegen mit Keyboards, Gitarren, Grunzen, noch hörbar im Death Metal verankert. Nun ist die Bar frei, während Flöte und Keyboard unter Jubel Tumdidum intonieren. Humppa auf Metal ? mit Polka nur unzureichend übersetzt, macht staunen, überrascht aber nicht mehr. Da bleibt Zeit zu beobachten, dass Sänger Wilska heute seinen mächtigen Leib mit einem Hemdchen bedeckt, dass neckische Fransen am Ärmel ziert, bevor der neue Keyboarder dermaßen ordentlich in die Tasten haut, dass kurz mal die Assoziation Humppa-Keyboard-Techno aufblitzt. Der Rhythmus, wo man mit muss, eben. Innerhalb der Massen sind nicht nur vor der Bühne Inseln in Bewegung. Das Akkordeon vom Keyboard erinnert an Zirkus-Polka.
(Gretha Breuer)

Tiri, Tiri, Tira. Rein ins Vergnügen - wer bei FINNTROLL fotografieren will, braucht Ellenbogen. Denn vor die Bühne gelangt nur noch, wer ordentlich drückt und schiebt. Schwer ist das gleichwohl nicht, weil sich in den vorderen Reihen vor allem Jungvolk postiert hat. Die Jungs und Mädels machen ausnahmslos den Eindruck, als wollten sie nun alle ihr niegelnagelneu aussehenden FINNTROLL-Shirts endlich einmal ordentlich durchschwitzen. Schon nach ein paar Songs steht fest: In der Hitze-Hölle K 17 ist die Transpiration von Schweißperlen an diesem Abend kein Problem. Mehr noch: In den vorderen Reihen ist es so warm, dass an vielen Gesichtern auch die sorgfältig aufgebrachte FINNTROLL-Schminke verläuft. Zwischen den Songs kreischen beängstigend viele Mädels - werden jetzt alle finnischen Bands zu Boygroups?
(Henri Kramer)

'Fiskarens Fiende' von der aktuellen "Nattfödd" steigt gewaltig druckvoll ein, ehe sich der Rhythmus wieder im Kreis zu drehen scheint und Trunkenheit verbreitet. Muss man jetzt trinken, damit Begeisterung kommt? Oder ist die Trunkenheit Begeisterung? Ganz egal, denn "this is a song about hunting". 'Jaktens Tid', eine Speed-Polka, oder? Ganz bestimmt. 'Trollhammeren' entpuppt sich trotz rasendem Rhythmus als bauchtanz-kompatibel. Immer wieder blitzt Metal in den Folgenden Songs auf, Wilska klatscht auf seinen Oberschenkel, wiegt sich trollisch zur Musik; Jubel, Trubel, Heiterkeit bis zum nächsten besinnlicheren, folkloristischen Zwischenteil. Der Uftata-Beat verändert sich unmerklich zum Hoppeldipoppel-Rhythmus, kurz setzen sich ganz gediegen die Gitarre und der kraftvolle Gesang durch. Die Begeisterung kennt keine Grenzen. Und nach zwei Zugaben dauert es eine Weile, bis die gebannten FINNTROLL-Jünger begreifen, dass nun zunächst das letzte Stündlein geschlagen hat. Viele gehen taumelnd nach Hause und verzichten darauf, im K17-Gebäude gegenüber die Freitagnacht zu durchtanzen...
(Gretha Breuer)

... und dabei ist doch im K17-Erdgeschoss extra finnischer Abend mit Bands wie NIGHTWISH oder HIM. Die "offizielle" Aftershowparty läuft dagegen in Etage Eins mit Death und Black Metal. Die Musiker indessen verzichten auf die ultraharten Klänge und bleiben lieber im unteren Flur stecken, sitzen dort an den Tischen und trinken fröhlich drauf los: was verständlich scheint, denn die schöneren Frauen halten sich im K17 einfach immer im Erdgeschoss auf. Skål!
(Henri Kramer)

Redakteur:
Henri Kramer

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